Regionalentwicklung in Entwicklungsländern

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Regionale Disparitäten stellen große Anforderungen an die Politik. Die Konzentration wirtschaftlicher Aktivitäten führt zu starken Ungleichgewichten sowohl im sozialen als auch im ökonomischen Bereich. Eine auf Ausgleich ausgerichtete Politik muss daher Mittel und Wege finden, damit regionale Entwicklungspfade weitestgehend parallel verlaufen. Die Schwierigkeit liegt darin, die richtige Regionalpolitik zu formulieren, da sich das Wachstum in den wirtschaftlichen Zentren häufig verstärkt und ländliche Räume nur geringe Entwicklungsperspektiven aufweisen.

Unbeabsichtigte Regionalpolitik

Eine einheitliche Regionalpolitik existiert sowohl in Entwicklungs- und Schwellenländern als auch in Industrieländern nur selten. Vielmehr beeinflussen nationale Entscheidungen die regionalwirtschaftliche Ebene unbewusst. Diese Entwicklung ist sehr häufig in Entwicklungs- und Schwellenländern zu beobachten, die lange Zeit eine protektionistische Politik verfolgten. Beispiele hierfür sind zahlreich. In Indonesien führte eine gezielte Industriepolitik dazu, dass nur wenige Industriezweige eine Förderung erfuhren. Unbewusst wirkte sich diese politische Entscheidung auf die regionalwirtschaftliche Ebene aus, da sich viele Unternehmen der geförderten Industriezweige auf der Insel Java befanden. Regionen mit unterschiedlicher Wirtschaftsstruktur wiesen in der Folge eher geringere Wachstumsraten auf. Durch unterschiedliche Wachstumsperspektiven erfolgten ausländische Investitionen hauptsächlich im ökonomischen Kernbereich des Landes, die die Entwicklung zunehmend verstärken.

Ähnliche Entwicklungen sind in Mexiko zu beobachten. Der Beitritt des Landes zur NAFTA ("North American Free Trade Association") führte zu unterschiedlichen Entwicklungspfaden innerhalb des Landes. Durch veränderte Handelsstrukturen nach dem Beitritt verlagerten viele Betriebe die arbeitsintensive Fertigung und Dienstleistungen in den Norden des Landes. An der Grenze zur USA entstanden viele Fertigungsstätten, sogenannte Maquiladoras, die als Auftragsfertiger für US-Unternehmen fungieren. Diese Entwicklung führte zum wirtschaftlichen Aufschwung des Nordens, während die wirtschaftliche Bedeutung der Hauptstadt Mexiko-Stadt und der südlichen Provinzen abnahm.
Während diese Beispiele eine unbeabsichtigte Regionalpolitik aufzeigen, findet in vielen Ländern eine gezielte Regionalpolitik statt. Die Instrumente regionale Entwicklungsimpulse auszulösen sind vielschichtig. Die Kombination aus einem Transfer von Sozialleistungen und der Infrastrukturförderung ist beispielsweise in Deutschland und China zu beobachten, während andere Länder eine Projektbezogene Regionalförderung verfolgen. Die Regierung von Bangladesch rief das Anreizsystem „Food-for-Education“ ins Leben, das ärmeren Bevölkerungsschichten einen finanziellen Vorteil einräumt, wenn diese ihre Kinder regelmäßig zur Schule entsenden. Aufgrund der unterschiedlichen Konzentration der Armut im Land, wirkt dieses Programm regional sehr unterschiedlich.  

 

Regionalentwicklung in Indien

Die Auswirkungen einer unbeabsichtigten Regionalpolitik lassen sich auch in Indien identifizieren. Die aktuellen ökonomischen und sozialen Strukturen des Landes lassen sich auf die Liberalisierungsmaßnahmen der Regierung in den 1990er Jahren zurückführen. Nach einer langen Phase durchschnittlicher Wachstumsraten (von 1950 bis 1980 ca. 3,4% p.a.), entschied sich die indische Regierung 1991 dazu, ehemals von der Weltwirtschaft geschützte Industriezweige zu liberalisieren. Die Politik konzentrierte sich in der ersten Phase hauptsächlich auf die Schlüsselindustrien des Landes, sprich auf die Rohstoff- und Ölindustrie, Transportsysteme, Telekommunikation, Pharmarzie und auf den Finanzsektor. Viele Betriebe in diesen Sektoren waren allerdings in wenigen Städten des Landes lokalisiert, die in den 1990er Jahren ein starkes Wirtschaftswachstum generieren konnten. Die Politik der wirtschaftlichen Öffnung war somit auch ein Konjunkturprogram für die Küstenregionen und die Wachstumspole Bangalore, Mumbai, Neu Delhi und Hyderabad.
Die indische Regierung erzielte mit diesem Programm große Erfolge, da die Wachstumsraten des BIP auf jährlich 6 bis 8% anwuchsen. Allerdings verstärkten sich gleichzeitig intersektorale Disparitäten. Die landwirtschaftliche Produktion erzielte in der Reformphase nur geringe Wachstumsraten, während es zu einem Boom in der Industrie und im Dienstleistungssektor kam (siehe Tabelle 1).

Tabelle 1: Sektorale Wachstumsraten in Indien in Prozent

 

Quelle: Asian Development Bank und Abreau/Savona (2009: 485)

Aufgrund der politischen Entscheidung den landwirtschaftlichen Sektor bis ins neue Jahrtausend gegenüber globalen Entwicklungen abzuschotten, konnten Bundesstaaten mit einer hohen Agrarquote nur geringe Wachstumsraten erzielen. Bundesstaaten wie Bihar, Uttar Pradesh, der Punjab und Orissa, die sich im Landesinneren befinden, entwickelten sich nur mäßig. Das Punjab zählte beispielsweise vor der Reform zu einem der reichsten Regionen des Landes. Die Gewinner waren eindeutig die Bundesstaaten Delhi, Haryana, Gujarat, West Bengalen und Rajasthan, die seit nunmehr zwei Dekaden hohe Wachstumsraten aufweisen (siehe Tabelle 2). Als verstärkender Effekt kommt hinzu, dass ein Großteil der ausländischen Investitionen in die prosperierenden Regionen des Landes fließt.

Tabelle 2: Sektorale Wachstumsraten in einzelnen Bundesstaaten in Prozent

Quelle: Asian Development Bank und Abreau/Savona (2009: 487)

 

Die indische Regierung versucht dieser Entwicklung entgegenzuwirken, indem zahlreiche Programme ins Leben gerufen werden, die gezielt periphere Regionen unterstützen. Die Maßnahmen bilden weitere Liberalisierungen der Landwirtschaft und eine umfangreiche Reform der Landrechte, der Ausbau ländlicher Gesundheitssysteme und städtischer Dienstleistungen in Regionen mit geringen Wachstumsraten.

Allerdings sind die ökonomischen Kernregionen immer noch Motor der indischen Entwicklung. Aus diesem Grund wird es für die Politik schwer werden, regionale Disparitäten nachhaltig zu verringern. Das indische Beispiel zeigt dabei sehr eindrucksvoll, wie sich wirtschaftliche Wachstumspfade innerhalb kürzester Zeit herausbilden und die Wirtschaftsstruktur eines Landes prägen.

Verwendete Literatur

Abreau, M.; Savona, M. 2009: New regional policies for less developed areas: the case of India. In: Capello, R.; Nijkamp, P.: Handbook of Regional Growth and Development Theories. Edward Elgar. S.479-494.
Rodrik, D.; Subramanian, A. 2004: From Hindu Growth to productivity surge: the mystery of the Indian growth transition. IMF Working Paper 04/77.
Liefner, I.; Schmid, D. 2009: Arbeitsplatzexport durch „Offshoring“? Erwünschte und unerwünschte Wirkungen der wirtschaftlichen Integration in Nordamerika. In: Geographische Rundschau 61: 20-25.

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Meine Name ist Stefan Ohm und ich bin Geograph. Vor meinem Studium habe ich eine Ausbildung zum Fachinformatiker absolviert und danach bei Electronic Data Systems (EDS) als Lotus Notes Entwickler gearbeitet. Während meines Studiums in Hannover führte mich mein Weg zur Texas State University in San Marcos (USA) sowie zur University of Bristol (UK). Darüber hinaus absolvierte ich zwei Praktika bei NGO’s in Neu Delhi (Indien), mit dem Ziel Entwicklungsprozesse vor Ort genauer zu betrachten und damit ein besseres Verständnis über diese zu erhalten. Promoviert habe ich über den Strukturwandel im Perlflussdelta und Hongkong (China) an der Justus Liebig Universität in Gießen.

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