Norovirus: Der “perfekte Krankheitserreger” als Haustier

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Jetzt, da die allgemeine Ebola-Panik ein bisschen abgeflaut ist und sich die Situation vor Ort wohl schrittweise verbessert, kann ich mich ja mal wieder den etwas weniger prominenten Krankheiten widmen. Interessante Neuigkeiten gibt es vom Norovirus zu vermelden: Nach Jahrzehnten vergeblicher Versuche kann man die Erreger jetzt in Zellkultur züchten. Das dürfte der Forschung an Behandlung und Impfstoffen dringend benötigten Anschub geben.[1]

Noroviren werden ja allgemein nicht so richtig ernst genommen, weil sie vor allem im Zusammenhang mit Großer Scheißerei auf Kreuzfahrtschiffen populär geworden sind. Da stirbt halt kaum mal jemand, weil Noro nur für wenige Infizierte wirklich lebensgefährlich ist und die Klientel auf solchen Schiffen im Zweifel Zugang zu guter medizinischer Versorgung hat.

Wo das nicht der Fall ist, töten Norovirus-Infektionen über 200 000 Menschen pro Jahr, und auch hierzulande sind die Dinger speziell in Seniorenheimen ein Dauerproblem. “Das Norovirus” ist in Wirklichkeit eine ganze Familie verwandter Viren mit ähnlichen Eigenschaften, die Virenforscher schon mal als perfekte Krankheitserreger bezeichnen. Noro ist selten tödlich, aber dafür extrem ansteckend (20 Viren reichen für eine Infektion), wird in gigantischen Mengen ausgeschieden (bis zu 100 Milliarden Viren pro Gramm Durchfall), ist gegen Hitze und Kälte resistent und überlebt auf Oberflächen etwa zwei Wochen. Anstecken kann man sich über Schmier- und Tropfeninfektion, kontaminierte Lebensmittel, Wasser und sogar per Aerosol, was bei Durchfallerregern eigentlich unüblich ist.

Die Biester sind also ausgesprochen schwer wieder loszuwerden (besonders wenn man seine Katze vollkotzt), und das, obwohl sie bloß neun Protein-codierende Gene haben. Wie genau sie mit dieser Minimalausstattung solchen Ärger machen können, ist weitgehend unbekannt, eben weil man Noroviren bisher nicht in Zellkultur studieren konnte. Man nutzt zwar seit ein paar Jahren Mäuse-Noroviren als Labormodell, aber ob Maus-Noro und Mensch-Noro sich ähnlich sind, weiß man nicht. Woher auch?

Mit Bakterien-Hilfe in die Immunzellen

Eigentlich sollte es nicht so schwer sein, Noro im Labor zu züchten. Man nimmt einfach ein bisschen Darmwand in einer Petrischale, gibt kontaminierte Proben darauf und wartet. Aber wenn man die Viren auf solche Darmkulturen gibt, passiert – nichts.

Dank einer aktuellen Veröffentlichung in Science weiß man auch die Gründe dafür: Noroviren befallen gar nicht die Innenauskleidung des Darms, sondern B-Zellen, spezielle Immunzellen in der Darmwand. Dass die B-Zellen das Ziel der Viren sein könnten, darauf deuten frühere Tests an Mäusen hin: Tiere ohne B-Zellen werden weniger schwer krank. Allerdings gibt es noch einen zweiten wichtigen Faktor – die Viren brauchen die Hilfe bestimmter Bakterien, um die Zellen zu infizieren.

Ein unkomplizierter Test mit menschlichen B-Zellen und Noro-verseuchten Fäkalien brachte zwei Ergebnisse: Erstens infiziert Noro tatsächlich die B-Zellen, und zweitens funktioniert das weit besser, wenn die Stuhlprobe nicht gefiltert ist. Es stellte sich heraus, dass Noro zum Infizieren der Zelle bestimmte Zuckerstrukturen braucht, die Histo-Blutgruppenantigene. Die sitzen (unter anderem) an der Oberfläche bestimmter Darmbakterien – der Grund, weswegen ein Bakterienfilter Noroviren den Schneid abkauft, und vermutlich auch die Ursache des Scheiterns aller bisherigen Kultivierungsversuche.

Mehr Fragen als Antworten

Das heißt, wenn man B-Zellen und das zum jeweiligen Noro-Stamm passende Antigen hat, kann man die Viren in Kultur vermehren und ihren Lebenszyklus genau untersuchen. Das sollte vor allem die bisher im Schneckentempo vorankriechende Suche nach einem Impfstoff ein bisschen schneller voranbringen. Zumindest auf lange Sicht. Aber erst einmal wirft das Ergebnis neue Fragen auf.

Zum Beispiel ist ziemlich klar, dass die B-Zellen bestenfalls die halbe Geschichte sind – man würde eigentlich nicht vermuten, dass ihr Befall schweren Durchfall auslöst. Außerdem infiziert der Erreger auch Mäuse, die durch eine genetische Veränderung gar keine B-Zellen herstellen, es muss also weitere Zelltypen geben, in denen sich Noroviren vermehren, eventuell im Nervensystem. Ob die dann aber beim Durchfall eine Rolle spielen, ist nicht gesagt. Eine andere Möglichkeit wäre, dass Noro die B-Zellen zwingt, irgendein Toxin zu produzieren, das Durchfall und Erbrechen auslöst.

Zumindest das wird man in Zellkultur relativ bald aufklären. Wir dürfen uns auf einen ganzen Haufen neuer Noro-Veröffentlichungen in den nächsten Jahren freuen.

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[1] Der Haken an der Sache ist, dass das “perfect human pathogen” spätestens jetzt auch der Waffenforschung zugänglich ist. Die Caliciviren, zu denen die Noroviren gehören, fallen beim CDC in die Kategorie B der potenziellen Biowaffen. Allerdings sind die Dinger so robust und so ansteckend, dass sie möglicherweise mit vergleichsweise wenig Aufwand einen beträchtlichen Effekt haben. Für Bioterror sind die Dinger zwar zu harmlos, aber eine Armee oder auch eine größere Protestbewegung kann man mit Noroviren wahrscheinlich eine ganze Weile ausbremsen.

1 Kommentar

  1. Noroviren töten wie viele “harmlose” Viren (z.B. Grippeviren) nebenbei. Nur selten kann man sie explizit verantwortlich machen für den Tod eines Betroffenen, doch für Geschwächte sind Durchfallerkrankungen wie sie von Noroviren verursacht werden oft fatal.

    Rezept für die perfekte Biowaffe: Man nehme die hohe Infektiosität eines Norovirus und kombiniere sie mit der Letalität eines Ebolavirus. In der kurzfristigen Wirkung könnte da nicht einmal ein globaler Atomkrieg mithalten.

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