Peer Review und der offene Brief der Stammzellforscher

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Man sollte vielleicht das etwas schiefe Bild zurechtrücken, das derzeit vom aktuellen offenen Brief der 14 Stammzellforscher zu entstehen scheint. Zumal es generell die große Mode zu sein scheint, Manipulationen in der Wissenschaft – oder auch nur Gerüchte darüber – ganz besonders hoch zu hängen, möglicherweise als Ausgleich für die unkritischen Jubelartikel über Homöopathen und andere Quacksalber.

Tatsächlich sind die Klagen über Probleme des Peer Reviews nichts überwältigend Neues und schon gar nicht stammzellspezifisch. Viele Wissenschaftler und Institutionen sind seit Jahren unglücklich über die Schwächen des Systems. Die Reviewer haben in dem System große Macht und, da sie selbst aktive Forscher sind, eigene Interessen. Oder sie haben zu viel zu tun und müssen mehrmals aufgefordert werden, ihren Job zu machen. Mir sind Fälle zu Ohren gekommen, in denen Reviewer erst auf Klagedrohungen durch Anwälte reagierten.

Wie sehr der Ärger mit dem Peer Review zum Running Gag unter Wissenschaftlern geworden ist, verdeutlicht das nachfolgende Video.

Dementsprechend diskutieren Wissenschaftler und Verlage über Möglichkeiten, das System zu verbessern. Dazu gibt es verschiedene Ansätze, die alle ihre Vor- und Nachteile haben. Nature hat zum Beispiel schon 2006 mit einem offenen Review in Form einer Kommentarfunktion experimentiert, es gibt Preprint-Server wie ArXiv, und Möglichkeiten, die ArXiv-Papers zu bewerten, die totale Transparenz des Review-Prozesses wie vom British Medical Journal praktiziert und so weiter. All das fasst man unter dem Schlagwort Open Peer Review zusammen.

Die 14 Autoren des offenen Briefs schlagen sich jetzt auf die Seite der Lösung, die wohl für alle Seiten momentan die praktikabelste Lösung ist und die bereits von einigen Zeitschriften praktiziert wird. Sie fordern, dass die Gutachten der Reviewer sowie der Schriftverkehr zwischen allen Beteiligten als Anhang der eigentlichen Veröffentlichung publiziert werden. Wie das aussehen würde, kann man zum Beispiel in diesem Paper sehen, das ich vor einer Weile besprochen habe.

Das Modell löst natürlich nicht auf einen Schlag alle Probleme des Peer Reviews, aber es schafft Transparenz. Insofern wäre es eine wichtige Verbesserung. Nicht zu verachten ist auch der inhaltliche Wert der Gutachten, die zusätzlichen Kontext liefern und wichtige Aspekte noch einmal herausstellen. Der Peer Review als solcher ist im Grunde eine ganz großartige Erfindung, deren Wert bei allen Schwächen nach wie vor unbestritten ist, wie die Autoren des offenen Briefes auch explizit betonen.

4 Kommentare

  1. Sehe ich genauso…

    … ich habe schon unzählige Stunden mit dem Verfassen von detaillierten Gutachten verbracht, die dann in irgendeiner Schublade gelandet oder vom Autor mit einem „Dank an einen anonymen Begutachter“ in die Arbeit übernommen worden sind. Eine Veröffentlichung der Gutachten unter dem Namen des Gutachters würde den Begutachtungsprozess nicht nur transparenter machen, sie wäre auch ein positiver Anreiz, da sie zumindest als kleine Veröffentlichung vergleichbar mit einer Diskussionsnotiz o.ä. zählen würde.

  2. Das ist ein interessantes Argument. Die Autoren des offenen Briefes wollen die Reviews ja anonymisieren. Aber eigentlich sind die dann ja fast noch einfacher zu erraten als die Autoren, insofern sehe ich den Punkt nicht.

  3. Ablehungen?

    Ging es im Fall der Stammzellforscher nicht ursprünglich darum, dass Paper angeblich unberechtigterweise abgelehnt wurden? Oder war das Hauptproblem die Verschleppung?

    So oder so, was soll eigentlich mit Papern passieren, die aufgrund der Reviews abgelehnt werden?

  4. @Stefan: Meiner Meinung nach kann ein Paper nur abgelehnt werden, wenn es nicht zur wissenschaftlichen Zeitschrift passt (vom Thema her), erhebliche Mängel aufweist (es wird dann um Nachbesserungen gebeten)oder es sich um keine bahnbrechende Neuerkenntnis handelt. Bei den Stammzellforschern besteht eben das Problem, dass es sich um ein enormes Potential handelt (Heilung von fast allen Krankheiten) und so der Konkurrenzdruck in die Höhe schnallt. Es wundert daher kaum, dass Peer-Reviewer (die ebenfalls an dem Thema forschen) versuchen, die Publikation der Ergebnisse ihrer Kollegen zu verzögern. Angeblich soll dies aber nicht der Fall sein, da die Zeitschriften die Peer-Reviewer nach bestimmten Kriterien einteilen, die genau solche Manipulation verbieten sollten. Ich denke mal jeder der beiden Seiten hat recht, deswegen macht es echt Sinn, das System “öffentlich” zu machen, wie es ja schon vergeschlagen wurde.
    Bei abgelehnten Papern muss man unterscheiden: Wurden sie abgelehnt aufgrund von Mängeln, dann muss nachgebessert werden (evtl. neue Versuche). Wurde das Paper allerdings komplett abgelehnt, so wird es meistens in Zeitschriften mit geringeren Impact-Factor veröffentlicht oder in der Public Library of Science.

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