Schneeball Erde – die Datenlage zum brutalsten aller Klimawandel

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Unsere Erde war nicht immer der milde und lebensfreundliche Planet, als der sie sich heute darstellt. Vor gerade mal 700 Millionen Jahren, das zeigen Ablagerungen aus jeder Zeit, kalbten Gletscher selbst in tropische Meere. Doch wie die Welt zu jener Zeit wirklich aussah, darüber streiten die Geologen, und neuerdings auch Klimaforscher

Reden wir vom Klimawandel. Und zwar von einem wirklich drastischen, nämlich von den Phasen totaler oder fast totaler Vereisung, deren geologische Spuren man auf allen Kontinenten findet. Zwei globale Eiszeitalter mit Gletschern bis in die Tropen, bekannt unter dem Begriff Schneeballerde, gelten derzeit als einigermaßen gesichert: Einerseits die Makganyene-Episode vor ungefähr 2,2 Milliarden Jahren, von der nur in Südafrika noch Spuren zu finden sind und über die wir wenig wissen. Besser ist die Fundlage dagegen für den Zeitraum von vor 850 bis etwa 630 Millionen Jahren, die auf mindestens zwei große Vereisungszyklen in diesem Zeitraum hindeutet.

Über die Ursache kann man nur mutmaßen. Die nach wie vor beliebteste Hypothese, nämlich die ursprüngliche von Joe Kirschvink, geht davon aus, dass die Verteilung der Kontinente den Ausschlag gab: Vor etwa 800 Millionen Jahren waren die Landmassen im Superkontinent Rodinia in der Nähe der Tropen konzentriert. Das hätte zwei Folgen, die beide eine Abkühlung begünstigen: Zum einen reflektiert Land mehr Energie als Wasser, und zum anderen verwittert Gestein in den Tropen schneller, so dass die Atmosphäre Kohlendioxid verliert. Zusätzlich vergletschern Kontinente leichter als Ozeane. Das ist ein Teufelskreis an dessen Ende, so die These, eine völlig tiefgefrorene Erde steht.

Die geologischen Spuren zeigen jedenfalls, dass sich in dieser Periode, Cryogenian genannt, dramatische Umwälzungen abspielten. Parallel zum Vorrücken der Gletscher froren bedeutende geochemische Kreisläufe wie die von Wasser und Kohlendioxid quasi mit ein. Als sie dann am Ende der Vereisungen wieder in Gang kamen, hatten sie einiges nachzuholen: Die Welt war bedeckt mit Gesteinsmehl, das sich über Äonen unter Gletschern angesammelt hatte ohne zu verwittern.

Gigantische Mengen Calcium und Magnesium gelangten ins Meer und verbanden sich mit dem Kohlendioxid, das sich inzwischen in der  Atmosphäre angereichert hatte. Sie bilden eine global nachweisbare Schicht aus ungewöhnlichen Kalksteinen, die direkt auf Eiszeitsedimenten des Cryogeniums lagert. Man nennt sie deswegen Cap Carbonates. Andere Verwitterungsprodukte wie Bor, Mangan und andere fielen mit ihnen aus und geben speziell der Basis der Cap Carbonates  eine einzigartige chemische Zusammensetzung.  Weiteres Zeugnis des Ereignisses sind weit verbreitete Bändereisenerz-Formationen, sie entstanden als die Ozeane zum ersten Mal wieder mit Sauerstoff in Berührung kam und das gesamte gelöste Eisen ausflockte. Die globale Vereisung endete in einer  globalen chemischen Katastrophe.

 

Die Spuren des Eises

Die Indizien für das Schneeball-Szenario sind vielfältig. Die Sedimentfolgen jener Zeit sind charakteristisch für Gletscherschutt: Ein Gemisch aus Sand, Kies und zerschrammten Geröll. Ablagerungen aus tieferen Wasserschichten enthalten große Brocken, die in Eisbergen aufs offene Meer getragen wurden. Solche glazialen Sedimente findet man unter anderem in  Australien, Norwegen,  Namibia, Brasilien und Nordamerika aufgeschlossen. Das eigentlich erstaunliche ist allerdings die Restmagnetisierung, die an diesen Gesteinen gemessen wurde: Sie zeigt, dass zur Zeit der Ablagerungen die Feldlinien des Erdmagnetfeldes fast parallel zur Oberfläche liefen – was nur in der Nähe des Äquators der Fall war.

Ein weiteres Zeichen dafür, dass Gletscher bis in tropische Regionen vorgestoßen sind, bietet Gletscherschutt, der direkt auf unzweifelhaft tropischen Carbonatplattformen liegt  – als wenn plötzlich eine Gletscherzunge auf dem Great Barrier Reef auftauchen würde.

Das immense Ausmaß der Vereisung demonstrieren neuere Daten über Meeresspiegelschwankungen jener Zeit. Mehr als einen Kilometer tief wurden einige der Carbonatplattformen erodiert, die kurz zuvor noch in flachem Wasser entstanden waren – das Wasser war weg, eingeschlossen in Eiskappen, die ganze Kontinente bedeckt haben müssen.

 Typische Abfolge von glazialen Sedimenten und Cap Carbonates. Quelle: snowballearth.org

Auch das Ende der Vereisungsperiode hat weltweit charakteristische Spuren hinterlassen: eine dünne Schicht aus Carbonatgestein, die nahezu überall auf der Welt direkt über den eiszeitlichen Sedimenten liegt. Diese Schicht ist das Produkt des über Jahrmillionen in der Atmosphäre angesammelten Kohlendioxids, das sich beim Abschmelzen des Eises in den Ozeanen löste und dort zusammen mit den von den Gletschern zermahlenen Mineralien als Karbonat ausfiel. Merkmale der Schicht deuten darauf hin, dass zu dieser Zeit gigantische untermeerische Erdrutsche nur aus kleinen Carbonatkügelchen bestanden, und dass vom Meeresboden dezimetergroße Kristalle aus Aragonit emporwuchsen. Für Jahrtausende muss der Ozean mit Kohlendioxid übersättigt gewesen sein.

Diese Carbonatschicht erklärt auch das relativ plötzliche Ende der Eis-Episode: Das von Vulkanen ausgestoßene Kohlendioxid konnte dank der Eiskappen weder Gestein verwittern noch sich im Ozean lösen. Es sammelte sich an, bis irgendwann der Treibhauseffekt stark genug war, die Gletscher abzutauen. Und dann schlug das Pendel in die andere Richtung aus: Gigantische Wellenrippel in der Carbonatschicht zeugen von den gewaltigen Stürmen, die in diesem Supertreibhaus tobten und das Meer bis in mehrere hundert Meter Tiefe aufwühlten.

Offene Fragen
Doch all das beantwortet nicht die entscheidende Frage: Wie schwerwiegend war die Vereisung wirklich? War tatsächlich der komplette Planet fast zehn Millionen Jahre lang unter einem Eispanzer eingeschlossen, wie die ursprüngliche Schneeball-Hypothese vorsieht? Oder gab es Bereiche offenen Wassers, in denen sich Photosynthese treibende Algen halten konnten?

Spuren des Supertreibhauses: Meterhohe Wellenrippel, entstanden in mehr als 200 Meter Wassertiefe. Quelle: snowballearth.org

Wie lange die ursprüngliche Vereisung dauerte, schließt man aus der Konzentration eines Spurenelementes in den untersten Schichten der Deckencarbonate: Iridium. Dieses Metall kommt hauptsächlich in Kometen und Meteoriten vor und rieselt mit konstanter Rate auf die Erdoberfläche. In den Carbonaten ist Iridium angereichert, man kann ausrechnen, wie lange sich das Element in einer globalen Eiskappe angesammelt haben musste, um beim Auftauen die gefundene Menge freizusetzen: Etwa zwölf Millionen Jahre.

Die anschließende dünne Carbonatschicht dagegen bildete sich in weniger als zehntausend Jahren in einem gewalttätigen globalen Supertreibhaus aus, in dem gigantische Stürme tobten und der Meeresspiegel binnen kürzester Zeit um mehr als einen Kilometer anstieg.

Es gibt gute Indizien dafür, dass es sich so abgespielt hat, doch unbestritten ist das nicht, denn es gibt auch Widersprüche. Direkte Uran-Blei-Datierungen an vulkanischen Gesteinen in Kanada zeigen, dass die dortigen glazialen Gesteine über einen Zeitraum von höchstens einer Million Jahre entstanden. Es könnte sich um eine lokale Besonderheit handeln, sicher ist das aber nicht.

Ein vergleichbares Problem gibt es bei den Daten der Kappencarbonate. In denen wollen Forscher nämlich die Signatur einer oder mehrerer Umpolungen des Erdmagnetfeldes erkannt haben – und jede von denen dauert bis zu mehrere zehntausend Jahre. Stimmt der Befund, ist entweder die angenommene Dauer der Ablagerung falsch, oder es gibt einen noch unbekannten Zusammenhang zwischen Magnetfeld und Gletscherschmelze, für den allerdings kein plausibler Mechanismus existiert – nicht im Modell noch sonst wo. Alternativ ist möglich, dass die Orientierung des Magnetfeldes in den Gesteinen auch von anderen Faktoren abhängt als dem Erdmagnetfeld. Dafür wären allerdings Belege nötig, da die Orientierung des Magnetfeldes in den glazialen Sedimenten eine tragende Säule der Schneeball-Hypothese und auch gut belegt ist.

Wie dicht war der Eispanzer?
Einige geologische Indizien deuten darauf hin, dass der Eispanzer zumindest eine Weile lang nahezu die ganze Erde einschloss: Isotopensignaturen in etwa 720 Millionen Jahre alten Sedimenten lassen sich dahingehend interpretieren, dass die Photosynthese im Meer zu dieser Zeit nahezu zum Stillstand gekommen war. In diese Richtung deuten auch die schon erwähnten Bändereisenerze.

Dennoch halten viele Wissenschaftler das Szenario einer Millionen Jahre andauernden totalen Vereisung für wenig plausibel. Sedimentstudien zeigen, dass sich auch während der stärksten Vereisung ganz normale marine Ablagerungen bildeten, und andere Forscher fanden Wellenrippel, die zu ihrer Entstehung offenes Wasser brauchen. Abgesehen davon hätte, so das Argument, eine vollständige Eiskappe das Leben auf der Erde viel nachhaltiger dezimiert und seine Rückkehr um viele Millionen Jahre verzögert.

Moderne Klimamodelle können die angenommenen Vereisungszyklen allerdings inzwischen simulieren, und diese Modelle zeigen eindeutig, dass die alternative Hypothese der nur teilweise überfrorenen Erde metastabil ist. Auch die Anhänger dieser Idee sind inzwischen der Ansicht, dass sich in so einem Fall die voll entwickelte Schneeball-Erde durchsetzt, dank der  übermächtigen Forcings von Eisdynamik und vor allem Eis-Albedo-Feedback.

Es fehlen also nach wie vor wesentliche Puzzlesteine im Gesamtbild. Einer davon ist möglicherweise das Leben. Einige Wissenschaftler sind der Ansicht, dass neue Stoffwechselwege die Atmosphäre verändert haben und so die große Vereisung einleiteten. Ein anderer Aspekt, dem im Zusammenhang mit der Instabilität verschiedener Szenarien große Bedeutung zukommen könnte, sind die Milankovic-Zyklen, die dioe Erdbahn im Bereich von mehreren Zehn- bis Hunderttausend Jahren verändern und zu den vermuteten kurzfristigen Schwankungen in der Eisbedeckung der Ozeane geführt haben könnte. Die Vergangenheit des Erdklimas gibt noch große Rätsel auf.

 

13 Kommentare

  1. Ich verstehe nicht, wie ein solches System den Eiszustand wieder verlassen könnte? Der Albedo der Erde mit Eispanzer muss doch sehr hoch sein? Es wird auch kaum einen Wasserdampftreibhauseffekt geben wie heute? Der reine CO2-Treibhauseffekt bringt doch nur ca. 1K pro CO2-Verdopplung. Würde an den Polen dann nicht auch der Siedepunkt des CO2 unterschritten werden können?

  2. @adenosine

    Gewaltige Vulkanausbrüche mit großflächigen Ascheablagerungen auf dem Eis oder ein Meteoriteneinschlag wären denkbare Ursachen zur Änderung dieses Zustandes – aber das ist jetzt nur Spekulation.

  3. @adenosine

    ich hab noch was vergessen:
    Auch die Präzession (sich ändernde Neigung der Erdachse zur Sonne) könnte eine Änderung von Temperaturen bewirken

  4. @ adenosine

    Im Artikel wird ja erwähnt, daß sich in der Atmosphäre jede Menge Kohlendioxid angereichert hat. Vielleicht kam es dadurch zum Treibhauseffekt? (Ist jetzt allerdings auch nur die Vermutung eines Laien. :-))

  5. @adenosine

    *Der reine CO2-Treibhauseffekt bringt doch nur ca. 1K pro CO2-Verdopplung.*

    Das würde völlig reichen, denn das Eis-Albedo-Feedback funktioniert auch in die andere Richtung: Wenn das Eis am Äquator weg ist, steigt die Temperatur rapide.

  6. Bändereisenerze

    Wo gab es denn vor 600 Millionen Jahren noch nennenswerte Bildung von Bändereisenerzen? Soweit ich mich entsinne, verschwanden die bereits vor 1,8 Milliarden Jahren von der geologischen Bildfläche? Die Zeit der Bändereienerze liegt weit vor dem Cryogenium

  7. Bändereisenerze

    Ja, aber die sind alle älter als das Cryogenium. Wie gesagt, die zeit der Bändereisenerze ging vor 1,8 Milliarden Jahren vorbei, das Cryogenium liegt aber bei 850 bis 630 Millionen Jahre. Da gab es soweit ich weiß, keine Bändereisenerze mehr

  8. Erderwärmung

    Ich habe vor kurzem eine Reportage über den Klimawandel gesehen. Es heisst, dass wir imme rnoch in einer Eiszeit leben und die lieben Politiker uns etwas ganz Falsches erzählen.

    Ich habe mir viel von dem angenommen, was der Klimaforscher erzählt hat, denn er stellte alles in Frage, was unsere Politiker versuchen uns zu erzählen.

    Ich glaube der Politik nicht mehr!

  9. es muss so kommen

    ich bin fest der meinung das eine eiszeit sowas wie ein selbstheilungsprozess ist. nur diesmal wird die natur die eine spezielle krankheit heilen welche sie befallen hat, den menschen!

  10. Die Erde als Eisplanet bzw. Schneeball

    Es gibt offenbar eine Aussterbe-Welle alle 71,75 Millionen Jahre, wofür die Nachbargalaxis Andromeda verantwortlich ist. Und es existiert eine weitere Aussterbe-Welle alle 30 Millionen bzw. 60 Millionen Jahre, für die die Schwankung unseres Spiralarms der Milchstraße verantwortlich ist. Die Folgen sind jeweils verstärkter Meteoriten-Beschuss der Erde, weil durch Andromeda und durch die Schwankungsumkehr des Spiralarms vermehrt Gesteinsbrocken aus der Oortschen Wolke in unser Sonnensystem geschleudert werden. Aufgrund des Bombardements aus dem All wird die Erdoberfläche kurzfristig erhitzt, kühlt aber danach umso stärker ab (Entstehung von Eiszeiten ! ! !).

    Doch vor 2,29 Milliarden Jahren und vor 712,5 Millionen Jahren sind die zwei Auslöser jener Aussterbe-Wellen zeitlich zusammengefallen, wodurch die Erde einem viel stärkeren kosmischen Bombardement ausgesetzt war. Aus diesem Grund wurde die Erdoberfläche viel intensiver aufgeheizt, um danach extrem stark abzukühlen, was die Erde einfrieren ließ.

    Bitte keine Werbung. Danke. L.F.

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