Blick in die Zukunft: Ein Laborexperiment zum Hellsehen

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Für den größten Teil der Geschichte waren sich die Menschen ziemlich sicher, dass Menschen im Prinzip hellsehen, also zukünftige Ereignisse vorhersehen können. Die klassischen Dramen sind voll mit Orakeln, die schlimmes Verhängnis ankündigen, das sich dann auch – meistens durch den Versuch es zu vermeiden – zuverlässig einstellt. In systematische Untersuchungen seit Beginn der Neuzeit haben sich die vermeintlichen übersinnlichen Wahrnehmungen nach und nach als Hirngespinste erwiesen[1], so ganz tot ist das Thema allerdings bis heute nicht.

Der neueste Versuch, sich der Präkognition wissenschaftlich zu nähern stammt von Daryl J. Bem von der Cornell University, einem angesehenen Sozialpsychologen, der sich unter anderem mit Arbeiten zur sexuellen Orientierung einen Namen gemacht hat. Bem hat im Journal of Personality and Social Psychology eine Reihe von Experimenten publiziert (pdf), die nach seiner Interpretation darauf hindeuten, dass seine Probanden – insgesamt über 1000 – in der Lage waren, zukünftige Ereignisse vorauszuahnen.

Das ganze hat natürlich sofort Ärger gegeben, und es ist auch schon ein Artikel mit dem Versuch einer Widerlegung erschienen. Dessen Autoren kritisieren vor allem Bems statistische Verfahren, die er einsetzen musste, um den Effekt zu belegen – denn was Bem entdeckt zu haben glaubt, ist nur eine tendenzielle Beeinflussung seiner Probanden durch das zukünftige Ereignis, nicht mehr.

Er hat dazu einige gängige psychologische Experimente quasi umgedreht – seine Probanden mussten sich zum Beispiel Wortpaare merken und anschließend einige der beteiligten Vokabeln auswendig lernen, vor dem Erscheinen eines erotischen Bildes vorhersagen, auf welcher Seite des Monitors es erscheinen würde und so weiter. Also einfach die Tests, mit denen man in der Psychologie bestimmte Einflüsse misst, nur rückwärts in der Zeit. Bem hat nun also einen positiven Befund, den er für statistisch signifikant hält, während seine Kritiker ihm methodische Schwächen vorwerfen und in der Studie insgesamt ein Indiz dafür sehen, dass die statistischen Methoden der Psychologie insgesamt nicht stringent genug sind. Man kann die Kritik hier im Detail nachlesen.

Ich kann als Statistik-Laie dazu nicht allzu viel sagen, mir ist allerdings beim Lesen des Papers ein anderer Gedanke gekommen: Derartige Experimente werden jeden Tag durchgeführt, weltweit, mit Millionen Probanden und in einer Weise, dass ein eventueller Präkognitionseffekt beträchtliche ökonomische Relevanz hätte. Auch wenn er sehr klein ist.

Ich rede von Glücksspiel. Ein Lotterieanbieter oder ein Casino mit Roulettetischen bietet ja gegen Geld eine Wette auf ein bestimmtes zukünftiges Ereignis an. Je nachdem wie präzise die Spieler das Ergebnis (zum Beispiel die Lottozahlen) erraten hat, bekommen sie hinterher Gewinne ausbezahlt. Natürlich muss der Anbieter den Gewinnschlüssel so einrichten, dass er insgesamt mehr Geld aus den Einnahmen behält als er in Form von Gewinnen auszahlt. Und dazu muss er die Wahrscheinlichkeitsverteilung aller Gewinne einer großen Menge von Spielern kennen.

Der Clou ist: Wenn es Hellsehen nach dem Muster von Bem gäbe, dann müsste sie dazu führen, dass die Wahrscheinlichkeit für richtige Tipps in allen derartigen Glücksspielen über der Quote liegt, die man rein statistisch erwarten sollte. Und dann müsste es zwangsläufig in den Kalkulationen von Lotteriegesellschaften, Casinos, Buchmachern undsoweiter einen entsprechenden Korrekturterm, nennen wir ihn Psi-Faktor, geben, um den die erwartete Gewinnausschüttung für einen gegebenen Gewinnschlüssel gegenüber der statistischen Erwartung nach oben korrigiert wird – ansonsten bleibt nicht genug Geld um die Kosten zu decken.

Und wenn es so etwas gäbe, hätten die Psi-Fans das doch sicher schon längst überall rumerzählt, oder?
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[1] Psi-Phänomene verschiedener Art waren im 19. Jahrhundert durchaus ein angesehenes Forschungsthema. Berühmt wurde zum Beispiel der Versuch, das Gewicht der Seele zu bestimmen.

12 Kommentare

  1. Methoden insgesamt nicht stringent???

    “und in der Studie insgesamt ein Indiz dafür sehen, dass die statistischen Methoden der Psychologie insgesamt nicht stringent genug sind.”

    Aua. Das, was Wagenmakers et al. an Bems Studie kritisieren, würde so auch jeder Statistik-Professor jedes psychologischen Instituts kritisieren. Es sind also wohl kaum die “Methoden der Psychologie insgesamt”, die “nicht stringent” genug sind, sondern es handelt sich bei Bems Studien schlicht um massive handwerkliche Fehler.

    Zur Erläuterung: In der Psychologie ist es üblich explorative Studien durchzuführen. Dies sind Studien, die ganz bewusst NICHT darauf abzielen, eine Theorie zu bestätigen (korrekter: eine Theorie zu falsifizieren), sondern die den Forschern nur als Anregung dienen sollen, mögliche Einflussfaktoren zu identifizieren, die das menschliche Erleben und Verhalten lenken und bestimmen könnten. Man könnte sagen: Solche explorativen Studien sind nichts weiter als etwas ausgearbeitere Gedankenexperimente oder “schmutzige” Feldbeobachtungen. Natürlich sind solche explorativen Studien auch für andere Forscher interessant, sofern man im Hinterkopf behält, dass es sich eben nur um eine explorative Studie handelt, die nicht als Bestätigung einer Theorie herangezogen werden kann. Man kann solche Studien also durchaus auch veröffentlichen, wenn man auf die Begrenztheit ihrer Aussagekraft deutlich hinweist.

    Das Ziel solcher explorativen Studien ist es als Gedankenanregung zu dienen für die Erstellung einer ausgearbeiteten Theorie, die z.B. genau benennt, welche Faktoren welche Menschen in Situation XY (z.B. bei bestimmter kognitiver Belastung oder ähnlichem) wie stark beeinflussen.

    Erst jetzt beginnt dann die eigentliche Wissenschaft, nämlich die Ableitung von Hypothesen aus dieser Theorie. Dabei ist zu beachten, dass diese Hypothesen genau benennen müssen, in welcher Situation die Theorie als widerlegt gilt. In einer hypothesentestenden Studie testet man dann genau, ob sich die theoretischen Vorhersagen bestätigen oder nicht. Diese Studien sind sozusagen die “eigentlichen” Studien.

    Bem hat in seiner Studie explorative und hypothesentestendes Arbeiten wohl leider miteinander vermischt. Das stellt also nicht etwa die Arbeit der Psychologie insgesamt in Frage, sondern ist ein handwerklicher Fehler, der selbst Statistik-I-Scheinbesitzern (also maximal Zweitsemestern der Psychologie) hätte auffallen sollen.

    Dennoch macht Brems Studie ein grundlegendes Problem deutlich: Das Problem, dass offensichtlich das Peer-Reviewing-Verfahren nicht (mehr) sehr gut funktioniert.

  2. Im rebuttal steht wörtlich:

    …instead, they indicate that experimental psychologists need
    to change the way they conduct their experiments and analyze their data.

    Das lese ich schon als generelle Kritik an den Methoden der experimentellen Psychologie. Ob sie stichhaltig ist, kann ich natürlich nicht beurteilen.

    Dass Bem explorative und hypothesentestende Methoden vermischt, ist ein weiterer Kritikpunkt von Wagenmakers et al., und die Frage nach dem Peer Review ist natürlich auch schon aufgekommen

  3. The decline effect

    Schöner Artikel zum Thema im NewYorker:

    “We like to pretend that our experiments define the truth for us. But that’s often not the case. Just because an idea is true doesn’t mean it can be proved. And just because an idea can be proved doesn’t mean it’s true. When the experiments are done, we still have to choose what to believe. ♦

    http://www.newyorker.com/…lehrer?currentPage=all

  4. Kartenlegen

    Mit Kartenlegen kann man die Zukunft sicher voraussagen, wenn man die richtigen Karten verwendet!

    Diese Erfahrung habe ich schon oft gemacht – Wenn ich Speise-Karten im Gasthaus verwendet habe. Damit kann man gut voraussagen, welche Gerichte/Getränke demnächst auf dem Tisch stehen werden.

    Diesen Kommentar konnte ich mir nicht verkneifen, wenn ich lese, mit welch sinnlosen Experimenten Forschungszeit und -gelder verschwendet werden

  5. statistische Relevanz?

    53,1 % sollen statistisch relevant sein?
    Mal ausprobieren:
    $ python
    >>> import random
    >>> float(len([pornobild for pornobild in map(lambda bild: random.choice([‘kein Bild’,’Pornobild’]),range(1000)) if pornobild is ‘Pornobild’])) / 10

    52.79
    >>>quit()

    Alles klar. Mein Computer soll 1000 mal zwischen keinem Bild und einem Pornobild “scheinbar” zufällig wählen und entscheidet sich mit einer Wahrscheinlichkeit von 52,79% (oder etwas mathematisch korrekter: Wahrscheinlichkeit p für das Ereignis E : Pornobild *hechel, hechel* beträgt 0.5279).
    Ich sitze hier an einem Mac. Mir war ja schon immer klar, dass die Dinger einfach nur versaut sind.

  6. Übersinnliche Wahrnehmungen

    Die Frage, die sich mir nach diesem für mich hochinteressanten Bericht stellt,ist für mich bei aller Ablehnung von pseudowissenschaftlichen Psi-Theorien aber noch die, wie man sich Schmerzenphänomene bei “eineiigen” Zwillingen erklären kann. Es gibt bzw. gab schon eineiige Zwillinge, die die gleichen Schmerzen empfunden haben, obwohl sie räumlcuh getrennt waren.

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