Wann begann die Plattentektonik?

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Wann begann die Plattentektonik, die Oberfläche der Erde kontinuierlich zu erneuern? Diamanten bergen winzige Einschlüsse von Milliarden Jahre altem Erdmantel, in denen sich ein verräterisches chemisches Signal aus dem Erdaltertum bis heute erhalten hat.

Geologisch gesehen hat die Erde fast nichts mit Merkur, Venus und Mars gemein – wenn wir uns die Gesteinsplaneten gemeinsam den Entwicklungsweg vom glühenden planetenweiten Magmaozean zur erkalteten dicken Gesteinskruste gehend vorstellen, dann hat die Erde irgendwann eine Abzweigung genommen und eine fundamental andere Richtung eingeschlagen. Statt einer statischen, durch langsame Auskühlung immer dicker werdenden Kruste entwickelte sie ein Mosaik aus dynamischen Platten, das auch heute noch ihr Aussehen bestimmt.

Das bezeichnet man als Plattentektonik. Sie wirft Bergketten auf, formt Superkontinente, öffnet und schließt Ozeane und hält jene geochemischen Kreisläufe in Gang, ohne die das Leben auf der Erde nicht möglich wäre. Doch warum ist die Erde anders, und seit wann? Das ist nach wie vor eines der größten Rätsel der Geowissenschaften.

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Der entscheidende Unterschied – aber seit wann? Bild: U.S. Geological Survey

Dass dieser entscheidende Entwicklungsschritt so schwer festzunageln ist, daran ist zu einem großen Teil die Plattentektonik selbst schuld, denn sie hat quasi per Definition die gesamte Oberfläche des Planeten viele Male umgeformt und dabei fast alle Spuren verwischt. Aber natürlich nicht alle – verteilt über das Antlitz der Erde liegen bis heute Fetzen von Material aus dem Erdaltertum die möglicherweise Aufschluss darüber geben können, was zu jener Zeit geschah und wann.

Minerale aus dem Erdaltertum
Meistens sind das Diamanten und Zirkone, die härtesten der Minerale, die sich seit Urzeiten in Gesteinsschmelzen bilden und Zeugnisse ihrer Entstehungsbedingungen bis heute überliefert haben. Im Gegensatz zu anderen Mineralien sind sie so hart und stabil, dass sie an der Oberfläche kaum verwittern. Man kennt Zirkone, die mehrere Zyklen von Gebirgsbildung, Abtragung und Subduktion mitgemacht haben – sie bestehen aus verschieden alten Schichten, jede während eines neuen Zyklus angelagert. Die ältesten Zirkone sind über 4,3 Milliarden Jahre alt. Älter sind nur Meteoriten. [Absatz verändert. Zirkone entstehen auch außerhalb des Erdmantels]

Diamanten entstehen tief im Erdmantel bei Drücken von mehreren Gigapascal durch chemische Prozesse, bei denen überwiegend carbonatischer Kohlenstoff reduziert wird. Sie werden anders als Zirkone nicht mit normalen magmatischen Gesteinen an die Oberfläche befördert, sondern von speziellen Vulkaniten, die die tiefsten Schichten der ältesten kontinentalen Kruste anzapfen – den Kimberlitschloten.[1]

Ernsthafte Diamantlagerstätten findet man praktisch nur auf mehr als 2,5 Milliarden Jahre alten Kratonen – man bezeichnet das als Clifford’s Rule. Der Hintergrund ist, dass diese Krustenbereiche sehr tief in den Erdmantel hineinragen und so vergleichsweise kühles Gestein in Tiefen mit Diamant-tauglichen Drücken bringen. Niedrige Temperaturen sind wichtig – wenn es zu heiß wird entsteht nur Graphit. Das Ausgangsmaterial ist wahrscheinlich eine überkritische Mischung aus Fluiden wie Wasser und Gesteinsschmelze, in der elementarer Kohlenstoff gelöst ist. Die in diesen Fluiden gelösten Mineralien fallen schrittweise aus, bis sich die Zusammensetzung soweit geändert hat, dass auch Kohlenstoff als Graphit oder eben Diamant auskristallisiert.

Flaschenpost im Diamant
Der so entstandene Diamant ist kein perfekter Einkristall – er enthält winzige Hohlräume, in denen andere Minerale – Silikate und Sulfide – und sogar kleine Mengen ihrer Ursprungsfluide eingeschlossen sind und so die Zusammensetzung des Mantels zur Zeit ihrer Entstehung überliefert haben. Und damit auch das Signal, das der Beginn der Plattentektonik in der Chemie der Minerale hinterlassen hat. Solche Spuren gibt es tatsächlich, und die Ergebnisse gab es neulich in Science nachzulesen.

Es gibt zwei grundsätzlich unterschiedliche Arten solcher Einschlüsse, die sich in den Anteilen einiger seltener Elemente im Ausgangsmaterial unterscheiden. Einerseits peridotitische Einschlüsse, die auf Material zurückgehen, das der Hauptmasse des Erdmantels entspricht, und andererseits Eklogit, der aus aufgeschmolzenem Krustenmaterial wie Basalt stammt. Das ist der Knackpunkt: Die Diamanten bildeten sich in mehr als 100 Kilometer Tiefe im Erdmantel, und es gibt nur einen Vorgang, der Krustengesteine wie Basalt in solche Tiefen hinabzieht[2] – Subduktion. Und Subduktion ist auch das Herzstück der Plattentektonik.

Ein Diamant mit Eklogitkörnchen zeigt also einigermaßen zuverlässig an, dass zu jener Zeit schon Subduktion stattgefunden hat. Das hilft uns natürlich nur dann weiter, wenn wir herausfinden können, von wann die Probe stammt. Das Alter des Muttergesteins ist in diesem Fall keine Hilfe. Die Diamanten stammen aus vergleichsweise jungen Kimberlitröhren und haben, bevor sie an die Erdoberfläche gelangten, schon Milliarden Jahre im lithosphärischen Mantel unter den alten Kernen der Kontinente verbracht.

Chemische Botschaften aus dem Erdmantel
Das Alter dieser Einschlüsse zu bestimmen ist ausgesprochen schwierig. Man benutzt dazu die Mengenverhältnisse verschiedener Isotope, die sich im Laufe der Zeit durch radioaktive Zerfälle in bekannter Weise verändern. Mit Hilfe einer einfachen Formel ermittelt man, wann das Material die gleiche Isotopenzusammensetzung wie der umgebende Mantel hatte, und damit den Zeitpunkt, an dem die Probe im Diamant vom Mantel isoliert wurde.

Das Problem dabei ist, dass es um unvorstellbar geringe Mengen geht. Schon die Diamanten um die Einschlüsse herum sind nur wenige tausendstel Millimeter groß, und die untersuchten Elemente selbst machen nur einen Bruchteil der Einschlüsse aus. Deswegen muss man zum Beispiel für eine erfolgreiche Datierung mit dem Samarium-Neodym-System mehrere Einschlüsse aus Diamanten vermutlich gleichen Alters kombinieren – womit wir vor einem klassischen Henne-Ei-Problem stehen: Welche Diamanten sind denn gleich alt? Zum Glück gibt es ein weiteres Verfahren auf der Basis von Osmium, das auch bei kleineren Mengen brauchbare Daten liefert.

Das Ergebnis jedenfalls ist aufschlussreich. Die entdeckten Silikateinschlüsse mit eklogitischer Zusammensetzung entstanden allesamt vor etwa ein bis zwei Milliarden Jahren – ihre Bestandteile trennten sich etwa eine dreiviertel Milliarde Jahre früher vom allgemeinen Mantel, so dass man auf ein maximales Alter von etwa drei Milliarden Jahre kommt. Die peridotitischen Silikate in den Diamanten sind dagegen teilweise bis zu 3,4 Milliarden Jahre alt.

 

Ein ähnliches Bild bieten die sulfidhaltigen Einschlüsse. Diese Minerale kristallisierten aus denselben Fluiden aus wie die Diamanten selbst, sind also quasi deren Geschwister. Die Sulfide, die älter als drei Milliarden Jahre sind, zeigen vergleichsweise geringe Rhenium/Osmium-Verhältnisse, weil sie aus Mantelmaterial stammen, aus dem heiße Schmelzen Rhenium abtransportiert haben. Jüngere Sulfide dagegen haben einen höheren Rhenium-Anteil, was wiederum bedeutet, dass sie aus aufgeschmolzenem Rhenium-reichen Krustenmaterial bestanden, das durch Subduktion in die Mantelbereiche der Ur-Kontinente gelangte.

Die kritische Grenze – drei Milliarden Jahre
Die chemischen Daten in den Gesteinseinschlüssen zeigen also eine klare Zweiteilung: Vor mehr als drei Milliarden Jahren gab es im Mantel nur Peridotit – jüngere Einschlüsse dagegen bewahren die Spuren aufgeschmolzener Kruste in Form einer eklogitischen Elementverteilung. Auch andere, subtilere Anzeichen deuten auf einen kritischen Zeitpunkt vor drei Milliarden Jahren, wie das weitgehende Verschwinden peridotitischer Sulfide.

Zu jener Zeit muss sich die Chemie des Erdmantels unter den Kontinenten dramatisch geändert haben – und die Plattentektonik bringt dafür alle Voraussetzungen mit. Tatsächlich deuten auch andere, unabhängige Befunde auf diesen Zeitraum, wenn man sie denn entsprechend interpretiert. Auf dem Pilbara-Kraton in Westaustralien findet man zwei Arten von Vulkaniten. Einerseits solche, die man als Überreste eines 3,2 Milliarden Jahre alten Inselbogens interpretiert, wie er in der modernen Plattentektonik vorkommt. Andererseits aber auch ein paar hundert Millionen Jahre älteren Hotspot-ähnlichen Vulkanismus nach dem Muster der Prozesse, die nach der gängigen Theorie die erste kontinentale Kruste vor dem Entstehen der Plattentektonik aufbauten.

Folgt man dieser Interpretation, zeigt der Pilbara-Kraton genau den Übergang zwischen den beiden völlig unterschiedlichen Arten des Krustenaufbaus, und zwar genau zu dem Zeitpunkt, den auch die Einschlüsse in den Diamanten nahelegen. Andererseits gibt es Forscher, die Spuren der Plattentektonik in noch viel älteren Gesteinen ausgemacht haben wollen: Einmal im Isua-Grünsteingürtel von Grönland, in dem Albarède et al. Überreste von Serpentinit-Schlammvulkanen einer ozeanischen Subduktionszone sehen, und außerdem gleich nebenan im Nuvvuagittuq-Grünstein in Kanada, dessen Seltenerd- und Niob-Konzentrationen sehr denen alkalischer Schmelzen an modernen Subduktionsvulkanen ähneln.

Nun kann man in hochmetamorphe Grünsteingürtel so einiges reininterpretieren, zumal niemand so genau weiß, welche Prozesse tatsächlich vor dem Einsetzen der Plattentektonik abgelaufen ist. Da scheinen mir die Diamanten-Daten schon wesentlich hilfreicher zu sein. Blöderweise haben die eine zeitliche Ungenauigkeit von locker mal ein paar hundert Millionen Jahren und ich sehe auch nicht, wie die Einschlüsse aus 150 Kilometern Tiefe uns jemals erzählen sollen, was an der Oberfläche gelaufen ist.

Die physischen Belege sind also leider nicht so richtig hilfreich, wenn es darum geht, den Ursprung der Plattentektonik zu erforschen. Allerdings gibt es eine andere Möglichkeit. Computersimulationen. Das mag vielen im Feld arbeitenden Forschern ein Bisschen widerstreben, aber so wie ich das sehe sind dynamische Modelle die einzige Möglichkeit, zu mehr zu kommen als zu Spekulationen auf der Basis von Krümeln und Fetzen. Die modernen Klimamodelle zeigen, wie weit man mit dreidimensionalen Simulationen auf der Basis physikalischer Grundgleichungen auch bei hochgradig nichtlinearen Systemen kommt. Die Grünsteingürtel und Diamanten kann man dann heranziehen, um die Ergebnisse solcher Rechnungen zu bestätigen oder zu widerlegen. Zu viel mehr taugt das, was da übrig ist, bei aller Liebe nicht.
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[1] Streng genommen stimmt das nicht ganz – es gibt wohl auch diamantführende Gneise.

[2] Es ist theoretisch auch möglich, dass die unteren Schichten der Kontinente so kühl und schwer wurden, dass sie von der Oberkruste abrissen und in den Mantel hinabtauchten. Dieser als Delamination bezeichnete Vorgang ist auf der modernen Erde zum Beispiel für die Entstehung des Colorado-Plateaus verantwortlich. Allerdings geschieht so etwas heute im Vergleich zur Subduktion recht selten, und es ist nicht klar, warum die Kontinente vor drei Milliarden Jahren kollektiv und unerwartet ihre Unterkruste verloren haben sollten.

10 Kommentare

  1. @ Fischer

    Diamanten und Kontinente gehören ja spätestens seit:

    “..a kiss on the hand may be quite continental, but diamonds are a girl’s best friend..”

    zusammen. Vor allem weil, wie die Monroe in dem Song so treffend feststellt, Beziehungen – ebenso wie Kontinente – die Tendenz haben, auseinander zu driften.

    Hab’ übrigens vor einigen Jahren – das trägt zu meinem Stolz als Frankfurter, und besonders als “Senckenbergianer”, der ich bin, bei – hab’ gelernt, dass der Wegener, der mit der Kontinentaldrift, bei der Senckenbergischen Naturforschenden Gesellschaft gearbeitet hat.

  2. @Fisch

    Man hat den Eindruck du hättest gleich mehrere Studiengänge erfolgreich abgeschlossen.
    Liest du allgemein sehr breit oder refferierst du immer alles für einen bestimmten Artikel im Detail?

  3. casus

    Muss es nicht heißen “im Diamanten”?
    Oder meinen Sie mit “Diamant” das Material an sich, das Diamant?

  4. @sven

    Stimmt. Entweder “in Diamant” oder “im Diamanten”. Soviel zum Thema goldene Mitte… *grummel*

    @Helmut:
    Die Kontinente allerdings kommen früher oder später wieder zusammen – die Erde ist schließlich rund…

  5. @Anton Maier

    Es ist im Grunde eine Mischung. Ich pflege weitaus mehr zu Recherchieren als ich für meine Themen brauche, das ist später natürlich nützlich.

    Das Thema hier ist allerdings auch eines, das ich schon seit Jahren verfolge und über das ich auch häufiger schon gebloggt habe. Da kann ich das meiste Drumherum so aus dem Ärmel schütteln.

  6. @Serge Grossner

    Interessante Frage. Es gibt die Theorie, dass ein großer Einschlag für den Beginn der Plattentektonik verantwortlich war. Wie, ist mir allerdings nicht so ganz klar.

    Es kann natürlich sein, dass im Archaikum Einschläge die verdickten Krustenteile destabilisiert haben. Das müssten aber schon recht viele gewesen sein, denke ich, und das Late Heavy Bombardment war ja noch mal ne Milliarde Jahre Früher. Deswegen glaube ich jetzt aus dem Bauch heraus eher nicht an eine entsprechende Verbindung.

  7. Einschlag

    Ich bin auch immer etwas zurückhaltend, wenn alle signifikanten Vorgänge in der Erdvergangenheit über eventuelle Einschläge erklärt werden sollen. Die Natur zeigt sich, so möchte ich meinen, selten so monokausal.
    Vielleicht ist es auch nicht ganz so abrupt passiert, wie es uns aus der Distanz erscheinen mag. Es gibt ja durchaus Forscher, die erste, wenn auch im Ansatz steckengebliebene Ansätze von Plattentektonik auf dem Mars sehen wollen, wbenso wie differentierte Gesteine auf der venus, diue hier auf der Erde bevorzugt im Zusammenhang mit gewissen plattentektonischen Situationen auftreten.
    Vielleicht kommt hier auch das Wasser ins spiel, von dem es, zumal in flüssiger Form, auf den anderen terrestrischen Planeten nicht so viel gibt, wie auf der Erde. Ich könnte mir also ein Szenario vortstellen, ab dem ein heisserer und jüngerer Planet einen langsamen plattentektonikähnlichen Zyklus entwickelt hat, der vielleicht etwas unregelmäßiger abläuft. Wie auch immer, irgendwann haben ist genug in irgendwelche Minerale eingeschlossenes Wasser in den jungen Erdmantel gelangt und hat den dortigen Schmelzpunkt erniedrigt, was dem Geschehen sicher einiges an Tempo gab. Die heutige Form der Plattentektonik kam erst dann richtig zum Tragen, als der Mantel seinen wassergehalt so langsam ein wenig homogener verteilt hatte. So in etwa könnte ich mir da Ganze vorstellen.

  8. Erst einmal ein Schmunzeln für “Godwin’s Law der Geowissenschaften”.

    Naja, soweit ich verstehe, gilt der Impakt bei der Mond-Entstehung als gesichert (zitierter Wikiperia-Artikel sagt: “dass der Mond mindestens zur Hälfte aus Erdmaterial besteht”). Und das wäre jedenfalls ein gravierender Unterschied der Erde zu Venus und Mars.

    Wie dem auch sei. Liebe Grüße, SG

  9. Einschläge

    Wie gesagt, es gibt genug klar belegte Mega-Einschläge, siehe auch die K-T-Grenze und vergleichbare Sachen. Es ist nicht so dass die Idee abwegig wäre…

    Aber wenn man sich etwas mit Massensterben beschäftigt, gehen einem die angeblichen Meteoriten irgendwann ein bisschen auf den Geist… *g*

    (ist in den letzten Jahren aber auch schon etwas besser geworden, zugegebenermaßen)

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