Die TALEN-Revolution – warum die Gentechnik erst jetzt richtig losgeht

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Bisher galt ja in der Biotechnologie die Regel: Ein Genom mal eben nach Belieben umschreiben is’ nicht. Pflanzen und Tiere gentechnisch zu verändern ist aufwendig, ziemlich unspezifisch und hinterlässt meistens auch unschöne Spuren im Genom, Selektionskassetten und dergleichen. Bis jetzt jedenfalls. Doch seit 2011 arbeiten immer mehr Molekularbiologen mit einem neuen Werkzeug, das die bisherigen Methoden aussehen lässt wie ein rostiges Küchenmesser neben einem Mikroskalpell.

Das neue Spielzeug nennt sich TALEN, Transcription Activator-like Effector Nucleases[1] – ein effektives molekulares Skalpell, das ein Genom gezielt an einer beliebigen Stelle zerschneidet, so dass man anschließend gezielt einfügen kann, was immer man will. Und das hat dramatische Konsequenzen für die gesamte Biotechnologie – zu allererst für die grüne Gentechnik, aber auch für die Grundlagenforschung, für Stammzelltechniken und genetische Veränderungen am Menschen.

Der Trick der TALEN basiert auf einer Proteinklasse namens Transcription Activator-like Effector (TALE) – diese Moleküle besitzen einen eigenen Code, der 1:1 zu den Nucleobasen des Erbgutes passt und den ein deutsches Forscherteam vor ein paar Jahren im Genom von Xanthomonas-Pflanzenpathogenen entdeckten.

Der TALE-Code

Dieser Code ist der Clou: Andere DNA-bindende Proteine sind so geformt, dass sie zu einem bestimmten Genabschnitt passen. Aber wenn man in dieser Sequenz eine Base austauscht, passen sie nicht mehr, und man kann das Protein auch nicht einfach an ein, zwei Stellen verändern, damit es wieder passt. Es gibt kein direktes Verhältnis zwischen Proteinstruktur und der DNA-Sequenz, zu der sie passt. Selbst für eine minimal andere Sequenz braucht man ein völlig neues Protein.

Beim TALE-Code ist das anders – ein TALE besteht aus wiederholten Aminosäure-Sequenzen, die an einer ganz spezifischen Stelle variabel sind, und es gibt vier unterschiedliche TALE-Repeats. Na so ein Zufall. Jede dieser leicht unterschiedlichen Sequenzen passt auf eine andere der vier Nucleobasen. Und wenn im Genom eine andere Base ist, tauscht man im TALE einen Repeat gegen einen anderen, und es passt wieder. Oder man baut einfach einen völlig neuen TALE mit der gewünschten Abfolge von Repeats – dank des TALE-Codes kann man jedoch zu jeder beliebigen Gensequenz sofort das passende Molekül erzeugen. Eine echte Revolution.

Auf diese Weise spezifisch DNA-bindende Moleküle herstellen zu können ist für sich genommen schon ein immenser Forschritt. Aber was die Welt der Biotechnologie auf den Kopf stellt, ist das N in TALEN: Die maßgeschneiderten Moleküle sind an eine Nuclease gekoppelt. Diese Konstrukte aus Erkennungssequenz und Enzym setzt man paarweise ein, so dass man am DNA-Strang das Konstrukt TALE-Nuclease-TALE erhält. Und die Nuclease zerschneidet das Erbgut genau an der Stelle zwischen den beiden Erkennungssequenzen.

Nicht zu detektierende Veränderungen

Die Zelle merkt das natürlich und repariert den Schaden prompt. Der Witz daran ist, dass man ihr dabei mühelos kleinere und größere Veränderungen unterjubeln kann, indem man die Homologe Rekombination ausnutzt. Dabei wird der DNA-Strang geflickt, indem die Bruchstelle eines Einzelstranges an eine dazu passende Sequenz angelagert wird, die die Lücke überbrückt. Die Lücke füllen Reparaturproteine mit Sequenzen, die zu dem Einzelstrang komplementär ist. Wenn man nun dafür sorgt, dass parallel zum TALEN-induzierten Strangbruch passende Einzelstränge in der Nähe sind, kann man dort, wo der Bruch stattfand, so ziemlich alles mögliche ins Genom hineinschreiben – einfach indem man es in den Einzelstrang einbaut. Den Rest macht die Zelle.

Die TALEN können im Prinzip, was bei Pflanzen und Tieren bisher nicht möglich war: Das Genom editieren wie mit einem Textverarbeitungsprogramm. Das Ergebnis ist ein Genom, das exakt so aussieht wie vorher, nur mit der gezielten Veränderung an der gewünschten Stelle. Mehrfach- oder Fehleinbauten, Selektionsgene oder andere Artefakte, die bei den bisherigen Methoden an der Tagesordnung sind, kommen bei den TALENs schon prinzipbedingt kaum vor. Wenn man nicht gerade ein komplettes fremdes Gen einbaut, unterscheidet sich das Ergebnis in keiner Weise von einem durch natürliche Selektion entstandenen Organismus – es ist, wie Zeit Online es so schön formuliert hat, naturidentisch.

Nach den bisherigen Ergebnissen scheint die Methode erstaunlich effektiv zu sein: In Zellkulturen werden mit der Methode zweistellige Prozentzahlen der Zellen transformiert, in lebenden Organismen immerhin ein paar Prozent – genug, dass ein beträchtlicher Teil der so behandelten Tiere die Veränderung über die Keimbahn weitergibt. Man sieht in den Veröffentlichungen zwar auch, dass das Verfahren aus bisher unbekannter Ursache nicht immer so gut klappt, aber in einem der Stammzell-Papers haben von 96 quasi am Fließband hergestellten TALENs 87 Prozent den gewünschten Knock-Out erzeugt. Und die Bemühungen, TALENs für bestimmte Anwendungen zu optimieren, stehen ja erst am Anfang.

Nun würde man ja erwarten, dass eine so neue Methode kompliziert und teuer ist. Ist sie aber nicht. TALENs kann man einfach und in großen Mengen herstellen, chemisch oder rekombinant, wahrscheinlich bestellt man einfach die gewünschte Sequenz für ein paar hundert Euro bei spezialisierten Lieferanten.

Die Zukunft: Erstaunliche Perspektiven und offene Fragen

Das Bemerkenswerte ist, dass man keine Kerntransfer-Protokolle oder ES-Zellen oder dergleichen braucht, um veränderte Organismen herzustellen. Man injiziert das TALEN-System einfach in den Embryo. Oder, früher oder später, in ausgewachsene Organismen. Die hohe Präzision und Effektivität der TALENS rückt sogar Gentherapien an Menschen in Reichweite, die bisher eben wegen des Zufallsfaktors nicht möglich oder extrem riskant waren.

Inzwischen sind haufenweise Veröffentlichungen erschienen, die das enorme Potenzial der TALEN ahnen lassen. Beim Zebrafisch, einem wichtigen Modellorganismus, war es bisher nicht möglich, das Genom gezielt und effektiv zu modifizieren – gerade ist ein Nature-Paper herausgekommen, das diese Lücke mit einem TALEN-System schließt. Bei Ratten hat man das schon 2011 gemacht, bei menschlichen Stammzellen sowieso. Wie weit sich das Spielchen treiben lässt, wo die Grenzen der Methode sind und vor allem, wo der Haken an der Geschichte ist[2], muss sich alles noch zeigen, aber das was man bisher sieht, ist extrem eindrucksvoll. Fast zu gut, um wahr zu sein.

Und es ist ja erst der Anfang.

via Volker Stollorz und Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (Artikel nicht online verfügbar).

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[1] Tatsächlich gibt es eine zweite Klasse vergleichbarer Moleküle, die Zinkfinger-Nucleasen. Die sind aber nicht so schön einfach zu basteln wie TALENs und haben ein paar andere Nachteile, so dass sie wohl nur eine untergeordnete Rolle spielen werden.

[2] Eine Frage, die sich aufdrängt ist, ob die Off-Target-Aktivität tatsächlich so gering ist wie es jetzt den Anschein hat, und wieviele Versuche nicht funktioniert haben, die halt nicht publiziert wurden. Da muss noch systematisch dran gearbeitet werden. Kann durchaus passieren, dass die ZFN doch die Nase vorn haben.

16 Kommentare

  1. Zweite Laienfrage

    Könnte man nicht auch DNA-Einzelstränge an Stelle der TALE-Repeats an die Nuclease koppeln, also Konstrukte aus DNA-Nuclease-DNA?

    Natürlich müsste man DNA-Analoga oder RNA-Analoga verwenden, die gegen Nucleasen stabil sind.

  2. @Karl Bednarik

    Prinzipiell könnte man das, allerdings bringt das einen ordentlichen Haufen Probleme mit sich. Zum einen reicht ein gut passendes, stabiles Nucleinsäure-Analog nicht aus (selbst wenn man eines hätte, wofür ich meine Hand nicht ins Feuer lege), das gute Stück muss ja auch automatisiert in beliebigen Sequenzen herstellbar sein. Entsprechende Systeme existieren nicht, d.h. man muss das ding jedes mal de novo synthetisieren.

    Das größte Problem scheint mir aber zu sein, dass die entsprechenden Moleküle dann nur langsam oder gar nicht abgebaut werden und eventuell noch lange nach dem Eingriff unkontrolliert im Genom rumschnippeln. Ich hab jetzt keine Daten für die Halbwertszeiten von TALENs gefunden, aber ich vermute, die sind spätestens nach nem Tag weg.

  3. Verklumpung

    Das Problem mit DNA-Einzelsträngen dürfte auch sein, dass die zu verklumpen neigen. Sie würden, wo immer es zufällig passt, mit sich selbst Basenpaare bilden und damit eine komplexe 3D-Struktur annehmen, die es verhindert, dass sie sich an der DNA im Zellkern anlagern.

  4. DNA-Einzelstränge statt TALE-Repeats an Nucleasen zu koppeln würde nicht funktionieren, da sie ja schlecht doppelstängige DNA erkennen und binden können. Das wäre dann höchstens nur möglich, wenn sich die Zelle gerade teilt und die DNA aufgrund der Replikation einzelsträngig wird. Selbst das würde aber nicht funktionieren, da sich bei diesem Prozess ebenfalls der Zellkern auflöst und die Nucleasen verloren gehen würden.

  5. Mist, ich war zu spät! 😉

    Tja, da hast du mir doch tatsächlich eins meiner nächsten Themen weggeschnappt! grml…

    TALENs sind tatsächlich extrem toll, ich arbeite selbst gerade an einigen TALEN Konstrukten, die in meine Pflanzen sollen.
    Momentan ist es bei den Pflanzen (und den meisten anderen Organismen) allerdings noch so, dass wir zwar die Stelle, die geschnitten werden soll, raussuchen können, die Reparatur des Bruches dann aber nicht zielgerichtet erfolgt. Das führt dann zu Punktmutationen. Was du im Text beschrieben hast, gene targeting, ist noch Zukunftsmusik, auch wenn zur Zeit genau daran aktiv geforscht wird. Doch auch mit den Punktmutationen lässt sich schon einiges anstellen!

    Ein lustiger Aspekt an der Sache ist ja, dass man durch gutes altes Ausmendeln die TALEN wieder aus dem Organismen loswerden kann, so dass nur noch die Punktmutation übrig bleibt. Was bedeutet, dass solche Organismen nach den momentanen Regeln nicht als GMO zählen…

  6. @Sebastian R.

    Wir bauen die selbst, das ist ziemlich simpel (und viel billiger). Das Design geht mit dem TALEN Targeter, die TALENs bauen wir aus einem Bausatz mit einer sehr cleveren Methode, dem Golden Gate Cloning. Von Planung am Rechner zum fertigen Plasmid für die Transformation von Pflanzen in ca. 2 Wochen.

    Da lohnt sich kaufen dann echt nicht, vor allem nicht bei unserem Durchsatz…

  7. @Alexander

    2 Wochen? Na dann muss ich doch gleich mal schauen, dass wir uns hier auch an die TALENs-Produktion machen. Danke für´s Paper und die Website, ich lese mich da mal rein 😉

  8. Antwort

    Aber das Prinzip, eine Gensequenz gezielt herausschneiden zu können gibt es doch schon seit langem, nämlich die sogenannten Restriktionsenzyme. Gehört TALEN auch zu dieser Gruppen?

  9. @Manuel Kasberger

    Der Unterschied ist, dass Restriktionsenzyme jeweils eine bestimmte Sequenz erkennen. Ich bin also davon abhängig, dass es an der Stelle, wo ich schneiden möchte, auch tatsächlich ein Restriktionsenzym gibt, das dort schneiden kann. Gibt es das nicht, hat man Pech gehabt. Und das passiert dann doch recht häufig, wenn man wie heute üblich an einer ganz bestimmten Stelle schneiden möchte. Deshalb freuen wir Molekularbiologen uns so über Zinkfingernukleasen und TALENs, weil wir plötzlich basengenau arbeiten können.

    Deine Idee ist aber gar nicht mal so abwegig, man könnte nämlich auch hingehen und vorhandene Restriktionsenzyme so verändern, dass sie neue, bestimmte Sequenzen schneiden können. Dann hätte man sog. maßgeschneiderte Restriktionsenzyme, die gleichwertig mit TALENs wären. Das Problem an der Sache ist, dass anders als TALENs (oder Zinkfingernukleasen) bei REs keine eindeutige Zuordnung von bestimmten Aminosäuren zur Erkennung bestimmter Basen möglich ist. Man ist bei den REs darum auf sehr aufwendige und teure Versuche angewiesen, in denen man tausende einzelne ungerichtete Mutationen in ein RE einbringt und testet, wie gut das neue Protein die Wunschsequenz binden und schneiden kann. Noch vor ein paar Jahren haben mehrere Firmen mit sowas angefangen, die haben alle auf ZFNs und TALENs umgeschwenkt. Ist so viel einfacher, billiger, schneller.

  10. Paper?

    Hallo,
    für mich klingt diese neue technik sehr interessant. Gibt es Publikationen und weitere Texte hierzu (gerne auf Englisch)? Wäre nett, wenn man einige hier verlinken könnte.

    Vielen Dank!

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  12. Pingback:Genome Editing | Miriam Ruhenstroth

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