Phosphor und der Ursprung des Lebens

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Phosphorverbindungen spielen als Bestandteile des Erbguts, des Energiestoffwechsels und vieler zellurärer Signalketten eine entscheidende Rolle in allen Lebewesen. Wissenschaftler gehen deswegen davon aus, dass bereits die ersten Anfänge des Lebens auf Phosphor angewiesen waren – doch in welcher Form?

Auch wenn den Weg der chemischen Evolution zum ersten Leben auf der Erde noch nicht kennen, dass geeignete organische Chemikalien als Baumaterial zur Verfügung stand, steht außer Frage. Komplexe organische Verbindungen entstehen unter den Bedingungen der frühen Erde quasi von selbst, sei es unter Mithilfe von Blitzentladungen oder photokatalytisch durch UV-Licht. Zusätzlich werden sie permanent von Meteoriten frei Haus geliefert.

Rätselhaft ist dagegen nach wie vor die Herkunft der Phosphate, die in der Chemie des Lebens eine entscheidende Rolle spielen. Die energiereichen Bindungen zwischen den Phosphateinheiten des ATP (Adenosintriphosphat) liefern die Antriebskraft für die meisten biochemischen Reaktionen, und es sind Phosphate, die die Bausteine des Erbguts miteinander verbinden.

Dass diese Rolle gerade den Phosphaten zufällt ist chemisch betrachtet einigermaßen kurios: Gerade Phosphatverbindungen werden unter präbiotischen Bedingungen eigentlich kaum gebildet, denn es fehlen schlicht die Ausgangsstoffe. Die bei weitem am häufigsten natürlich vorkommenden Phosphorminerale Fluorapatit und Hydroxyapatit sind schlecht wasserlöslich. Als Komponenten einer präbiotischen Phosphorchemie sind sie deswegen denkbar ungeeignet.

Orgel et al. haben zwar vor Jahren demonstriert, dass phosphorylierte Nucleotide, die Grundbausteine von DNA und RNA, auf direktem Wege aus anorganischen Phosphaten entstehen können, wenn Harnstoff und anorganische Katalysatoren zugegen sind. Allerdings passiert das vor allem bei Wasserentzug, also zum Beispiel in einer austrocknenden Salzpfanne, und die beteiligten Phosphate müssen erst einmal im Wasser gelöst sein, damit man sie auf diese Weise aufkonzentrieren kann. Diese Variante ist elegant, aber unwahrscheinlich.

Es liegt also nahe, dass der Phosphor in der Form, in der er auf der Erde normalerweise vorkommt, nicht an der Entstehung des Lebens teilgenommen hat. Als die chemische Evolution begann, muss Phosphor in einer anderen, exotischen Variante vorgelegen haben – aber in welcher, und warum?

Exotische Phosphate
Dass es keine plausible Erklärung für das Vorhandensein dieses für die Biologie ganz entscheidenden Elements galt lange als große, nahezu unüberwindbare Hürde der präbiotischen Chemie. Inzwischen allerdings verstehen Wissenschaftler die Chemie des Phosphors dank neuer Messungen und Experimente wesentlich besser als 1955, dem Jahr in dem das Phosphatproblem erstmals umfassend diskutiert wurde.

Im interplanetaren Raum zum Beispiel kommt Phosphor in für irdische Verhältnisse sehr ungewöhnlichen Formen vor. Unter den interessanten Verbindungen, die Chemiker aus dem Murchison-Meteoriten extrahierten, befanden sich unter anderem auch Phosphonsäuren, die als Komponenten einer präbiotischen Chemie im Gespräch sind. Dazu fand man natürlich auch die Phosphite, aus denen die Phosphonsäuren entstanden waren. Auch die Vielfalt anorganischer Phosphorverbindungen in Meteoriten ist bemerkenswert, man fand neben dem Phosphit und den gängigen Apatiten auch Chlorapatit, Whitlockit und das überraschend reaktive Schreibersit (Fe,Ni)3P in nennenswerten Konzentrationen. Dass diese Stoffe tatsächlich in die chemische Evolution involviert waren, ist eher unwahrscheinlich, sie zeigen allerdings, dass da draußen mehr ist als nur Phosphat.

Neben den Apatiten kommen auf der Erde in geringen Mengen kondensierte Phosphate, reaktive verwandte des Phosphats, vor. Das sind Ketten aus zwei oder mehr Phosphatgruppen, die im Umfeld von Vulkanismus auf natürliche Weise entstehen können. Zum Beispiel Pyrophosphat, das in Fumarolen nachgewiesen wurde, oder Phosphorpentoxid, das aus Magma ausgast. Sie entstehen ebenfalls, wenn man normale anorganische Phosphate zusammen mit Harnstoff erhitzt. Sie sind in der Lage, einzelne Phosphatgruppen auf anderweitig entstandene komplexe Moleküle zu übertragen.

Die kondensierten Phosphate reagieren zum Beispiel mit Zuckern zu Phosphorsäureestern oder mit Aminosäuren zu reaktionsfreudigen Zwischenprodukten. Als Bonus enthalten sie bereits das entscheidende Strukturmerkmal von ATP, dem Träger chemischer Energie in der Zelle. All das passt recht gut in Hypothesen, die die Entstehung des Lebens in der Nähe hydrothermaler Fluide verorten. Das Problem ist allerdings, dass die Konzentrationen dieser Verbindungen in den vulkanischen Fluiden gering sind – zu gering für präbiotische Chemie. Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Kommentar von R. J. P. Williams zu diesem Paper: Demnach kann ein Protonengradient über eine Membran die Entstehung von Pyrophosphat katalysieren – möglicherweise ein weiteres Argument für die Bedeutung primitiver Membranen für die Entstehung des Lebens.

Vulkanisches Phosphit
Theoretisch können die natürlich vorkommenden Phosphatmineralien auch einfach zu Phosphit (PO32-)reduziert werden. Das ist etwa tausendfach besser in Wasser löslich als Phosphat und könnte deswegen zum Beispiel ganz normal angereichert werden und an chemischen Reaktionen teilnehmen. Das Grundproblem hier ist, dass die Reduktion von Phosphat zu Phosphit sehr viel Energie erfordert und deswegen lange als relativ unwahrscheinlich galt. Laborversuche haben jedoch gezeigt, dass es eine spektakuläre Möglichkeit gibt, wie Vulkane während ihrer Eruptionen große Mengen Phosphit erzeugt haben könnten.

Elektrische Entladungen nämlich verwandeln unter Bedingungen ähnlich der frühen Erdatmosphäre Phosphate sehr effektiv in Phosphit. Dazu muss natürlich sehr viel phosphathaltiger Staub in der Nähe der Blitze sein, wie es zum Beispiel in der Eruptionswolke von Vulkanen der Fall ist. Da der Vulkanismus auf der frühen Erde intensiver war als heute, könnten suf diese Weise beträchtliche Mengen Phosphit entstanden und in die Ozeane gelangt sein. Das so entstandene Phosphit reagiert dann unter ultravioletter Strahlung mit organischen Verbindungen zu Phosphonsäuren oder ganz konventionell mit Zuckern zu Phosphorigsäureestern.

Das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Phosphat-Problem nach wie vor zu den größten ungelösten Rätseln der präbiotischen Chemie gehört. Wir sehen allerdings auch, dass die Phosphorchemie wesentlich vielfältiger ist als die Pioniere der chemischen Evolution vermuteten – dort warten noch einige Überraschungen auf die Chemiker.

2 Kommentare

  1. @ Lars

    Toll, Lars, das ist ja wahnsinnig spannend und interessant, war ein Vergnügen deinen Artikel zu lesen!

    Bin gespannt, was zu diesem Thema noch kommen wird.

    lg
    Martina Grüter

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