Verstädterungsprozesse in Afrika

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Die afrikanischen Länder südlich der Sahara zählen trotz aller Entwicklungsbemühungen seitens der UN zu den ärmsten Ländern der Welt. Entwicklungshemmend wirken weiterhin die koloniale Vergangenheit, das hohe Bevölkerungswachstum, autoritäre Machthaber und hohe Armutsraten. Diese Entwicklungshemmnisse finden sich auch in der Struktur der afrikanischen Städte wieder, sowohl in der Frage der Genese und Entwicklung, einem hohen Bevölkerungsdruck als auch in ungelösten ethnischen Fragen. Am Beispiel Nairobi lassen sich die sozioökonomischen Probleme aufzeigen, die in vielen afrikanisch tropischen Städten herrschen.

Genese der afrikanisch tropischen Stadt

Die afrikanisch tropische Stadt ist in den Ländern südlich der Sahara vorzufinden. Ihre Entstehung und Entwicklung reicht in vielen Fällen noch in die Kolonialzeit zurück. Die Kolonialmächte Frankreich, England, Belgien und Portugal errichteten für ihre Kolonien geplante Verwaltungsstädte nach europäischem Vorbild. Ihre Lokalisation ist daher hauptsächlich an Flüssen, Küstenregionen oder an Handelsrouten wiederzufinden. Vor diesem Hintergrund ist nachzuvollziehen, dass in städtischen Kernbereichen häufig europäische Merkmale anzutreffen sind. Lagos beispielsweise, die ehemalige Hauptstadt von Nigeria, entwickelte sich unter portugiesischer Herrschaft in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus den Städten Quidah und Port Novo. Ihren Hafen nutzten den Portugiesen für den Sklavenhandel, bis er 1866 von den Briten erobert wurde. Beide Kolonialmächte prägten das Stadtbild Lagos sowohl in planerischer als auch in architektonischer Weise.
Auch Nairobi (2,7 Millionen Einwohner), heute Hauptstadt Kenias, war gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine aufstrebende Pionierstadt, die durch den Eisenbahnbau entstand, weshalb Europäer und Asiaten bis weit in das 20. Jahrhundert einen Großteil der Bevölkerung stellten. So betrug der Anteil der farbigen Bevölkerung Nairobis 1962, bei einer Einwohnerzahl von 267.000, nur geringe 58 %. Erst nach dem Ende der Kolonialzeit wuchs der Anteil der farbigen Bevölkerung innerhalb der Stadtgrenzen wieder und erreichte 1979 mehr als 90 %, bei einer Einwohnerzahl von 827.000. Ähnliche Prozesse waren in vielen afrikanischen Städten zu beobachten. Diese Zahlen verdeutlichen, dass die Einwohnerzahl stark wuchs, aber auch große Verschiebungen innerhalb der Einwohnerstruktur stattfanden.

Bevölkerungswachstum in Afrika südlich der  Sahara

Der Urbanisierungsprozess der vergangenen Jahrzehnte in den Ländern südlich der Sahara wurde stark beeinflusst durch hohes Bevölkerungswachstum. Seit den 1970ern haben sich die Wachstumsraten zwar abgeschwächt, im Vergleich zu europäischen und asiatischen Staaten sind sie aber noch relativ hoch.
Der Grund für die hohen Wachstumsraten ist die hohen Geburtenraten. Zwischen 1970 und 1975 zählte der Großteil der zentralafrikanischen Staaten zu den „high fertility countries“ mit 6 oder mehr Kindern pro Frau. Nigeria wies noch in den 1990ern 6,2 Kinder pro Frau auf, in Kenia dagegen war die Zahl mit 3,9 Kindern pro Frau deutlich geringer.
Verstärkt wurde das Bevölkerungswachstum durch Verbesserungen in der medizinischen Versorgung der Bevölkerung, in deren Folge die Kindersterblichkeit sank und die Lebenserwartung anstieg. Diese erreichte 1995 bis 2000 in den afrikanischen Ländern einen durchschnittlichen Wert von 50 bis 55 Jahren, der 5 bis 10 Jahre über den Werten für den Zeitraum von 1970 bis 1975 liegt (zum Vergleich: in Deutschland liegt die Lebenserwartung der Männer bei 76 Jahren und der Frauen bei 82 Jahren).

Entwicklungstendenzen im Lichte starken Bevölkerungswachstums

Gegenwärtig stehen die Städte im tropischen Afrika, bedingt durch das starke Bevölkerungswachstum, unter großem Wachstumsdruck. In Lagos strömen täglich geschätzte 1.000 Menschen mit der Hoffnung auf Arbeit in die Millionenstadt. Das hohe Bevölkerungswachstum bringt enorme Probleme mit sich. Es herrscht eine besonders hohe Bevölkerungsdichte im innerstädtischen Kernbereich und in den Slums oder Squatter-Siedlungen (Hüttenviertel). Obwohl die übliche Bauweise zwei- bis dreigeschossige Gebäude nicht überschreitet, erreicht z. B. Daressaalam in Tansania eine durchschnittliche Einwohnerdichte von ca. 26.000 pro km2 (zum Vergleich Berlin: 3846 Einwohner pro km2).
Durch dieses schnelle Wachstum ist eine gesteuerte Planung und Erweiterung der Stadt nur schwer  möglich, da sowohl Infrastruktur als auch Verkehrssysteme gnadenlos überlastet sind. Lagos beispielsweise erreichte im Jahre 2000 eine Einwohnerzahl von ca. 10 Millionen und wird nach Schätzungen bis zum Jahr 2015 auf 24,4 Millionen anwachsen. Ein solches Wachstum übersteigt die natürliche Aufnahmefähigkeit einer solchen Stadt bei weitem. Die Zuwanderer finden daher meist in den Slums und Squatter-Siedlungen Unterkunft, die aus Wellblechhütten oder einfachen Häusern bestehen. Diese schnell errichteten Siedlungen sind in keinerlei Planungskonzept eingebunden, da viele Städte oder Stadtteile nicht von Stadtverwaltungen organisiert werden, sondern lokale Könige oder Machthaber herrschen. Dies führt dazu, dass viele afrikanisch tropische Städte unkontrolliert erweitert werden und wachsen; mit all den negativen Begleiterscheinungen für Infrastruktur, Wasser-, Abwasser und Stromversorgung.

Sozioökonomische Probleme am Beispiel Nairobis

Die sozioökonomischen Probleme von afrikanischen Städten, ausgelöst durch hohen Bevölkerungsdruck, dem Fehlen einer sinnvollen Stadtplanung und mangelnder Versorgung, lassen sich am Beispiel Nairobi gut nachvollziehen.
Die Bevölkerungsexplosion in Kenia setzte noch während der Kolonialzeit ein, die am 12. Dezember 1963 mit der Unabhängigkeitserklärung endete. Zudem fand in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Kenia eine starke Landflucht statt, in der eine Vielzahl von Emigranten (v. a. junge Familien und alleinstehende Männer) in die Städte abwanderte. Hauptziel der Migrantenströme war die Hauptstadtregion Nairobi. Die Landflucht brachte nicht nur Belastungen für die Stadt selbst mit sich, sondern schwächte auch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der ländlichen Regionen, da vor allem jungen Arbeitskräfte migrierten. Einziger Ausweg für diese Migranten war und ist häufig der informelle Sektor, der mehr als die Hälfte der städtischen Bevölkerung Nairobis mit Einkommen versorgt. Der informelle Sektor ist in vielen Entwicklungsländern durch arbeitsintensive Produktion und sozial nicht abgesicherte, schlecht bezahlte und gering qualifizierte Arbeit gekennzeichnet, vor allem im Dienstleistungsbereich und Handel.
Obwohl sich die medizinische Versorgung in den vergangenen Jahrzehnten in Kenia verbesserte, ist diese in Nairobi noch immer unzureichend. Daraus resultieren eine niedrige Lebenserwartung (52 Jahre) sowie eine hohe Säuglingssterblichkeitsrate (7,5%), bei immer noch hohen Wachstumsraten der Stadtbevölkerung (5,8% für Nairobi, 3,1% für Kenia). Die Altersstruktur Nairobis zeigt somit folgendes Bild: eine breite Basis und eine schnelle Verjüngung nach oben. Durch den weiterhin anhaltenden Verstädterungsprozess kommt es in der Stadt zu schwerwiegenden sozioökonomischen Problemen. Mehr als die Hälfte der Stadtbevölkerung lebt unterhalb der kenianischen Armutsgrenze, und leidet unter Kapitalmangel, unzureichender Bildung und schlechter Versorgung im Bereich Infrastruktur (Versorgung mit sauberem Trinkwasser, Strom, Transportmittel, sanitäre Einrichtungen, Kläranlagen, Müllbeseitigung, etc.). Die Analphabetenquote innerhalb der Stadtgrenzen lag 1998 noch bei 19,5%.
Ein weiteres sozioökonomisches Problem ist der Mangel an menschenwürdigen, bezahlbaren Unterkünften, vor allem in den Außenbezirken der Stadt, wo sich die Slumviertel (auch als „Marginalviertel“ bezeichnet) und Squatter-Siedlungen schnell ausdehnen. In Nairobi leben mehr als eine Million Menschen in derartigen Siedlungen. Hier herrschen teilweise katastrophale hygienische Zustände. Krankheiten und Seuchen unter anderem durch mangelnde Hygiene, eingeschränktem Zugang zu sauberem Trinkwasser hervorgerufen, verbreiten sich sehr schnell.
Grundlegende menschliche Existenzbedürfnisse werden in diesen Stadtbereichen nur unzureichend oder gar nicht erfüllt. Die oben beschriebenen sozioökonomischen Probleme verstärken sich zudem gegenseitig (direkt oder indirekt) und unterstützen damit die negativen Entwicklungstendenzen.

Das Stadtbild und die Entwicklung der afrikanischen Städte südlich der Sahara sind geprägt durch starkes Bevölkerungswachstum und sozioökonomischen Problemen, häufig verursacht durch Armut und ungeplante Stadtentwicklung. Vor allem durch das starke Bevölkerungswachstum entstehen Slumgebiete in den Städten, die mittlerweile als typisches Element in afrikanischen Städten gelten.  

Verwendete Literatur

BÄHR, J. 2001: Entwicklung der Weltbevölkerung  an der Schwelle zum 21.Jahrhundert. IN Geographische Rundschau 2/2001, S.45 – 54.
HEINEBERG, H. 2006: Grundriss allgemeine Geographie: Stadtgeographie (3. Auflage). UTB: Stuttgart.
MANSHARD, W. 1977: Die Städte des tropischen Afrika. Gebr. Borntraeger Verlagsbuchhandlung: Stuttgart.
MANSHARD, W.; MÄCKEL, R. 1998: Umwelt und Entwicklung in den Tropen. Wissenschaftliche Buchgesellschaft: Darmstadt.
The Alan Guttmacher Institute (Hrsg.): Sharing Responsibility; Woman, Society and Abortion Worldwide, New York 1999.
United Nations World Population Monitoring, 1999: Population Growth Structure and Distribution. New York.

Foto: www.pixelio.de

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Meine Name ist Stefan Ohm und ich bin Geograph. Vor meinem Studium habe ich eine Ausbildung zum Fachinformatiker absolviert und danach bei Electronic Data Systems (EDS) als Lotus Notes Entwickler gearbeitet. Während meines Studiums in Hannover führte mich mein Weg zur Texas State University in San Marcos (USA) sowie zur University of Bristol (UK). Darüber hinaus absolvierte ich zwei Praktika bei NGO’s in Neu Delhi (Indien), mit dem Ziel Entwicklungsprozesse vor Ort genauer zu betrachten und damit ein besseres Verständnis über diese zu erhalten. Promoviert habe ich über den Strukturwandel im Perlflussdelta und Hongkong (China) an der Justus Liebig Universität in Gießen.

3 Kommentare

  1. Tippfehler?

    “In Lagos strömen täglich geschätzte 1.000 Menschen mit der Hoffnung auf Arbeit in die Millionenstadt” Das waeren dann bei einer Einwohnerzahl von k Millionen 0.1/k Prozent. Klingt nicht unbedingt dramatisch, eventuell fehlen der 1000 ja ein paar Dezimalstellen?

  2. @JonasMo

    Die 1.000 sind schon richtig. Das mag sich im Vergleich zur Stadtgröße nicht groß anhören, wenn man es aber hochrechnet gewinnt Lagos alleine durch Zuwanderung ca. 365.000 Einwohner im Jahr. Und das alleine durch Migranten. Bei einer hohen Geburtenrate in der Stadt, kann erhöht sich die Einwohnerzahl der Stadt pro Jahr um ca. 500.000 Einwohner. Das sind schon dramatische Urbanisierungsprozesse, die viel Sprengkraft in sich birgen. Vor allem, wenn diese Wachstumsraten in den nächsten 10 bis 20 Jahren weiterhin so hoch bleiben. Genaue Zahlen kennt aber keiner, es sind eher Schätzungen.

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