Interview: Die wundersame Auferstehung von Cryosat

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Eigentlich war die Cryosat-Mission der ESA schon gescheitert – beim Start im Jahr 2005 fiel der Erdbeobachtungssatellit ins Meer. Doch anders als bei den meisten Missionen, die derart unrühmlich endeten, gab es für Cryosat eine zweite Chance. Binnen viereinhalb Jahren baute die ESA den Satellit nach den vorhandenen Plänen neu. Gestern startete Cryosat-2 von Baikonur aus in den Erdorbit.

Mein Interviewpartner Alexander Soucek ist seit sechs jahren im Cryosat-Team und Koordiniert die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern und Technikern.

 

Normalerweise ist eine Mission nach dem Verlust des Satelliten ja tot. Wie ist es dazu gekommen, dass es trotzdem einen Cryosat-2 gibt?

Das hat uns bei der ESA selbst erstaunt, wie schnell es ging, Cryosat-2 auf die Beine zu stellen. Diese Mission ist schlicht so wichtig, dass die Mitgliedsstaaten innerhalb von Wochen nach dem Absturz von Cryosat beschlossen haben: Wir brauchen so einen Satelliten, wir brauchen die Datensätze die er liefert. Deswegen haben sie innerhalb von vielleicht zwei Monaten entschieden, ihn zu bauen und noch einmal 100 Millionen Euro auf den Tisch zu legen. Natürlich brauchte es dafür auch ein gewisses Lobbying, keine Frage. Wir von der ESA waren davon überzeugt, dass wir einen Cryosat-2 brauchen, und schon am Abend des Absturzes hat man interessanterweise zwischen den betroffenen Gesichtern allenthalben gehört, dass wir die Mission noch einmal bauen.

Was ist dann passiert?

Das ging natürlich nicht von heute auf morgen, denn 100 Millionen Euro müssen erst einmal gefunden werden. Das heißt man muss dann sehr schnell gemeinsam mit den Delegationen der Mitgliedsstaaten Lobbyarbeit betreiben, bei der Politik der Mitgliedsstaaten vorstellig zu werden und zu sagen: Cryosat ist so wichtig, und wir haben so viel Hoffnungen in den Satellit gesetzt, essentielle Fragen beantworten zu können, wir müssen ihn so noch einmal fliegen. Das ist das eine, die Politik so weit zu kriegen, dass sie noch mal das Geld gibt. Man muss aber auch schauen, wo man das Geld umschichten kann. Verschieben wir zum Beispiel manche Missionen der ESA ein bisschen nach hinten, oder nehmen wir Geld aus der sogenannten Contingency Line, also dem Geld, das beiseite gelegt ist für Notfälle? Man muss also die verschiedenen Töpfe anzapfen um Geld zu bekommen. Man muss außerdem Pläne ändern. Die Industrie ist ja eigentlich ausgelastet, ihre Auftragsbücher sind voll. Man muss an allen Ecken und Enden schauen, wie an diese Mission noch mal da hinein quetscht. Es ging aber sehr schnell, weil alle am gleichen Strang gezogen haben. So konnte dann nach wenigen Monaten im Programmrat der ESA beschlossen werden: Wir bauen Cryosat ein zweites Mal.

Gab es Widerstand gegen diesen Beschluss?

Ganz wenig. Offenen Widerstand gab es gar nicht, aber es gab manche Mitgliedsstaaten und Delegationen, die vorhandene Kapazitäten lieber darauf verwendet hätten, andere Missionen möglichst schnell fertigzustellen. Natürlich gibt es da und dort Stimmen, die sagten: Moment, Vorsicht. Aber die große Mehrheit wollte die Mission noch mal haben. Neunundneunzig Prozent.

War es eine Option, gleich einen besseren, moderneren Satelliten zu entwickeln?

Sie müssen sich vorstellen, einen Satelliten, wie man im englischen sagt from scratch zu bauen, dauert zwischen sechs und zehn Jahren, je nachdem wie komplex er ist. Das heißt eine komplett neue Mission zu bauen war keine Option. Dafür war kein Geld da, das war nicht vorgesehen. Die einzige Option war zu sagen: Nachdem der Satellit gerade fertig war, und die Techniker sind noch da, die Pläne liegen noch auf dem Tisch, der Kaffee ist noch warm, das ist ein Window of Opportunity, da können wir den für ziemlich wenig Geld noch mal bauen. Wir konnten natürlich kleine Verbesserungen anbringen, aber ein kompletter Redesign wäre für das Geld in der kurzen Zeit nicht zu haben gewesen.

Was für Verbesserungen sind das?

Das sind Kleinigkeiten wie bestimmte Ausfallrisiken, die noch weiter minimiert wurden, zum Beispiel der Radarantenne, die Kommunikation ist noch eine Spur verbessert worden. Es sind alles kleine ingenieurstechnische Details, die nachjustiert worden sind. Die konkreten Neuerungen sind alle auf der Cryosat-Webseite aufgelistet, aber am Design im Großen und Ganzen hat sich natürlich nichts geändert.

Kann Cryosat hier auch ein Vorbild für zukünftige Projektlinien sein, dass man eine universelle Plattform als Framework entwickelt und daran dann nur die einzelnen Forschungsinstrumente aufhängt?

Ja und nein – eine klare Antwort. Im Prinzip ist es günstiger in Modulbauweise zu bauen. Das wird in vielen Fällen in der Raumfahrt gemacht, zum Beispiel bei Kommunikationssatelliten. Aber weniger bei wissenschaftlichen Satelliten, die dann doch immer sehr spezielle Anforderungen an Gewicht, Größe und Instrumente haben und wo welche Instrumente sitzen dürfen. Man kann generell sagen: Je standardisierter die Anwendung, desto standardisierter kann auch der Satellit sein. Je spektakulärer und einzigartiger die Anwendung ist oder die Erfordernisse, desto mehr muss man auf die Besonderheiten eingehen.

 

(Bild: ESA)

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