Der gekochte Kaiser

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Meine heutige Gastautorin ist Anja Gröber. Sie hat Biologie studiert und an der LMU München ihr Diplom in Anthropologie gemacht.

Es war einmal vor langer Zeit ein Kaiser namens Lothar von Süpplingenburg. Erst Rebell, dann Herzog von Sachsen und letztlich zum König und Kaiser des heiligen römischen Reiches gekrönt, hatte er einen langen, doch erfolgreichen Aufstieg hinter sich. Er lebte in glücklicher Ehe mit seinem Weibe Richenza, und auch für Tochter Gertrud, sein einziges Kind, hatte er einen stattlichen Gatten arrangiert. Lothar hielt das Reich in fester Hand und die Weisen sagten ihm erfolgreiche Nachkommenschaft voraus. Einst werde ihm ein Enkel geboren, der keinen geringeren Namen tragen sollte als "Heinrich der Löwe".

Derart mit Glück und Lebenskraft gesegnet begab es sich eines Tages, dass jener Kaiser Lothar von einem Feldzug in Italien im Winter des Jahres 1137 nicht zurückkehrte. Er starb plötzlich in Breitenwang an einer unbekannten Krankheit. Wie es sich für einen Kaiser geziemt, sollte Lothar nun in Königslutter, in der von ihm selbst erbauten Stiftskirche "Peter und Paul" beigesetzt werden. Und selbstverständlich sollte sein Leichnam zuvor in allen Teilen des Reiches gezeigt werden, damit ihm die Reichsstände zum letzten Male huldigen konnten.

Soweit eine hübsche Geschichte. Doch leider gab es bei der ganzen Sache ein Problem: Königslutter liegt fast 700 Kilometer vom Sterbeort Lothars entfernt. Selbst in schnellem Reisetempo – also bei etwa 30 km am Tag – wäre der Leichnam immer noch drei Wochen lang unterwegs gewesen. In diesem Zeitraum fängt ein toter menschlicher Körper ohne spezielle Kühlung und Konservierung nicht nur gehörig an zu stinken, die eigenen aggressiven Verdauungssäfte lösen zusätzlich die Bauchdecke auf. Der Tote bekommt dann ein eklig-breiiges Loch im Bauch – ein willkommener Eingang für Bakterien und Pilze, die sich dann am verbliebenen Fleisch gütlich tun.  All das sollte dem hochverehrten Kaiser und vor allem seinem Gefolge doch besser erspart werden. Und überhaupt kommt es nicht unbedingt gut an mit einem halbverwesten Lothar feierlich im Dom zu Königslutter einzuziehen.

Ohne Konservierungsstoffe
Das was konnte man tun? Schließlich war der Kühlschrank noch weit davon entfernt, erfunden zu werden. Doch auch die Menschen von damals kannten sich aus und lösten das Problem ganz pragmatisch. Sie kochten den Körper des Kaisers, lösten das Fleisch ab und machten sich lediglich mit dessen Knochen auf den Weg. Wer ahnte schon, das sich im Sarg des Kaisers nur ein geringer Anteil von ihm befand und den Knochen würde man später ohnehin den Unterschied nicht mehr ansehen. So blieb das Geheimnis um Lothars Leiche über 800 Jahre gewahrt.
 
Was tatsächlich geschehen war, darauf kamen erst 1989 Jeff Bada von der University of California und Bernd Herrmann von der Universität Göttingen. Die beiden Anthropologen hatten die Überreste Lothars, seiner Frau Richenza und seines Schwiegersohns Heinrich der Stolze verwendet, um an ihnen eine damals noch recht neue Methode zur Altersbestimmung zu testen: Die sogenannte Aminosäure-Racemisierung.

Das Prinzip der Methode ist einfach: Bestimmte Aminosäuren, wie beispielsweise die Asparaginsäure, sind chiral, das bedeutet sie bilden sich bei einer Spiegelung nicht selbst ab. Daher gibt es von ihnen zwei verschiedenen Formen: Eine L und eine D-Form. Obwohl die Anordnung der Atome in den beiden Formen identisch ist, können sie komplett unterschiedliche Eigenschaften haben.  So riecht beispielsweise D-Limonen, das in Zitrusfrüchten enthalten ist, nach Orange, sein Partner L-Limonen jedoch nach Terpentin.

Die Proteine lebender Organismen enthalten die Aminosäure Asparagin fast ausschließlich in L-Form. Das ist essentiell dafür, dass Enzymreaktionen im Körper richtig funktionieren. Stirbt das Lebewesen jedoch ändert sich das Verhältnis der beiden Formen. Immer mehr L-Asparaginmoleküle wandeln sich in ihre D-Form um – solange bis sich beide im Gleichgewicht befinden. Dies kann, je nachdem wie warm es in der Umgebung des Körpers ist, 1000 bis 10.000 Jahre dauern. An Hand dessen wie viele Asparaginmoleküle sich bereits von L- in D-Form umgewandelt haben können Anthropologen bestimmen, wie alt die gefundenen Überreste sind.

Altersbestimmung mit Aminosäuren
Bada und Herrmann untersuchten alle drei Skelette mit der Methode der Aminosäureracemisierung. Da alle drei Adelige am gleichen Ort unter gleichen Bedingungen lagerten und zusätzlich fast zur gleichen Zeit gestorben waren, hätten die Altersanalysen der Skelette das gleiche Ergebnis liefern sollen – nämlich ihr tatsächliches Alter von etwa 850 Jahren. Bei Richenza und Heinrich dem Stolzen ergaben die Altersanalysen auch fast exakt das richtige Ergebnis. Nicht jedoch bei Lothar. Den Analysen zu Folge hätte der Kaiser nicht im zwölften Jahrhundert, sondern vor sage und schreibe 9000 Jahren gelebt.

"Das kann ja wohl nicht stimmen!", denkt man sich da. Für das Rätsel gibt es den Autoren zufolge jedoch eine Lösung. Lothars Überreste müssen einer starken Hitze ausgesetzt gewesen sein. Denn je wärmer es ist umso schneller wandeln sich die L-Aminosäuren in ihre D-Form um, und umso höher wird dann – fälschlicherweise natürlich – das Alter geschätzt. Durch den Vergleich mit den anderen beiden Skeletten und mit Hilfe zuvor aufgestellter Formeln konnten Bada und Herrmann sogar bestimmen wie lange der Kaiser gekocht wurde – es waren ganze sechs Stunden.

Doch wer nun glaubt, der gekochte Lothar sei ein Einzelfall gewesen, liegt falsch. Die Praxis des Leichenkochens, in historischen Quellen "More Teutonico" (dt. "germanischer Brauch") genannt, wurde immerhin häufig genug angewandt (beispielsweise an Friedrich I., Herzog von Österreich) um 1299 offiziell von der Kirche verboten zu werden. Diese hielt das Kochen menschlichen Fleischs ebenso wie das Zerteilen einer Leiche für einen Verstoß gegen die "christliche Frömmigkeit". Na dann guten Appetit.

12 Kommentare

  1. Kirche und Kaiser

    Heut’ abend wollt’ ich eigentlich einen Kaiserschmarren machen. Ich glaub’, ich lass es – wiewohl ich Anatom bin und einen stabilen Magen habe.

    Bliebe nachzutragen, dass das erwähnte päpstliche Edikt gerne auch als “Anatomieverbot” durch die kath. Kirche interpretiert wurde, was es de facto aber nicht war. Weiss hier jemand, WIE in dieser Bulle/Edikt das Verbot des “dissoziierten Begräbnisses” (Fleisch vor Ort, Herz anderswo, Knochen wieder woanders) theologisch gerechtfertigt wurde? Probleme mit der Wiederauferstehung des Fleisches?

  2. Ich habe gerade den Redaktionstheologen gefragt, und der meint auch, es ginge dabei um die Auferstehung des Fleisches. De facto tippt er allerdings auf das ausufernde Reliquienwesen als tatsächlichen Grund für das Verbot

  3. Ach Helmut, So ein Kaiserschmarren und noch ein fettes Eisbein dazu, das paßt doch gut für den Start ins Wochenende. Den Beitrag druckst Du Dir noch aus und liest ihn während des Essens. Das ist doch auch mal eine gute Methode das Leben spannend und aufregend zu gestalten. Wir leben doch in so einer Emotionswelt und damit kannst Du mal so richtig heftige Emotionen provozieren. 🙂

  4. @ Fischer

    Au, spannend!

    Kannst Du den Theologen noch ein wenig weiter nerven? Oder gar zu einem eigenen Blogbeitrag über dieses Edikt überreden? Denn freilich interessiert mich die theologische Argumentation: wenn’s wegen der Dissoziation Probleme mit der Rekonstitution des Leibes geben sollte — dann würde man ja dem Herrgott unterstellen, das er ein schlechtes Gedächtnis hat, weil er nicht mehr weiss, wo was liegt. Andererseits: blöde war’n die damals ja auch nicht. Die WUSSTEN ja, dass der Leib zu Staub wird und Staub zu neuen Leibern. WAS für ein Fleisch ist es denn dann, das da aufersteht? Ganz neues? Dann wär’ die Dissoziation ja gar kein Problem…

    Ächz – verzeih. Je irrelevanter ein Thema ist, desto spannender find’ ich’s halt.

  5. @ Wicht

    Den Gastbeitrag sollte der Theologe aber dann bei Dir bringen. Im Anatomieblog so ein Beitrag, das hätte doch was. 😉

  6. @ Wicht

    Jetzt verstehe ich das “ihr”. Lars meinte keinen aus dem Spektrumhaus. Es bleibt also mal wieder alles an Lars hängen.

  7. ausgekochter Kaiser

    Aber mal zurück zum Artikel. Das ist ja schon heftig und derb. Die Konservierungsmethode ist auch gar keine, da waren die Ägypter doch ausgeklügelter. Eine Leiche kochen, um Haut und Knochen besser zu trennen. Daran kann man auch sehen wie lange alte Brüche noch Bestand haben, denn mich hat es schon gewundert wie die Leute im “frommen” Mittelalter auf so eine Idee kamen. Kamen sie aber gar nicht, denn es waren ja alte germanische Bräuche.

    Ist ein interessanter Artikel.

  8. @Martin

    Erstaunlicherweise ist das kein germanischer Brauch, sondern ganz christliche Reliquien-Gier (resp. Mammon). Unser Theologe hat da grad ausführlich aus seinem schlauen Buch zitiert.

    Demnach war die Leiche etwa bis zum Jahr 1000 sakrosankt, besonders die der Heiligen. Damals galt Mumifizierung als Zeichen für Heiligkeit, und “was Gott als eins erhalten hat, soll auch der Mensch nicht zerteilen”. Es gibt Überlieferungen von Märtyrern, die vom Himmel Anweisung gegeben haben sollen, “verlorene” Leichenteile wieder herbeizuschaffen etc.

    Daran hat sich erst mit den Kreuzzügen was geändert, ab dem Jahr 1000 ist das Geschäft mit Leichenteilen richtig in Schwung gekommen, erst aus dem Hl. Land, dann auch hierzulande. Th. von Aquin zum Beispiel wurde abgekocht und sachgerecht zerlegt, damit jeder seine Reliquie bekam.

    Das ging dann soweit, dass sogar Kriege um Reliquien geführt wurden. Die Kirche hat dann ab dem 13. Jahrhundert versucht, das zu unterbinden, allerdings ohne Erfolg.

  9. @ Fischer

    Interessant, was Du schreibst. Ich bezog mich nur darauf, was Anja schrieb: “Die Praxis des Leichenkochens, in historischen Quellen “More Teutonico” (dt. “germanischer Brauch”) genannt” Daraus schloß ich, daß es ein germanischer Brauch war.

    Eins kann ich aber sagen, es ist kein christlicher Brauch. Damit meine ich das Christentum in seinem Ursprung. Ich schätze mal, daß sich germanische Bräuche mit dem Christentum vermischt haben und dann kam so etwas dabei heraus. Im Katholischen gibt es ja so einige Sachen, die mit dem ursprünglichem Christentum nichts zu tun haben. Der Marienkult beispielsweise, es gibt einige, die meinen, das ist ein fortgesetzter Kult von Aschera, einer alten Fruchtbarkeitsgöttin.

    Man müßte demnach eher von etwas Katholischem und nicht Christlichem cprechen.

  10. @ Fischer

    Das mit den Reliqiuen verstehe ich nicht so recht.

    Der Aquinat ist 1274 gestorben, und wurde erst 1323 heilig gesprochen. Also müsste die Herstellung von Reliquien “modo teutonico” doch ein ziemlich spekulatives Geschäft gewesen sein: drei Generationen Wartezeit, bis sich herausstellt, ob der Krempel nun wirklich was wert ist, oder nicht. Dann doch lieber Aktien – ach Mist, gab’s ja noch nicht. Ausserdem heisst’s (Wiki), dass der Aquinat in Toulouse begraben sei – und zwar, was die Knochen angeht, mehr oder weniger am Stück.

    ?

    Die Story aus dem heiligen Land hab’ von irgendwem mal anders gehört: So ähnlich wie die Originalgeschichte vom Kaiser Lothar – der tote Kreuzfahrer als Transportproblem. Wenigstens die Knochen wollte man heimschaffen können…

    Ach so, und endlich: in der Anatomie wird immer noch gekocht. Man nehme: Waschpulver und heisses Wasser, dorthinein die Präparate, deren Weichteile man entfernen will, und was bleibt ist trübe Brühe und das Geknochs.

  11. leibliche Auferstehung?

    Das mit der leiblichen Aufer´stehung´ wird ein Problem.
    Wenn wirklich alle Menschen leiblich wieder auferstehen, dann nimmt ja die Masse der Erde um diejenigen Massen all dieser Menschen ab. Wo sollen sie dann stehen, wenn keine Erde mehr da ist?

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