Nicht von dieser Welt: Eine Inventur extraterrestrischer Materialien

BLOG: Exo-Planetar

Meteorite, Planeten, Sternenstaub (und was sonst so runterfällt)
Exo-Planetar

Da es in diesem Blog in erster Linie um ‘handfeste’ planetare Angelegenheiten aus dem engen Blickwinkel eines Mineralogen geht, mal die Frage: von welchen Körpern des Sonnensystems haben wir eigentlich Proben? Hier also ein (etwas aufgewärmter) Artikel über die extraterrestrischen Materialien in den irdischen Sammlungen.

Das meiste Material stammt natürlich von der Kugel zu unseren Füssen, der Erde. Auch wenn nicht alle Regionen direkt zugänglich sind (Tiefseeboden), so haben wir Proben von Kruste und auch dem Erdmantel. Und natürlich auch Hydro- Atmo- und Biosphäre. Noch besser, wir wissen in der Regel, von wo auf der Erde unsere Proben stammen; und falls wir mehr brauchen besteht (in der Regel) die Möglichkeit, in vertretbarem zeitlichen Rahmen mehr zu besorgen. Und um andere Planeten verstehen zu können, sollte man natürlich zumindest den eigenen sehr gut kennen.

Nummer zwei ist natürlich der Erdmond. Immerhin 6 bemannte Probennahmen (die Apollo-Missionen 1969-1972), dazu 3 unbemannte Sample-Return Luna Flüge der Sowjetunion 1970-1976. Insgesamt knapp eine Drittel Tonne an Mondgestein, mit bekanntem (lunographischen ?) Ursprungsort auf der Oberfläche. Wie gesagt, der Herkunftsort einer Probe ist sehr wichtig – die besten Analysen bringen ohne Kontext deutlich weniger als mit.

Das betrifft auch die Mondmeteorite. Die Datenbank der Meteoritical Society zeigt momentan 209 Mondmeteorite an, mit bis zu 13.5 kg Gewicht. Dummerweise wissen wir nur, dass die Dinger vom Mond stammen – vor allem dank der Kenntnisse aus den Mondflügen. Aber halt nicht genau, von wo auf der Mondoberfläche. Eine grobe Unterteilung in Proben von den hellen Hochländern und den dunklen Mare-Regionen ist aufgrund der Zusammensetzung vielleicht gerade noch möglich.

Der Probennachschub ist auch problematisch – Hinfliegen ist teuer und auch unbemannt zeitlich aufwendig. Meteorite fallen statistisch verteilt vom Himmel. Die Wüsten und antarktischen Regionen, in denen sich über längere Zeiträume leicht identifizierbare Meteorite angesammelt haben, werden systematisch abgesucht. Deshalb wird die Zahl neuer Proben aus dieser Quelle wahrscheinlich auch nicht groß zunehmen. Und mit den Meteoriten gibt es dann noch ein weiteres Problem: Wie schon Erich Kästner schrieb, ist die Erde ist ein gebildeter Stern mit sehr viel Wasserspülung. Und Wasser sowie Sauerstoff setzen Meteoriten richtig zu. Deshalb sind gerade die zahlreichen Meteorite aus der Antarktis und den Wüsten ziemlich oxidiert. Das schränkt deren wissenschaftlichen Nutzen (graduell) ein.

Von den planetaren Körpern kommt wohl der Mars als nächstes. Hier fehlen bereits die direkt eingesammelten Proben – bisher hat es keiner versucht. Wir haben nur die Meteorite, die wir aufgrund der recht detaillierten Kenntnisse aus Marssonden diesem Planeten zuordnen konnten.
Die Datenbank der Meteoritical Society zeigt solide 148 Marsmeteorite an (weit mehr als ich erwartet hätte …), mit dem größten Brocken bei strammen 18 Kg (Zagami).
Da das einzige, was zwischen einen Kosmochemiker und seiner Probe kommt, ein in der Regel sündhaft teures Messinstrument ist, so wurden viele dieser Proben nach allen Regeln der analytischen Kunst durchanalysiert.

Nur heißt das nicht unbedingt, dass dabei was Spektakuläres herauskommen muss. Tissint, ein spektakulärer und medienwirksamer Fall in Marokko 2011 war wohl bisher das, was einer Sample-Return Mission vom Mars am nächsten kommt: 7 Kilo, zügig nach dem Fall eingesammelt. Leider ergaben die Untersuchungen zumindest bisher (soweit ich das beurteilen kann), dass es sich halt im Wesentlichen um einen recht gewöhnlichen Shergottiten handelt, einer der gängigen Gruppen an Marsmeteoriten.

Es gibt Studien, die Fernerkundungsdaten von Marssonden (z.B. im Infrarot) mit Spektren der Marsmeteorite abgleichen. Aber trotz vielversprechender Ergebnisse können wir halt dann doch nicht mit Sicherheit die Ursprungsregion bestimmen. Die Marsmeteorite stammen allerdings möglicherweise aus nur wenigen Kratern, was Ihre Aussagekraft für die Oberfläche des Planeten beeinflusst.
Immerhin, kürzlich fiel uns wieder ein Meteorit in den Schoss, von dem sich vielleicht etwas von der eigentlichen Marsoberfläche kratzen lässt – die bisherigen sind alle magmatische Gesteine: NWA 7034, auch Black Beauty genannt.

Was die weiteren Planeten des inneren Sonnensystems betrifft, haben wir soweit keine bestätigten Proben. Als ein potentieller Meteorit von Merkur wird NWA 7325 gehandelt, aber hier sind die Studien noch am Laufen. Und die Meinungen gehen weit auseinander. Das Problem bei Merkur ist, dass wir keine handfesten Daten von der Oberfläche haben, die einen direkten Vergleich erlauben würden. Für Venus gibt es, soweit ich sehe, nicht mal potentielle Kandidaten.

Ach, das größte Gerät im Sonnensystem hätte ich fast vergessen – die Sonne. Und in der Tat, es gibt Proben von der Sonne, eingesammelt von der erfolgreich gescheiterten Genesis Sonde. Diese sammelte über 2 Jahre Partikel des Sonnenwindes ein, um sich dann bei der Rückkehr zu Erde in den Boden zu rammen. Aber es konnten dennoch wissenschaftliche Ergebnisse aus den Trümmern gewonnen werden, eine der epischen Geschichten in der Branche.

Als nächstes kommen dann die Asteroiden. Das sind die Überbleibsel der Planetenbildung vor etwa 4.6 Milliarden Jahren, die vor allem zwischen Mars und Jupiter die Sonne umkreisen. Hier wird es richtig kompliziert. Eine Studie von 2002 deutet auf 100-150 mögliche Asteroiden hin, von denen Proben (in Form von Meteoriten) vorhanden sind.

Die Probleme beginnen schon damit, Meteorite in verschiedene Gruppen einzuteilen. Und diese stammen nicht unbedingt von jeweils verschiedenen Körpern. Das wichtigste Hilfsmittel, um Meteorite zu klassifizieren ist die Sauerstoffisotopie. Natürlich ist wieder alles viel komplizierter, da spielt auch die Chemie, und Petrologie für die Feinheiten eine Rolle. Ach ja, es gibt zurzeit über 45000 verschiedene Meteorite… und viele davon sind nur gerade so mal klassifiziert.

Und dieses geordnete Chaos mit speziellen Asteroiden zu verbinden, ist noch schwieriger. Dazu benutzt man vor allem Spektroskopie (die Analyse des reflektierten Lichts der Asteroiden). Schöner, aktueller Artikel über die Problematik hier für lau auf ArXiv.

Oder man hat den Fall des Meteoriten beobachtet, und kann so Rückschlüsse auf die Umlaufbahn vor dem Einschlag ziehen. Letzteres ist leider nur selten der Fall. Und Spektroskopie hört sich einfacher an, als es ist. Während man einfach von Meteoriten im Labor charakteristische Vergleichsspektren messen kann, ist der Abgleich mit astronomischen Beobachtungen weniger eindeutig.

Der wohl am besten dokumentierte Link ist der zwischen Asteroid (4)Vesta und den HED-Meteoriten. HED sind Howardite, Eukrite und Diogenite. Hier ist dank der Raumsonde Dawn die schon seit den 70ern bestehende Verbindung wohl bestätigt worden.

Moooment – da gibt natürlich noch eine direktere Verbindung. Die gescheitert geglaubte japanische Hayabusa-Sonde brachte irgendwie ein paar winzige Brösel von einem (einigermaßen) bekannten Ort auf der Oberfläche des kleinen S-Typ Asteroiden Itokawa zurück. Etwa 400 Mineralkörner wurden bisher geborgen. Abgezählte (!) Einzelkörner in der Größe von bis zu einigen 10 µm(1 µm =1 Micron = 1 tausendstel Millimeter) wurden an Forschergruppen weltweit verteilt, und werden nach allen Methoden der Kunst immer noch analysiert.

Und wir sind noch immer nicht am Ende der Inventur. Was gibt es denn noch ? Staub. Und zwar verdammt viel.

Die Interplanetaren Staubpartikel (IDPs) sind in der Regel weniger als 10 µm große Teilchen, die permanent auf die Erde hinabrieseln. Sie sind meistens sehr porös und bestehen ihrerseits wieder aus vielen, kleineren Teilchen. Die geringe Größe macht das Einsammeln schwierig. Es schwebt zu viel anderes Zeug in den unteren Schichten der Atmosphäre, eine Suche nach IDP wäre wie das Ding mit der Nadel im Heuhaufen (nur mit noch schlechteren Aussichten).

Beim Eintritt in die Erdatmosphäre werden die IDP von mindestens 11 Km/s auf wenige cm/s in der Stratosphäre abgebremst. Nach früheren, mäßig erfolgreichen Versuchen mit hochfliegenden Ballons (bis zu 37 km) werden IDPs seit Mitte der 70er von der NASA mit hochliegenden Flugzeugen (spezielle U2 und uralte B-57) in der Stratosphäre aufgefangen. Dabei werden die Teilchen in bis zu 19 Kilometern Höhe mit Kollektoren unter den Flügel in Silikonöl eingefangen. Es gibt auch Pläne, die Teile direkt in der Erdumlaufbahn abzufangen (mit einer ähnlichen Technik wie Stardust, siehe unten).

Es gibt IDP kometaren Ursprungs, aber auch Asteroide können durch Kollisionen Staub produzieren. Um IDPs eindeutig Kometen zuordnen zu können, fanden Flüge statt, wenn die Erdbahn eine Kometenbahn durchkreuzt. Dadurch konnten z.B. 2003 Partikel des Kometen Grigg-Skjellerup eingefangen werden.  Aber auch in dem Fall weiß man nicht hundertprozentig, ob man was von dem Kometen eingefangen hat. Insgesamt dürfte die Zahl der eingefangenen IDPs in die Tausende gehen.

Kometenmaterial mit klar definierter Herkunft in unseren Sammlungen gibt es aber auch: die Proben der Stardust Sample Return Mission. Diese sammelte 2004 bei einem Vorbeiflug an Komet 81P/Wild Staubpartikel aus dem Kometenschweif ein. Diese durch die Auffangtechnik zwangsläufig arg zerlegten Teilchen sind dennoch die besten verfügbaren Proben, da direkt vor Ort eingesammelt. Einige tausende dieser winzigen Partikel sind in den Aerogelblöcken enthalten, genug Arbeit für Kosmochemiker für lange Zeit. Wobei auch hier der direkte Ort auf dem Kometen, wo die Partikel herkommen, unbekannt ist.

Noch was – die Mikrometeorite. Größentechnisch fallen sie zwischen die IDP und die Meteorite (50 µm-2 mm). Gefunden werden sie auf der Erdoberfläche, zum Beispiel durch das Aufschmelzen von Eis in der Antarktis, wo dann die über Ewigkeiten herabgefallenen Mikrometeorite übrig bleiben. Die Mikrometeorite scheinen mir in der Forschung ein wenig vernachlässigt zu werden, die Herkunft ist etwas unklar (aber wohl Asteroide oder Kometen). Die Teilchen heizen sich außerdem beim Eintritt in die Atmosphäre oft ziemlich auf, was die ursprünglichen Eigenschaften natürlich überprägt.

Und dann sollten wir nicht die präsolaren Körner vergessen. Das sind Proben von Körpern außerhalb unseres Sonnensystems. Die präsolaren Körner entstammen roten Riesensonnen oder gar Supernovae, von denen sie ins All geblasen wurden. Die Körner sind extrem winzig, und müssen in der Regel aus kohligen Chondriten separiert werden. In diesen wurden die Partikel in den frühen Tagen des Sonnensystems wie in einem Sedimentgestein eingelagert. Der Separationsprozess wird zu Recht als ‘Die Scheune abfackeln um die Nadel zu finden’ bezeichnet. Das Gestein wird mit fiesen Säuren aufgelöst, so dass nur die stabilsten Minerale übrig bleiben. Diese sind glücklicherweise in der Regel präsolare Körner, die man vor allem anhand ihrer Isotopenverhältnisse identifizieren kann. Mit Hilfe von Ionensonden kann man seit etwa zehn Jahren auch solche Körner direkt in größeren Proben analysieren (in-situ). Auch in IDPs hat man solche präsolaren Brösel gefunden.

Bei den präsolaren Körner ist der genaue Ursprung natürlich wieder nicht bekannt, nur halt dass sie von Sonnen im Spätstadium stammen, und in den frühesten Tagen des Sonnensystems in den solaren Urnebel geblasen wurden.

Das wäre es dann – soweit ich mal wieder nichts vergessen habe. Was klar identifizierte Proben angeht, haben wir also sicher Material von Erde, Mond, Mars, Asteroid Itokawa, Komet Wild 2, Sonne und Vesta.

Eine weitere Quelle an Information ist die Fernerkundung – mit Raumsonden, Teleskopen oder gar Landern/Rovern auf anderen Planeten. Das ist einen eigenen Eintrag wert, also später mehr dazu. Meine wissenschaftliche Arbeit besteht übrigens darin, eben Labor Untersuchungen von Meteoriten oder vergleichbarem Material mittels Spektroskopie mit solchen Fernerkundungsdaten abzugleichen.

Fazit: Man stelle sich einmal vor, was wir über die Erde mit ein paar hundert Felsproben oft unklarer Herkunft aussagen könnten. Die vielleicht nur von ein paar zufällig verteilten Orten stammen, die nicht mal repräsentativ sein müssen. Man könnte gerade mal so ein grobes Bild über unseren Planeten gewinnen. Das soll nicht die Arbeit der Meteoritenforscher abwerten (bin ja selber einer…) – im Gegenteil, es wird aus den Proben herausgeholt, was geht. Aber eine Situation, in der terrestrische Geologen unartikuliert schreiend, die Hände über den Kopf zusammenschlagend aus dem Labor hechten würden, ist für uns Planetologen fast schon paradiesisch.

Wobei viele der Körper wohl auch nicht so komplex wie die Erde sind, z.B. die Mutterkörper der primitiven Meteorite. In solchen Fällen lässt sich aus einigen Meteoritenproben wohl noch eher was über den gesamten Körper herleiten.

Aber unser Bild des Sonnensystems ist, was die Analyse von extraterrestrischem Material angeht, sicher noch etwas lückenhaft. Da wird sich auch in Zukunft leider nur langsam etwas ändern, Sample Return Flüge werden eher rar gesät bleiben – wie z.B. die  Flüge von Hayabusa 2 (schon unterwegs) und OSIRIS Rex.

Wo genau fragt man nach, wenn man außerirdische Proben braucht? Dazu später mehr, hier aber schon ein schöner Eintrag von einem alten Kollegen.

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Mein Interesse an Planetologie und Raumforschung begann schon recht früh. Entweder mit der Apollo/Sojus Mission 1975. Spätestens aber mit dem Start der Voyager-Sonden 1977, ich erinnere mich noch wie ich mir mein Leben in der fernen Zukunft des Jahres 1989 vorzustellen versuchte, wenn eine der Sonden an Neptun vorbeifliegen würde. Studiert habe ich dann Mineralogie in Tübingen (gibt es nicht mehr als eigenständiges Studienfach). Anstatt meinen Kommilitonen in die gängigen Richtungen wie Keramikforschung zu folgen, nahm ich meinen Mut zusammen und organisierte eine Diplomarbeit über Isotopenanalysen von Impaktgestein aus dem Nördlinger Ries Einschlagkrater. Dem folgte dann eine Doktorarbeit über primitive Meteorite in Münster. Nach 10 Jahren als PostDoc in verschiedenen Ecken der Welt arbeite wieder am Institut für Planetologie in Münster, an Labormessungen für die ESA/JAXA Raumsonde BepiColombo, die demnächst zum Merkur aufbrechen wird. Mein ganzes Arbeitsleben drehte sich bisher um die Untersuchung extraterrestrischer (und damit verwandter) Materialien: Gesteine aus Impaktkratern, die ganze Bandbreite Meteoriten (von den ganz primitiven Chondriten bis hin zu Marsmeteoriten). Zu meiner Forschung gehören auch Laborexperimente, in denen Vorgänge im frühen Sonnensystem nachgestellt wurden. Mein besonderes Interesse ist, die Laboruntersuchungen von extraterrestrischem Material mit Fernerkundungsdaten (im Infrarot) zu verknüpfen. Das vor allem mit Daten aus der planetaren Fernerkundung durch Raumsonden, aber auch mit Beobachtungen junger Sonnensysteme durch Teleskope.

4 Kommentare

  1. Schade ist, das keine genaueren Molekühl- und Atombeschreibungen enthalten sind. Zusammensetzung von extraterrestrischem Material. Da scheint es eine Hemmschwelle zu geben – überall.

  2. Andreas Morlok schrieb (15. April 2015):
    > […] so haben wir Proben von Kruste und auch dem Erdmantel. Und natürlich auch Hydro- Atmo- und Biosphäre.

    Und: Petroleosphäre!

    p.s.
    > Marokko 2011 […] 7 Kilo, zügig nach dem Fall eingesammelt. […] dass es sich halt im Wesentlichen um einen recht gewöhnlichen Shergotitten handelt, einer der gängigen Gruppen an Marsmeteoriten.
    Vermutlich eher um einen (gewöhnlichen) Shergottiten.

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