Astro-Alex zu Besuch im ESOC

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Raumfahrt aus der Froschperspektive
Go for Launch

Kennen Sie das, wenn Onkel Erwin und Tante Käthe von einer ihrer Studienreisen zurück kommen und Familie, Freunde und Nachbarn mit einer gefühlt endlosen Dia-Show beglücken? Kamel von links, Kamel von rechts. Sie wissen, was ich meine.

Heute Nachmittag am ESOC war das …

… ganz anders. Alexander Gerst, aka Astro-Alex, kam heute zu Besuch. Er ist gerade von einer langen, einer sehr langen Studienreise zurück gekehrt, im Gepäck sehr viele Bilder, von denen er eine Menge zeigte. Langeweile kam allerdings überhaupt nicht auf. Im Gegenteil, ich war so gebannt, dass ich kaum zum Fotografieren kam.

Die fotografische Qualität meiner Fotos ist nicht berauschend, das gebe ich unumwunden zu. Ich hatte die EOS 1000D mit einem 50 mm Objektiv dabei, das ich allein wegen der maximalen Blende von f/1.8 mitnahm. Das gab’s mal bei Amazon für 90 Ocken. Genau das richtige für drinnen, dachte ich. Aber hier sehe ich, warum das so preiswert war. Scharf und kontrastreich geht anders, beispielsweise so.

Na, egal. Vieles war eh nur vom Bildschirm abfotografiert.

Alexander Gersts Vortrag war, um es mit einem Wort zu sagen, klasse. Wenn Sie mal Gelegenheit haben, Ihn von seinem Flug berichten zu hören, gehen Sie unbedingt hin. Es ist ihm wirklich gelungen, den Alltag auf der ISS zu schildern, ohne die Nachteile zu dramatisieren oder schön zu färben.

Der erste eigenverantwortliche Job da oben? Auswechseln des Urinschlauchs an der Bordtoilette. Deren Benutzung war eher unspektakulär, obwohl sie während des Trainings nur im Trockenlauf getestet werden konnte. Hier, bei 1 g, sorgt die Schwerkraft dafür, das alles dorthin geht, wo es hin soll – und auch dort bleibt. Dort oben macht das die Luftströmung der Absaugvorrichtung.

Fortbewegung in der ISS, die dem Rookie beim ersten Betreten unglaublich geräumig vorkommt: Anfangs problematisch, wenn man noch nicht an die Schwerelosigkeit gewöhnt ist und die Lage der Haltegriffe noch nicht verinnerlicht hat. Irgendwie schafft man es immer zum Verdruss der Kollegen, mit dem Fuß an einem Kabel hängen zu bleiben. Und wehe, wenn der Griff, der immer da war und nach dem man schon ohne Hinzusehen greift, plötzlich nicht mehr da ist, weil ein Kollege ihn abgebaut hat, um ihn anderswo zu verwenden …

Und wie fühlt man sich in den ersten Tagen der Schwerelosigkeit? Manchen ist übel. Gerst hatte Glück; das blieb ihm erspart. Allerdings suggerierte ihm sein Gleichgewichtsorgan, er hinge wie eine Fledermaus von der Decke.

Der allmächtige, unerbittliche Zeitplan. Darunter täglich Sport, sonst ist man den physiologischen Auswirkungen der Schwerelosigkeit ausgeliefert. Ist man aber diszipliniert (und dafür sorgt das Kontrollzentrum), sind Knochenabbau und Muskelschwund beherrschbar – Gerst legte drei Kilo zu, nach eigenem Bekunden kein Hüftgold, sondern Muskelmasse. Die Knochen blieben auch im Ausgangszustand. Ich bin kein Arzt, aber ich muss wirklich sagen: Nach Muskelschwund sah der mir wirklich nicht aus.

Die vielen Experimente, mehr als 100 an der Zahl, davon 25 aus Deutschland. Der Aufbau, die Durchführung, die Wartung, das Trouble-Shooting: Alles obliegt am Ende den Astronauten, wenn es auch massig Unterstützung von der Erde gibt. Da versteht man, wozu jeder von denen 6000 Stunden Training bekommt. Es muss auch schon mal improvisiert werden, wie bei der Transportsicherung, die beim Abmontieren abbrach und deren Buchstück das Sichtfeld einer der zum Experiment gehörenden Kameras blockierte. Was tun? Absägen. Klar. Aber die Metallspäne? Was ist, wenn die einen Kurzschluss auslösen oder im Auge landen? Was bei 1 g keine Sache wäre, muss da oben wohlüberlegt sein.

Vieles ist anders als bekannt, wenn die Schwerkraft fehlt. Selbst so etwas profanes wie Seifenblasen verhalten sich unerwartet.

Manches geht von so weit oben auch einfacher. Geologie, Erforschung von Meeresströmungen oder großflächigen Wetterphänomenen – da reicht aus 400 km schon bloßes Hinsehen, um zu verstehen, wie alles zusammen hängt. Die Milchstraße ist so reich strukturiert und hell, wie sie sich ein irdischer Astronom allenfalls erträumt, Da freut sich der Raumfahrer über den Vollmond, weil der mit seiner Helligkeit die Mehrzahl der Sterne unsichtbar macht und somit wieder die bekannte Struktur herstellt, die sonst im Sternenlicht untergeht.

Der Raumfahrer sieht von seiner hohen Warte auch, wie limitiert die irdischen Ressourcen sind. Dem Späher aus dem All bleibt nichts verborgen – er sieht die Abholzung sofort, ebenso die resultierende Erosion. Er sieht auch noch schlimmeres. Er hat einen Logenplatz für die Beobachtung von Kriegshandlungen. Gerst war schockiert, als er merkte, dass er gerade zusah, wie Kurzstreckenraketen einschlugen und Menschen getötet wurden.

Die ISS durchfliegt oft Polarlichter, deren Helligkeit das Innere der ISS in gespenstisches grünes Licht tauchen. Was muss das für ein Anblick sein? Dafür würde ich sogar die Schlafzelle in Kauf nehmen, die Alexander Gerst an eine Telefonzelle erinnerte, mich dagegen an einen Sarg. Er sagte allerdings, der Körper sei der Meinung, er stünde aufrecht, wenn die visuellen Hinweise auf oben und unten fehlen. Ist wohl auch besser so.

Der Körper suggeriert so manches. Einfach, weil er das von der Erde so kennt. Bei seiner EVA beispielsweise, als beide schon “suited up” in der Schleuse waren und Kollege Reid Wiseman die Luke nach draußen öffnete, hätte Gerst schwören können, er spüre einen Luftzug im Nacken. Vollkommen unmöglich im Inneren eines hermetisch abgedichteten Raumanzugs, Aber die Anschauung sagt, wenn man so eine Luke öffnen, zieht’s, also zieht’s. Solche kleinen Ankedoten gab es zuhauf. Sie beschreiben besser als alles andere, was der Raumfahrer erlebt.

Sofern man das überhaupt denen beschreiben kann, die nicht dort waren. Au Mann, was würde ich dafür geben, auch dort oben hin fahren zu können.

Ich würde sogar die nach russischer Ansicht weiche, objektiv aber eher an einen Autounfall erinnernde Landung der robusten, aber nicht unbedingt immer eleganten russischen Technik in Kauf nehmen. Sehr interessant auch Gersts Beschreibung, wie er sich wieder an die Schwerkraft gewöhnen musste und wie schwer ihm ein iPhone oder auch nur der eigene Arm vorkamen.

Wie gesagt: Wenn er einen Vortrag hält, gehen Sie hin.

Meine Fragen an ihn:

  1. Lernen Sie schon chinesisch? Antwort: Noch nicht, wäre aber eine gute Idee.
  2. Ist Ihnen bekannt, ob es Pläne für ein Public-Domain-Teleskop auf der ISS gibt? Antwort: Ist mir nicht bekannt, wäre aber auch eine gute Idee.

Zur dritten Frage bekam ich keine Gelegenheit. Der Saal war gerammelt voll, und viele andere wollten was wissen. Die Frage fiel mir ein, als ich seine Beschreibung der Monotonie des Speiseplans, des bald unbändigen Verflangens nach frischem, knackigen Gemüse und Salat und der Enttäuschung, als eine Ladung frischer Gurken verdorben oben ankam. Was ist denn mit dem Risiko des Einschleppens von Schimmelpilzen in der ISS auf leicht verderblichen Lebensmitteln?

Der Blick aus der von der ESA gelieferten "Cupola", offenbar der Liebligsaufebthaltsort von Alexander Gerst, mit dem Aufnäher seiner Mission
Credit: Michael Khan / Der Blick aus der von der ESA gelieferten “Cupola”, offenbar der Liebligsaufebthaltsort von Alexander Gerst, mit dem Aufnäher seiner Mission
Ein sichtlich gut gelaunter Thomas Reiter kündigt seinen Raumfahrerkollegen an
Credit: Michael Khan / Ein sichtlich gut gelaunter Thomas Reiter kündigt seinen Raumfahrerkollegen an
Keine Spur von Muskelschwund
Credit: Michael Khan / Keine Spur von Muskelschwund
Der unerbittliche Zeitplan
Credit: ESA/NASA/Alexander Gerst / Der unerbittliche Zeitplan
Hier müsste mal jemand aufräumen - das Columbus-Modul
Credit: ESA/NASA/Alexander Gerst / Hier müsste mal jemand aufräumen – das Columbus-Modul
Getting a square peg through a round hole - das kriegt man als Kleinkind nicht hin, udn als ausgewachsener Raumfahrer immer noch nicht
Credit: ESA/NASA/Alexander Gerst / Getting a square peg through a round hole – das kriegt man als Kleinkind nicht hin, udn als ausgewachsener Raumfahrer immer noch nicht
Auf der ISS sieht man Polarlichter nicht von unten, sondern man ist mitten drin
Credit: ESA/NASA/Alexander Gerst / Auf der ISS sieht man Polarlichter nicht von unten, sondern man ist mitten drin
Physikunterricht aus dem Orbit
Credit: ESA/NASA/Alexander Gerst / Physikunterricht aus dem Orbit
Die Pegasus Bay und Christchurch in Neuseeland: Geologie und Meereskunde werden aus aus 400 km Höhe unmittelbar einsichtig
Credit: ESA/NASA/Alexander Gerst / Die Pegasus Bay und Christchurch in Neuseeland: Geologie und Meereskunde werden aus aus 400 km Höhe unmittelbar einsichtig
Schleswig Holstein, meerumschlungen!
Credit: ESA/NASA/Alexander Gerst / Schleswig Holstein, meerumschlungen!
Die Schönheit der Wüsten uog Gerst in ihren Bann. Hier eine Formation in der Sahara. Sieht mir aus wie ein großer Einschlagkrater. Weiß jemand mehr?
Credit: ESA/NASA/Alexander Gerst / Die Schönheit der Wüsten zog Gerst in ihren Bann. Hier eine Formation in der Sahara. Sieht mir aus wie ein großer Einschlagkrater. Weiß jemand mehr? +++ Update: Leser Bill Sherwood hat die Formation erkannt – es handelt sich um den Aorounga-Einschlagskrater!
So sieht die Milchstraße aus, wenn keine Erdatmosphäre stört
Credit: ESA/NASA/Alexander Gerst / So sieht die Milchstraße aus, wenn keine Erdatmosphäre stört
Wenn Männer derartig gebannt auf einen Bildschirm starren, geht es entweder um Autos oder um Fußball.
Credit: ESA/NASA/Alexander Gerst / Wenn Männer derartig gebannt auf einen Bildschirm starren, geht es entweder um Autos oder um Fußball. In diesem Fall Letzteres.
Luftaufnahme des Aufsetzortes des Sojus-Eintrittsmoduls, mit dem Alexander Gerst gemeinsam mit zwei Raumfahrerkollegen zur Erde zurückkehrte. Der Fallschirm wurde vom Wind aufgebläht und hat die Kapsel umgekippt und eine erhebliche Entfernung über den Steppenboden geschleift.
Credit: ESA/NASA/Alexander Gerst / Luftaufnahme des Aufsetzortes des Sojus-Eintrittsmoduls, mit dem Alexander Gerst gemeinsam mit zwei Raumfahrerkollegen zur Erde zurückkehrte. Der Fallschirm wurde vom Wind aufgebläht und hat die Kapsel umgekippt und eine erhebliche Entfernung über den Steppenboden geschleift.
Alexander Gerst beantwortet Zuschauerfragen
Credit: Michael Khan / Alexander Gerst beantwortet Zuschauerfragen

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Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

11 Kommentare

  1. Sehr schöner Beitrag, Michael – Du hast die Stimmung, die Alexander Gerst vermittelte, eingefangen. Diese Mischung aus sehr ernst und witzigen Anekdoten, sachlich und persönlich. Er ist ein Super-Redner.
    Unbedingt hörenswert!

    • In der Tat, MIR war eigentlich nicht mehr bewohnbar (fairerweise muss man dazu sagen, dass sie für 5 Jahre Einsatz vorgesehen war, aber 15 Jahre genutzt wurde) udn bei der ISS ist man sehr darauf bedacht, das Problem von vorneherein auszuschalten.

      Nach dem Andocken des ATV-4 “Albert Einstein” gab es ein Problem, weil die Dokumentation zur Desinfektion der Nutzlast nicht komplett war. Das heißt noch nicht einmal, dass man den Verdacht hatte, es müssten sich Schimmelkulturen im Gepäck befinden. Schon die Tatsache, dass zunächst nicht lückenlos dokumentiert werden konnte, welche Vorbeugung getroffen worden war, reichte aus – die Luke blieb erst einmal zu.

      Deswegen wundert es mich, dass leicht verderbliches Gemüse wie Gurken auf die ISS geschickt werden darf und dies sogar in verdorbenem Zustand ankam. Da hat man doch ruckzuck Schimmelpilze eingeschleppt.

      Auf einer japanischen Raumstation würde man wahrscheinlich das problem durch ausschließliche Nutzung von otsukemono umgehen.

      • Schimmel im Weltraum (durch Feuchte, die sich an Oberflächen niederschlägt) scheint mir kein unlösbares Problem. Nur schon durch fachgerechte Klimatisierung kann die Schimmelbildung vermindert werden. Aber auch Bestrahlung mit UV könnte eingesetzt werden. Dazu müssten nur Abschnitte der ISS (oder des zukünftigen Marstransporters) periodisch gereinigt werden und bei diesem Reinigungsvorgang müssten UV-C-Lampen zum Einsatz kommen.

        • Tja, in der Theorie ist oft alles ganz einfach. In der Praxis jedoch ist es so, dass die Module eine Raumschiffs verwinkelt sind, mit Spanten, doppelten Wänden, Instrumentenracks, Kabelschächten und doch so manchem mehr. Die Luftzirkulation und Entfeuchtung wird nicht alle Ecken erreichen und nicht überall kann man mit UV-Licht hineinleuchten.

          Es ist nicht unbedingt ein unlösbares Problem, aber Kernbestandteil der Lösung ist wahrscheinlich eher die Vermeidung (durch Kontrolle von allem, was hineinkommt und durch die bauliche Auslegung) als die nachträgliche Beseitigung.

          Wenn besagte Beseitigung wirklich so einfach wäre, hätten die Russen das Zeug as der Mir wahrscheinlich wieder rausgekriegt.

          • Stimmt wohl. Am wirksamsten gegen Schimmel wäre es, wenn Astronauten nur noch Astronauten-Food (am besten in Tablettenform) essen würden und sie zudem beim Essen in ein abgeschlossenes Kompartement wechseln würden.
            Das läuft aber gegen den Trend hin zum Gourmet–Astronaut.
            Hier noch etwas Werbung für die UVC-Technologie

            Auf diese Weise sind je nach Anforderung Entkeimungsraten von bis zu 99,99 % wirtschaftlich möglich. Die genaue UV Dosis, die zur Inaktivierung der Mikroorganismen führt, ist dabei typenspezifisch verschieden. Während der überwiegende Teil der Bakterien und Viren mit relativ geringen Dosen inaktiviert werden kann, benötigen Hefen, Schimmelpilze und Sporen eine vielfach höhere Dosis.

          • Ein UV-Keimtöter kann nur dort Pilze und Keime töten, wo sein UV-Licht hinscheint. Genau das ist das aber das Problem auf einer Raumstation.

            Auch auf die Disziplin würde ich mich nicht verlassen. Ohnehin sind Krümel und Essensreste nicht das einzige hygienische Problem. Luftfeuchtigkeit kondensiert, Rohrleitungen sind nie ganz dicht (oder bleiben nie ganz dicht) usw.. In irgendwelchen Nischen und Winkeln, unter Bodenplatten und hinter Racks bilden sich schlecht ventilierte Örtlichkeiten, die zum Herd für Pilze und Keime werden können.

            Das Verhindern der Einschleppung ist natürlich wichtig, dürfte aber nicht ausreichen. Putzen und aktives Sterilisieren ist natürlich immer wichtig, aber man kommt eben nicht an die Problemzonen.

            Es muss also schon bei der Materialauswahl für die Oberflächenbeschichtung eine Lösung gefunden werden, die Bakterien oder Pilze abweist.

          • durch Kontrolle von allem, was hineinkommt und durch die bauliche Auslegung

            Grosse, glatte Flächen. Die sind einfach zu reinigen. Das sieht man in jeder modernen Grossküche. Ganz wichtig: Jeden Tag die Fenster weit öffnen und gut lüften. Weiss doch jeder! 🙂

  2. “Auf einer japanischen Raumstation würde man wahrscheinlich das problem durch ausschließliche Nutzung von otsukemono umgehen.”

    Gute Idee! Die Milchsäuregärung ist ja schon seit dem Neolithikum bekannt und auch die alten Seefahrer nutzten sie, um beispielsweise Sauerkraut zu konservieren und sich auf diese Weise vor Skorbut zu schützen.

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