Der Indus sucht sich sein neues, altes Bett

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Die Flutkatastrophe in Pakistan ist zwar aus der öffentlichen Wahrnehmung weitgehend verschwunden, doch die Lage ist weiterhin ernst. Die Wassermassen sind kurz davor, einen Teil der Provinz Sindh in eine riesige Flussinsel zu verwandeln. Nördlich des Sperrwerks Sukkur haben die Fluten das Westufer des Flusstales durchbrochen und sich einen neuen Kanal gesucht, der weit nach Westen ausgreift und im Manchhar-See endet, im Satellitenbild links unten.


Bild: NASA, MODIS. Gefunden bei FishOutOfWater/DKos

Der wiederum ist nur durch eine schmale Landbrücke vom Indus getrennt. Steigt das Wasser noch einen halben Meter, fließt der Manchhar-See in den Indus und vervollständigt den neuen Flussarm. Dadurch wäre mit dem Indus-Highway eine der wichtigsten Schnellstraßen der Region unterbrochen, vier Städte hätten plötzlich keine Landverbindung mehr zum Rest Pakistans.

Neu ist dieser Zustand nicht, im Gegenteil, eine solche Insel gab es im Indusgebiet noch in historischer Zeit. Geowissenschaftler vermuten auf der Basis von Landschaftsformen und historischen Aufzeichnungen, dass der neue Flussarm einem alten Flussbett folgt, in dem der nördliche Arm des Indus etwa 300 vor Christus floss. Chronisten der Alexander-Feldzüge berichten, dass der Fluss damals zwei große Inseln umströmte, von denen die größere, Prasiane genannt, möglicherweise größtenteils dem nun nahezu abgeschnittenen, bis zu 50 Kilometer breiten Landstrich entsprach. Schriftliche Quellen belegen, dass diese Insel in verschiedener Form mehr als tausend Jahre überdauerte, bis sich die Flussarme zum Hauptfluss vereinigten.

Das sprunghafte Verhalten des Indus verdanken wir dem Himalaya. Die Erosion trägt das Gebirge Stück für Stück ab, und die Trümmer spült das Wasser zum Meer. Der Indus transportiert unvorstellbare Mengen Material. Der Sedimentfächer, den er am Boden des indischen Ozeans erzeugt hat, ist 1500 Kilometer lang und zehn Kilometer dick. Doch nur ein Teil des Materials, das der Fluss mit sich führt, schafft es bis zum Ozean – der Rest setzt sich im Flussbett ab und lässt es in die Höhe wachsen. Durch diese kontinuierliche Ablagerung verändert der Fluss die Geographie seiner Schwemmebene und damit auch sein eigenes Bett.


Bild: Alte Flussbetten des Indus in der Region Sindh. Quelle: D.A. Holmes: The Recent History of the Indus. The Geographical Journal 134, 1968, S. 367 – 382.

Die Spuren dieses konstanten Wandels, der erst im 20. Jahrhundert buchstäblich eingedämmt wurde, sind in der gesamten Ebene sichtbar. Frühere Flussläufe haben ihre Spuren als Kanäle, SandbänkeUferböschungen und halbmondförmige Auswaschungen im Gelände hinterlassen. In den 60er Jahren kartierte ein gewisser D.A. Holmes diese Strukturen auf der Basis der damals erstmals verfügbaren Luftbilder des Gebiets und skizzierte auf der Basis weiterer Forschungen die Geschichte der verschiedenen Indus-Flussbetten der letzten 2500 Jahre.


Bild: Altes Flussbett in der Nähe von Ghotki. Bild: NASA, MODIS

Das bedeutendste hydrologische Ereignis im Indusgebiet in jener Zeit war das Verschwinden der Insel Prasiane, die sowohl während der Alexandrinischen Feldzüge als auch während der arabischen Eroberung tausend Jahre später nachweislich existierte. Quellen aus dem dreizehnten Jahrhundert berichten von drastischen Veränderungen. Der Indus verlagerte sich Ostwärts und durchbrach ein Hügelland südlich seines bisherigen Laufes. In diesem Durchbruch, in Satellitenbildern der Flut als Nadelöhr deutlich zu erkennen, befindet sich heute das Sperrwerk von Sukkur.

Infolge dieser Veränderungen trockneten die nördlichen Arme des Flusses aus, und da nun der gesamte Fluss durch ein einziges Bett strömte, veränderte sich auch die Morphologie. Zuerst einmal grub sich der Fluss tiefer in die Landschaft. In der Gegend um Khairpur gibt es einen bis zu vier Meter hohen Steilhang, den Khairpur Bluff, der das Niveau der Schwemmebene vor dem 13. Jahrhundert von dem neuen Flussbett trennt. Die engen Schleifen mit den hohen SandbänkenUfern, die kennzeichnend für den alten, geteilten Indus waren, sind heute nur noch Zeugen der Vergangenheit, ersetzt durch die weiteren Mäander des modernen Indus.


Bild: Flussbetten des Indus etwa im 9. Jhd. Quelle: D.A. Holmes: The Recent History of the Indus. The Geographical Journal 134, 1968, S. 367 – 382.

Das neue Bett, das sich der Indus während dieser Flut gesucht hat, entspricht in einigen Punkten dem nördlichen Arm des Indus vor dem 13. Jahrhundert – der Fluss kehrt in das Bett zurück, das er zuletzt verlassen hat, und lässt Prasiane auferstehen, die mindestens tausend Jahre lang eine der größten Flussinseln der Welt war. Bleibend wird und kann diese Veränderung allerdings nicht sein, denn die Pakistaner werden den Indus mit Dämmen zurück in sein altes Bett zwingen. Zu wichtig ist sein Wasser für Landwirtschaft und Transport.

3 Kommentare

  1. Interessant.

    “Bleibend wird und kann diese Veränderung allerdings nicht sein”

    Hm. Hier spielt ein weiterer Faktor rein, nämlich die Stabilität des jeweiligen Flussbettes in der Zukunft.
    (Stärkere Dämme verringern die Problemwahrscheinlichkeit, aber erhöhen die Problemgröße.)

    Gibt’s da Untersuchungen?

    z.

  2. “eine Frage des Aufwandes”
    😉

    Das dürfte korrekt sein. Genauso wie bei der Abschaffung des Hungers auf diesem Planeten oder der Bildung in Deutschland.

    z.

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