Elfmeterschießen – Glückssache oder Kopfsache?

BLOG: Fischblog

Wissenschaft für alle
Fischblog

Wer im Elfmeterschießen gewinnt ist nicht nur Glück oder Zufall – wer die Nerven verliert, verschießt. Und der Grund dafür liegt manchmal ein paar Jahre in der Vergangenheit.

Wenn bei dieser EM irgendwann ein Spiel durch Elfmeterschießen entschieden wird, werden unsere Fernsehkommentatoren zuverlässig und ausführlich ein ähnliches Elfmeterschießen von anno dunnemals beschwören. Als wenn das heute noch eine Rolle spielen würde. Tut es aber tatsächlich.

Norwegische und niederländische Forscher haben die Elfmeterschießen bei den großen Turnieren seit 1976 ausgewertet, um herauszufinden, welche Rolle die Fußballhistorie für die Trefferquote spielt. Dabei hat sich herausgestellt, dass Heribert Fassbender und Co. schon immer Recht hatten – selbst wenn ein Elfmeterschießen zehn Jahre zurückliegt und kein einziger der aktuellen Spieler damals dabei war, beeinflusst der Ausgang des letzten Elfmeterschießens das aktuelle Ergebnis.

Die Studie basiert auf Videoaufzeichnungen aller Elfmeterschießen bei Welt- und Europameisterschaften seit 1976, insgesamt 309 Schüsse in 31 Spielen. Das ist nicht die Welt, aber weitaus besser als all die Paper, die mit Stichprobengrößen um ein Dutzend durch die angeblich seriöse Literatur geistern. Spieler in Mannschaften, die mindestens das letzte Elfmeterschießen gewonnen haben, erreichen Trefferquoten von 80 bis 90 Prozent, solche mit vorherigen Niederlagen nur etwa 50 bis 70 Prozent.[1]

Die Daten streuen recht stark, weil die Untergruppen teilweise dann doch recht klein werden, insofern lohnen sich exaktere Angaben nicht. Was die Daten aber definitiv zeigen ist, dass eine ganze Serie von Niederlagen die Erfolgsaussichten in darauffolgenden Elfmeterschießen deutlich reduziert. Das zeigt auch, dass diese Art der Entscheidung alles andere als eine Lotterie ist, egal was da jetzt wieder einige Leute behaupten. Elfmeterschießen ist Kopfsache – es gewinnt, wer unter der Last der Erwartungen nicht zusammenbricht. Und unter der Last der Geschichte.

Hypothek für die EM? Das verlorene Elfmeterschießen der Bayern im Champions-League-Endspiel.

Es ist also tatsächlich etwas dran etwas dran an der viel beschworenen Elfmeterstärke deutscher Nationalmannschaften. Je mehr Elfmeterschießen eine Mannschaft nämlich in der Vergangenheit gewonnen hat, desto besser treffen die Spieler, wenn es wieder soweit ist. Das gilt unabhängig davon wie lange das letzte Elfmeterschießen her ist und ob der Schütze daran überhaupt beteiligt war. Aber es sind weniger die Gewinner, bei denen der Serieneffekt durchschlägt, sondern vor allem die Verlierer. Der wichtigste Faktor bei Sieg oder Niederlage ist nackte Angst.

Der Hintergrund des Leistungsabfalls unter Druck, schreiben die Autoren, ist die Bedrohung des positiven Selbstbildes, verbunden mit einem Verlust der Selbstkontrolle. Das Elfmeterschießen ist das Paradebeispiel für solche Situationen – das ultimative make or break unter den Augen von zigtausenden oder gar Millionen Zuschauern. Gerade bei Welt- und Europameisterschaften ist der Druck, der in solchen Situationen auf den Spielern lastet, extrem. Für Psychologen, die sich mit Versagen unter Druck befassen ist das natürlich großartig, zumal ein Elfmeterschuss im Gegensatz zu fast allen anderen Stresssituationen ein klares Ergebnis produziert: Tor oder nicht Tor.

In der Untersuchung von Jordet und Kollegen ging es denn auch nicht allein um Geschichte und Ergebnisse, sondern die Forscher suchten in den Videos gezielt nach Angstsymptomen. In Extremsituationen, schreiben die Forscher, wird die Angst so groß, dass die Betroffenen die Priorität darauf legen, die Angst zu mildern und die Stresssituation so bald wie möglich zu beenden. Tatsächlich fanden die Forscher, dass Spieler aus Verlierermannschaften wesentlich schneller schießen. Sie warten nach dem Pfiff des Schiedsrichters im Schnitt 0,58 Sekunden bis zum Anlauf, ein ganzes Stück kürzer als Spieler ohne Elfmeter-Vorgeschichte oder solche mit Siegen in der Vergangenheit. Das scheint tatsächlich darauf hinzudeuten, dass dieses Vermeidungsverhalten die Spieler schlechter schießen lässt, die Autoren verwerfen diesen Zusammenhang allerdings aus statistischen Gründen und kommen zu dem Schluss, dass sie keinen Zusammenhang zwischen Stresssymptomen und Ergebnis nachweisen können.

Also alles nur Illusion ohne kausalen Zusammenhang? Glücklicherweise haben wir ja noch die direkt betroffenen Spieler, die wir einfach fragen können – die Forscher zitieren am Anfang ihres Papers den englischen Nationalspieler Ashley Cole:

Of course, you can’t help but think about Southgate, Batty, Pearce, Beckham, and Waddle, and all those penalty nightmare misses of old. It lurks in your mind somewhere, adding more pressure and a little bit of fear.

Ob sich die deutsche Nationalmannschaft wegen dieser Ergebnisse Sorgen machen muss ist nicht ganz klar. Einerseits hat sie alle Elfmeterschießen bei großen Turnieren gewonnen und sollte entsprechend gefestigt sein. Andererseits trägt ein beträchtlicher Teil der Mannschaft seit dem Finale dahoam ein recht frisches Elfmetertrauma mit sich herum – und der negative Effekt einer vorhergegangenen Niederlage zeigt sich in der Studie bei hochklassigen Spielern und Teams bei weitem am stärksten: In der Studie hatten Spieler in Top-Teams, die an einem zuvor verlorenen Elfmeterschießen selbst beteiligt waren, mit etwa 53 Prozent eine der schlechtesten Trefferquoten überhaupt.

Joachim Löw sollte sich eventuell überlegen, im Falle eines drohenden Shoot-out seine Bayern-Spieler präventiv aus dem Spiel zu nehmen.
.
.
.

[1] An den Zahlen ändert sich auch dann praktisch nichts, wenn man die Spielstärke der Teams einbezieht, entweder gemessen an Preisen und Titeln der einzelnen Spieler oder auch an den Punkten im jeweils laufenden Wettbewerb.

10 Kommentare

  1. Die Angst der Bayern vorm Elfmeter

    “Joachim Löw sollte sich eventuell überlegen, im Falle eines drohenden Shoot-out seine Bayern-Spieler präventiv aus dem Spiel zu nehmen.”

    Ähm! Lars, das ist jetzt nicht wirklich Dein Ernst, oder? (Ich sag jetzt mal Du zu Dir, weil du auch jeden duzt. Wenn’s nicht recht ist, bitte sag was.) Natürlich spielt das psychologische Moment bei Fußballspielern eine große Rolle, keine Frage. Wer in der Vergangenheit beim Elfmeterschießen erfolgreich war, der hat auch ein gutes Selbstvertrauen. Aber Glück ist natürlich auch dabei. Manche Fußballspieler sollen in dieser Hinsicht ja recht abergläubisch sein. Ich habe mit Fußball zwar nicht so viel am Hut, aber das Spiel, des FC Bayern gegen den FC Chelsea, musste ich mir dann doch ansehen, sonst wird man in Bayern sozial geächtet. Wie es ausging brauche ich wohl nicht zu wiederholen.
    Viele Fans sagten von vornherein, dass der portugiesische Schiedsrichter den Bayern kein Glück bringen würde, weil er schon bei zwei Niederlagen für die Bayern gepfiffen hätte. 2009 leitete Proenca in München das 0:2 gegen Girondins Bordeaux und vor einem Jahr war er beim 2:3 gegen Inter Mailand dabei. Ob das eine Rolle spielte oder ob Schweinsteiger im entscheidenden Moment schlicht die Nerven verlor, weil er dem Druck, der auf ihm lastete, nicht standhielt, wer weiß das schon.

    Anstatt den Bayernspielern jetzt anzudrohen sie präventiv aus dem Spiel zu nehmen, wäre Jogi Löw doch besser beraten, die Jungs wieder aufzurichten, oder? Außerdem wird es für Fußballspieler auch ein mentales Training geben, wo sie lernen mit Niederlagen umzugehen und bestimmte Automatismen so lange zu trainieren, bis sie sich wieder sicher fühlen. Vielleicht hätte man da vor dem ” Drama dahoam” schon was machen sollen, denn anscheinend kniffen da bereits einzelne Spieler, weil sie sich nicht gut genug fühlten.
    http://www.focus.de/…em-elfmeter_aid_755717.html

  2. Das ist alles Quark

    Die zugrundeliegende datenbasis ist viel zu klein, um irgendwelche Schlüsse daus zu ziehen.

    Das ist nur der BLÖD-Zeitung geschuldet, die daraus – wie immer – einen Artikel schustert, der keinerlei Hintergrund hat, aber “wissenschaftlich” daherkommt.

    Wie sich dieser Blog damit beschäftigen kann, ist mir schleierhaft, aber es ist eklig.

    Widerlich, sorry, aber so muss ich das nennen!!!!

  3. Dass…

    …jemand der sich “Statistiker” nennt, psychologische Papers aus Prinzip Scheiße findet wundert mich jetzt nicht wirklich. Das Thema war ja bei Bem und seinem Präkognitionskram schon sehr in der Kritik. Wie belastbar solche Ergebnisse letztendlich wirklich sind sei mal dahingestellt.

  4. @Statistiker

    Mach mal halblang. Dass solche Studien nicht ganz ernst genommen werden können, liegt doch auf der Hand (umso erstaunlicher ist es, dass man für die Lektüre des Originalartikels zahlen soll). Allein schon, dass lediglich Elfer von Welt- und Kontinentalturnieren ausgewertet wurden. Die Wahl von abhängiger und unabhängiger Variable (Deutsche Fußballspieler schießen eben gute Elfer, weil sie letztlich gute Elfer geschossen haben vs. Deutsche Fußballspieler haben letztlich gute Elfer geschossen, weil sie eben gute Elfer schießen) kann man offenbar einfach aus dem Bauch heraus treffen. Ist doch amüsant, mir ist jedenfalls schleierhaft, weshalb man eine augenzwinkernde Einstimmung auf die Männerfußballeuropameisterschaft eklig und widerlich nennt. Da muss man wohl einen gescheiten Kater für haben. Oder Oranje-Fan sein. Womöglich beides, aber für die Behauptung ist mir die Datenbasis zu klein. Weitere Studien strebe ich da allerdings auch nicht an.

  5. Mal als Perspektive

    Angesichts der Tatsache dass jede Woche irgendwelche medizinische Studien mit n=12 oder so zu wirklich schwerwiegenden Themen rauskommen, finde ich die vorliegende Untersuchung akzeptabel. Ich empfehle halt, sie so ernst zu nehmen wie ein Elfmeterschießen bei so einem Turnier.

    Natürlich ist es erstmal nicht möglich, hier Ursache und Wirkung sauber zu trennen, und es gibt eine ganze Menge andere Einflussfaktoren die hier nicht untersucht wurden, aber die Hypothese ist sauber formuliert und ihre Überprüfung ist, soweit ich das anhand des Papers beurteilen kann, redlich. Dass die Stichprobe begrenzt ist kann man den Autoren nicht vorwerfen.

  6. @Mona:

    Nein, das ist nicht wirklich mein Ernst. Aber ich finde das schon interessant mir mal zu überlegen welche Konsequenzen diese Situation hat. Ich habe ja auch lange Zeit auf hohem Niveau Sport (ahem… Schach) getrieben und ich weiß halt dass vergangene Resultate, auch wenn man von ihnen nur weiß, eine erhebliche Rolle spielen.

    Deine Anmerkung zum Training halte ich auch für einen ganz entscheidenden Punkt, und da wird das Paper eben doch relevant für die Praxis: Es geht ja immer noch der Aberglaube dass Elfmeterschießen reine Glückssache ist. Aber das, denke ich, ist falsch. Und dann muss man sich fragen: Lohnt es sich, das gesondert (mental) zu trainieren und dabei eben auch solche Einflüsse wie vergangene Spiele anzugehen?

  7. Mentales Training @Lars Fischer

    “Es geht ja immer noch der Aberglaube dass Elfmeterschießen reine Glückssache ist. Aber das, denke ich, ist falsch. Und dann muss man sich fragen: Lohnt es sich, das gesondert (mental) zu trainieren und dabei eben auch solche Einflüsse wie vergangene Spiele anzugehen?”

    Natürlich lohnt sich ein Zusatztraining. Dem FC Chelsea hat es ja auch was gebracht: http://newsticker.sueddeutsche.de/list/id/1315141

    Das sog. mentale Training ist natürlich ein etwas schwammiger Begriff, unter dem jeder etwas anderes zu verstehen scheint. Ich verlinke dazu mal Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Mentales_Training

    In Deinem Artikel heißt es: “Der Hintergrund des Leistungsabfalls unter Druck, schreiben die Autoren, ist die Bedrohung des positiven Selbstbildes, verbunden mit einem Verlust der Selbstkontrolle.”

    Also meinen die Autoren wahrscheinlich, dass man das Selbstbewusstsein der Spieler stärken soll und all sowas. Wie das bei Fußballspielern konkret aussieht, weiß ich allerdings nicht. Ich habe aber jahrelang traditionelles Karate trainiert und da läuft ebenfalls viel über den Kopf. Auch hier besteht die Kunst darin, dass man sich innerlich von Blockaden etc. frei macht. Hier wird, im Gegensatz zum westlichen Sport, aber kein Selbstbewusstsein aufgebaut und es werden auch keine positiven Glaubenssätze formuliert, sondern man versucht sich innerlich leer zu machen und sich nur auf die Bewegungsabläufe zu konzentrieren. Bei einer auf Wettkampf ausgelegten Sportart, wo es nur um Sieg oder Niederlage geht, müssen die Sportler wahrscheinlich anders trainiert werden. Aber ich möchte mich da jetzt nicht in einen amateurpsychologischen Dschungel begeben.

  8. @Mona

    Vielleicht sollte man die Spieler in den Physikunterricht schicken, um das Selbstbewusstsein und die Technik zu stärken.
    Die durchschnittliche Geschwindigkeit des Balles nach dem Abschuss kann man messen und so die Flugzeit ermitteln. Wenn man dann noch berücksichtigt wie schnell sich ein Torwart bewegen kann, wird klar, dass er einen gut plazierten Schuss zeitlich gar nicht erreichen kann – nie!
    Daher wäre es wohl sinnvoller gutes Plazieren aus dem Stand-Schuss zu trainieren – statt mit langen Anläufen ´action´ vorzutäuschen, aber ungenau zu schießen und zu treffen.

    Oder andersrum gesagt: Physikunterricht wäre doch sinnvoll, wenn er praxisbezogen wäre 😉

  9. Eine Frage des Trainings

    Über die Angst des Torschützen vor dem Elfmeter hatte ich vor längerer Zeit auch mal ein paar Zeilen geschrieben (sorry für die Eigenwerbung!) – und dass es dabei auf die Spieler-Vorbereitung ankommt, wobei dann vielleicht auch bestimmte Spiel- und Trainingstraditionen relevant sein könnten. Womit ich andeuten will: Kann es nicht auch sein, dass die alten Elfmeter-Resultate und die aktuellen (Miss-)Erfolge die gleiche methodische Ursache haben?

  10. ich finde beim Elmeterschießen geht es um Nerven behalten und natürlich auch um Glück haben. Bayern hat ja auch erst gegen Real Madrid gewonnen und dann gegen Chelsea verloren, obwohl sie laut dem Text eine 80-90 prozentige Chance hatten nochmals zu gewinnen.

Schreibe einen Kommentar