Der Siegeszug der Quallen – nur ein Medienphänomen?

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Dass mit dem menschengemachten Niedergang der Fische die Quallen die Ozeane erobern, dafür sprechen neben anekdotischen Hinweisen auch einige grundsätzliche Überlegungen. Von beidem habe ich ja in der neuesten Folge von WWAS berichtet, siehe Video unten. Die Idee ist aber durchaus umstritten, und hat einigen Widerspruch aus der Forschung hervorgerufen.

Quallen treten oft in enormen Mengen auf, und seit einigen Jahren verfestigt sich der Eindruck, dass diese Schwärme nicht nur größer werden, sondern auch insgesamt häufiger auftreten und dabei regelmäßig unsere Kreise stören. Ein Schwarm des hübschen roten Nesseltiers Tiburonia soll im Jahr 2000 mehr als 1500 Kilometer Länge erreicht haben, in Schweden verstopfen Quallen regelmäßig die Kühlwassereinlässe von Kraftwerken und Nemopilema nomurai, prominentester Protagonist der Quallokalypse, bringt auch schon mal Fischkutter zum kentern.

Ob hinter all dem aber tatsächlich eine grundlegende Veränderung der marinen Ökosysteme steckt, ist keineswegs sicher. 2012 hat es ein internationales Forschungsteam auf sich genommen, mal alles zusammenzustellen, was wir über massenhaftes Auftreten von Quallen heutzutage und in der Vergangenheit wissen, um zu sehen, ob sich wirklich etwas geändert hat. Sie weisen dann auch gleich darauf hin, dass in der medialen Wahrnehmung drei sehr unterschiedliche Tiergruppen verramscht werden: Neben den Quallen, die keine eigene Gruppe, sondern nur ein Stadium im Lebenszyklus bestimmter Nesseltiere sind, auch die Rippenquallen (Ctenophora)  und zum Schluss die Salpen, die noch mal was völlig anderes sind, nämlich Chordata wie wir.

Und dann zitieren sie Quellen aus dem 19. Jahrhundert, die ziemlich exakt so angeekelt-fasziniert von gigantischen Schwärmen dieser im Wasser schwebenden Schleimwesen berichten, wie die Massenmedien es heute tun. Fossile Quallenansammlungen zeigen denn auch, dass die Viecher solche Massenansamlungen schon seit mindestens dem späten Kambrium vor 500 Millionen Jahren können – wenn nicht schon länger. Schließlich gibt es in der wissenschaftlichen Literatur durchaus auch Veröffentlichungen, nach denen es weniger Quallen oder Salpen gibt.

Vergleich von Berichten über Quallen in Wissenschaft und Massenmedien. Oben: absolute Zahlen. Unten: Relativ zu Artikeln über Fische. Aus Condon et al., BioScience, 2012; 62 (2): 160-169
Vergleich von Berichten über Quallen in Wissenschaft und Massenmedien. Oben: absolute Zahlen. Unten: Relativ zu Artikeln über Fische. Aus Condon et al., BioScience, 2012; 62 (2): 160-169

Aufschlussreich ist auch das Ergebnis einer groben Literatursuche in wissenschaftlichen Publikationen und Massenmedien – in ersteren ist der Anteil der Quallen-Berichte in Relation zu Papers über andere Meerestiere einigermaßen konstant, während sich der gleiche Anteil in den Massenmedien verfünffacht hat.

Deswegen stellen Condon und sein Team die These in den Raum, dass die Quallokalypse zu einem großen Teil ein Wahrnehmungsproblem ist. Zum einen sind díe Meere heute viel genauer unter Beobachtung als vor mehreren Jahrzehnten, so dass man heute kaum eine Quallenblüte mehr verpasst, und zum anderen vermuten sie, dass frühere Schwärme schlicht in Vergessenheit geraten sind. In Medienberichten heißt es dann schnell mal, diese oder jene Quallenplage hätte es früher nicht gegeben, während ein Blick in alte Chroniken zeigen würde, dass sich Fischer dort schon seit Jahrhunderten über den Glibber ärgern.

Ist die angekündigte Quallokalypse also ein reines Medienphänomen? Ganz so einfach ist es nicht. Andere Meeresforscher kommen ja sehr wohl zu dem Ergebnis, dass der Anstieg real ist. Wir wissen schlicht noch viel zu wenig über diese Tiere, ihre Lebenszyklen und nicht zuletzt ihr verhalten, um nachzuweisen, ob sich ihre Rolle in den Ökosystemen verändert oder nicht. Und einfach so von der Hand zu weisen sind auch die anekdotischen Berichte über mehr Quallen nicht – viele von ihnen kommen von Leuten, die durchaus Erfahrung mit Meeresgetier haben, wie Fischern. Und es steht außer Zweifel, dass sich die marinen Ökosysteme durch Fischerei, Verschmutzung und Klimawandel drastisch verändern – Quallen werden dabei ein Wörtchen mitreden.

3 Kommentare

  1. Ich vermisse Folge 14 von WWAS! Ich habe bisher nur 13 Folgen finden können und dies soll Folge 15 sein: Wo ist Folge 14? ich möchte sie nicht verpassen!

  2. War letztes Jahr wieder an der Ostsee und etwas vermehrt hatte es sich. Viel schlimmer war es aber im Jahr 2007, wo man an jeder Stelle eine gestrandete Qualle sah.

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