Wider die Vorurteile gegen die Soziobiologie

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Kognition & Kooperation
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Gerne würde ich eine detaillierte und subtile Darlegung evolutionsbiologischer Problematiken liefern. Leider befindet sich die öffentliche Diskussion um die Soziobiologie auf einem beklagenswerten Niveau; Vorurteile und Missverständnisses sind an der Tagesordnung. Von daher werde ich die folgenden Zeilen dafür verwenden, einige häufige falsche Meinungen über evolutionären arbeitende Biowissenschaften anzusprechen und richtig zu stellen.

Zunächst einmal eine allgemeine Positionsbestimmung: Meiner Meinung nach liegt der Rechtfertigungsdruck mittlerweile auf allen denjenigen Ansätzen, welche die Evolutionstheorie nicht in ihren Erklärungsmodellen verwenden. Warum? Aus wissenschaftstheoretischer Sicht, weil die Evolutionstheorie zu den bestbestätigtsten und of geprüftesten Theorien der Wissenschaftsgeschichte gehört – allen Kreationisten zum Trotz. Und aus inhaltlicher Sicht, weil Menschen nun einmal biologische Wesen sind. Nicht nur der menschliche Körper, sondern auch sein Verhalten und Denken ist ein Produkt der Evolutionsgeschichte.

Ich erspare dem geneigten Leser den oft zitierten Ausspruch von Dobzhansky hinsichtlich der Evolution und möchte Ihnen stattdessen den folgenden ans Herz legen:

Is it not reasonable to anticipate that our understanding of the human mind would be aided greatly by knowing the purpose for which it was designed?“ (Williams 1966 S. 16)

Dies ist natürlich nicht nur auf unser Denken beschränkt, sondern bezieht auch unser Verhalten mit ein. Die Frage ist also schon seit Jahrzehnten nicht mehr, ob die Biowissenschaften Deutungsmacht besitzen, sondern wie weit ihr Erklärungspotenzial reicht. Nun könnte man trefflich darüber streiten, um ein aktuelles Thema zu nehmen, ob die bunten Bilder, die seit einiger Zeit von den Neurowissenschaften erzeugt werden, eine echte Revolution sind, oder heillos überinterpretiert.Aber da es sich hierbei nur um den neuesten Streit in einer langen Reihe anderer Streits handelt, die schon lange als ad acta gelegt worden sind, will ich lieber auf grundsätzliche Argumentationen eingehen, die Biowissenschaften in toto diskreditieren wollen.

Grundmuster 1: Die Biowissenschaften mögen ja einige rudimentäre Verhalten erklären, für alle etwas gehobenen und wirklich interessanten Verhaltensweisen sind sie zu grob oder überhaupt nicht zu gebrauchen. Hierfür müssen wir in die Sozial- und Kulturwissenschaften blicken.

Antwort: Könnte in einer Aufzählung einiger Phänomene bestehen, für die die Evolutionstheorien plausible und gut bestätigte Erklärungen liefert (Attraktivität von Gesichtern; Partnerwahl; Nahrungswahl auch in modernen Supermärkten; Religiosität; moralische Fragen; Ökologie und Nachhaltigkeit; Status und Prestige, und die Liste ließe sich problemlos verlängern).

Könnte aber auch in dem Hinweis bestehen, dass eine strikte Trennung zwischen Geistes-, Sozial- und Biowissenschaften Unsinn ist, wenn man ein Problem untersuchen will, dass alle diese Spezialgebiete berührt. Zielführender ist es wohl, die jeweiligen Stärken und Methodiken zusammenzuführen (siehe auch Michael Blumes Plädoyer hier). So könnte bei moralischen Fragen die Philosophie die Begriffsarbeit leisten und die verborgenen Prämissen der Fragestellung zu Tage bringen; die Sozialwissenschaften die Bedingungen beschreiben, in der moralische Handlungen stattfinden; die Kulturwissenschaften die kulturellen Rahmenbedingungen in ihrer Variabilität analysieren; und schließlich die Evolutionsbiologie Motivationen (ultimate Gründe innerhalb der inclusive fitness-Theorie) für bestimmte moralische Handlungen liefern.

Grundmuster 2: „Soziobiologen? Sind das nicht die, die auch Euthanasie befürworten? Das sind doch Nazis.“

Antwort: erübrigt sich (fast), ist aber leider eine der häufigsten Reaktionen auf die Erwähnung von Soziobiologie. Gehört natürlich in die selbe Kategorie wie etwa das Vorurteil „Christen essen ihren Gott auf“.

Grundmuster 3: „Die Biologie / Evolutionsbiologie / Soziobiologie behauptet, dass vieles oder alles vererbt wird, also genetisch festgelegt ist. Diese Anlagen sind unveränderlich und starr, können also insbesondere durch Kultur oder Erziehung nicht modifiziert werden.“

Antwort: Dies hat kein seriöser Evolutionsbiologe jemals behauptet. Besser: Unsere genetische Ausstattung legt die Dispositionen (den Rahmen) fest, die durch verschiedene Umweltbedingungen verschieden ausgeprägt werden. So kann ein bestimmter Baum unter idealen Wachstumsbedingungen beispielsweise 30 m hoch werden, und unter miserablen Bedingungen vielleicht gerade einmal 5 m.

Die Frage, die mir bleibt ist: Warum soviel Feindschaft? Man (ich) wird müde, wenn man nur einen winzigen Bruchteil eines Ausschnittes eines Teils liest, der gegen die Evolutionstheorie gerichtet ist. Wieviel Tinte, Zeit, (Hirn jetzt eher weniger) ist hier verschwendet worden? Für konstruktive Antworten bin ich dankbar …

Literatur:

Williams, G. C. (1966): Adaptation and Natural Selection. Princeton: Princeton University Press.

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Veröffentlicht von

Warum gibt es so viele Scheuklappen in unserem Denken? Warum machen wir dieselben Fehler immer wieder? Solche Fragen haben mich schon immer fasziniert. Um dieses Thema – Denkmuster und Denkfehler – wird es in diesem Blog deshalb öfter gehen. Mein zweites wissenschaftliches Interesse gilt der Frage, warum Menschen eigentlich nicht öfter kooperieren. Woran liegt das? Oder anders herum gefragt: Welche Bedingungen muss man schaffen, damit aus Egoisten Altruisten werden? Wie vermeidet man die "tragedy of the commons"? Dieses weite Feld reicht von der Kooperation zwischen Bakterien über den Erfolg von OpenSource bis zu den Problemen der Weltklimagipfel. Meiner Meinung nach sind in der Kooperationsforschung viele Lösungsansätze für Nachhaltigkeits-, Gerechtigkeits- und Umweltprobleme zu finden. Mit beiden Themen beschäftige ich mich im Rahmen meiner Forschung an der Universität Gießen als Postdoc bei Eckart Voland in der Soziobiologie. Dabei versuche ich das Beste aus den Welten der Philosophie und den Naturwissenschaften zu vereinen. Dass meine gesamte Arbeit stark von der Evolutionstheorie geprägt ist, verdanke ich wohl vor allem dem Einfluss meines Doktorvaters Gerhard Vollmer. Dr. Ulrich Frey

66 Kommentare

  1. Zu Grundmuster 3

    Zu Grundmuster 3 hätte ich noch eine andere Antwort, die ich grade zu meinem eigenen Soziobiologie-Beitrag in den Kommentaren notiert hatte (- oder ist dieser Beitrag sowieso schon eine Antwort darauf? ich wiederhol’s hier trotzdem und grüße damit einen Mitdiskutanten aus der Doktorandenrunde von Herrn Voland, der erst nach meiner Zeit dazu gekommen sein muß 🙂 ):

    “Ich glaube, in den Diskussionen werden viel zu wenig die SPIELRÄUME ausgelotet, die die Berücksichtigung biologischer Erkenntnisse immer noch mit sich bringen, auch dann, WENN man sie voll berücksichtigt. Es wird gleich geredet von Determinismus, als wäre bei einer solchen Berücksichtigung biologischer Erkenntnisse überhaupt kein Handlungs-Spielraum mehr vorhanden.”

    Ich kann mit genetischen Unterschieden inhuman oder ressentimenthaft umgehen – oder von vornherein unterstellen, daß damit so umgegangen würde – oder ich kann mit genetischen Unterschieden großzügig, wohlwollend, Hilfestellung gebend umgehen.

    Der amerikanische Blogger Steve Sailer hat das übrigens in seiner Artikelserie “Helping the left half of the Bell Curve” wie ich finde, sehr schön ausgeführt.

    Im menschlichen Zusammenleben gibt es beides. Da fängt eben – sozusagen – “Moral” an. Die einen Mitschüler verspotten andere Mitschüler, die bestimmte Sachen nicht so schnell gerafft kriegen wie sie selbst. Die anderen Mitschüler sagen: “Komm her, ich erklär’s dir noch mal langsamer.”

    Diese beiden Reaktionen auf genetische Begabungsunterschiede gibt es wohl schon länger in der menschlichen Geschichte und Evolution. Es gibt natürlich auch noch den Neid. Es gibt die ganze Bandbreite.

    Aber von vornherein vorauszusetzen, daß es nur die nationalsozialistische Moral im Umgang mit anderer Begabung gibt, sagt mehr darüber, wie tief uns die Geschicke des 20. Jahrhunderts immer noch anhängen, als darüber, daß wir wirklich souverän geworden wären solchen Möglichkeiten gegenüber wie sie im 20. Jahrhundert verwirklicht wurden.

  2. Toller Beitrag! Mein Bookmark der Woche.

    “Die Frage, die mir bleibt ist: Warum soviel Feindschaft? “
    Nun ja, eventuell geht es wie immer um mühsam erarbeitete Besitzstände und lieb gewonnene bequeme Weltbilder.

    Ein Fach wie Soziologie müsste doch eigentlich ein interdisziplinäres sein. Ein studierter Soziologe müsste grundlegendes Wissen über Evolution, Ökonomie und Spieltheorie (um nur ein paar Stichpunkte zu nennen) verinnerlicht haben um seine soziologische Kompetenz aus anderer Perspektive hinterfragen zu können.
    Ich kenne die Lehrpläne an der Uni für Soziologie nicht.
    Ist es so, oder geht es zumindest in diese Richtung?

  3. Keine richtige Naturwissenschaft

    Ich muss gestehen, dass ich oft mit soziobiologischen Modellen meine Schwierigkeiten habe. Nicht weil ich sie generell ablehne oder gar an der Evolution zweifle. Ich habe nur zu oft das Gefühl, dass sich einige Forscher das freie interpretieren zu einfach machen.

    Von einer guten wissenschaftlichen These erwarte ich, dass man an ihr zweifelt. Eine evolutionsbiologische Erklärung für ein empirisch beobachtetes Phänomen sollte also nicht nur plausibel sein. Man muss auch überprüfen können. Man muss also ein Kriterium angeben, mit dessen eintreten man diese These verwerfen würde.

    Ich denke, man muss das wirklich an Einzelfällen diskutieren. Pauschalurteile sind immer falsch.

  4. Grüße und Antworten

    Lieber Herr Bading,

    viele Grüße auch an Sie als ehemaliges Mitglied der Diskussionsrunde um Prof. Voland!

    Dass Spielräume ausgelotet werden, worauf Sie ja noch einmal zurückkommen, kann man, denke ich nicht genug betonen!

    @Herr Dihlmann:
    Bitte Soziologie und Soziobiologie nicht verwechseln – Methodik und Gegenstand sind gänzlich verschieden; ich vertippe mich allerdings auch öfter…
    Soziobiologie ist in der Tat interdisziplinär, und wird auch so gelehrt; Sie nennen auch genau die richtigen Stichpunkte/Disziplinen!

    @Joachim:
    Völlig richtig, und hier trennt sich die Spreu vom Weizen: Das eine nennt man zu Recht abwertend “just-so stories”, weil man sich eine plausible evolutionäre Erklärung für fast alles ausdenken kann.
    Demgegenüber stehen sehr viele, sehr genau belegte Studien, die Voraussagen machen und diese (oft erfolgreich) prüfen.

  5. @Ulrich: unerwartet

    Bei jemandem, der auf diesem Gebiet arbeitet – und Philosoph ist – hätte ich mir doch einen etwas sorgfältigeren post gewünscht – schade irgendwie.

    Im Einzelnen:

    “Meiner Meinung nach liegt der Rechtfertigungsdruck mittlerweile auf allen denjenigen Ansätzen, welche die Evolutionstheorie nicht in ihren Erklärungsmodellen verwenden. Warum? Aus wissenschaftstheoretischer Sicht, weil die Evolutionstheorie zu den bestbestätigtsten und of geprüftesten Theorien der Wissenschaftsgeschichte gehört”

    Tatsächlich? Wenn das ein Argument wäre, dann sollten alle Ansätze, die ohne die klassische Elektrodynamik auskommen, gleich nach Hause gehen. Warum? Weil sie ein grandiose und im klassischen setting unübertroffene Theorie ist.

    Was du hier übersehen hast, ist, daß es eine Art Adäquatheitszusammenhang geben mußt zwischen Explanandum und Explanans. Eigentlich ist das doch ziemlich offensichtlich, oder? E-Dynamik handelt von elektromagnetischen Feldern, Kräften und Elektronen. Kulturelle Phänomene liegen daher außerhalb ihres Gültigkeitsbereichs.

    “Und aus inhaltlicher Sicht, weil Menschen nun einmal biologische Wesen sind.”

    Analog wollen wir wissen, warum eine Theorie, die von Populationen und genetischen Veränderungen handelt, plötzlich meint, etwas zu kulturellen Phänomenen sagen zu können? Und daß Menschen ein Produkt der Evolutionsgeschichte sind, reicht dafür nicht. Menschen sind auch das Produkt physikalischer Wechselwirkungen und, da alle chemischen Elemente irgendwann in stellaren Katastrophen erbrütet wurden, ein kosmologisches Produkt – wahrerweise. Und trotzdem ist die Astrologie eine Ansammlung pseudowissenschaftlicher Ammenmärchen, deren Anspruch auf Deutungshoheit bestenfalls Erheiterung verdient.

    “Nicht nur der menschliche Körper, sondern auch sein Verhalten und Denken ist ein Produkt der Evolutionsgeschichte.”

    Das ist doch einfach eine plumpe Behauptung, die zu prüfen, die Aufgabe dieses bloggewitters ist.

    “Könnte in einer Aufzählung einiger Phänomene bestehen, für die die Evolutionstheorien plausible und gut bestätigte Erklärungen liefert (Attraktivität von Gesichtern; Partnerwahl; Nahrungswahl auch in modernen Supermärkten; Religiosität; moralische Fragen; Ökologie und Nachhaltigkeit; Status und Prestige, und die Liste ließe sich problemlos verlängern.”

    Klingt für mich wie Gesundbeten: “Ach je … ja, ich könnte doch so viel tun!!!”. Wirklich? Mach mal. Außer wild gewordenen Behauptungen und die schon von Ingo Bading gewohnten impliziten Hinweise, “die neueste Forschung zur Kenntnis zu nehmen”, deren Inhalt weder referiert, noch analysiert wird, sehe ich da nichts: Kein Argument, kein Indiz, nicht mal einen Hinweis, wo wir diese ach so grandiose Forschung eigentlich finden können und vor allem – warum ihre Aussagen den Gültigkeitsbereich des Biologischen verlassen dürfen.

    Denn genau DAS ist das Thema des bloggewitters, wie Thomas Grüter sehr richtig bemerkt hat.

    “Könnte aber auch in dem Hinweis bestehen, dass eine strikte Trennung zwischen Geistes-, Sozial- und Biowissenschaften Unsinn ist, wenn man ein Problem untersuchen will, dass alle diese Spezialgebiete berührt.”

    Danke, das ist die übliche petito, die man von euch allen hört: WENN ein Problem wirklich verschiedene Spezialfälle berüht, DANN stimmt das. Aber wir wissen ja gar nicht, ob das so ist und wollen das nachprüfen.

    Was gezeigt werden soll, wird vorausgesetzt und die Folgerungen aus dieser Voraussetzungen dem Gegner zum Vorwurf gemacht – durchsichtig und plump. Schlechte Wissenschaft stelle ich mir genau so vor.

    “Man (ich) wird müde, wenn man nur einen winzigen Bruchteil eines Ausschnittes eines Teils liest, der gegen die Evolutionstheorie gerichtet ist.”

    Und ich bin nur noch genervt, wenn ich soviel Herablassung zusammen mit Dankfaulheit sehe. Das dürfte ein Grund für soviel Aversion gegen die Soziobiolgie sein.

    “Die Frage, die mir bleibt ist: Warum soviel Feindschaft?”

    Bitte? Na, das ist doch wohl sowas von dermaßen von sonnenklar:

    1) Immer, wenn Soziobiologie (SB) geistige Phänomene zu erklären beansprucht, muß sie behaupten, daß die ansonsten üblicherweise in Anschlag gebrachten kulturellen Erklärungen völlig irrelevant sind. Die Folge ist, daß SB uns die Bedeutungszusammenhänge, mit deren Hilfe wir normalerweise unsere Entscheidungen erzeugen und die dafür sorgen, daß uns Ereignis, Personen, Sachverhalte und Veränderungen wichtig sind, weggenommen wird.

    2) SB-Erklärungen sind immer – egal wie klein er ist – ein Angriff auf die Selbstbestimmung. Man muß schon sehr merkwürdig sein, um damit gut leben zu können.

    3. SB etabliert unausgesprochen neue Konzepte von “natürlich” und “unnatürlich”, so daß keine soziobiologische Erklärung umhin kann, dem einen oder anderen zu erklären, daß er auf der richtigen bzw. falschen Seite steht.

    Wenn wir jetzt mal genau das machen, was du willst, nämlich eine Erklärung der Aversionen zu geben, dann geht das mit Hilfe von 1.-3. etwa so:

    Du bist frisch gebadet. Und plötzlich tippt dir ein sabberndes, bebrilltes Männchen auf die Schulter, um dir kleinkrämerisch vorzurechnen, daß du erstens gar nicht Herr im eigenen Haus bist, dir deshalb im Grunde am Arsch vorbeigeht, was dir am wichtigsten ist und dein bisheriges Leben nur beweist, daß du eigentlich ein Schlumpf bist, bei dem sich die Evolution irgendwie vertan hat – eben weil irgendein Hansel im Pleistozän die Kurve nicht gekriegt haben soll – eine dürre Geschichte von Beliebigkeit also, gegen die eine Pfütze schalen Pferdeurins an einem trüben Februarmorgen geradezu fesselnd ist.

    Na, wenn da nicht gleich der Versicherungsfall droht … 😉

  6. Instinktive emotionale Ablehnung

    Und da ist er wieder, dieser stark emotional gefärbte Widerwillen gegen evolutionäre Erklärungsmuster! (siehe Elmars Kommentar).

    Warum soviel Feindschaft?
    Ich würde tatsächlich in derselben Richtung suchen wie Elmar. Viele diese Erklärungen knabbern an der Selbstbestimmung. Eine Theorie wg. ihrer Folgen abzulehnen, zäumt das Pferd von hinten auf und ist keine gute, objektive und unemotionale Wissenschaft.

    Eine kurze Stellungnahme zu den einzelnen Punkten:

    1. Verhalten und Denken sind nicht evolutionär geprägt? Demnach sind sie alos ein Resultat der Kultur des Homo erectus (der ja wohl auch schon gedacht hat)?
    Aber damit geht schon wieder die unselige Kluft zwischen Kultur und Evolution auf, die gar nicht besteht. Nicht umsonst ist das angesagte Thema auf allen evolutionären Tagungen gerade kulturelle Evolution.

    2. Eine plumpe Behauptung? Ich hätte ja auch auf meine Dissertation inkl. des Literaturverzeichnisses verweisen können, die das auf ca. 300 Seiten intensiv verhandelt,
    aber ein post ist eben kein Fachartikel und der Verweis war mir dann tatsächlich zu plump.

    3. Natürlich berühren die meisten Probleme des menschlichen Verhaltens mehrere Spezialgebiete! Warum? Wir leben in einem sozialen, kulturellen Umfeld und sind biologische Wesen – für eine Antwort muss man demnach alle diese Wissenschaften einbeziehen.
    Da das anscheinend nicht klar ist, zwei konkrete Beispiele:
    Gewalt gegen Kinder. Wird vorwiegend von männlichen Stiefeltern verübt. Evolutionstheorie hat da eine prima Antwort darauf. Ist allerdings nicht komplett, da die Auslöser im sozio-kulturellen Milieu gesucht werden müssen.
    Nächstes Beispiel (Standard):
    Essen von Süßigkeiten – auch hier gut untersuchte evo. Erklärung – unvollständig ohne die heutigen Bedingungen der modernen Industriegesellschaft. Usw.

    4. Gültigkeitsbereich:
    Aus oben gesagtem versteht sich, dass zwar jede Disziplin ihren Gültigkeitsbereich hat, aber um ein Phänomen zu erklären, viele Theorien notwendig sind, um jeweils einen (ihren) Aspekt zu beleuchten.

    5. Dass die Evolutionstheorie an der Wurzel des menschlichen Verhaltens steht, ist nicht mehr begründungsbedürftig (schon seit 1871 nicht mehr)! (Wird aber immer wieder gemacht, sollte also kein Problem sein so etwas zu finden in der EP, SB oder VÖ, so man diese Theorien nicht instinktiv wg. der Folgen um die eigene Freiheit, Selbstbestimmung usw. ablehnt.

  7. bei aller berechtigten Kritik an der SB:

    @Elmar Diederichs:

    “Man muß schon sehr merkwürdig sein, um damit gut leben zu können.”

    Das ist nicht zwingend so.

    Halte diesen Aspekt aber für weitaus brisanter als die Deutungsreichweite der SB, da er auch in der Folge gegenwärtiger “Neurophilosophie” (NP) (etwa T. Metzingers SMT …) an Relevanz gewinnt.

    Sollte man schon deshalb von SB und NP absehen, weil es merkwürdig werden könnte, wenn wir mit ihren Konsequenzen gut leben wollen?

  8. @Karsten Haß: Wahr und Falsch

    “Sollte man schon deshalb von SB und NP absehen, weil es merkwürdig werden könnte, wenn wir mit ihren Konsequenzen gut leben wollen?”

    Nein, natürlich nicht. Der Hauptgrund ist, daß das Zeug einfach Quatsch ist.

    Aber wir wollen Argumente, nicht das üblichen wohlige Erschauern von SB-Anhängern, wenn sie ihre Bekenntnisse abliefern.

    Und genau das – Argumente – haben SB-Abpologeten nie zu bieten.

  9. @Ulrich: selba

    “Und da ist er wieder, dieser stark emotional gefärbte Widerwillen gegen evolutionäre Erklärungsmuster! (siehe Elmars Kommentar).”

    Und aa ist sie wieder: Die Inkonsistenz der SB-Argumentierer.

    DU hast diese Frage gestellt, DU wolltest sehen, woher die Aversionen kommen, die genau deshalb keine Folge deines postes ist.

    Aber so wie es aussieht, wird das umgedreht und als Beweis einer Kampagne gedeutet.

    Michael Blume hat ähnliche Gewohnheiten.

    Außerdem wundere ich mich, wieso keiner darauf kommt, daß ich mich beim Formulieren solcher Kommentare immer blendend amüsiere?

    “Eine Theorie wg. ihrer Folgen abzulehnen, zäumt das Pferd von hinten auf und ist keine gute, objektive und unemotionale Wissenschaft.”

    BITTE? Wenn ein Theorie Konsequenzen hat, die anderen wahren Aussagen wiedersprechen, dann ist das DER Hauptgrund, sie abzulehnen.

    Aber interessant, daß die SB-Apologeten ganz neue Standard definieren. Das ist schon lange meine Vermutung.

    “1. Verhalten und Denken sind nicht evolutionär geprägt? Demnach sind sie alos ein Resultat der Kultur des Homo erectus (der ja wohl auch schon gedacht hat)?”

    Weder noch: Die Alternative zur Demokratie ist ja auch nicht der Stalinismus. Ich wäre schon zufrieden, wenn ihr zugeben würdet, daß man den Zusammenhang von Gehirn und Geist einfach noch gar nicht verstanden hat.

    Bescheidenheit ist hier gefragt, nicht Altklugheit.

    “Aber damit geht schon wieder die unselige Kluft zwischen Kultur und Evolution auf, die gar nicht besteht.”

    Nein? Hast du nur die Behauptung oder gibts da auch Gründe?

    “Nicht umsonst ist das angesagte Thema auf allen evolutionären Tagungen gerade kulturelle Evolution.”

    Und? Nur weil alle darüber reden, ist nicht alles, was sie sagen, auch wahr.

    “Eine plumpe Behauptung? Ich hätte ja auch auf meine Dissertation inkl. des Literaturverzeichnisses verweisen können, die das auf ca. 300 Seiten intensiv verhandelt,
    aber ein post ist eben kein Fachartikel und der Verweis war mir dann tatsächlich zu plump.”

    Sooooooo. Na, wenn du so viel mehr zu sagen hast, warum speist du uns dann mit so wenig ab?

    “Natürlich berühren die meisten Probleme des menschlichen Verhaltens mehrere Spezialgebiete! Warum? Wir leben in einem sozialen, kulturellen Umfeld und sind biologische Wesen – für eine Antwort muss man demnach alle diese Wissenschaften einbeziehen.”

    Meine Herren, hast du denn das Argument mit der Astrologie aus meinem letzten Kommentar so gar nicht verstanden?

    “Gewalt gegen Kinder. Wird vorwiegend von männlichen Stiefeltern verübt. Evolutionstheorie hat da eine prima Antwort darauf.”

    Kann sein, aber eine Theorie akzeptiert man nicht, weil sie ein Phänomen gut erklären kann. Die Phlogiston-Theorie konnte die Verbrennung einiger Stoffes auch gut erklären. Was sie nicht konnte. Die Gewichtiszunahme bei der Verbrennung von Metallen konnte sie aber nicht erklären und das war ein guter Grund, sie zu verwerfen.

    Und so wie es aussieht, dann die Evolutionstheorie viele Sache gar nicht erklären – z.B. die Verbeitung blauer Augen. Versuch das Beispiel zu knacken und wir reden noch mal darüber.

    “Aus oben gesagtem versteht sich, dass zwar jede Disziplin ihren Gültigkeitsbereich hat, aber um ein Phänomen zu erklären, viele Theorien notwendig sind, um jeweils einen (ihren) Aspekt zu beleuchten.”

    Das ist doch nur Gelaber. Es gibt Phänomene, die vollständig von einer Theorie erlärt werden z.B. Planetenbewegung durch Lagrange-Mechanik. Was sollen diese Orakelsprüche hier?

    “Dass die Evolutionstheorie an der Wurzel des menschlichen Verhaltens steht, ist nicht mehr begründungsbedürftig”

    Das ist doch lächerlich: Selbst wenn wir die Evolutionstheorie akzeptiere, dann haben wir noch lange nicht die Pflicht, alles zu akzeptieren, was ihr so damit anzustellen im Sinn habe. Abgesehen davon, daß ich würde sagen, nach meinem post einiges an Begründung offen ist. Und du als Philosoph solltest einiges mehr wissen über analytische Philosophie des Geistes.

    Was du hier machst, ist genau das, was man in fast allen Fällen von SB findet: Miserable Arbeit, schlechte Wissenschaft, keine Argumente, wüste Spekulationen und eine große Portion Ignoranz: du hast keines meiner Argumente wirklich aufgenommen oder dagegen etwas zu bieten gehabt.

    Ganz klar, daß mit vollem Einsatz arbeitende Wissenschaftler da der Hut hochgeht, wenn sich Stümper zusammenschließen und behaupten, daß sie es besser raus haben als der Rest der Welt z.B. weil sie laufend Tagungen veranstalten, auf denen sich dasselbe Soziotop trifft.

    Meine Diagnose ist klar: SB ist was für Leute, die gar nichts verstanden haben. Daß aber der einst der Bauch mit Mammut gefüllt werden mußte, daß ist was, daß jeder kapiert. Und den Rest der Fragen und Probleme bemerken sie einfach nicht.

    Unglaublich …..

  10. !

    Zitat E. Diederichs:

    ” … daß man den Zusammenhang von Gehirn und Geist einfach noch gar nicht verstanden hat. …”

    Das ist der Punkt! Danke.

  11. Ich fühle mich bestätigt

    Leute, danke, dass ihr hier demonstriert, dass dieses Thema in der anmoderierten Allgemeinheit nicht diskutierbar ist. Wahrscheinlich hat jeder von euch, Elmar und Ulrich, andere Beispiele für soziobiologische Theorien im Kopf.

    Wie wäre es, wenn einer von euch mal in seinem Blog ein konkretes Beispiel nennt und uns exemplarisch zeigt:
    Ulrich: Hier bewährt sich der soziobiologische Ansatz.
    Elmar: Hier versagt der soziobiologische Ansatz.

  12. @elmar der menschliche Faktor

    Es ist doch eigentlich in allen Wissenschaftsdisziplinen so, dass einzelne “Koryphäen” meinen, besonders gen Ende ihrer wiss. Laufbahn, das Big Picture malen zu wollen das alle Fragen klärt. Stephen Hawking ist da leider auch so ein ambivalentes Beispiel.

    Die Soziobiolgie ist EIN möglicher Aspekt das menschl. Verhalten zu beobachten und analysieren, sie klammert natürlich die Epigenetik sowie die ganzen emergenten Prozesse und Rückkoppelungen in soz. Systemen (Sprachlogik, Semantik,…) etc. aus, v.a. weil sie sie mit ihrem Begriffs- und Messinstrumentarium nicht erfassen kann. Da braucht es schon einen ganzheitlichen Ansatz, sozusagen Naturphilosophie, aber die modernen Philosophen fehlt dann wiederum leider doch das bio- und phsiologische Fachwissen für so einen Versuch. Es gibt hier nur einen interdisziplinären Weg, weswegen ich diese Streiterein, welche Verhaltentheorie die Weisheit gepachtet hat nicht sehr fruchtbar finde. Es gibt ja auf jeden Fall Fakten die Soziobiologen festgestellt haben, die auch von Nachbardisziplinen interdisziplinär falsifiziert werden müssen, sowie die klass. Elektrodynamik eben auch nur ein Ausschnitt der Quantenelektrodynamik ist.

    Auch will ich hier noch mal eine Lanze für die Evo. Erkenntnistheorie brechen die du in deinem “Rundumschlag” ja auch gleich auf den Müll geworfen hast. “Erkenntnistheorie” ist hier leider generell kein guter Begriff, weil epistemologische Theorien als Metatheorien m.M. nicht falsifizierbar sind wie naturwiss. Theorien, sondern mehr den Charakter von Plausibilität, Denkrichtung haben.

    Evolution ist ein notwendiges Explanandum für die Erkenntnisfähigkeiten des Menschen, vielleicht nicht hinreichend und limitierend für unsere zukünftige Entwicklung, aber sie gibt ein konsistenteres und kohärentes Bild ab, als jede Alternativtheorie m.M. Eine Erkenntnistheorie muss selektive Wahrnehmung, Fehlsclüsse, optische Täuschungen, Savant-Phänomene… erklären, ich weiss nicht wie das möglich sein soll unter Ausklammerung der Evolution? (Ich kann Gerhald Vollmer zu diesen Thema empfehlen) Nicht missverstehen, ich teile deine Kritik grössteinteils, dass bestimmte auf Evolution basierende Theorien ihren Gültigkeitsbereich brechen und beugen, teilweise in eine Bild von behaviouristischer evolutiver Gen-Konditionierung zurückverfallen und damit zwangsläufig scheitern müssen, wenn man nur genau genug hinschaut. Der soziobiologische Forscher unterliegt da seiner eignen selektiven Wahrnehmung, der soziobiologischen Brille 🙂 “wenn man nur einen Hammer hat, sieht alles wie ein Nagel aus”

  13. @Joachim

    “Leute, danke, dass ihr hier demonstriert, dass dieses Thema in der anmoderierten Allgemeinheit nicht diskutierbar ist.”

    Wieso denn?

    Nicht immer, wenn man dem jemandem Ignoranz vorwirft, wird es unsachlich. Nämlich genau dann nicht, wenn Ignranz vorliegt.

    Das mußt du einfach einsehen. Denn wenn es anders wäre, gäbe es infinite Diskussionen. Aber unser Wahrheitsbegriff erlaubt sowas nicht.

    “Wahrscheinlich hat jeder von euch, Elmar und Ulrich, andere Beispiele für soziobiologische Theorien im Kopf.”

    Ich kann nicht sehen, wo diese Vermutung herkommt.

    “Wie wäre es, wenn einer von euch mal in seinem Blog ein konkretes Beispiel nennt und uns exemplarisch zeigt:”

    Eine ganz schlechte Idee: Wenn Ulrich das zeigt, dann ist nichts gewonnen.

    Und ich hab das in meinem ersten post bereits gezeigt.

    Also: Was willst du eigentlich? Daß wir uns mit Beispielen bewerfen, bis es langweilig wird?

  14. @Michael Ruttor

    “Die Soziobiolgie ist EIN möglicher Aspekt das menschl. Verhalten zu beobachten und analysieren, sie klammert natürlich die Epigenetik sowie die ganzen emergenten Prozesse und Rückkoppelungen in soz. Systemen (Sprachlogik, Semantik,…) etc. aus, v.a. weil sie sie mit ihrem Begriffs- und Messinstrumentarium nicht erfassen kann.”

    Das stimmt alles. Und ich wäre schon zufrieden, wenn die SB-Vertreter das erkennen würden. Aber die Erfahrung lehrt, daß sie nicht mal bereit sind, die entsprechenden Vokalbeln in den Mund zu nehmen.

    “aber die modernen Philosophen fehlt dann wiederum leider doch das bio- und phsiologische Fachwissen für so einen Versuch.”

    Wieder total richtig. Aber moderne Philosophen behaupten auch nicht, sie wüßten, sie es so läuft.

    “Es gibt ja auf jeden Fall Fakten die Soziobiologen festgestellt haben, die auch von Nachbardisziplinen interdisziplinär falsifiziert werden müssen, sowie die klass. Elektrodynamik eben auch nur ein Ausschnitt der Quantenelektrodynamik ist.”

    Das kann man nur im Detail klären. Aber diese Details bekommen wir ja nicht, weil wir stattdessen am ganz großen Faust-Entwurf kauen sollen.

    “Auch will ich hier noch mal eine Lanze für die Evo. Erkenntnistheorie brechen die du in deinem “Rundumschlag” ja auch gleich auf den Müll geworfen hast.”

    Nur insofern sie EP benutzt. Über alles andere, sagte ich noch nichts.

    “‘Erkenntnistheorie’ ist hier leider generell kein guter Begriff, weil epistemologische Theorien als Metatheorien m.M. nicht falsifizierbar sind wie naturwiss. Theorien, sondern mehr den Charakter von Plausibilität, Denkrichtung haben.”

    Würde ich nicht so sagen: Die Ablösung des Bildes des autarken Denkers auf dem Berg als analysierende Metapher für den Wissensbegriff wurde im Wesentlichen durch das Phänomen der Wikis ausgelöst.

    “Evolution ist ein notwendiges Explanandum für die Erkenntnisfähigkeiten des Menschen,”

    Dem würde ich zustimmen.

    “Eine Erkenntnistheorie muss selektive Wahrnehmung, Fehlsclüsse, optische Täuschungen, Savant-Phänomene… erklären, ich weiss nicht wie das möglich sein soll unter Ausklammerung der Evolution?”

    Ich weiß das im Moment auch nicht, aber anders als die SB-Apologeten glaube ich nicht, daß meine Unfähigkeit, im Moment etwas Besseres vorzuschlagen, der Grund für die Wahrheit oder Falschheit irgendeiner Behauptung ist.

    Ich sehe aber deiner Punkt und mein nächster, hoffentlich am WE erscheindener post, wird auf dieses Problem eingehen.

  15. Stiefväter = Alpha-Löwen?

    “Gewalt gegen Kinder. Wird vorwiegend von männlichen Stiefeltern verübt. Evolutionstheorie hat da eine prima Antwort darauf.”

    Was ist konkret gemeint: Kindesmisshandlung oder sexueller Missbrauch oder beides? Belege für die These?

    Vgl http://www.acf.hhs.gov/programs/cb/pubs/cm04/table5_3.htm

    Demnach waren 91,9 Prozent der TäterInnen biologische Eltern und 4,5 Prozent Stiefeltern.

    Auch interessant: “Characteristics of Perpetrators

    For 2004, 57.8 percent of the perpetrators were women and 42.2 percent were men. Female perpetrators were typically younger than male perpetrators. The median age of perpetrators was 31 years for women and 34 years for men. Of the women who were perpetrators, more than 40 percent (44.4%) were younger than 30 years of age, compared with one-third of the men (34.1%)” Quelle: http://www.acf.hhs.gov/programs/cb/pubs/cm04/chapterfive.htm#character

    Hat die Evolutionstheorie auch ne prima easy Antwort darauf, warum die meisten Kindesmisshandlungen von leiblichen Müttern im gebärfähigen Alter begangen werden?

  16. Verbreitung blauer Augen erklärt

    Grins, schöne Frage: Wie kann die Verbreitung blauer Augen erklärt werden? Ist zwar nicht das Kerngebiet der Soziobiologie. Aber dazu kann man schon Theorien formulieren.

    ***

    Im übrigen – an Elmar: Eine plausbile Theorie ist so lange eine plausible Theorie, so lange sie nicht klar falsifiziert ist. Deshalb verstehe ich Deine ganze Aufregung nicht. Falsifiziere doch nur zentrale soziobiologische Aussagen, als ständig zu sagen: “Ja, aber es ist ja nur eine Theorie.” Alles ist Theorie. Und wird ständig überprüft. Das ist ja das Schöne an der Soziobiologie, daß da nicht ständig jemand beckmesserisch dahinter steht und sagt: Ja, haste denn dafür Beweise? – Nö, aber es ist plausibel. So funktioniert nun mal Forschung. Die Einzelheiten werden hinterhergeliefert. Es ist immer gut, eine schöne Theorie zu haben, anhand der sich dann die empirische Forschung abrackern kann. Ohne übergreifende Theorie tappt die empirische Forschung blind in der Gegend herum mit ihren vielen auffälligen Theoriedefiziten zumal was die Humanwissenschaften betrifft.

    ***

    Nun zurück zu den blauen Augen: Laut Humangenetik gibt nur eine Gründermutation, die erst wenige tausend Jahre alt ist. (Wer drauf besteht, dem kann ich ja die aktuelle Forschungsliteratur hierzu und zum folgenden auch noch zusammensuchen …) Wo ist heute das Kerngebiet der Verbreitung blauer Augen? Nordeuropa. Und da laut allen ancient-DNA-Studien die Menschen der Vorgängerkultur der ersten Bauernkultur Nordeuropas, der Trichterbecherkultur, weitgehend ausgestorben sind (ebenso wie die Menschen der LBK-Kultur Mitteleuropas), werden es die Trichterbecherleute gewesen sein, die zuerst blaue Augen und zuerst auch die Erwachsenenmilcherdauung und noch einige andere Merkmale in die Humanevolution hineingebracht haben (vielleicht auch helle Haut etc.).

    Da sich der nordeuropäische Menschentypus von 2000 v. Ztr. bis ins Frühmittelalter auch in der Taklamakan findet (Wüstenmumien), wo man eine WEST-, nicht ost-indoeuropäische Sprache, das Tocharisch sprach, werden auch hier die blauen Augen aus Nordeuropa zugewandert sein. (Ebenso wie bei den Skythen, Sogdern etc..)

    WO nun die Trichterbecherkultur eigentlich entstanden ist, ist noch nicht geklärt, war grad eine der Fragen meines letzten ResearchBlogging-Posts. Da könnte viel Gruppenselektion eine Rolle gespielt haben am Nordrand der Verbreitung der Linearbandkeramik, (der ersten Bauernkultur Mitteleuropas). VIELLEICHT (meine Vermutung) war es die Rössener Kultur, die nach dem Untergang der Linearkeramik die bäuerliche Kultur in Norddeutland weiter fortgeführt hat aber mit vergleichweise primitiveren Häusern etc., und deren Gene später auch in die Michelsberger Kultur eingeflossen sein könnten, aus welcher wiederum die Anregungen zum Ackerbau im Ost- und Nordseeraum kamen.

    Ja, und wie haben sich die blauen Augen ausgebreitet nach 4.100 v. Ztr., nach der Etablierung der Trichterbecherkultur? Nun, es hat während der Bronzezeit und während der Eisenzeit und während des Frühmittelalters ungeheuer viel Bevölkerugnsverschiebungen gegeben, die auch etwas zu tun haben könnten mit der vergleichsweise großen Häufigkeit von angeborenem ADHS in Nordeuropa.

    (Da spielen dann noch die indogermanischen Wanderungen aus den nordpontischen Steppen heraus hinein, die bis in den Ostseeraum gingen, und bei denen ich gerne wüßte, ob die blauen Augen gehabt haben. Das würde noch manches durcheinanderbringen, bzw. man müßte IHRE Entstehung irgendwie in Zusammenhang mit so etwas wie der Rössener Kultur bringen …)

    Jedenfalls, jetzt hast Du ein paar Details: Wo jedenfalls gibt es hier prinzipielle Probleme bei solch einer Erklärung? So läuft Forschung. Wie gesagt, gar nicht einmal spezieller soziobiologische, sondern archäologische kombiniert mit humangenetischer. (Einzelheiten meiner Story sind sicher noch falsifzierbar, bzw. zu korrigieren.)

  17. @Ingo: wieder daneben

    “Falsifiziere doch nur zentrale soziobiologische Aussagen”

    Hab ich doch gemacht, weißt du? Da gibt es so’n post von mir, der heißt “Evolutionäre Erklärungen des Geistigen”. Da hab ich eine oft, aber nicht immer benutzte, zentrale Prämisse entsprechender Erklärungen zerlegt – so echt jetzt, kein Scheiß, Mann. 😉

    “Das ist ja das Schöne an der Soziobiologie, daß da nicht ständig jemand beckmesserisch dahinter steht und sagt: Ja, haste denn dafür Beweise? – Nö, aber es ist plausibel. So funktioniert nun mal Forschung.”

    Nein, so funktioniert sie eben nicht. Physiker z.B. versuchen ihre Theorien zu testen, indem sie Voraussagen machen, bevor Daten dazu existieren. Werden Effekte bestätigt, dann vertraut man der Theorie.

    Beispiel: Die Allg. Relativitätstheorie ist intuitiv durchaus unplausibel, die alten physikalischen Intuitionen gelten in ihr nicht mehr. Aber als sie die Periheldrehung des Merkur mit 44 Bogensekunden / Jhr richtig voraussagte, da hat das zu ihrer Akzeptanz erheblich beigetragen.

    Allein in den Köpfen der Soziobiologen funktioniert Wisserschaften via Plausibilitäten. Harte Wissenschaften verlangen mehr. Und exakt das, ist für SB-Autoren ein zentrales Problem, sie sind einfach schlechte Wissenschaftler.

    “Die Einzelheiten werden hinterhergeliefert.”

    Die Erfahrung zeigt, daß sie es sind, die Theorien zu Fall bringen: Als Penzias & Wilson in Holmdel mit einer Hornantenne eine isotrope Strahlung bei 7,35cm maßen, die kosmische Hintergrundstrahung endeckten, damit die Vorhersagen von George Anthony Gamow verifizierten, damit dem Standardmodell enormen Auftrieb gaben und dafür 1978 den Nobelpreis bekamen, da dachten sie erst an einen Fehler. Sie glaubten, u.a. ein Taubennest würde ein Störung verursachen und als dessen Beseitigung nicht half, glaubten sie, der Techniker, der die Antenne putzte habe etwas kaputt gemacht. Sie hätten diese 3,5K auch ignorieren können, aber sie blieben bei dieser Kleinigkeit hartnäckig.

    Vielleicht sollten sich Soziobiologen von dieser Einstellung mal ein Stück abschneiden?

    “Nun zurück zu den blauen Augen:”

    War eine lustige Geschichte und vielleicht stimmt sie sogar. Erklärt wurde aber wie erwartet nichts, weil du nur beschreibst, wie sich blaue Augen ausgebreitet haben. Die Sache geht ganz anders: Da man mit blauen Augen ebenso gut sehen kann wie mit braunen, gibt es genau eine Erklärung für ihre Existenz: Die Menschen fanden das hübsch und pflanzten sich lieber mit Menschen mit blauen Augen fort.

    Und das ist keine biologische Erklärung.

    “Wo jedenfalls gibt es hier prinzipielle Probleme bei solch einer Erklärung?”

    Genau hier: Eine Beschreibung ist keine Erklärungen. Kann man in jedem Einführungslehrbuch zur Wissenschaftstheorie finden.

    “So läuft Forschung.”

    In deinen Träumen vielleicht. 😀

  18. @all: Ups …

    … es muß natürlich heißen:

    “die Störung der Periheldrehung des Merkur mit 43 Bogensekunden / Jhr”

    und NICHT:

    “Periheldrehung des Merkur mit 44 Bogensekunden / Jhr”

    Sorry!

  19. blaue Augen und “Counterintiuitives”

    Ach so, du meintest den evolutionsbiologischen Zweck der blauen Augen. Ok. Ja, sexuelle Selektion. Dazu gibt’s auch mehrere Paper, zu dieser deiner “sehr plausiblen” These, daß Leute sie schön fanden. Gruppenselektion oder besser Multilevel-Selektion faßt wohl die Wirklichkeit präziser.

    Und warum Menschen plötzlich blaue Augen schön fanden? Vielleicht auch einfach, weil die Mutation für blauen Augen irgendwie kombiniert war mit dem Erwachsenenrohmilchverdauungsgen, mit Mukoviszidose-Neigung, mit höherem IQ-Gen oder was immer, also irgendwie einen zufälligen Ko-Selektionsvorteil hatte in der betreffenden Gruppe. (Möglicherweise sind ja bei Beginn des Ackerbaus überhaupt gleich ganze Merkmals-GRUPPEN zugleich evoluiert, wobei natürlich mancherlei Zufälliges eine Rolle gespielt haben kann als ein bloßer “Gründereffekt”.)

    Daß man auch counterintuitive Theorien aufstellt oder für möglich hält, schließt doch nicht aus, daß man zugleich plausibel klingende Theorien aufstellt: Wieder, wo ist das Problem?

    Es gibt sicherlich tausende von Beispielen, wo zunächst eine plausbible Theorie formuliert wurde, wozu dann auch die entsprechenden Daten gefunden wurden. Kopernikanische Wenden kommen so vielleicht nicht zu stande … Aber wir werden ja sehen … Vielleicht doch … 😉

    Und übrigens: Aus Sicht eines nichtevolutionären, behavioristischen Weltbildes ist es doch viel plausbibler, daß der Mensch völlig manipulierbar ist und von keinerlei genetischen Neigungen und Begabungen eingeschränkt ist, also ein “leeres Blatt Papier”, das beliebig beschrieben werden kann.

    Das hast du doch gleich etwas super Counterintuitves. Kann dir jetzt grad nicht das Schwalbennest nennen, was die Soziobiologen und Verhaltensforscher erst noch ausschließen mußten, bevor sie – etwa – den Instinktbegriff formulierten (um 1937 etwa) – findet sich aber bestimmt.

    Die Soziobiologen haben sich früher immer für die gehalten, die etwas ganz “Counterintuitives” machen. Wollte ich ja auch mit meinem Beitrag für heute behaupten, bzw.: wiederbeleben.

  20. @Ingo: Selbstanwendung

    “Und warum Menschen plötzlich blaue Augen schön fanden? Vielleicht auch einfach, weil die Mutation für blauen Augen irgendwie kombiniert war mit dem Erwachsenenrohmilchverdauungsgen, mit Mukoviszidose-Neigung, mit höherem IQ-Gen oder was immer, also irgendwie einen zufälligen Ko-Selektionsvorteil hatte in der betreffenden Gruppe.”

    Du bist unglaublich – ehrlich: Eine solche Resistenz und ein Durchhaltevermögen, den härtesten Beschuss ohne jeden Zweifel an den eigenen Meinungen zu überstehen, sondern munter weiter Anekdoten über Themen wie Schönheitsempfinden zu erfinden, und dadurch neue zirkuläre Argumentationen aufzubauen, habe ich noch nie zuvor gesehen – nicht bei Atheisten.

    “Daß man auch counterintuitive Theorien aufstellt oder für möglich hält, schließt doch nicht aus, daß man zugleich plausibel klingende Theorien aufstellt: Wieder, wo ist das Problem?”

    Genau da: Daß ich mich ständig wiederholen muß. Natürlich schlägt man immer diejenige Theorie vor, die man selbst für vernünftig hält. aber daraus folgt – anders, als du es suggierierst nicht, daß diese Startplausibilität für irgendeinen ernstzunehmenden Wissenschaftler für irgendetwas ausreichen würde.

    Ausnahme: Soziobiologen.

    “Und übrigens: Aus Sicht eines nichtevolutionären, behavioristischen Weltbildes ist es doch viel plausbibler, daß der Mensch völlig manipulierbar ist und von keinerlei genetischen Neigungen und Begabungen eingeschränkt ist, also ein “leeres Blatt Papier”, das beliebig beschrieben werden kann.”

    ????

    Jegliche Erfahrungen aus jahrhundertelanger Rechtsprechung spricht dagegen. Aber das kennst du alles nicht. Und daher kommt dir deine These plausibel vor.

    “findet sich aber bestimmt.”

    Na, dann mach doch mal – statt nur leere Versprechungen abzugeben.

  21. Erklärungskraft

    Meiner Meinung nach liegt der Rechtfertigungsdruck mittlerweile auf allen denjenigen Ansätzen, welche die Evolutionstheorie nicht in ihren Erklärungsmodellen verwenden. Warum? Aus wissenschaftstheoretischer Sicht, weil die Evolutionstheorie zu den bestbestätigtsten und of geprüftesten Theorien der Wissenschaftsgeschichte gehört…

    Das halte ich allein schon aus pragmatischen Gründen für zu weit gegriffen. Was sollte uns beispielsweise eine Evolutionstheorie (welche meinen Sie eigentlich genau?) über die Entwicklung ergonomischer Bürostühle (Gesundheitsmedizin), einen Lehrplan zur Vermittlung von Fremdsprachen (Pädagogik) oder das ideale Layout einer Computertastatur (Interfaces) verraten?

    Wenn Bürostühle Rückenleiden vermeiden helfen sollen, dann scheinen mir hier medizinische Untersuchungen, kulturelle Erfahrungen und fortlaufende Verhaltensuntersuchungen völlig hinreichend.

    Wenn unsere Kinder möglichst gut Fremdsprachen lernen wollen, inwiefern ist dann eine Evolutionstheorie dem Vergleich verschiedener Lehrmodelle überlegen? Wenn Modell A allen Alternativen überlegen ist, wen interessiert dann, ob sie auf “evolutionärem Denken” beruht?

    Wenn es eine Vorgabe ist, möglich effizient auf einer Computertastatur tippen zu können, dann scheinen mir gewisse physiologische (z.B. über mittlere Fingergröße, -abstand usw.) sowie psychomotorische Strategien, die wiederum in Verhaltensuntersuchungen überprüft werden, für hinreichend.

    Die Praxis zeigt es doch, dass die Mehrheit der Sozialwissenschaftler in ihrer Arbeit nicht einmal über Evolutionstheorien nachdenken, weil sie damit überhaupt nichts anfangen können.

    Und aus inhaltlicher Sicht, weil Menschen nun einmal biologische Wesen sind. Nicht nur der menschliche Körper, sondern auch sein Verhalten und Denken ist ein Produkt der Evolutionsgeschichte.

    Wer glaubt das denn heute noch, dass sich Verhalten und Denken des Menschen vollständig biologisch erklären ließen? Gibt es auch nur ein einziges positives Beispiel hierfür? Selbst Evolutionsbiologen wie Julian Huxley haben eingeräumt, dass sich Organismen unterschiedlicher Komplexität nach unterschiedlichen Gesetzmäßigkeiten entwickeln; er hat sauber zwischen biotischer und kultureller “Evolution” getrennt.

    Mir scheint es ein Fehlschluss, aus der Tatsache, dass wir Menschen eine evolutionäre Vergangenheit haben, zu schließen, dass eine Evolutionstheorie die Probleme unserer Gegenwart lösen könnte.

    Entwicklung (biotische wie geistige) findet immer im Kontext der Umwelt statt; und die hat sich in den letzten hunderttausenden von Jahren gehörig verändert.

  22. P.S. Analogieschluss: X Produkt von Y

    Und aus inhaltlicher Sicht, weil Menschen nun einmal biologische Wesen sind. Nicht nur der menschliche Körper, sondern auch sein Verhalten und Denken ist ein Produkt der Evolutionsgeschichte.

    Jeder ist ein “Produkt” seiner Eltern; dennoch wird es manche geben, die sich nach ihrem Vorbild richten, andere, die ihre Eltern ablehnen und wieder andere, die irgendwo dazwischen liegen.

    Die Geschichte zeigt, dass wenn X ein Produkt von Y ist, das Wissen von Y mal mehr, mal weniger über das Wesen von X verrät.

    Damit müsste doch jedem klar sein, dass Evolutionstheorien zum Verständnis des Menschen zwar nicht völlig irrelevant sind, in verschiedenen Bereichen aber in unterschiedlichem Ausmaß nützen; und manchmal vielleicht rein gar nicht.

    Meines Erachtens braucht man daher auch keine Philosophen, die das Schwert von Evolutionstheorien schwingen (anders als es vielleicht zur Zeit Darwins noch nötig war, siehe Thomas Huxley), denn wenn Evolutionstheorien wirklich so überlegen wären, dann würden sie über kurz oder lang die alternativen Theorien in den Einzelwissenschaften ersetzen.

    Das ist bisher aber noch nicht gelungen; im Gegenteil erweisen sich viele Einzelwissenschaften als ziemlich Robust gegenüber den universalen Ansprüchen von Soziobiologie oder evolutionärer Psychologie (und zumindest im Gespräch mit Einzelwissenschaftlern bestätigt sich mir dieser Eindruck immer wieder).

  23. @all Jetzt mal ehrlich

    Entweder werden Schlüsse voreilig gezogen oder
    nach Außen über Wert verkauft.
    Jeder, der zumindest das nicht zugibt, macht sich im Sinne der Anklage schuldig.

    Im Sinne der Anklage stinkt bspw. folgender Fisch:
    Es wurde häufig der körperliche Unterschied zwischen Frauen und Männern aus der Steinzeit erklärt. Männer gingen jagen und Frauen kümmerten sich um den “Hof”. Daher kommt es, dass Männer athletischer als Frauen sind und Frauen so viel Quatschen.
    Mensch der Scheiß wurde sogar verfilmt!
    http://www.imdb.com/title/tt0889139/

    Dass die Kenntniss über die Steinzeit für so eine Argumentation nicht annähernd ausreichen wird immer verschwiegen…

    Die Anklage richtet sich nicht gegen den Soziobiologischen Ansatz sondern gegen deren positivistische Praxis.

    Deswegen muss ich Elmar leider rechtgeben.

  24. Zustimmung und Lob…

    … für die Kommentare von Elmar, Stephan Schleim und Anton Maier…

    Mein eigener, keineswegs zu scharfer und mit Quellenangaben etikettierter Senf blieb hier ja im Spam-Filter stecken *schmoll*

  25. @Anton Maier

    “Entweder werden Schlüsse voreilig gezogen oder nach Außen über Wert verkauft.”

    Das ist vermutlich wahr. Und deshalb hielte ich es für Zielführender, konkret zu werden. Also von den Soziobiologen mal ein Beispiel zu erfahren, wo der soziobiologische Ansatz tatsächlich einem soziologischen oder psychologischen Ansatz überlegen sein soll.

    In dieser Allgemeinheit ist es jedenfalls nicht überzeugend. Den Ausführungen von Stephan Schleim ist da nichts hinzuzufügen.

  26. @Elmar

    “Also: Was willst du eigentlich? Daß wir uns mit Beispielen bewerfen, bis es langweilig wird?”

    Ein Beispiel will ich. Nur eins. Und am liebsten eins von Ulrich, wo Soziobiologie funktioniert. Du kannst dich zurücklehnen, wenn ich beispiele brauche, wo es nicht funktioniert, kaufe ich das Buch, das Anton Maier erwähnt hat.

  27. Konkrete Beispiele – here you go

    Gerne liefere ich konkrete Beispiele, wenn ich auch den rüden Umgangston einiger anderer Diskutanten absolut unangebracht finde.
    Problematisch wird eine wiss. Diskussion nämlich dann, wenn ich von vorneherein die andere Position ablehne und mir gar nicht anhören will, was sie zu sagen hat.
    Gut, also die Beispiele:
    1. Verhalten, bereits genannt: Fehlernährung (Ursachen) = Standardbeispiel in der Soziobiologie
    2. Verhalten, bereits genannt: Gewalt gegen Kinder vor allem von männlichen Stiefeltern
    3. Wahrnehmung: Höhenschätzung (Menschen überschätzen Höhen, aber nicht vertikale Distanzen) Warum? Selektionsvorteile für diejenigen, die bei Höhen etwas vorsichtiger waren.
    4. Denken: Vereinfachung komplexer Systeme (nachzulesen bei Dietrich Dörner): Beschreibung erfolgt durch die Psychologie (ohne EP!)
    Erklärung durch die EP (ultimate Gründe): Weil Selektion das Premium auf Schnelligkeit und Handhabbarkeit komplexer Systeme gelegt hat, aber nicht zu stark auf Genauigkeit, Langfristigkeit etc.

    Und nochmals: Es geht nicht um X GEGEN Y!
    Die Disziplinen und Ansätze ergänzen sich.

  28. @Ulrich Frey

    Ja, der Umgangston könnte besser sein. Musste mich auch erst daran gewöhnen.

    Deine Beispiele sind so kaum verwertbar. Natürlich könnte ich jetzt anfangen, nach wissenschaftlichen Veröffentlichungen zu den vier Punkten zu suchen und mir selbst ein Bild zu machen, ob mich diese Beispiele überzeugen. Vielleicht finde ich auch einmal Zeit, das zu machen. Aber der absolute Knüller wäre es, wenn sich ein Scilogs-Blogger, der im Thema drin ist, mal die Mühe machen würde, uns einen Überblick über den soziobiologischen Forschungsstand auf einem dieser Themen zu geben.

    Nur so als Anregung, falls du Lust hast. Natürlich wirst du damit

  29. @ Frey, Beispiele

    Verzeihung, falls ich den Eindruck erwecke, die Soziobiologie voreingenommen abzulehnen. Ich kann in meinem Lebenslauf genügend Beispiele dafür anführen, dass ich keine Angst davor habe, meine Meinung zu ändern.

    Bei der Soziobiologie ist es nur so, dass dort auf der einen Seite diese immensen Versprechen, suggestive Statements und Platitüden wie z.B. “alles Denken ist ein Produkt der (biotischen) Evolution” gibt und ich auf der anderen Seite bisher so gut wie nie überzeugende Argumente für die Bedeutung der Soziobiologie gefunden habe (und ich habe durchaus beispielsweise Vollmer zur evolutionären Erkenntnistheorie oder Wuketits zur Evolution gelesen). Meines Erachtens wurde dazu in den 1970er Jahren schon alles gesagt.

    Ich würde es wirklich gerne etwas Konkreter wissen als dass beispielsweise Fehlernährung mit einer Evolutionstheorie kompatibel ist – wahrscheinlich ebenso kompatibel wie mit zahlreichen anderen Theorien auch. Ich habe das eben versucht, online nachzulesen, jedoch leider keine Quelle gefunden (Stichworte “Fehlernährung und Soziobiologie”).

    Selbst wenn ich Ihnen aber schenkte, dass Menschen sich heute fehlernähren, weil die evolutionären Essgewohnheiten andere waren als in unserer heutigen Supermarkt-Kultur, dann stoße ich auf zwei gravierende Probleme:

    Erstens scheint sich die Mehrheit der Menschen doch noch einigermaßen gut zu ernähren; nehmen wir Übergewicht als Indikator für schlechte Ernährung. Die Probleme nehmen zwar zu aber sind keineswegs so global, wie sie sein müssten, wenn wir uns im Sinne der Ernährung als “Produkte der Evolution” begreifen. Sind also nur die Menschen, die sich schlecht ernähren, “Produkte der Evolution” und diejenigen, die sich gut ernähren, etwa nicht? Und warum haben wir dann diese gesamte Wellness-Welle inklusive Dietisten, die uns sehr wohl erklären, wie wir uns gesund ernähren? Überschreiten die etwa ihre evolutionären Wurzeln?

    Zweitens gibt es alternative Erklärungen, die mir plausibler erscheinen, beispielsweise Korrelationen mit Armut und niedriger Bildung; diese können im Übrigen auch Trends in der Fehlernährung erklären (bsp. Zunahme von Fehlernährung in den letzten zwanzig Jahren), die ein evolutionärer Ansatz meines Erachtens nicht erklären kann. Ferner muss man Moden von Epochen berücksichtigen, dass es im Barock beispielsweise als schick galt, dick zu sein, während wir heute ein umgekehrtes Schönheitsideal haben.

    Wenn Ihr Standpunkt wirklich nur ist, dass evolutionäre Ansätze manchmal eine gute oder bessere Erklärung liefern, dann sind wir einer Meinung; dann würde ich mir aber fehlleitende Aussagen wie “alles Denken ist Produkt der Evolution” verbitten oder zumindest genauer erklärt wünschen.

  30. @Ulrich Frey

    Bitte nicht falsch verstehen,
    aber als das Buch in den Bestsellerlisten war und der Film rauskam, hab ich nur äußerst spärliche Distanzierungen aus dem Fachgebiet gesehen. Wobei bei jeder anderen Populärwissenschaft Fachleute Sachen richtig stellen und bewerten.
    Das gilt für den Davinci-Code, StarTrek, Amadeus oder andere historische Filme.
    Und genau da liegt das Problem…
    Das Buch hätte verrissen werden müssen!

    Offenbar fehlen die Selbstreinigungskräfte und daher rühren auch die Vorurteile. Das heißt nicht, dass es keine soziobiologischen Phänomene gäbe. Ich halte es für extrem unwahrscheinlich, dass wir nicht stark von ihnen geprägt sind.

  31. @Anton Maier: Jenseits der Soziobiologie

    In der Psychologie wurde das Buch durchaus kritisch rezipiert; von Claudia Quaiser-Pohl, die sich in ihrer Forschung sehr intensiv insbesondere mit Raumwahrnehmung und Geschlechterunterschieden befasst, kam (in Coautorenschaft mit K. Jordan) sogar ein “Gegenbuch” mit dem Titel “Warum Frauen glauben, sie könnten nicht einparken – und Männer ihnen Recht geben”, in dem die Autorinnen überprüfen, was aus wissenschaftlicher Hinsicht eigentlich an dem Vorurteil dran ist. Das nur der Vollständigkeit halber 🙂

  32. @Frey konkrete Gegenbeispiele

    ich bin kein Experte was die soziobio. Terminologie angeht, aber ihr Bsp. 2 kommt mir “Verhalten” am nächsten. Bei den anderen spielen wahrscheinlich noch zig andere Faktoren mithinein auf Zeitskalen die wir in einem Feldexperiment schwerlich mit “Verhaltensbeobachtung” operationalisieren könnten.

    Ich will mal zwei ganz plumbe Gegenbeispiele und Extremfälle nennen (Eine Theorie die nicht zumindest ein paar Extremfälle im üblichen Korrelationseintopf erklärt taugt in der Physik oft nicht viel).

    1. Asexualität. SB müsste erklären wie es zu solchem Verhalten (Woran lässt sich Verhalten besser untersuchen als an Sexualität?!) kommen kann bei Tier und Mensch. Ein Reproduktinosvorteil kann es per se nicht sein, indirekt als Familienhilfe auch schwer vorstellbar, da Mensch nicht wie Tier in grösseren Rudeln lebt. Wenn überhaupt spielen hier wohl höchstens epigenetische Faktoren eine Rolle.

    2. Dominanz/Thematisierung von Analverkehr in Kulturindustrie. Mann muss sich ja mal fragen warum scheinbar der Grossteil der Männer hptsl. diese Filme konsumieren will (Nachfrage und Angebot). Hat sich das Verhalten und Vorlieben binnen Jahrzehnten genetisch so drastisch ändern können?

    Wenn Soziobiologie nicht mal das evolutiv am stärksten geprägte Verhalten, Sexualität, einigermassen erklären kann, wüsst ich nicht warum sie bei weit komplexeren Themen wie Theoriebildung(einfaches Denken Bsp. 4) irgend einen Geltungsanspruch und Validität behaupten kann?

  33. Klärung Beispiel

    Meist sind evolutionspsychologische oder soziobiologische Ansätze am besten geeignet, die “Warum”-Frage zu lösen. Also z. B. mein Beispiel der Ernährung: “Warum können Menschen bei Chiochips und Schokolade so schlecht aufhören zu essen, obwohl sie doch meist wissen, dass das nicht so gesund ist?”
    Antwort der EP: Weil Fettes und Süßes in unserer Vergangenheit so selten war, dass wir keine “Bremse” entwickeln mussten, für Kohlehydrate, Fette, Proteine aber schon (“ich bin satt”).

    Damit ist längst nicht alles erklärt, daher die berechtigen Fragen von Stephan, die ich gerne zu beantworten versuche.
    Es gibt deshalb Diätversuche, weil ein schlanker, gesunder Körper über den Phänotyp vermittelt ein Indiz für einen guten Genotyp ist bzw. mehr zu leisten vermag als ein im Vergleich dickerer, unbeweglicherer.
    Das ist ein grundsätzliches Attraktivitätsmerkmal, wie auch ein symmetrisches Gesicht, bestimmte Körperproportionen (Muskeln bei Männern, fruchtbarkeitsanzeigende Attribute bei Frauen). Diese Merkmale sind interkulturell (gut belegt) und über die Zeit gleich. Das heißt ja nicht, dass selten (!) extreme Modeschwankungen wie das genannte Barock existieren können.

    Jedes evolutioänre Merkmal lässt einen Spielraum an Verhalten zu. Dieser Spielraum wird beim Menschen vornehmlich durch die Kultur geprägt. Denn es besteht ja gar kein Zweifel: was in der einen Kultur abscheulich ist, kann in der anderen hochattraktiv sein. (Das noch einmal, weil es oft fälschlicherweise heißt, genetische Dispositionen sind starr, unveränderlich)

    Stephan meinte, es müßten doch alle Menschen “Produkte der Evolution” z. B. hinsichtlich der Ernährung sein. Ja, aber es gibt natürlich unterschiedliche Strategien, sich zu ernähren. Einige sind erfolgreicher als andere.
    Das ist durch evolutionäre Theorien gut abgedeckt.
    Korrelationen mit Armut und Bildung sind m. E. so zu interpretieren, dass diese Faktoren individuelle, evolutionär geprägte Eßstrategien stark beeinflussen – ich habe ja nie behauptet, mit Evolution alles erklären zu können.
    Allerdings kann der Satz “Alles Verhalten/Denken ist Produkt der Evolution” so stehenbleiben, denn Evolutionsprozesse bringen diese Phänomene notwendig hervor, andere Kräfte wirken dann darauf ein. Auf die Frage, “Warum existiert dieses Verhalten?” bzw. “Warum denken wir gerade so?” ist man jedoch gut beraten, die Evolution nicht außer acht zu lassen.

    Ich hoffe, damit einige Fragen beantwortet, bzw. Mißverständnisse behoben zu haben…

  34. Ergänzende Antworten an @Stephan

    Mir scheint, daß Stephans Einwände in zwei Punkten ins Leere gehen.

    “Sind also nur die Menschen, die sich schlecht ernähren, “Produkte der Evolution” und diejenigen, die sich gut ernähren, etwa nicht?” Die EP wird durch die Variabilität menschlichen Verhaltens nicht infragegestellt. Die Evolutionstheorie setzt die Variabilität des Genoms in einer Population vielmehr voraus. Ohne sie könnte Evolution gar nicht stattfinden.

    Die Annahme, daß 60% der Menschen in westlichen Ländern übergewichtig sind, 40% aber nicht, ist also ohne weiteres plausibel. Und mit der zusätzlichen Annahme, daß adipositaskorrelierte Gene in Gesellschaften, in denen Nahrungsmittel weniger verfügbar und die Lebenserwartung niedriger war (Adipositas und das metabolische Syndrom wirken erst im höheren Alter lebensverkürzend) sogar noch mehr.

    Übrigens sind ähnliche Gedanken in der Biologie gang und gäbe. Warum haben wir soviele Hormone, die den Blutdruck erhöhen, aber nur eins, das ihn senkt? Weil es beim Übergang von der aquatischen zur terrestrischen Lebensweise wichtiger war, den Organismus vor Dehydration zu bewahren statt umgekehrt Wasser auszuscheiden?

    “Wer glaubt das denn heute noch, dass sich Verhalten und Denken des Menschen vollständig biologisch erklären ließen?”

    Das glaubt in der Tat niemand. Die EP kann und will andere psychologische Theorien nicht ersetzen sondern innerhalb einer pluralistischen Vorgehensweise ergänzen und gegebenfalls zu ihrer Modifikation beitragen.

    “Mir scheint es ein Fehlschluss, aus der Tatsache, dass wir Menschen eine evolutionäre Vergangenheit haben, zu schließen, dass eine Evolutionstheorie die Probleme unserer Gegenwart lösen könnte.

    Entwicklung (biotische wie geistige) findet immer im Kontext der Umwelt statt; und die hat sich in den letzten hunderttausenden von Jahren gehörig verändert.”

    Richtig, die Umwelt hat sich gehörig geändert, und Verhaltensweisen, die vor 10.000 Jahren adaptiv waren sind heute manchmal maladaptiv. Sollen wir jetzt die Selektion ihr Werk tun und die Adipösen aussterben lassen oder versuchen, ihnen zu helfen? Ich bin für helfen. Und da, denke ich, ist die EP eins von mehreren nützlichen Werkzeugen.

  35. Eher eine chemische Erklärung

    @Ulrich Frey:
    “Antwort der EP: Weil Fettes und Süßes in unserer Vergangenheit so selten war, dass wir keine “Bremse” entwickeln mussten, für Kohlehydrate, Fette, Proteine aber schon (“ich bin satt”).”

    Hierzu bedarf es meines Erachtens keine Soziobiologie. Das ist Chemie und rein körperliche Adaption. Die Energiedichte von Zucker ist halt deutlich höher als die einer eiweißreichen Diät. Die Bremse musste sich nicht evolutionär entwickeln, sie ist durch die Größe des Magens definiert. Das der ausreichend groß sein muss, um bei “natürlicher” Ernährung genügend Nährstoffe zu liefern, ist selbstverständlich. Aber meines Erachtens kein _sozio_biologisches, sondern ein rein biologisches Phänomen.

  36. @Joachim: Sättigung

    “Die Energiedichte von Zucker ist halt deutlich höher als die einer eiweißreichen Diät.”

    Der Energiegehalt von Zucker und Eiweiß ist identisch (4,1 kcal/g), die Energiedichte, abhängig vom enthaltenen Wasser, auch etwa gleich. Z.B.: verzehrfertige Nudeln 94 kcal/100g, Truthahnbrustfilet ohne Haut 105 kcal/100g. “Süßigkeiten” verdanken ihre hohe Energiedichte meistens dem Fett. Z.B. enthalten 100g Schokolade 50g Zucker und 30 g Fett, also 2/3 der Energie in Form von Fett.

    Sättigunskontrolle ist multimodal. Dabei spielen interne (u.a. die Magenfüllung) und externe Wahrnehmungen eine Rolle. Bei Adipösen funktioniert die interne Sättigungswahrnehmung schlechter als bei Normalgewichtigen. (http://www.ernaehrungs-umschau.de/…9_340_343.pdf)

    Auch in dem ‘reinen’ Biochemiebuch von Stryer wird die Verhaltenskomponente der Geschmacksrezeptoren beschrieben: süß, eiweiß, salzig sind attraktiv, bitter und sauer aversiv.

    Offensichtlich können diese Funktionen kulturell modifiziert werden.

    Bei vielen Kindern funktioniert das noch nicht. Sobald sie laufen lernen, sich also der elterlichen Aufsicht entziehen können, entwickeln sie häufig eine Aversion gegen Bitteres und weigern sich bis zur beginnenden Pubertät, (Grün-)Gemüse zu essen. Ich finde die soziobiologische Erklärung einleuchtend und in diesem Fall auch nützlich. Wenn man den Grüngemüseverzehr von Kindern kaum beeinflussen kann, weil die Biologie dieses Verhalten zwar nicht determiniert aber erheblich beeinflußt, dann läßt man es besser. Dadurch vermeidet man, das Verhältnis der Kinder zu den Erziehenden und zum Essen zu belasten. Wenn die biologische Gemüseaversion nachläßt, kann man das gute Verhältnis nutzen, um günstigen und jetzt auch wirksamen Einfluß auszuüben.

  37. @Jürgen Bolt

    “Ich finde die soziobiologische Erklärung einleuchtend und in diesem Fall auch nützlich.”

    Dann wäre es doch mal ganz schön, wenn diese Erklärungen einmal in einem Blog behandelt werden könnten. Ich z.B. kenne sie nämlich nicht.

    Selbstverständlich kann man jetzt wieder antworten: “Suchs dir doch selber raus.” Aber das gilt für jeden einzelnen Beitrag in den Scilogs. Alles, was hier Blogger zum Besten geben, könnten sich die Leser auch selbst erarbeiten.

    Was ist der Sinn eines Bloggewitters zum Thema Soziobiologie, wenn alle davon ausgeben, dass die Leser alle eh schon Spezialisten auf dem Gebiet sind?

  38. @ Bolt

    Die Annahme, daß 60% der Menschen in westlichen Ländern übergewichtig sind, 40% aber nicht, ist also ohne weiteres plausibel.

    Die spannende Frage ist dann aber nicht, ob diese Werte mit der Voraussage der EP kompatibel sind, sondern ob sich aus der EP eine konkrete Aussage über das Vorkommen von Übergewicht ableiten lässt, die an der Erfahrung scheitern kann, beispielsweise der Form: Aufgrund der evolutionären Geschichte der Menschen müsste sich das Vorkommen von Übergewicht im Bereich zwischen X und Y befinden.

    Es besteht ja gerade der Verdacht, dass die Erklärungen der EP manchmal so unspezifisch sind, dass sie alles erdenkliche erklären, also letztlich nichts ausschließen (-> Falsifizierbarkeit).

    Das glaubt in der Tat niemand. Die EP kann und will andere psychologische Theorien nicht ersetzen sondern innerhalb einer pluralistischen Vorgehensweise ergänzen und gegebenfalls zu ihrer Modifikation beitragen.

    Dann sind aber Aussagen wie diese, alles Denken sei Produkt der Evolution, ohne weitere Qualifikation zumindest irreführend. Oder eben noch ein anderes Beispiel, im Paper meines Doktoranden gefunden:

    Morality is firmly grounded in neurobiology as anything else we do or are. Once thought of as purely spiritual matters, honesty, guilt, and the weighing of ethical dilemmas are traceable to specific areas of the brain. (F. de Waal, 1996, Good Natured, S. 217f.)

    Wenn die Leute meinen, Evolution/Biologie und Kultur, wieso schreiben sie dann immer nur Evolution und Biologie? Und wenn man sie dann darauf anspricht, dann rudern sie zurück und sagen, sie wollten das natürlich nicht ausschließen; aber warum schreiben sie es dann nicht einfach?

    Ich bin für helfen. Und da, denke ich, ist die EP eins von mehreren nützlichen Werkzeugen.

    Ob wir helfen oder nicht, das stand hier überhaupt nicht zur Debatte; und wenn Sie das mit der EP gut können, dann bitteschön. Ich bin davon aber nicht überzeugt, solange sich aus der EP keine konkrete Aussage beispielsweise über die Ursachen von Übergewicht ableiten lassen (siehe erster Punkt).

    Wenn die Erklärung einfach sein soll, dass eben heute viel mehr Zucker und Fett verfügbar ist, dann wird der aktuelle Trend gerade nicht erklärt aber jetzt muss ich mich wiederholen.

  39. @ Ulrich: vom Fressen zur Theorie

    Okay, danke für diese klare Erläuterung. Anstatt weiter auf dem Essen herumzureiten, halte ich es für ergiebiger, auf diesen theoretischen Punkt zu kommen:

    Allerdings kann der Satz “Alles Verhalten/Denken ist Produkt der Evolution” so stehenbleiben, denn Evolutionsprozesse bringen diese Phänomene notwendig hervor, andere Kräfte wirken dann darauf ein. Auf die Frage, “Warum existiert dieses Verhalten?” bzw. “Warum denken wir gerade so?” ist man jedoch gut beraten, die Evolution nicht außer acht zu lassen.

    Woher wissen Sie, dass Evolutionsprozesse diese Phänomene notwendig hervorbringen? Wenn Mutationen echt zufällig sind, dann könnten doch bei einem erneuten Durchlauf des Universums andere Lebewesen entstehen.

    Außerdem scheint mir dies die Umwelt außen vor zu lassen: Erstens können Organismen (in mehr oder weniger ausgeprägtem Maße) ihre Umwelt auswählen oder sogar anpassen, zweitens können nach Umweltänderungen plötzlich ganz andere Eigenschaften als evolutionär vorteilhaft erscheinen, und drittens zeigt ja gerade jüngere Forschung wieder deutlich, dass die Gene als Mechanismen der Evolution ebenfalls durch Umwelt und Erfahrung reguliert werden können.

    Schließlich könnte sich selbst Übergewicht unter anderen Umständen als adaptiv erweisen.

  40. Schwachstelle

    Vielleicht noch kurz ein Wort zur möglichen Schwachstelle in der Argumentation:
    Ulrich Frey schrieb:
    “Antwort der EP: Weil Fettes und Süßes in unserer Vergangenheit so selten war, dass wir keine “Bremse” entwickeln mussten, für Kohlehydrate, Fette, Proteine aber schon (“ich bin satt”).”

    Gibt es Belege dafür, dass es in der Vergangenheit der Menschen je einen Selektionsdruck zur Entwickung eines Sättigungsgefühls gegeben hat? Vermuten die Soziobiologen also, dass es in der Frühzeit der Menschheit ein Schlaraffenland gegeben hat, in dem reichlich Kohlehydrate, Fette und Porteine (nur eben kein Zucker) zur Verfügung stand, so dass es einen Selektionsvorteil gegenüber Menschen gegeben hat, die keine Sättigung spüren?

  41. @Joachim

    “Dann wäre es doch mal ganz schön, wenn diese Erklärungen einmal in einem Blog behandelt werden könnten. Ich z.B. kenne sie nämlich nicht.”

    Mit Erklärung meine ich das, was ich geschrieben habe, nicht DIE von allen akzeptierte evolutionspsychologische Theorie zur Erklärung der Adipositas-Pandemie (die es, glaube ich, nicht gibt). Ich habe Ulrich auch ein bißchen widersprochen, vielleicht hat das zur Verwirrung beigetragen (und ich bins nicht alleine schuld).

    Meine Vermutung nochmal kurz:

    Wir beobachten eine Adipositas-Pandemie, die sich trotz jahrzehntelanger Bemühungen nicht aufhalten läßt.

    Experimente weisen auf eine indivduell unterschiedliche Sättigungskontrolle hin, die mit dem Adipositas-Risiko korreliert.

    Die Vermutung ist, daß die Sättigungskontrolle in früheren Gesellschaften wenig Selektionsdruck unterlag, weil es erstens selten ein längerfristiges Überangebot an Lebensmitteln gab, und weil zweitens nur wenige Menschen ein Alter erreichten, in dem die metabolischen Folgen von Übergewicht (Herzinfarkt, Schlaganfall, Krebs) manifest werden. Daher sind wir sehr viel gefährdeter durch Über- als durch Untergewicht.

    (Analoge Überlegungen gibt es auch zum hohen vs. niedrigen Blutdruck)

    Ein entscheidendes Experiment, das zwischen dieser Theorie und konkurrierenden unterscheiden läßt, kenne ich nicht. Nur eine Fülle von Hinweisen wie den vorhin verlinkten Bericht über die Sättigungskontrolle.

    Und natürlich die negativen Hinweise von den konkurrierenden bzw. komplementären Ansätzen: 1. Trotz jahrzehntelanger versuchter Einflußnahme durch Ernährungswissenschaftler etc. schreitet die Pandemie weiter fort. 2. Die Erfolgsquote der Adipositas-Therapie liegt bei 5-20%, also etwa so hoch wie bei der Heroinsucht. Diese deprimierenden Resultate beweisen zwar nicht die Richtigkeit der evolutionsbiologischen Überlegungen, lassen mich aber an einem behavioristischen Ansatz erheblich zweifeln.

  42. @Jürgen Bolt

    “Die Vermutung ist, daß die Sättigungskontrolle in früheren Gesellschaften wenig Selektionsdruck unterlag,”

    Ja, das ist auch meine Vermutung. Damit erklärt der evolutionsbiologische Ansatz doch aber gar nichts. Er erklärt nur, warum Menschen keinen angeborenen Mechanismus zur Vermeidung von Überernährung haben: Sie beeinflussen den Reproduktionserfolg weder positiv noch negativ.

    Warum aber einige Menschen zu Adipositas neigen und andere weniger und welche Faktoren hineinspielen, ergibt sich nicht aus evolutionstheoretischen Überlegungen. Dazu bedarf es anderer Ansätze.

  43. @Joachim nochmal

    “Er erklärt nur, warum Menschen keinen angeborenen Mechanismus zur Vermeidung von Überernährung haben: Sie beeinflussen den Reproduktionserfolg weder positiv noch negativ.”

    Ja, nicht ganz. Die Mechanismen beeinflußten den Reproduktionserfolg in der Vergangenheit nicht, heute tun sie das schon. Das ist ja einer der interessanten Aspekte der Evolutionspsychologie: manche der heutigen Probleme resultieren daraus, daß sich die Umweltbedingungen geändert haben, unsere biologisch bedingten Verhaltensweisen aber noch nicht.

    Und daraus, daß die Mechanismen wenig selektiert wurden, resultiert nicht nur, daß sie relativ fehleranfällig sind sondern auch daß sie interindividuell stark variieren. Ob jemand eine strikte Sättigungskontrolle oder eine laxe hatte, machte vor 10.000 Jahren keinen Unterschied. Also existieren heute beide Varianten im Genpool – zuwenig Konkurrenz.

    “Warum aber einige Menschen zu Adipositas neigen und andere weniger und welche Faktoren hineinspielen, ergibt sich nicht aus evolutionstheoretischen Überlegungen.” Doch, ich denke, das tut es.

  44. Was ist besser als EP?

    Zwei Fragen, auf die ich mir in den künftigen Diskussionen noch eine Antwort erhoffe:

    1. Gibt es eigentlich unter den derzeitigen Kritikern der Evolutionären Psychologie Leute, die in den naturwissenschaftlichen Humanwissenschaften, bzw. dezidierter in der naturwissenschaftlichen Psychologie in der empirischen Forschung selbst arbeiten? Mir fallen unter den Kritikern hier vor allem Physiker, Quantenphysiker, Chemiker, Philosophen … auf, also Leute, die zunächst einmal ziemlich weit weg sind von empirischer Forschung.

    (Soweit ich sehe, wäre Thomas Grüter ein Gegenbeispiel. Aber: Kritisiert er die EP eigentlich grundlegender? Oder ist er einfach nur behutsamer im Urteil, was “Deutungshoheit” betrifft?)

    2. Und damit meine eigentliche Frage:

    Wie müßte denn nach Meinung der Kritiker gute empirische, naturwissenschaftliche Humanwissenschaft, bzw. dezidierter: Psychologie aussehen? Können sie Beispiele für gute empirische Forschungen und für gute nautrwissenschaftliche Theorien geben?

  45. @ Bading: Theorie und Praxis

    Wieso denken Sie, ein Praktiker sei zugleich sein bester Theoretiker? Kennen Sie die Kurzinterviews, die etwa Fußballer in der Halbzeit oder gleich nach Abpfiff über die Spielsituation geben? Keiner ist näher dran am Ball als sie, dennoch erzählen sie manchmal den größten Unsinn (Beispiel von Peter Janich).

    Da Sie hier die persönliche Qualifikation zur Sprache bringen: Ich habe durchaus am MPI für Hirnforschung, Abt. Neurophysiologie, am California Institute of Technology, Div. Biology, sowie an den Unikliniken Frankfurt und Bonn empirisch gearbeitet und bin in Kognitionswissenschaft promoviert. Dass ich gerade bei dieser empirischen Arbeit auf Grundlagenprobleme stieß, über die ich jetzt genauer nachdenken möchte, scheint mir eher eine Tugend als eine Not.

    Zum Inhalt, wenn Sie es genau wissen wollen, dann gibt es diese zwei jüngsten einschlägigen Publikationen:

    1. Über Missverständnisse, Chancen und Probleme der evolutionären Psychologie, von einem der führenden US-amerikanischen Evolutionspsychologen (David M. Buss) federführend geschrieben: Confer, J. C., Easton, J. A., Fleischman, D. S., Goetz, C. D., Lewis, D. M., Perilloux, C. & Buss, D. M. (2010). Evolutionary Psychology: Controversies, Questions, Prospects, and Limitations. American Psychologist 65:110-126.

    Die größten Probleme für die evolutionäre Psychologie stellen laut den Autoren Homosexualität, Selbstmord sowie individuelle und kulturelle Unterschiede psychischer Fähigkeiten dar.

    2. Über Irrtümer der evolutionären Psychologie aus biologischer, philosophischer und psychologischer Sicht: Bolhuis, J. J., Brown, G. R., Richardson, R. C. & Laland, K. N. (2011). Darwin in Mind: New Opportunities for Evolutionary Psychology. PLoS Biology 9: e1001109.

  46. @Stephan: Danke für die Links

    Das Paper von Bolhuis, J. J., Brown, G. R., Richardson, R. C. & Laland, K. N. kenne ich und habe es kürzlich auf den scilogs als Beispiel konstruktiver Kritik an der EP bereits erwähnt.

    Das andere Paper habe ich kurz angesehen und werde es morgen lesen. Die darin geäußerte Kritik scheint mir ebenfalls ernstzunehmen.

    Angenehm, daß das Kind hier nicht mit dem Bade ausgeschüttet wird: “None of the aforementioned scientific developments render evolutionary psychology unfeasible; they merely require that EP should change its daily practice.”

  47. @ Stefan Schleim: Kein Widerspruch!

    Hallo Stefan Schleim,

    ich wollte gar nichts gegen Sie sagen. Ihre Diskussionsbeiträge gefallen mir alle zumeist recht gut. Und auch dem, was Sie hier sagen, kann ich vollauf zustimmen.

    Ich zielte eher auf eine so grundlegende ablehnende, “vernichtende”, “schlachtende”, mit dem Henkersbeil daherkommende Kritik wie die von Elmar Diederichs. Eine solche lese ich bei Ihnen nicht heraus.

    Daß viele Fragen offen sind, daran kann ja gar kein Zweifel bestehen. Und daß diese diskutiert werden müssen. Allerdings scheint mir diesbezüglich von Elmar doch ein ziemlich falscher Zungenschlag eingeführt worden zu sein – natürlich nach seinem Anspruch sogar noch viel mehr.

    Ich habe selbst auf meinem Blog immer wieder auf zahlreiche Ungeklärtheiten und Mißverständnisse der Soziobiologie hingewiesen. Aber das tun ja viele Soziobiologen. Etwa E.O. Wilson und Hölldobler, wenn sie auf den wichtigen Umstand hinweisen, daß nicht Gene evoluieren müssen, um Altruismus hervorzurufen (bei sozialen Insekten), sondern sich offenbar nur Ablesezustände ändern müssen. Das stellt das ganze Grundkonzept der Soziobiologie, soweit ich sehe, infrage.

    Auch die “jüngste Humanevolution”, von der ich in meinem Beitrag sprach, ist ja noch längst nicht in das Theoriegerüst der Soziobiologie integriert, wird oftmals von Soziobiologen ja gar nicht thematisiert (wie etwa Michael Blume).

    Auch der Altruismus-Begriff selbst verursacht ja immer wieder Diskussionen. W.D. Hamilton hat in meiner Meinung nach ANDERS verstanden als viele ihn in Nachfolge von Dawkins’ “egoistischem Gen” verstanden haben und Dawkins ist es bis heute mit seinen Richtigstellungen nicht gelungen, hier für allgemeine Klarheit zu sorgen (Gene haben keine Gefühle wie Egoismus oder Altruismus, sie sind entweder evolutionstabil oder nicht – aber Phänotypen haben Gefühle – und die sind eben bei altruistischen Taten altruistisch).

    Aber wie gesagt: Elmars Ansatz ist ja, soweit ich das verstanden habe, ein ganz anderer. Ihn interessieren solche innerwissenschaftlichen Ungeklärtheiten gar nicht. Er will in einem Rundumschlag die ganze Geschichte Evolutionäre Psychologie erledigen. Dagegen argumentierte ich grade.

  48. @ Homosexualität

    Daß es meiner Meinung nach zu Homosexualität schon ganz gute Theorien gibt, daß sie nämlich – u.a. – offenbar koevoluiert mit einer genetischen Neigung zu erhöhter Fruchtbarkeit bei Müttern von genetisch homosexuell veranlagten Söhnen, erwähnte ich schon weiter oben.

  49. WOW!!!!! Tolle Literaturangabe!!!

    Wow, Stephan Schleim, Ihre zweite Literaturangabe sagt ja genau das, was ich sagen. DAS ist mal ‘ne gute Literaturangabe. Eine der wenigen hier in den letzten Tagen scheinbar, die mal wirklich brauchbar ist!!! Vielen Dank!!

    Und da hatte ich grad schreiben wollen, daß ich der vielen (traditionellen und schwerpunktmäßig philosophischen) Grundsatzdebatten um die Soziobiologie reichlich müde bin. Aber DAS ist was anderes. Damit kann man arbeiten!!!

  50. @ Stephan Schleim: S. Conway Morris

    Hallo Stephan Schleim,

    da Sie das “nochmal ablaufen der Evolution” ansprechen: Haben Sie sich schon mal mit Simon Conway Morris und dem Thema “Konvergente Evolution” beschäftigt und dem allseitigen Vorherrschen dieses Phänomens in der Evolution. Find ich unglaublich spannend und dürfte allerhand von der gestellten Frage beantworten.

    Ich hab mich durch Dawkins’ “Ancestor’s Tale” auf diesen Conway Morris aufmerksam machen lassen (“Geschichten vom Ursprung des Lebens”) und fand es hochgradig spannend, wie diese Theorie von der konvergenten Evolution aus einer Auseinandersetzung von Conway Morris mit Stephen Jay Gould’s “Zufall Mensch” entstand, in welchem letzteren Gould Conway Morris’ Forschungen zur kambrischen Revolution geradezu die Starrolle zusprechen wollte, die aber Conway Morris dann VÖLLIG anders verstanden wissen wollte als Gould!

    (Ich hab zu Conway Morris’ “Jenseits des Zufalls” auf Amazon eine Rezension geschrieben, die von vielen Lesern geschätzt worden ist.)

  51. @ Jürgen Bolt: Buss-Paper

    Gerne; da das ziemlich enthusiastische Evolutionspsychologen sind, darf man annehmen, dass ihre Kritik auch konstruktiv bleibt. Viel Spaß beim Lesen des Papers. Sind auch schöne Fotos der Psychologinnen bei… komische Eigenart des American Psychologist.

    Ich kann mit Ulrich Freys letzter Zusammenfassung übrigens recht gut leben; wenn er jetzt noch aufhört, alles Denken als “Produkt der Evolution” zu bezeichnen, dann können wir uns auf dem nächsten Bloggertreffen sogar freundschaftlich zuprosten. 😉

  52. @ Ingo Bading: Punkte

    Das sind ja nun eine ganze Reihe von Punkten. Eigentlich wollte ich meine Blog-Aktivität gerade wieder reduzieren. Habe ja schließlich noch etwas anderes (beispielsweise unsere Konferenz über NeuroDevices diese Woche) zu tun.

    Das wäre ja langweilig, wären wir immer einer Meinung. Ich denke übrigens, dass Elmar ein sehr schlaues Köpfchen hat aber in letzter Zeit finde auch ich, dass er manchmal recht laut trommelt. Doch keine Sorge, hinter der harten Schale steckt ein weicher Kern. 😉

    Haben Sie das ZDF Nachtstudio über Terror, Evolution und Hirnforschung von Montagnacht eigentlich schon gesehen? Da geht es auch viel um Altruismus vs. Egoismus.

    Übrigens ein witziger Punkt: Die Verhaltensexperimente zeigen ganz deutlich, dass die Versuchspersonen (im Mittel) egoistisch sind, wenn sie nicht beobachtet und dafür nicht bestraft werden, doch die Sozialneurowissenschaftlerin Tania Singer hält daran fest, dass der Mensch im Grunde eben doch altruistisch sei, weil es da eben diese Gehirnregionen gibt…

    Es gibt natürlich eine theoretische Erklärung für Homosexualität aus evolutionärer Sicht, indem man beispielsweise dafür argumentiert, dass dadurch der Überlebensvorteil der eigenen Gruppe gefördert wird (ähnlich wie bei Religion). Wenn man das aber sauber aufschreibt, dann sieht man, dass man dadurch eben die nicht unumstrittene Gruppenselektion in Kauf nimmt. Dem Buss-Paper zufolge mangelt es für die evolutionäre Erklärung der Homosexualität übrigens an empirischen Belegen (siehe vorletztes Kapitel).

    Danke auch für den Verweis auf Morris; die Diskussion ist mir durchaus schon begegnet. Ich konnte mich aber bisher nur recht oberflächlich mit der evolutionären Psychologie/Soziobiologie beschäftigen und das meistens auch nur, weil mich übertriebene Aussagen genervt haben bzw. in unserem Arbeitskreis zur Lebensentstehung. Ich hoffe aber, in Bälde mal eine optimistischere Phase zu haben und will mich dann gerne darin vertiefen. 😉

  53. P.S. Epigenetik

    Diesen theoretischen Punkt habe ich nun doch noch vergessen:

    …wenn sie auf den wichtigen Umstand hinweisen, daß nicht Gene evoluieren müssen, um Altruismus hervorzurufen (bei sozialen Insekten), sondern sich offenbar nur Ablesezustände ändern müssen. Das stellt das ganze Grundkonzept der Soziobiologie, soweit ich sehe, infrage.

    Verweisen Sie hier z.B. auf die Epigenetik? Dann würde ich ihre Schlussfolgerung aber nicht teilen. Ebenso wie Evolutionstheorien recht flexibel darin sind, neue Befunde zu den Mechanismen der Vererbung zu integrieren, glaube ich, dass auch die evolutionäre Psychologie/Soziobiologie sich daran anpassen kann, dass Eigenschaften nicht nur genisch, sondern auch epigenisch vererbt und ausgedrückt werden können.

  54. Nicht Epigenetiksondern Sociogenomic 😉

    Nein, nicht Epigenetik. sondern “Sociogenomic”. Ich hab darüber zwei Beiträge geschrieben:

    http://studgendeutsch.blogspot.com/…efunden.html

    http://studgendeutsch.blogspot.com/…ruismus.html

    Ich fände es ja eine Schande für die deutsche Wissenschaftsberichterstattung, wenn solche spannenden Dinge sich seit 2 Jahren nicht weiter herumgesprochen haben (sollten), so daß ausgerechnet ich zum Hobbybiologen Verdammter hier Leuten noch etwas Neues erzählen sollte.

  55. Joachim Bauer

    Ok, also sagen wir, es geht schon “in Richtung” Epigenetik. Aber Artunterschiede werden ja nicht nur Epigenetik, sondern durch Genetik bestimmt. Es sind halt nicht ganze Protein-kodierenden Gene, die evoluieren, sondern nur jene genetischen Schalter, die sie an- und abschalten. Darin liegt natürlich eine epigenetische Komponente drin enthalten, die ja Joachim Bauer in seinem GANZ UND GAR HERVORRAGENDEN Buch “Das kooperative Gen” auf dem derzeitigen Wissensstand einigermaßen vernünftig schon herausarbeitet, wie ich finde.

    Mein Beitrag dazu hier:

    http://studgendeutsch.blogspot.com/…t-recht.html

    Axel Meyer hat ja den Bauer verrissen bis zum geht nicht mehr. Das war – MEINER Meinung nach – ein Schuß in den Ofen, so sehr ich Axel Meyer sonst schätze.

  56. “American Psychologist” zahm über EP

    – wow.

    Soweit ich weiß, war auch der “American Psychologist” (von S. Schleim dankenswerter Weise erwähnt), noch vor wenigen Jahren keineswegs eine schwerpunktmäßig naturwissenschaftliche Zeitschrift. – Ist sie es überhaupt heute schon? Um 2006 gab es ein Heft zur IQ-Forschung, in dem man sich schon um Ausgewogenheit der Debatte bemühte und beide Seiten zu Wort kommen ließ.

    Aber wenn man dort jetzt einen so “zahmen” Artikel über die Evolutionäre Psychologie veröffentlicht – man lese mal nur die “Conclusions” – von Seiten eines Faches, das ursprünglich der Evolutionären Psychologie nicht ablehnender hätte gegenüberstehen können, dann ist das schon sehr auffällig. Man weiß auch hier um das Theoriedefizit, das bestehen würde, wenn man die EP nicht hätte nach dem Zusammenbruch des Freud’schen Paradigmas.

  57. @ Bading: Milde

    Na ja, es ist ja nicht nur ein Artikel im American Psychologist, der für sich wohl übrigens nicht beanspruchen würde, eine naturwissenschaftliche Zeitschrift zu sein, sondern ein Artikel bestimmter Autoren, und das sind eben Pioniere der evolutionären Psychologie. Ich sage noch einmal: David Buss, BussLab für Evolutionary Psychology an der Universität von Texas.

    Zusammen mit dem zitierten PLoS Biology-Artikel finde ich es dann aber schon wieder etwas ausgewogener.

  58. @Ulrich

    Es freut mich riesig, dass Du wieder bloggend präsent bist! Und die Resonanz zeigt ja auch, wie nötig das ist!

    Inhaltlich will ich Dir voll zustimmen – leider auch in Deinen Beobachtungen von der oft emotionalen Ablehnung gegen Evolutionsforschung (die m.E. längst mehr ist als Soziobiologie). Auf meinem englischen Scilog toben sich seit Wochen US-amerikanische Kreationisten um einen 85-jährigen Priester aus, ist ziemlich interessant…
    http://www.scilogs.eu/…gion-at-eseb-2011-lecture

    Wenn die Evolutionstheorie zutreffen ist, dann ist alles Lebendige Ergebnis des Evolutionsprozesses – mitsamt seiner kulturellen Fähigkeiten, Vielfalt und Unbestimmtheiten. Das heißt nicht, dass die evolutionäre Perspektive die einzige sein sollte, unter der wir Verhalten erforschen – aber eine unverzichtbare ist es m.E. auf jeden Fall!

    Schön, dass Frey-händig wieder aktiv ist!!! 🙂

  59. @ all: Jens Asendorpf (2012)

    Wer übrigens auch immer dicht am Forschungsstand dran ist, ist der Berliner Jens Asendorpf. Gerade entdecke ich eine Neuausgabe seines ziemlich innovativen Lehrbuches “Psychologie der Persönlichkeit”, in dem ich schon in früheren Ausgaben viel lernte.

    Wie immer sehr schön und differenziert zum Paradigmenwechsel in der Psychologie, etwa zu: IQ, Verhaltensgenetik, Ev. Psych. und – wohl ganz neu von ihm so benannt: das “Molekulargenetische Paradigma” 😉

    (- Aber leider offenbar nur eine kürzer gefaßte Bachelor-Ausgabe.)

    http://www.springerlink.com/…;page=5&locus=7

  60. dass eine strikte Trennung …Unsinn ist

    “dass eine strikte Trennung zwischen Geistes-, Sozial- und Biowissenschaften Unsinn ist,…”
    Könnte es sein, daß das nun wirklich schon behoben ist? (“abgearbeitet” wurde)
    Kenntst du Joachim Bauer? Das ist der mit dem “kreativen Gen”, mal von vorn bis hinten DURCHlesen …
    Der diskutiert darüber nicht, der MACHT das einfach, und wenn er fertig ist, paßt JEDER Soziologe einfach hinten dran.
    Wo soll da heute noch das Problem liegen? Daran, daß der eine zu faul(!) ist, den anderen zu begreifen?
    Liegt doch auf der Hand, die Abfolge: Bevor Soziologe mit MENSCH “hantieren” kann, muß solcher zunächst erst mal da sein , und das passiert dankenswerterweise noch immer nicht durch Soziologie, sondern durch Biologie, ist sowieso unverständlich, wieso das eine eine NATURwissenschaft und das andere eine GEISTESwissenschaft sein soll! Offenbar ein ziemlich klebriges Rudiment aus der Scholastik, diese Sicht, irgendwie mächtig wie 20. Jahrhundert nach den Kriegen, besser: Vor-Internet-Zeit.

  61. Stephan Schleims Evolutionsverständnis

    @ Stephan Schleim @ Frey, Beispiele
    10.09.2011, 16:34

    Kann nur einem anderen Blogger hier beipflichten: Joachim Bauer lesen (das KOOPERATIVE GEN) – wo ist etwas unklar?
    Oder klebst du bei deinem Evolutionsverständnis noch an der völlig mißverstandenen Alt-Darwinistik eines Dawkins und Kollegen? Das hat ja schon der alte (!) Darwin reichlich anders gesehen, mit der Selektion …
    Ein Blogger hat hier klar herausgestellt: ALLES ist EVOLUTION.
    Selbst der berühmte Stuhl hat damit etwas zu tun. Was ist denn der bitte? Er verkörpert direkt TECHNIK als menschliche Fähigkeit und Fertigkeit, “geronnen” in verkörperter TECHNIK (Gegenstand), und so wie dieser einfache Stuhl mit evolutionär entstandenen UND individuell erworbenen Fähigkeiten und Fertigkeiten des Menschen zu tun hat, hat das JEDE Kulturleistung usw.
    “Soziologen, die mit Evolution nichts anfangen können” sollten marsch marsch zurück ins richtige Leben und auf die Schulbank, um erst mal Ihre eigene Herkunft und Daseinsweise zu erfassen lernen, bevor sie sich anmaßen, davon losgelöst, über “innere” Vorgänge eines Subjektes Mensch oder seiner Gruppen Beobachtungen anzustellen.
    Mikrokosmos und Makrowelt – Naturgesetze bleiben die gleichen und Systemeffekte sind zwar reduktionistisch nicht ermittelbar, jedoch wie im System ATOM, ZELLE, ORGAN usw. an eine eigene Evolution gebunden, so auch SYSTEM MENSCH, BIOSYSTEM – ORGANISMUS MENSCH.
    Die gesamte Verhaltensweise und damit eben Sozialverhalten eines solchen Organismus, der auch bei soziologischer “Beobachtung” ein Bioorganismus mit all seinen Determiniertheiten BLEIBT (!), ist unweigerlich an seine evolutionären “Mitbringsel” gebunden, und Soziologen, die das nicht kennen – SIND schlicht KEINE solchen.

  62. Lusru@Lusru: Strikte Trennung …

    Sorry!
    Habe leider den Buchtitel vom J.Bauer nicht korrekt angegeben: Statt der falschen Bezeichnung “Das kreative Gen” muß es natürlich richtig heißen: DAS KOOPERATIVE GEN

    (Wobei die falsche Bezeichnung dabei jedoch nicht uninteressant ist)

  63. Konträre bioevolution

    Ein großes Vorurteil ist aber das man denkt das die Evolution uns nur Vorteile bringt, weil man vergisst das unsere Evolution nicht Heute, aber in der Vergangenheit hat stattgefunden und in den vielen Jahrtausenden vor uns müssten unsre Vorfahren sich anpassen an Umständen die sehr verschieden waren von den heutigen. Einige Beispiele:

    In einer Mittelalterlichen Stadt war die hygienische Situation derart dass man die Stadt auf 20 km riechen konnte. Die Menschen lebten auf Dreck und inmitten von dem Ungeziefer. Um die Krankheiten zu überleben musste das Immunsystem kräftig sein. Jetzt leben wir sauber, aber nun werden viele Menschen krank von Auto Immunkrankheiten, also von zu Aggressiven Immunzellen. Auch gibt es jetzt viele Erbkrankheiten, spezifisch evolutionär hervorgerufen von den Infektionskrankheiten. zB wurden Krankheiten an den roten Blutzellen induziert von der Malaria, weil die Malariaparasiten nicht überleben können in derartigen Blutzellen, usw.

    Auf den sozialen Bereichen waren die Umständen aber noch mehr verschieden von heute als auf rein biologisch-medizinischer Gebiet. Oft war es in der Vergangenheit ‚fitt‘ und nötig zum überleben um sich sehr aggressiv zu benehmen, besonders gegen ‚die Andern’ also Menschen von einer andern Grafschaft (=Provinz); Oft war es auch ‚fitt’ Frauen zu vergewaltigen, zu rauben und morden, usw. Aber für den Herr Graf, Bischoff, usw sollte man im Staub biegen. Auch sollte man sich im Allgemeinen sehr kollektiv und ohne Selbstgefühl benehmen. Lernen sollte man gar nicht, manchmal wurde Kenntnisse der Natur als Hexerei gedeutet.

    Jetzt ist unser soziales Benehmen viel anders geworden. Die Entwicklung darin war sehr viel schneller als es von der Bioevolution möglich wäre. Manches kriminelles Benehmen und Sachen als Nazi Ideen haben wahrscheinlich eine Relation mit unseren Bioevolution. Die ganze gesellschaftliche und psychologische Entwicklung kann aber nicht Darwin evolutionär bestimmt sein.

  64. Lieber Herr Frey,

    ein Kommentar zu Kooperation & Konkurrenz,
    zur Soziobiologie allgemein.

    Auszug:
    ” Diese grundsätzliche Reflexion jenseits des politically correct-Mainstreams meint Annette Mennicke, wenn sie von dem entscheidenden Unterschied zwischen der ultimaten und proximaten Perspektive spricht. Dieser Unterschied ist im übrigen auch nach Jahrzehnten des aneinander vorbei Diskutierens zwischen der biologischen und der sozialwissenschaftlichen Argumentationslinie präsent -und sinnlos- wie eh und je.

    Dafür, dass Mennicke sich dieser Fragestellung grundsätzlich annimmt, gebührt ihr höchstes Lob. Soziobiologie, Anthropologie, Evolution geben genügend Stoff her um den Mainstream kritisch zu hinterfragen. Das Handicap-Prinzip spricht für sich. Eigentlich nur schade, dass das unbewusste Verhaltens-Dilemma namens Spiel-Theorie (S. 87, die uns “im Alltag” die vielen schönen Vorsätze kaputt macht) nur am Rande einfließt und zu wenig mit neurobiologischen Erkenntnissen kombiniert wird”
    http://www.geistundgegenwart.de/…cht-schwer.html

    http://www.xing.com/net/evolutionsmanagement/
    v.a. die Foren K & K

    und:
    http://ed.iiQii.de/…arch.php?searchstring=voland

    Ausserdem habe ich eine harte Rezensions-Kritik zu dem Buch von Neffe: Darwin geschrieben.

    Innovative Grüße,
    Erich Feldmeier

    *diese mail wurde INDIVIDUELL erstellt und ist ohne Unterschrift gültig*
    Institut für Querdenkertum und Innovation – ed.iiQii.de
    +49 40 2442 1380
    “Effektivität durch Inhalte – Effizienz statt Worthülsenzauber”
    http://www.xing.com/net/evolutionsmanagement/
    https://plus.google.com/102177944572975797324
    http://www.facebook.com/….php?id=100002937169656

  65. Disposition

    Ja, es ist in vielen Fällen ein Eindreschen auf Strohmänner.

    Weder geht die Eovlutionsbiologie von DEM Mann oder DER Frau aus, sondern nur von Verteilungen im Schnitt noch ist Verhalten determiniert.

    Die Biologie steuert eher unsere Wünsche und sorgt dafür, dass uns ein bestimmtes Verhalten vorzugswürdig erscheint, aber es zwingt uns nicht auf eine bestimmte Art und Weise zu handeln

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