Modelle gegen Geodaten – wie stabil ist das Eis der Ostantarktis?

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Nach den derzeitigen Klimamodellen brauchen wir uns um den ostantarktischen Eisschild – die bei weitem größte zusammenhängende Eismasse des Planeten – auch langfristig keine Sorgen zu machen. Natürlich nicht, sollte man meinen, denn selbst bei einer deutlichen Erwärmung lägen die Temperaturen auf der kilometerdicken Eiskappe noch weit unter dem Gefrierpunkt. Allerdings ist andererseits so eine Eiskappe nicht mit einem Eiswürfel vergleichbar, vielmehr ist sie auf geologischen Zeitskalen ausgesprochen dynamisch, und über diese Dynamik wissen wir nach wie vor nicht allzu viel.

Genauer gesagt gibt es sogar ein Problem: Das was wir zu wissen glauben, stimmt nicht mit den Daten aus den Bohrkernen überein, die Forscher aus der Antarktis mit zurück gebracht haben. Nach den derzeit aktuellen Klimasimulationen sollte das Inlandeis die gegenwärtige Erwärmung gut verkraften – im Modell muss die Kohlendioxidkonzentration auf das Achtfache des vorindustriellen Wertes steigen, bevor das Eis schmilzt. Vor etwa 15,5 Millionen Jahren war ähnlich viel Kohlendioxid in der Luft wie heute und das Klima nur geringfügig wärmer – trotzdem ist laut Bohrkerndaten der ostantarktische Eisschild zu jener Zeit drastisch geschrumpft.

Die Forscher weisen natürlich darauf hin, dass die Ergebnisse nur vorläufig sind, aber an der grundsätzlichen Stoßrichtung scheint es keinen Zweifel zu geben: Der McMurdo-Sund, heute direkt neben dem größten Schelfeis der Antarktis gelegen, erlebte im mittleren Miozän drastische Schwankungen in Eisbedeckung und Vegetation – und das mehrfach. Anders kann man die Bohrkerne kaum interpretieren. Über einen Zeitraum von 6 Millionen Jahren wechseln sich grobe glaziale Sedimente ab mit feineren Ablagerungen, die auf eisfreie Zeiten hindeuten.

Dazu fanden die Forscher Pollen von Blütenpflanzen und Süßwasseralgen sowie die chemischen Spuren marinen Lebens, die mit der Eisbedeckung schwanken. Das Ganze ist in gewissem Rahmen natürlich interpretierbar, aber in einer etwa zwei Meter dicken Schicht steigt die Pollenkozentration auf das Zweitausendfache des Normalmaßes, und das ist eigentlich nur durch eine wirklich drastische Erwärmung erklärbar. Ein weiteres Indiz dafür sind Erosionsspuren aus dem gleichen Zeitraum: Große Mengen Wasser strömten von den ostantarktischen Gletschern ab, so viel und so lang, dass die Fluten veritable Canyons ins Gestein frästen.

Das allein sagt natürlich noch nichts über die Gletscher der Ostantarktis selbst, aber wir wissen aus weltweiten geologischen Daten, dass der Meeresspiegel just zu jener Zeit bis zu 40 Meter höher lag als heute. Das ist mehr als doppelt so viel Wasser wie Grönland und die Westantarktis zusammen liefern könnten. Ergo muss damals ein Teil der östlichen Eiskappe abgeschmolzen sein, der so groß war wie Grönland und die Westantarktis zusammen. Das Szenario kann man drehen und wenden wie man will, es läuft darauf hinaus, dass die Ostantarktis doch nicht ganz so stabil ist wie die Modelle vorhersagen.

Die an ANDRILL beteiligten Forscher spekulieren, dass das möglicherweise daran liegen könnte, dass der antarktische Kontinent unter der Eiskappe tiefer liegt als gedacht, so dass bei einem Anstieg des Meeresspiegels größere Bereiche des Eises aufschwimmen und anfälliger werden, vergleichbar mit den Eisschelfen der Antarktischen Halbinsel, die ja in den letzten Jahren reihenweise den Bach runtergegangen sind.

Ein Blick auf die Performance der Klimamodelle für das arktische Meereis eröffnet allerdings auch eine andere Interpretation: Vielleicht sind die gegenwärtigen Klimamodelle einfach noch nicht gut genug, um die Reaktion der großen Eiskörper auf ein gegebenes Klimasignal korrekt zu bestimmen. Der Rückgang des arktischen Meereises wird speziell von den IPCC-Vorhersagen massiv unterschätzt, seine Fläche liegt konsistent etwa 40 Prozent unter den Prognosen. Ich persönlich vermute auch, dass wir uns bei den Cryosat-Daten zur Eisdicke auf unerfreuliche Überraschungen gefasst machen müssen.

Man kann die Möglichkeit nicht ausschließen, dass sämtliche Modelle die Dynamik der Cryosphäre insgesamt stark unterschätzen. Es ist auffällig, dass auch beim Schneeballerde-Szenario die Klimasimulationen teilweise seltsame und mit den geologischen Spuren inkonsistente Ergebnisse ausspucken. Vielleicht wirken da auch unterschwellige Annahmen über das „ewige“ Eis der Pole mit hinein, oder die Klimaforschung ist insgesamt zu konservativ, was extreme Szenarien angeht.

(via FishOutOfWater/DailyKos)

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