Woher weiß die Seepocke, wie lang ihr Penis sein muss?

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Bei Seepocken hängen Länge und Durchmesser des Geschlechtsteils von den Wellen ab, aber eben auch von der Populationsdichte. Aber woher weiß das Tier, wieviele Nachbarn es hat? 

Der Penis der Seepocke ist nicht nur – im Vergleich zur Körpergröße – das längste Geschlechtsorgan im gesamten Tierreich, sondern auch noch je nach Bedingungen außerordentlich variabel. Das hat allerdings nichts mit dem Selbstwertgefühl zu tun, sondern mit den eher schwierigen Bedingungen, unter denen sie sich fortpflanzen. Seepocken haben, was das angeht, ein Problem: Sie sind am Untergrund festgewachsen, trotzdem müssen sie irgendwie mit einem Geschlechtspartner kopulieren.

Die Natur löst dieses Problem elegant, indem sie die Seepocken überdurchschnittlich gut ausstattet: Der Seepockenpenis ist bis zu zehn mal so lang wie das Tier selbst. Das reicht allemal, um einen Artgenossen im näheren Umkreis zu begatten, zumal Seepocken hermaphroditisch sind, also grundsätzlich alle Nachbarn als Partner in Frage kommen.

Seepocken bei der Paarung, Video: Casey Dunn.

Damit handelt sich das Tier allerdings eine weitere Schwierigkeit ein. In der Brandungszone, dem bevorzugten Lebensraum von Seepocken, strömt das Wasser äußerst turbulent und mit Geschwindigkeiten bis zu 20 Metern pro Sekunde, und dabei kann das gute Stück auch durchaus mal abreißen. Deswegen haben Seepocken je nach Situation unterschiedlich geformte Penisse – ein Umstand, der dank aktueller Forschungsergebnisse noch mal ein ganzes Stück rätselhafter geworden ist.

Eine im alten Blog schon mal beschriebene Untersuchung von Neufeld und Palmer hatte erbracht, dass Penislänge und –form bei Seepocken vom Standort abhängt: Zum einen muss das Tier natürlich möglichst viele Geschlechtspartner in seinem Umfeld erreichen können, andererseits jedoch sind kurze, dicke Penisse gegenüber starken Wellen weniger anfällig. Zu guter letzt muss das Organ natürlich auch in das Gehäuse passen. Im Grunde steht die Seepocke als solche beim Sex vor einem kniffligen Optimierungsproblem.

Dabei haben die Tiere gegenüber Menschen einen unschätzbaren Vorteil: Ihr Penis wächst jedes Jahr neu nach. Dementsprechend ist die Penisform bei Seepocken nicht angeboren, sondern variiert mit den lokalen Bedingungen. Seepocken wissen sehr genau, mit welchen Strömungen sie an ihrem Standort zu rechnen haben, und lassen sich das entsprechende Genital wachsen lassen.

Nach den Daten[1] von Neufeld und Palmer haben Seepocken in geschützten Buchten wesentlich längere Penisse als ihre Artgenossen an raueren Standorten, die eher kurze, dicke und stabile Genitalien benötigen. Der Anpassungsprozess funktioniert auch recht kurzfristig: Wenn man Seepocken künstlich von einem ruhigen Standort in eine wildere Region transportiert (was in freier Wildbahn eher selten vorkommt), passen sie sich schon in der nächsten Paarungssaison an die neuen Umstände an.

Das ist für sich genommen schon ganz erstaunlich, aber noch nicht alles. Tatsächlich beeinflusst laut einer neuen Studie noch ein weiterer Parameter die Penisform (pdf), und das ist die Bevölkerungsdichte: Wenn Seepocken weiter auseinander sitzen, müssen sie sich nach den Nachbarn strecken, und das in ganz wörtlichem Sinne. Das Geschlechtsteil hat entlang seiner Längsachse nämlich etwa 200 Zieharmonika-artige ringförmige Falten, dank derer sich seine Länge endern kann wie bei dem dreifach verfluchten Musikinstrument. Und die Anzahl dieser Ringe hängt eben nicht mit Wind und Wellen zusammen, sondern damit, wie viele Nachbarn in der Nähe des Tieres sitzen. Auch hier zeigte sich: Entfernt man in der Umgebung einer Seepocke potentielle Partner, passt sich das Tier schon in der nächsten Saison an die neuen Gegebenheiten an und produziert Penisse mit etwa zehn Prozent mehr Ringen.

Die spannende Frage ist natürlich: Woher weiß die Seepocke das alles? Dass die Tiere die Strömungsgeschwindigkeit an ihrem Standort ungefähr kennen ist ja klar, aber die Bevölkerungsdichte? Die Viecher können ja nicht mal eben über den Rand ihrer Schale gucken, und sie orientieren sich ganz offensichtlich auch nicht an den Erfahrungen der letzten Paarungssaison. Ich würde ja spontan auf ein chemisches Signal tippen, aber gerade das scheint mir bei starken und variablen Strömungen wenig hilfreich zu sein. Die Seepockenpenisforschung ist noch weit davon entfernt, alle offenen Fragen zu beantworten.
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[1] Es gibt sicherlich Tiere, deren Penislänge einfacher zu messen ist[2]. Beim lebenden Tier liegt er ja aufgerollt in der Schale, und die Seepocke ist nicht für ihre spontane Bereitschaft zum schwanzvergleich bekannt. Deswegen muss sie sterben. Um das Geschlechtsorgan auf seine volle Länge zu strecken, fixierten Neufeld und Palmer das Hinterende des aus seinem Gehäuse herauspräparierten Tieres mit Klebstoff in einem 0,4 Millimeter starken Plastikröhrchen. Beim so fixierten Tier führten von hinten eine kleine Nadel in den Penis, pumpten ihn mit Salzwasser auf und nahmen Maß. Das Tier ist während der Prozedur glücklicherweise schon tot. Für die neuere Arbeit präparierte der Forscher die Penisse auf klassische Weise und fotografierte sie mit einer Digitalkamera, was zumindest etwas normaler klingt. Dafür hat er die Hoden getrocknet und mit einer Mikrowaage gewogen…

[2] Nashörner zum Beispiel.

(via Mara Grunbaum/Disco Blog)

14 Kommentare

  1. Interessant

    Jawohl Herr Fischer, beobachten Sie die Seepockenpenisforschung weiterhin aufmerksam. Das scheint Sie ja schwer zu beschäftigen.
    Wir lesen uns dann. Hier auf Fischtiersechsblog.

  2. Pah!

    Erst beschweren sich die Leute, dass ich dauernd über den Weltuntergang blogge, und wenn ich dann mal was anderes mach, dann ist es auch nicht recht… 😉

  3. Neid!

    Jetzt fühle ich mich irgendwie übergangen! Wieso bekommst Du einen solchen Kommentar und ich nicht?

    Was die Untersuchung eines Nashorn-Gliedes angeht, ist ein solches sicherlich leichter zu packen als ein Seepocken-Gemächt. Allerdings ist der Penis auch beim narkotisierten Nashorn an den Körper gepresst und man muss diesen erstmal lösen. Ist wohl auch ne fummelige Angelegenheit…

  4. Auch Darwin…

    …hat sich intensiv mit den Balanidae beschäftigt. Dass hier ein Paper über Semibalanus verlinkt wird, freut mich sehr. Weiter so, Herr Fischer!

  5. Intelligente Seepocke @Balanus

    Stimmt! Charles Darwin hat sich seinerzeit mit Seepocken sehr ausführlich beschäftigt und viele davon erstmals beschrieben. Leider hat er uns verschwiegen, dass es auch sehr intelligente Seepocken der Gattung Balanus gibt. Eine davon hat sich wohl am Schiffsrumpf der Scilogs festgeklebt. 🙂

  6. Intelligenz /@Mona

    Lieben Dank,… im Vergleich mit der Gattung Semibalanus schaut’s in der Tat recht gut aus… 😉

  7. @ Schewe

    Allerdings ist der Penis auch beim narkotisierten Nashorn an den Körper gepresst und man muss diesen erstmal lösen. Ist wohl auch ne fummelige Angelegenheit…

    Einigen erfahrenen Damen gelingt so etwas ohne viel Fummelei vorzüglich.

    @ Lars:

    Bist selbst schuld, wenn Du nun solche Kommentare bekommst.

  8. Wusst ich’s doch

    dass sich Herr Balanus über den Artikel freut. 🙂

    @Sören:
    Ich bin auch nicht sicher, ob man das bei einem nicht-narkotisierten Nashorn versuchen sollte…

  9. Humane Ungerechtigkeit

    @ Martin und Lars:

    Das ist doch irgendwie kurios. Während Nashörner sich mit Hilfe junger Studentinnen ihres Spermas entledigen dürfen, obwohl sie das gar nicht wollen, müssen wir “menschlichen” Männer mit Heftchen und Filmchen Vorlieb nehmen und das wertvolle Zeugs auch noch selbst in den Becher bugsieren.
    Verkehrte Welt…

    Und nein Lars, man sollte das nicht ohne Narkose probieren…

  10. Zwei viel einfachere Fragen

    Zwei viel einfachere Fragen, die ebenfalls noch unbeantwortet sind:

    Durch welche Gene unterscheiden sich Cherrytomaten von gewöhnlichen Tomaten?

    Auf welchem Weg stellen diese Gene fest, wie gross die Tomate schon geworden ist, in der sie sich befinden?

  11. Ich finde die Seepockenforschung samt Seepockenpornofilmchen nach der gruseligen Wettervorhersage für die Kindeskinder sehr erleichternd.
    Übrigens kenne ich sonst niemanden, der so nonchalant und amüsant über Seepocken, Nashörner und Geschlechtsteile plaudern kann.

  12. Seepocke

    Es ist immer wieder erstaunlich, welche “Wunder” die Evolution vollbringt. Allerdings auf der anderen Seite wiederum weniger erstaunlich wenn man weiß, dass die gesamte Evolution im Endeffekt immer nur der Fortpflanzung dient und damit dem Erhalt der Arten im Sinn hat.

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