Geoengineering – haben wir überhaupt noch eine Wahl?

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Soll der Mensch versuchen, das Klima aktiv in seinem Sinne zu beeinflussen? Die unabsehbaren Folgen solcher Versuche lassen viele davor zurückschrecken. Doch tatsächlich betreibt der Mensch schon lange Geoengineering – unbeabsichtigt. Können wir es uns vor diesem Hintergrund überhaupt erlauben, derartige Möglichkeiten zu ignorieren?

Während sich die Politik noch Gedanken macht, wie es nach dem Kopenhagen-Desaster mit der Reduktion der Treibhausgas-Emissionen weiter geht, denken viele Wissenschaftler inzwischen über wesentlich drastischere Maßnahmen nach: Aerosolwolken oder Weltraumspiegel sollen die Sonneneinstrahlung verringern und gedüngte Meeresregionen gigantische Kohlendioxid-Mengen aus der Atmosphäre absorbieren. Solche Geoengineering-Maßnahmen sollen globale Klimaparameter und geochemische Kreisläufe aktiv beeinflussen, um trotz der bekannten menschengemachten Einflüsse das Weltklima stabil zu halten.

Das klingt, vorsichtig ausgedrückt, ziemlich ambitioniert, und viele Wissenschaftler warnen zu Recht vor den unabsehbaren Konsequenzen solcher Experimente. Die Systeme, in die man eingreifen würde, sind so komplex, dass man gar nicht sicher sein kann, dass man das eigentliche Problem schon erkannt hat – man denke an das Treibhausgas Kohlendioxid, das nicht nur die Atmosphäre erwärmt, sondern auch den pH-Wert der Ozeane beeinflusst, was langfristig der wesentlich schmerzhaftere Effekt sein könnte.

Und natürlich können die eingeleiteten Maßnahmen selbst wiederum globale Konsequenzen haben, die im Extremfall nicht wieder rückgängig zu machen wären. Deswegen existiert momentan eine Art Konsens, dass derartige Ideen nur für den absoluten Notfall reserviert sind. Ich persönlich glaube aber inzwischen, dass das der falsche Weg ist. Die Menschheit betreibt nämlich längst Geoengineering im großen Stil, allerdings im völligen Blindflug.

Eine Bilderstrecke mit einigen Beispielen dafür hat neulich das Magazin Wired veröffentlicht. Das reicht von altbekannten Problemen wie Treibhausgasen und umgeleiteten Flüssen bis hin zu Ruß in der Atmosphäre und Plastik in den Ozeanen. Tatsächlich haben die meisten menschlichen Aktivitäten inzwischen einen Level erreicht, an dem sie ungeahnte globale Bedeutung erlangen. Der Mensch verändert seine Umwelt seit er existiert, und noch viel mehr, seit er in festen Siedlungen lebt und Ackerbau betreibt. Doch wenn die ersten Bauern ganze Landstriche urbar machten, verlor sich ihre Mühe spätestens am Horizont der großen weiten Welt. Heute allerdings wohnen auch am Horizont Menschen, sogar sehr viele. Und ihre kleinen, unvermeidbaren Bemühungen, die Umwelt in ihrem Sinne zu formen, summieren sich über ganze Kontinente.

Seien wir realistisch: Die Natur ist futsch, und das schon seit sehr langer Zeit. Wir leben auf einem Planeten, der maßgeblich von Menschen geformt wurde und auch in Zukunft von Menschen geformt werden wird. Die Natur spielt hier bestenfalls noch die zweite Geige. Die Menschheit hat den Planeten längst so weit verändert, dass der Weg zurück kaum gangbar erscheint.

Wie wahrscheinlich ist es angesichts von bald sieben Milliarden Menschen auf dem Planeten, dass wir uns alle soweit zurücknehmen können, dass Klima und Umwelt ihren natürlichen, selbstregulierten Gang nehmen? Vor allem hilft es langfristig überhaupt nicht, Ökosysteme und Biodiversität lokal zu schützen, wenn die Veränderungen des gesamten Planeten auch vor diesen Reservaten nicht halt machen. Die Veränderungen haben bereits begonnen, und sie sind global. Es wird nicht helfen, unseren globalen Fußabdruck so weit es geht zu verringern und zu hoffen, dass alles noch mal gut geht.

Klimaschutz auf die ganz harte Tour
Stattdessen müssen wir einen Weg finden, die gesamte Erde aktiv zu verwalten, dass wir unsere Existenz genauso sichern wie das Gleichgewicht von Ökosystemen, der geochemischen Kreisläufe und des Klimas. Und dieses Gleichgewicht wird nicht so aussehen wie vor der Ankunft des Menschen, sondern wird eines sein, das wir als Menschheit gezielt einstellen. Dementsprechend gibt es nur einen gangbaren Weg zu einem nachhaltigen Umgang mit dem Planeten: Nicht nur die weitere Entwicklung der Menschheit muss von uns gesteuert werden, sondern auch die Reaktion der globalen Systeme auf gegenwärtige und zukünftige Veränderungen.

Meistens wird Geoengineering ja als die bequeme Option dargestellt, nach dem Motto: Wir machen weiter wie bisher und beseitigen dafür die Folgen mit ein bisschen High-Tech. In Wirklichkeit ist es natürlich andersherum – die Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen ist politisch, technisch und ökonomisch die wesentlich einfachere Variante. Schließlich geht es dabei nur um einen einzigen Parameter. Wenn die Menschheit mit Geoengineering anfängt, werden die Anforderungen schnell steigen. Das ist wie mit dem Autofahren: Es reicht nicht, den Fuß auf dem Gaspedal zu haben – ohne Bremse, Lenker und all die anderen Feinheiten setzt man die Karre sehr schnell gegen den Baum.

Das ist die Gefahr, die im Moment besteht: Wir lassen die Finger von Geoengineering. Und dann ist der Notfall da, und wir müssen in der Krise mit völlig unerprobten Gegenmaßnahmen experimentieren. Oder, was auch passieren kann, ein Staat spürt die Klimafolgen so sehr am eigenen Leib, dass es unilateral beschließt, Gegenmaßnahmen einzuleiten – einige der Vorschläge sind auch für ein mittelgroßes Land zu stemmen. Und dann? Noch mehr Blindflug, mit noch dramatischeren Folgen.

Im Grunde muss sich die Weltgemeinschaft so schnell wie möglich auf politischer Ebene mit Geoengineering auseinandersetzen und parallel zu den bisherigen Klimaverhandlungen drei zentrale Punkte international verbindlich regeln:

  • Die Rahmenbedingungen für die praktische Erforschung von Geoengineering-Maßnahmen
  • Klare Vorgaben über mögliche Zielsetzungen
  • Den institutionellen Rahmen für Beschluss und Durchführung von Geoengineering

Geoengineering mag eine riskante und unerfreuliche Option sein, aber viel riskanter wäre es, die sehr reale Möglichkeit zu ignorieren, dass wir auf solche Maßnahmen werden zurückgreifen müssen.

13 Kommentare

  1. Zustimmung

    Insgesamt Zustimmung. Allerdings beobachte ich immer wieder, dass diese sich diese Form von Realismus und Vernunft bei Umweltthemen im Allgemeinen und beim Klimaschutz im Speziellen kaum durchsetzt. Statt dessen hat man auf allen Seiten vor allem Ideologen sitzen. Umweltaktivisten und NGOs wie Greenpeace und der BUND werden diese Sicht der Dinge niemals akzeptieren, während die Ergebnisse der Klimaforscher in ungültiger Weise auf unsinnige Aussagen wie “wenn wir CO_2 um Faktor x reduzieren bleibt die Klimaerwärmung unter y °C” heruntergebrochen werden. Derartige Aussagen sind aber angreifbar und eine offene Türe für Leugner des anthropogen induzierten Klimawandels.

    Ich sehe keine politische oder gesellschaftliche Kraft die Geoengineering rechtzeitig durchsetzen könnte.

  2. Geoengineering und Kipppunkte

    Geoengineering muss nicht riskant sein. Riskant sind nur die billigen Varianten: Aerosole in die Stratosphäre blasen, die marine Wolkenbildung verstärken und ähnliche Symptomenschusterei.

    Geoengineering kann aber auch bedeuten, CO2 aus der Umgebungsluft zu entfernen, zum Beispiel durch massive Neubewaldung bisheriger Wüsten- und Oedländer (siehe http://www.springerlink.com/…t/55436u2122u77525/) oder durch technische Massnahmen.
    Das ist allerdings sehr teuer.

    Als Feuerwehrübungen kommen nur die einfacheren und billigeren Formen des Geoengineering in Betracht.

    Wann ist Geoengineering als Feuerwehrübung gefragt? Wohl dann, wenn einer der gefürchteten Kipppunkte erreicht wird und ohne schnelles Handeln irreversible Folgen drohen.
    Das könnten massive Methanfreisetzungen aus Permafrostboden oder sibirschem Kontinentalschelf sein oder eine schnelle Desintegration von Eisschilden in Grönland oder der Antarktis.

    Für solche Situationen sollte man schon mal vorsorgen, zuerst mit Computermodellen, dann auch mit praktischen Versuchen.

  3. Volle Zustimmung. Ich fürchte nur, der Knackpunkt an der ganzen Sache ist das Wörtchen “Weltgemeinschaft”. Der zweite ist das Wort “verbindlich”. Welche Handhabe hat man denn schon gegen die unvermeidlichen Ausreißer? Tja…

  4. Lieber Lars Fischer,

    gute These, gut recherchiert und geschrieben. Gute Provokation. Nichtsdestotrotz falsch: Zwar wäre dies die Konsequenz wenn wir nicht handeln. Aber als Handlungsmaxime wäre es eine Katastrophe. Solange die Möglichkeit besteht dass mehrere Milliarden Menschen auf diesem Planeten leben und sich in die Erdsysteme einpassen müssen wir es versuchen. Das sind wir der Erde schuldig.

    Beste Grüsse Ihr Hermann Ott

  5. Irrtum

    Die Natur ist nicht futsch, sondern unsere Umwelt reagiert ganz normal: Umweltveränderungen ergeben die entsprechende Gegenreaktion.

    Die Versuche mit Eisendüngung im Meer haben gezeigt, dass die Wissenschaftler schon bei so kleinflächigen Versuchen nicht in der Lage waren, die Auswirkungen ihres Experimentes zuverlässig vorherzusagen.
    Gegen weitere Experimente in kleinem Maßstab wäre deshalb auch nichts einzuwenden. Aber von größeren Experimenten sollte man die Finger lassen.

  6. Hab’ auch noch einen Vorschlag zu machen. Wenn -und davon gehe ich aus- die Klimaerwärmung Menschenwerk ist, so muß vom Menschen ausgegangen werden. CO2 wird nicht in Mehrheit von Privathaushalten, sondern von der Industrie erzeugt. Die Industrie produziert Güter, die von Menschen nicht immer gebraucht, sondern beworben werden, so daß die Menschen glauben, sie zu brauchen. Haben oder Sein -E.Fromm läßt grüßen. Was sind die eigentlichen Bedürfnisse des Menschen?

  7. @ Hilsebein:
    Ich denke, Sie haben da den Knackpunkt der ganzen Geschichte erfasst.

    @dystopic:
    Wir sehen das Problem ja jetzt schon bei der vergleichsweise simplen Treibhausgas-Reduktion – ich bin ziemlich sicher, dass sich die meisten Staaten bald einig sein werden, dass Geoengineering in irgendeiner Form zumindest als Option nötig sein wird. Es dürfte wesentlich schwerer werden, die nötigen Maßnahmen durchzusetzen.

  8. Kipppunkte

    @Holzherr:
    Ich wäre schon verdammt glücklich, wenn an den Kipppunkten irgendwas unternommen würde. Viel wahrscheinlicher ist allerdings, dass Maßnahmen erst dann als nötig erachtet werden, wenn die Effekte schon deutlich erkennbar sind – weit nach den Kippunkten. Und dann wird einfach und billig nicht mehr reichen.

  9. @Herrmann Ott

    Ich stimme Ihnen völlig zu. Allerdings sind wir weit über den Punkt hinaus, an dem es um die richtigen Handlungsmaximen gehen kann. Das Problem ist lange erkannt, aber Gegenmaßnahmen finden schlicht nicht statt, unter welcher Prämisse auch immer.

    Mir geht es darum, die Chance zu erhalten, dass irgendwann irgendwie etwas unternommen werden kann.

  10. Böse Zungen

    Heute früh kam im Radio ein Zitat aus einem Twitter-Beitrag: Die isländischen Banken haben erst unser Geld verbrannt – und jetzt schicken sie es in Form von Asche zurück.

    Gestern erwähnten Meteorologen einen interessanten Klima-Effekt, als Folge der Aschewolke: Weil über Europa keine Flugzeuge mehr fliegen, fehlt die aus Eiskristallen bestehende isolierende Kondensstreifen-Schicht. Man erwartet, dass dadurch die Tagestemperatur um ein Grad Celsius höher und die Nacht-Temperatur um ein Grad niedriger sein wird.

  11. @KRichard

    Auch von Twitter:
    “EILMELDUNG: Die Isländer stellen den Vulkan erst wieder ab, wenn ihre Schulden erlassen werden.”

    Gestern sind den ganzen Tag solche Sprüche auf Twitter rumgegangen. War lustig.

    Was den Klima-Effekt angeht: Ich bin da natürlich erstmal skeptisch bei solchen Vorhersagen. Aber wenn sich das bewahrheiten sollte, dass schon eine kurzfristige Einschränkung bestimmter menschlicher Aktivitäten ein merkliches Signal im Wettersystem erzeugt, dann ist das m.E. eine eindrucksvolle Bestätigung meiner Kernthese.

    Zum Stichwort Natur, es ist natürlich richtig wenn Sie sagen, dass auch menschengemachte Veränderungen Teil der Natur sind. Ich beziehe mich hier auf den metaphysischen Naturbegriff, der die öffentliche “Natur”schutzdiskussion antreibt.

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