Herschel entdeckt fünf gelenste Submillimetergalaxien

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Mit Hilfe des Infrarotobservatoriums Herschel entdeckte ein internationales Forscherteam, dem ich auch angehöre, systematisch fünf so genannte gelenste Submillimetergalaxien im frühen Universum. Das amerikanische Wissenschaftsfachmagazin Science veröffentliche vor einigen Tagen, am 5. November 2010 [1,2], diese bahnbrechende Entdeckung mit nicht weniger als 89 Autoren. Dies ist bisher eines der herausragenden Ergebnisse der extragalaktischen Astronomie dieser Mission.

Diese Beobachtungen sind Teil des Herschel Open Time Key Project H-ATLAS (PI: S. Eales, Cardiff, und L. Dunne Nottingham).  Diesem Proramm sind insgesamt 600 Stunden Beobachtungszeit mit den beiden Instrumenten PACS und SPIRE an Bord von Herschel zugesprochen worden und es ist dies die grösste Himmelsdurchmusterung mit Herschel. Im Rahmen der Science Demonstration Phase (SDP) im Herbst 2009 beobachteten wir mit den Herschel Instrumenten PACS und SPIRE ein 16 Quadratgrad grosses Gebiet. In diesem Feld sind einige Tausend Infrarotgalaxien zu sehen. Diese Galaxien strahlen (fast) ihre gesamte Energie im Infraroten aus. In diesem Galaxientyp gibt es sehr intensive Sternentstehung über einige wenige Hundertmillionen Jahre mit Sternentstehungsraten von bis zu einigen Tausend Sonnenmassen pro Jahr. Die prominentesten Vertreter mit der höchsten Sternentstehungsrate sind die so genannten Submillimetergalaxien. Sie liegen bei Rotverschiebungen von z~1 bis 4, dies entspricht einige, wenige Milliarde Jahre nach dem Urknall. Aufgrund der Roverschiebung ist diese Strahlung aber nicht im Infraroten sondern im längerwelligen Submillimeterbereich nachweisebar, deshalb auch die Bezeichnung Submillimetergalaxien. Die räumliche Auflösung mit Herschel SPIRE beträgt 18" bei 250, 25" bei 350 und 36" bei 500 Mikrometern. Diese Galaxien sind somit allesamt Punktquellen in den Herschel SPIRE Aufnahmen.

Eines der Ziele der H-ATLAS Kollaboration ist die Suche nach den hellsten Submillimetergalaxien im jungen Universum. Verschiedene Theorien sagen voraus, dass die hellsten Mitglieder dieser Galaxienpopulation allesamt gelenste Galaxien sein müssten. Auch der Erstautor dieser Arbeit, Mattia Negrello von der Open University in Grossbritannien, arbeitete in den letzten Jahren an Galaxienentwicklungsmodellen zur genauen Vorhersage der Anzahl dieser Quellen. Mit Hilfe der drei SPIRE Filter und unter Annahme einer unteren Flussgrenze wählten wir zunächst 11 Kandidaten aus. Alle Quellen wurden in den drei SPIRE Filter signifikant nachgewiesen. Nach einem Abgleich mit Daten im Optischen und Radio Bereich und weiteren Analysen blieben fünf vielversprechende Galaxien übrig. Diese Anzahl würde mit der vorhergesagten Häufigkeit von gelensten Submillimetergalaxien von Mattia Negrello übereinstimmen. Die Übereinstimmung von Theorie und Beobachtung schien schon einmal sehr vielversprechend zu sein, siehe Abbildung 1.

Abbildung 1: Die vorhergesagte aufsummierte Anzahl verschiedener Galaxientypen (y-Achse) ist gegen die Flussdichte (in milli-Jansky, mJy) bei 500 Mikrometer aufgetragen. Bei Flussdichten von  >=50 mJy ist klar zu sehen, dass die Anzahl der nachgewiesenen Galaxien im SPIRE Band bei 500 Mikrometern von gelensten Submillimetergalaxien dominiert sein würde (schwarze Linie), welches durch unsere Beobachtungen (schwarze, gefüllte Kreise) bestätigt wird [1,2].

Nach Bekanntmachung dieser 5 vielversprechenden Quellen (siehe Abbildung 2) in unserem Konsortium begannen an verschiedensten Teleskopen auf der ganzen Welt sehr intensive, kurzfristig beantragte Beobachtungskampagnen. Ich war an diesen Kampagnen mitbeteiligt. Als PI (Principal Investigator) stellte ich einen so genannten DDT (Directors’ Discretionary Time) Beobachtungsantrag für das IRAM 30m Telekskop, um mit dem Instrument MAMBO photometrische Messpunkte bei 1.2mm dieser 5 Quellen zu bekommen. Der Antrag wurde genehmigt und schon kurz darauf begannen die Beobachtungen. Zur Abschätzung einer ungefähren Rotverschiebung war dieser Messpunkt unbedingt nötig. Zusammen mit den Herschel SPIRE Messpunkten kann eine photometrische Rotverschiebung mit einer Messungenauigkeit von z=+-0.3 abgeleitet werden. Diese Genauigkeit erlaubte uns dann gezielt nach dem giftigen Kohlenmonoxid Molekül zu suchen und somit die Entfernung der beobachteten Galaxie verlässlich zu bestimmen. Diese spektroskopischen Beobachtungen wurden mit verschiedenen Millimeterteleskope weltweit durchgeführt, stark daran war auch das IRAM Plateau de Bure Interferometer beteiligt. Für alle 5 Quellen konnten erfolgreich spektroskopische Rotverschiebungen gemessen werden. Zwei Quellen liegen bei Rotverschiebungen grösser als z>2,5 (2,7 Milliarden Jahre nach dem Urknall). 

Abbildung 2: Herschel SPIRE 3-Farbenbild von dem 16 Qudratgrad grossen SDP Feld zusammengesetzt aus Aufnahmen bei 250, 350 und 500 Mikorometern. In Insets sind die 5 entdeckten gelensten Submillimetergalaxien dargestellt [3]. 

In allen fünf Fällen ist auf der Herschel Position ein optisches Gegenstück zu sehen. Wir beobachteten diese Quellen im Submillimeterbereich auch bei wesentlich höherer räumlicher Auflösung von einer Bogensekunde oder besser mit dem SMA (Submillimeter Array) Interferometer auf Hawaii. Unsere Analyse zeigte dabei, dass die im optischen Wellenlängenbereich zusehende Galaxie nicht für die Strahlung im Submillimeterbereich zuständig ist und bei wesentlich niedrigeren Rotverschiebungen liegt, siehe Abbildung 3 und 4.

Abbildung 3: Spektrale Energieverteilung (Flussdichte gegen beobachtete Wellenlänge in Mikrometer) der fünf gelensten Submillimetergalaxien. Die beobachtete Strahlung im Optischen kommt von der Vordergrundgalaxien (in blau) und die Strahlung im Infraroten und Submillimeter von der Hintergrundgalaxie, der gelensten Submillimetergalaxie (in rot) [1,2].

Auch die beobachtete "Verformung" im Submillimeterbereich zum Beispiel im Fall von ID81, die als Einsteinring interpretiert werden kann, deutet stark darauf hin, dass die mit Herschel SPIRE entdeckten Galaxien von denen im Optischen zu sehenden Vordergrundgalaxien durch den Gravitationslinseneffekt verstärkt und verformt worden sind, siehe Abbildung 4. Es handelt sich somit bei unseren fünf Galaxien um die lang gesuchten gelensten Submillimetergalaxien. Die 100% Erfolgsquote dieser neu entwickelten Methode zeigt das grosse Potential Gravitationslinsen im Submillimeterbereich zu finden.

Abbildung 4: Links Herschel-SPIRE Aufnahme von ID81 und rechts ein Komposit aus einer optischen KECK (blau)  und einer hochauflösenden SMA (rot) Aufnahme. Das Komposit veranschaulicht, dass die Millimeterstrahlung nicht von der optischen Quellen (blau) kommen kann.

Dank der durch den Gravitationslinseneffekt (siehe Abbildung 5) auftretende Vergrösserung der Hintergrundgalaxien ist es möglich im Detail diese Galaxien zu studieren, was bei nicht gelensten Objekten nicht so einfach möglich wäre. Zum Beispiel beträgt der Vergrösserungsfaktor im Falle von ID81 ~18-31. Abbildung 2 macht ziemlich deutlich, dass tatsächlich riessige Himmelsgebiete durchmustert werden müssen um eine gewisse Anzahl dieser Quellen zu finden. In der Pre-Herschel Zeit war es nicht möglich grosse Gebiete wie mit nun Herschel zu beobachten. Einmal wurde so ein ähnliches Objekt zufällig gefunden. Ich kann mich auch noch sehr gut an die Winterschule "Cold Universe" in Saas Fee im März 2002 erinnern, in der einer der Entdecker der Submillimetergalaxien, Andrew Blain (Caltech), auf den Gravitationslinseneffekt im Submillimeterwellenlängenbereich hinwies und dies mich damals sehr beeindruckte. Es dauerte aber dann nochmals 8 Jahre bis dieser Effekt tatsächlich beobachtet wurde. Das ich dabei Teil des Entdeckerteams sein würde, mit einem Science Artikel noch dazu, hätte ich mir damals nicht unbedingt träumen lassen.

Abbildung 5: Am Beispiel ID81 wird der Gravitationslinseneffekt illustriert.

An dieser Stelle möchte ich erwähnen, dass die Herschel Daten von dem hier besprochenen SDP Feld, seit kurzem öffentlich zugänglich sind. Die gesamte Himmelsdurchmusterung wird sich auf insgesamt 550 Quadratgrad, über verschiedene Himmelsregionen verteilt, erstrecken. Wir erwarten deshalb noch eine grössere Anzahl von Objekten dieser Art zu entdecken. Dies wird uns dann erlauben die Eigenschaften der gesamten Population mit einer soliden Statistik intensiv analysieren und dadurch stichaltige Schlussfolgerungen ableiten zu können. 

 

Bis zum nächsten Blog,

 

Euer Helmut Dannerbauer 

Quelle:

[1]: M. Negrello et al., Science, November 5th 2010, 330, 800, ‘The Detection of a Submillimeter-Bright, Strongly Lensed Galaxies’

[2]: M. Negrello et al., astro-ph/1011.1255, (gleicher Artikel wie in Science)

[3]: Pressemitteilung von ESA SciTech, NASA, Open University und Herschel Frankreich

 

Negrello, M., Hopwood, R., De Zotti, G., Cooray, A., Verma, A., Bock, J., Frayer, D., Gurwell, M., Omont, A., Neri, R., Dannerbauer, H., Leeuw, L., Barton, E., Cooke, J., Kim, S., da Cunha, E., Rodighiero, G., Cox, P., Bonfield, D., Jarvis, M., Serjeant, S., Ivison, R., Dye, S., Aretxaga, I., Hughes, D., Ibar, E., Bertoldi, F., Valtchanov, I., Eales, S., Dunne, L., Driver, S., Auld, R., Buttiglione, S., Cava, A., Grady, C., Clements, D., Dariush, A., Fritz, J., Hill, D., Hornbeck, J., Kelvin, L., Lagache, G., Lopez-Caniego, M., Gonzalez-Nuevo, J., Maddox, S., Pascale, E., Pohlen, M., Rigby, E., Robotham, A., Simpson, C., Smith, D., Temi, P., Thompson, M., Woodgate, B., York, D., Aguirre, J., Beelen, A., Blain, A., Baker, A., Birkinshaw, M., Blundell, R., Bradford, C., Burgarella, D., Danese, L., Dunlop, J., Fleuren, S., Glenn, J., Harris, A., Kamenetzky, J., Lupu, R., Maddalena, R., Madore, B., Maloney, P., Matsuhara, H., Michaowski, M., Murphy, E., Naylor, B., Nguyen, H., Popescu, C., Rawlings, S., Rigopoulou, D., Scott, D., Scott, K., Seibert, M., Smail, I., Tuffs, R., Vieira, J., van der Werf, P., & Zmuidzinas, J. (2010). The Detection of a Population of Submillimeter-Bright, Strongly Lensed Galaxies Science, 330 (6005), 800-804 DOI: 10.1126/science.1193420

 

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Veröffentlicht von

Der promovierte Astrophysiker Helmut Dannerbauer – wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie, Heidelberg – fokussiert sich in seinem Blog auf die Erforschung von Galaxien und deren Entwicklung im jungen Universum.

1 Kommentar

  1. Ich sehe keine Galaxie

    die angeblich durch die Gravitationslinse verzerrt vergrößert wird, sondern die rosa-roten Wolken, die die blau gefärbte Galaxie umgeben. Zufällig verdecken ein paar von ihnen die Galaxie.

    Ähnliche kugelförmige Wolken kann man etwa hier
    http://science.nasa.gov/…esources/real_strip.jpg
    und hier
    http://www.mpg.de/…/03/Popescu0601/Web_Zoom.jpeg
    ganz gut beobachten.

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