1958 – oder wie alles begann

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Plasmen im Mittelpunkt
Formbar

Das Jahr 1958 hat für die Fusionsforschung eine ganz besondere Bedeutung, denn in diesem Jahr hatte sich die führenden Atommächte dazu entschlossen, ihre Fusionsforschung nicht länger unter dem Mantel der Geheimhaltung durchzuführen. Das ist vor allem insofern beeindruckend, da dieses Jahr mitten in den Kalten Krieg fällt. 1958 stellt gewissermaßen den Startschuss für die internationale Fusionsforschung dar und das verlangt doch nach einem Blog-Artikel.

Angefangen hatte alles im Grunde in den Jahren 1937 und 1938, als Bethe und von Weizsäcker erkannten, dass die Sonne ihre Energie aus der Verschmelzung leichter Atomkerne bezieht. Damit es zu einer solchen Verschmelzung kommen kann, müssen die Atomkerne so heiß sein, dass sie die Abstoßung aufgrund ihrer positiven elektrischen Ladung überwinden können – die Materie befindet sich dann im Zustand eines Plasmas. In den USA und auch in Deutschland gab es bereits Ende der 1930er Jahre erste Ideen, ein Plasma in einem Magnetfeld einzuschließen und mit Mikrowellen zu heizen. Allerdings wurde die Idee wegen Geldmangels nicht weiter verfolgt und der Ausbruch des zweiten Weltkrieges tat sein übriges dazu bei, die Forschungen einige Zeit ruhen zu lassen.

Nach dem zweiten Weltkrieg nahmen verschiedene Staaten die Fusionsforschung wieder auf, in England begann geheime Forschungen über einen thermonuklearen Reaktors beispielsweise 1948. Die sowjetische Regierung startete ihr Programm im Mai 1951 unter der Leitung des Physikers Kurchatov, dessen Institut zahlreiche berühmte russische Plasmaphysiker hervorbrachte. Die Amerikaner wurden im gleichen Jahr durch eine Meldung des argentinischen Präsidenten aufgeschreckt, der einen Durchbruch in der Fusionsforschung verkündete – eine Geschichte, in die auch ein deutscher Physiker involviert ist und die eigentlich nach einem eigenen blog-Beitrag verlangt. Auch wenn sich recht bald herausstellte, dass die in der Meldung verkündeten Fakten nicht haltbar waren, wurden die USA dadurch wachgerüttelt mit der Befürchtung hier etwas verpassen zu können. Daher starteten sie ein Jahr später ihr eigenes, geheimes Programm in Los Alamos.

Im zweiten Weltkrieg wurde eindrücklich demonstriert, welche ungeheure Energie die Spaltung von Atomkernen freisetzen kann. Neben der zerstörerischen Kraft, wurde aber auch das Potential das kontrollierte Spaltung birgt, erkannt. Nach einer Initiative von US-Präsident Eisenhower, fand 1955 in Genf die erste UN-Konferenz zur friedlichen Nutzen der Atomenergie statt ("Atoms for Peace"). Hier spielte die Fusion noch keine Rolle, sie tauchte lediglich in der Eröffnungsrede des Tagungspräsidenten Homi Bhabha auf, die entsprechenden Passagen hatten es allerdings in sich: Er wies auf die Wasserstoffbombe hin, die gezeigt hat, dass es möglich ist, tatsächlich Energie aus Fusionsprozessen zu "nutzen" und dass es keinen Grund gäbe anzunehmen, dass man diese Energie nicht in kontrollierter Art und Weise nutzen könnte. Er ging von zwei Jahrzehnten aus, die man benötigen würde, um die Energieprobleme der Menschheit für alle Zeiten zu lösen. Diese Rede hatte einen ungeheuren Eindruck hinterlassen und nach der Konferenz forcierten oder starteten Laboratorien rund um den Globus Forschungsprogramme zur kontrollierten Kernfusion.

Die Forschung fand zunächst im wesentlichen verdeckt durch den eisernen Vorhang statt und einen Austausch auf internationale Ebene gab es kaum. Es gab nur sehr wenige Treffen, auf denen die Forscher durch den eisernen Vorhang hindurch schauen konnten: 1956 schafften es die russischen Wissenschaftler gleich zweimal ihre westlichen Kollegen schwer zu beeindrucken, zunächst während des Besuches einer russischen Delegation in England und dann auf einer Tagung in Stockholm. Einige russische Plasmaphysiker präsentierten dort eindrucksvolle experimentelle und theoretische Arbeiten, von westlichen Plasmaphysikern wurde nur ein einzelner Beitrag eingereicht.

Die amerikanischen und britischen Plasmaphysiker verstanden das als Herausforderung und nahmen diese auch an: 1957 publizierten sie zahlreiche Beiträge zum Thema Fusionsforschung. Mittlerweile rückte die Fusionsforschung zunehmend ins öffentliche Interesse und ein allgemeines Verlangen nach der kompletten Freigabe ihrer Resultate begann sich zu bilden. Im Juni 1957 fand in Venedig eine Konferenz über Phänomene in ionisierten Gasen statt. Zahlreiche Fusionsforscher nahmen teil, da sie darauf hofften, viele Fusionsforscher aus anderen Laboren anzutreffen. Es gab schließlich noch keine etablierten internationalen Kommunikationswege, die man hätte nutzen können. Deutsche Plasmaphysiker spielten in diesem ganzen Prozess eine besondere Rolle, da ihre Forschung keinerlei Geheimhaltung unterlag, und dementsprechend 1957/1958 einige wichtige Veröffentlichungen in der "Zeitschrift für Naturforschung" erschienen.

Anfang 1958 schafften es amerikanische und britische Plasmaphysiker gemeinsam mehrere Nature-Artikel zu platzieren und so den Vorteil internationaler Zusammenarbeit hervorzuheben (auch wenn man im Nachhinein erwähnen sollte, dass einige der publizierten Ergebnisse fehlinterpretiert wurden). Zur zweiten "Atoms for Peace"-Konferenz in Genf im September 1958 entschlossen sich die Atommächte dann endgültig dem allgemeinen Druck nachzugeben und ihre Fusionsforschung nicht länger unter dem Mantel der Geheimhaltung durchzuführen.

Auf der Konferenz stellten viele Gruppen ihre Experimente und Konzepte zum Einschluss von Plasmen vor, welche sich grob in 4 Gruppen unterteilen ließen. Es gab keine wissenschaftlichen Argumente, warum die eine oder andere Art für einen potentiellen Reaktor zu bevorzugen ist, aber darum ging es auch noch nicht. Die Frage war eher, welche Experimente am meisten zum Verständnis magnetisch eingeschlossener Plasmen beitragen konnten. In vielen Experimenten wurden nämlich eine Reihe von Instabilitäten entdeckt, die man begreifen und kontrollieren musste, ehe man sich mit einen potentiellen Reaktor befassen konnte. Entsprechend haben sowohl die führenden amerikanischen und sowjetischen Plasmaphysiker in ihren Vorträgen vor zahlreichen Komplikationen gewarnt, und dass es wohl bis in das nächste Jahrhundert dauern wird, bis man die Fusion kontrolliert zur Energieerzeugung nutzen können wird. Der Optimismus der frühen 1950er Jahre beruhte auf falschen oder zu einfachen Annahmen – das machte diese Konferenz klar. Interessanterweise herrschte trotzdem die allgemeine Meinung vor, dass man wohl in 2 Jahrzehnten das Sonnenfeuer gebändigt haben wird. Berühmt geworden ist in diesem Zusammenhang das Zitat von Artsimovich, Fusion will be there when society needs it (das ich jetzt hier einfach mal so stehen lasse).

Mittlerweile wird der erste Fusionsreaktor gebaut, der zeigen soll, dass man tatsächlich in der Lage ist, dem Plasma mehr Energie zu entziehen, als man ‘reinsteckt. Ein unheimlich spannendes Projekt, das nur durch weltweite Zusammenarbeit realisiert werden konnte. Das Konzept nach dem dieses Experiment gebaut wird, stellt allerdings nur eine Möglichkeit von vielen dar und man forscht an anderen Standorten auch an anderen Konzepten. Es bleibt also weiterhin spannend!

[Wer sich für das Thema interessiert, dem kann das Buch Nuclear Fusion: Half a Century of Magnetic Confinement Fusion Research von Braams und Stott empfehlen, das diesem Artikel als Grundlage diente.]

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Veröffentlicht von

Alf Köhn-Seemann hat in Kiel Physik studiert und in Stuttgart über Mikrowellenheizung von Plasmen promoviert. Von 2010 bis 2015 war er dort als Post-Doc tätig. Nach mehreren Forschungsaufenthalten im englisch-sprachigen Raum, arbeitet er von 2015 bis Ende 2017 am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching. Seit Ende 2017 forscht und lehrt Alf Köhn-Seemann wieder an der Uni Stuttgart.

6 Kommentare

  1. Ein Jahrhundertthema

    Eine interessante Übersicht, die durchaus auch Fragen zulässt.
    Die Amerikaner wurden nicht bloß durch Argentinien aufgeschreckt – die „Sowjets“ haben das mehrfach erreicht. Während Amerika keine Absicht hatte ein Atomkraftwerk zu bauen, mussten sie ganz schnell 1956 umdenken, als in Obminsk bei Moskau das erste Atomkraftwerk die Arbeit aufnahm.
    Damals hat wohl noch Keiner an die Probleme des radioaktiven Abfalls gedacht. Vor wenigen Jahren ging es in einem FS-Bereicht um ein eher kaltes Verfahren, dem Abfall das Strahlen „abzugewöhnen“. Wird dieser Gedanke noch verfolgt?
    Die Forschungs-Fusionsanlage Tokamak aus der Sowjetunion/Russland war nach der Wende für beide Seiten eine wichtige Grundlage – wie sieht es eigentlich heute damit aus?
    Vor über 20 Jahren waren viel Schlagzeilen der kalten Fusion gewidmet und im vergangenen Jahr gab es auch Hinweise darauf – wie ist hier der Stand des Wissen?

  2. @Klaus

    Das Atomkraftwerk in Obninsk wurde sogar bereits 1954 eingeweiht, nur 9 Jahre nach der ersten Zündung einer Atombombe – auch deswegen glaubten einige damals an eine ähnliche schnelle Realisierung des ersten Fusionsreaktors.

    Der Gedanke, den radioaktiven Abfall zu behandeln und so die notwendige Einlagerungszeit zu verkürzen, wird in der Tat weiter verfolgt. Das Forschungszentrum in Karlsruhe leistet hier wichtige Beiträge.

    Das Fusionsexperiment vom Typ Tokamak ist genau derjenige Typ, der momentan für einen potentiellen Reaktor favorisiert wird. In Frankreich entsteht mit ITER ein Tokamak, der zeigen soll, dass der Tokamak auch für einen Reaktor geeignet wäre.

    Die kalte Fusion wurde 1989 durch spektakuläre Forschungsergnisse zweier Wissenschafter ins Rampenlicht gerückt. Es gelang anderen Forschungsgruppen jedoch nicht, die Resultate der beiden Forscher zu reproduzieren – trotz intensivster Bemügungen auf der ganzen Welt. Der aktuelle Wissenstand ist, dass kalte Fusion nicht zur Energieerzeugung genutzt werden kann.

  3. @ Alf
    Danke für die Antwort. Eigentlich kenne ich die Zahl 1954 – habe den Tippfehler übersehen.
    Mit der schnellen Realisierung der Fusion – auch der schnelle Brüter war so nicht machbar, weil auch die Sicherheit bedeutend höhere Anforderungen stellte. Und wer hat damals die Entsorgungsprobleme „geahnt“?
    Wie lange wurde oft an technischen Problemen gearbeitet – bis endlich das herauskam, was man so „etwa“ wollte. Und weil das Problem groß und interessant ist – hoffen Wissenschaftler immer wieder das Problem zu lösen. Und der Zufall half immer wieder mal – aber es geht nicht immer.
    Manche Dinge wurden schon vor über 100 Jahren erdacht – manche sind erst heute realisierbar. Und in Zukunft ist noch eine Menge zu erwarten. Es gibt ja keinen Stillstand, auch wenn Autoren vor Jahren in einer ARD-Doku der Meinung waren: „Dieses Leben auf der Erde ist einzigartig im ganzen Universum! Es ist fast alles erforscht!“ 100 Jahre früher gab es auch vergleichsweise Gedanken.
    Und so können in Zukunft auch Wissenschaftler das „Problem“ der Uranlagerstätte von Oklo, Nigeria mit dem vergleichsweise „zu“ niedrigen Urangehalt lösen. Vielleicht löst das unser großes Uran-Abfallproblem.

  4. Wieder Hinweise für saubere Atomenergie

    Di, 07.06.2011 – pts20110607021 Forschung/Technologie, Umwelt/Energie
    http://www.pressetext.com/news/20110607021

    Saubere Atomenergie ist möglich!
    Piezonuklearer Effekt kann in zehn Jahren zur globalen Energiequelle werden
    Das Verfahren kann nur bestätigt und umgesetzt werden, wenn andere Wissenschaftler es eindeutig nachvollziehen können.
    In der o. a. URL sind weitere Informationen.

  5. @Klaus

    die “neuen” Hinweise, die Sie meinen sind, so weit ich das sehe, nur nochmal aufgewärmte Versionen der vorherigen Meldungen. Und die gilt es nachwievor mit Vorsicht zu behandeln, solange es anderen Forschern nicht gelungen ist, diese Ergebnisse zu reproduzieren (siehe Fleischmann & Pons).

    Allerdings präsentieren die italienischen Forscher ihre Ergebnisse ja auch auf internationalen Tagungen, ich werde mal versuchen, mir deren Präsentationen zu besorgen.

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