Stufeneinschlag in China

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Raumfahrt aus der Froschperspektive
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Der folgende Tweet mit Bild von Twitter-Userin @dreamlhasa, mit richtigem Namen Tsering Kyi, vom 25. Oktober erzeugte zunächst einige Aufregung und – zumindest bei mir – Verwirrung.

Von Tsering kyi (‏@dreamlhasa) am 25 Oktober 2013 getweetetes Bild

Auf dem Bild ist eindeutig die erste Stufe einer chinesischen Trägerrakete vom Typ “Langer Marsch” zu erkennen. Also nicht wirklich ein “Weltraumobjekt”, wie der Tweet vermuten lässt. Die Autorin liegt aber nicht ganz daneben.

Weitere Tweets erläutern den Standort, an dem die Aufnahme gemacht wurde. Nicht jeder kennt sich in der Geographie des chinesischen Hinterlands aus. Da verstand ich erst einmal gar nichts mehr. Die Aufnahme entstand am 25.10. Am selben Tag um 3:50 UTC war von der Startbasis Jiuquan im Western der inneren Mongolei eine Rakete vom Typ “Langer Marsch 4B” mit einem Satelliten der Shijian-Baureihe gestartet (Artikel auf nasaspaceflight.com, spaceflightnow.com).

Die Satelliten der älteren Shijian-Serien sind  auf sonnensynchronen Kreisbahnen. Daher meine Verwirrung: Die Bahnneigung (Inklination) von erdnahen, sonnensynchronen Bahnen ist, je nach Bahnhöhe, zwischen 96 und 99 Grad. Diese Bahnen sind also retrograd und der Start muss mit einer leichten Westwärtskomponente im Geschwindigkeitsvektor erfolgen.

Standorte der drei chinesischen Weltraumstartbasen. Die geometrisch möglichen Azimute für Starts in sonnensynchrone, ernahe Bahnen sind angezeigt. In der Mitte ist der am 25.10. gemeldete Absturzort der Erststufe eingezeichnet.
Credit: Michael Khan via Google Maps Standorte der drei chinesischen Weltraumstartbasen. Die geometrisch möglichen Azimute für Starts in sonnensynchrone, erdnahe Bahnen sind angezeigt. In der Mitte ist der am 25.10. gemeldete Absturzort der Erststufe eingezeichnet.

Man startet von einer Basis  bis hin zu mittleren Breiten (ganz weit nördlich und südlich sieht’s etwas anders aus), ziemlich genau nach Norden oder Süden (je nachdem, was entlang der Flugrichtung alles noch überflogen werden muss), wobei der Azimut aber einige Grad nach Westen verdreht wird.

Wie auf der Karte zu sehen (hier nochmals die Originalkarte in Google Maps), könnte dann aber die Erststufe bei einem Start von Jiuquan unmöglich in dem eingezeichneten Ort im Süden der Provinz Gansu niedergehen. Des Rätsels Lösung liegt in der Tatsache, dass sie Zielbahn bei diesem Start aus mir nicht bekannten Gründen nicht sonnensynchron ist. Die Bahnneigung liegt bei etwa 75 Grad (siehe Informationen auf Gunter’s Space Pages); die Bahn ist also prograd, der Startazimut ist um die 170 Grad und führt dann in der Tat von Jiuquan aus über den angegebenen Ort hinweg, der sich in etwa 800 km Entfernung von der Startbasis befindet. Auch dieser Abstand vom Startort für den Einschlagpunkt der Erststufe ist durchaus plausibel.

Die Sache selbst ist nicht so bemerkenswert – da die chinesischen Startbasen Jiuquan, Taiyuan und Xichang alle weit von der Küste entfernt liegen (die Basis Wenchang an der Ostspitze der Insel Hainan ist noch noch nicht einsatzbereit), müssen zwangsläufig die Unterstufen auf dem Festland herunterkommen. Die Russen haben bei ihren Startbasen in Plesetsk und Baikonur dieselbe Situation. Dort sind allerdings nur wenige Startazimute zugelassen: Für jeden verwendeten Raketentyp gibt es festgelegte Impaktzonen für Booster, Unterstufen und Nutzlastverkleidungen. Falls es so etwas in China auch gibt, wurde diesmal offenbar von sonst zulässigen Praxis abgewichen.

In der Tat: Kinder genau neben der Raketenstufe, Ordnungskräfte sind nicht in Sicht. Quelle: Tsering Kyi (@dreamlhasa) auf Twitter

Wenn also die Aufnahme authentisch ist und auf ihr wirklich eine gerade frisch abgestürzte Erststufe einer “Langer Marsch”-Rakete zu sehen ist, dann kann ich nur sagen, dass die in dem Bild zu sehenden Menschen (Kinder?) Glück gehabt haben, dass sie nicht mit Resten von Brennstoff oder Oxidator in Kontakt kamen, die sich noch in den Tanks befinden und nach dem Absturz entweder in der Stufe selbst verbleiben oder in der näheren Umgebung verteilt werden. UDMH ist hochtoxisch, ätzend, karzinogen und explosiv. NTO ist hochtoxisch, ätzend und brandfördernd.

Niemand sollte dort herumlaufen oder -sitzen, wo solche Stoffe in möglicherweise erheblichen Mengen vorhanden sein könnten. Dass die chinesischen Behörden es zugelassen haben, dass diese Stufe in bewohntem Gebiet herunterkommt, wo Menschen betroffen sein können, die nicht wissen, wie sie sich zu verhalten haben und auch nicht gewarnt worden sind, ist bemerkenswert leichtsinnig. Eigentlich schon kriminell. Es hätten Vorkehrungen getroffen werden müssen, um die Betroffenen zu warnen, beispielsweise indem an dem vorgesehenen Einschlagpunkt Ordnungskräfte in Stellung gebracht werden.

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Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

11 Kommentare

  1. Die letzten Sätze kann ich nur unterschreiben – aber noch etwas anderes ist mir aufgefallen, vor allem auf dieser Nahaufnahme der ‘gelandeten’ Stufe: Zumindest ihre untere Hälfte macht einen praktisch unbeschädigten Eindruck. Ist das bei ihrer ballistischen Flugbahn eigentlich zu erwarten? Und haben die Chinesen hier gar – ungeplant sicher – das vollbracht, von dem Elon Musk noch träumt: die sanfte Landung der ersten Stufe einer klassischen Rakete …?

    • Ich teile nicht Ihre Ansicht, die Stufe sei “äußerlich praktisch unbeschädigt”. Die Stufe besteht ja praktisch aus mehreren Teilen, ganz unten dem Triebwerk mit dem Turbopumpen, darüber ein Tank (Oxidator oder Brennstoff), dessen Außenwand gleichzeitig die Stufenwand ist, dann ein zylindrisches Zwischenstück, dann der andere Tank mit dem, was im unteren Tank nicht drin ist, dann der obere Abschluss und der gitterförmige Adapter zur Zweitstufe, die wie bei Soyuz und Proton bereits zündet, bevor die Erststufe von der Zweitstufe getrennt wird.

      Wie man sehen kann, wurde die Stufe beim Aufschlag an der zylindrischen Verbindung zwischen dem unteren und dem oberen Tank auseinander gerissen. Das allein ist schon eine erhebliche Beschädigung, finde ich. Die eine Hälfte sieht deutlich deformierter aus. Das ist wahrscheinlich die Seite, auf der der Aufschlag erfolgte. Diese Seite hat also die Kräfte des Impakts aufgenommen. Die andere Hälfte kippte dann nach dem Impakt und dem Auseinanderreißen nur noch die wenigen Meter zum Boden. Wir wissen aber nicht, wie der noch etwas intakter erscheinende Teil auf der anderen Seite aussieht, und schon gar nicht, in welchem Zustand die Hardware im Inneren ist.

      Also, wenn ich was bei Amazon bestelle und das kommt in dem Zustand an, dann bin ich nicht wirklich zufrieden.

      Was die Impaktgeschwindigkeit angeht, die kenne ich bei der CZ nicht. Ich habe die Trajektorien für die Soyuz und die Proton ziemlich intensiv durchgerechnet. Die Stufenaufteilung ist bei jeder Rakete anders auch der Aufbau jeder Stufe. Aber ich kam bei allen einzelnen Komponenten auf Aufschlaggeschwindigkeiten zwischen 70 und 120 m/s.

      Klar: Die Stufen sind gebaut, um erhebliche Beschleunigungen auszuhalten. Aber von einer intakten Landung ist man hier weit entfernt. Das müssen Elon Musks Mannen dann doch noch ein ganz deutliches Stück (so um die zwei Größenordnungen) besser hinkriegen, wenn sie die Wiederverwendbarkeit anstreben.

      Hier noch etwas Information zur CZ 4B.

  2. Ich finde das nicht sehr verwunderlich. Raketenstufen sind extrem leicht und stabil, eben Wunderwerke des Leichtbaus. Wegen der geringen Dichte einer ausgrannten Stufe ist die Aufschlagsgeschwindigkeit ziemlich gering.

  3. Ob die erste Stufe einer Rakete praktisch unbeschadet unten ankommt hängt wohl entscheidend von der Höhe ab, in der sie abgeworfen wird. Wenn dies in einer Höhe von 50 km oder noch höher geschieht, sollte der Wiedereintrit gerade eine leichtgebaute Stufe zerlegen wie ein Kartenhaus. Man hat ja schon beim Sprung von Felix Baumgartner aus 39 km Höhe eine Geschwindigkeit von 1357,6 km/h. Wenn ein Gegenstand mit dieser oder einer höheren Geschwindigkeit in tiefere Luftschichten eintaucht ist das wie ein Aufprall auf Beton. Denn Luft bremst gar nicht schlecht. Ein frei fallender Mensch wird in den unteren Luftschichten kaum schneller als 200 km/h.

    Was kann man daraus schliessen: Die oben abgebildete 1. Stufe einer chinesischen Rakete muss wohl schon ganz tief unten ausgeklinkt worden sein. Sonst wäre sie nicht mehr ganz.

    • Das ist alles etwas komplizierter. Eine Raketenstufe wird ja nicht abgeworfen wie eine Bombe. Sie fliegt zunächst mit erheblicher Geschwindigkeit weiter nach oben. Die Horizontalgeschwindigkeit ist dabei nicht so erheblich, denn gerade die Erststufe soll bei einer dreistufigen Rakete ja erst einmal das Ganze nach oben aus der Atmosphäre herauslupfen, für das Erreichen der Bahngeschwindigkeit sorgen die oberen Stufen. Die Stufe geht dabei aus der Atmsophäre raus, aber der Wiedereintritt ist lange nicht bei so heftigen Geschwindigkeiten wie beim Wioedereintritt aus dem Orbit. Das heißt, die thermische und strukturelle Belastung in der Atmosphäre ist nicht so dramatisch.

      Der Aufschlag erfolgt bei Terminalgeschwindigkeit, die aber ist wegen der relativ geringen Masse und hohen Querschnittsfläche einer leeren Stufe nicht gar so hoch. OK, in den von mir analysierten Fällen immer noch bis zu mehr als 100 m/s. Wenn die Stufe intakt bleibt, wovon bei einer Erststufe zu rechnen ist, dann hängt das Ausmaß des Schadens fast nur von der Terminalgeschwindigkeit ab. Die aber ist eine Funktion des ballistischen Parameters, nicht der Höhe des Scheitelpunkts der Bahn.

      • Wenn das stimmt, dann bedeutet das doch, dass die Stufe erst beim Aufschlagen auf die Erdoberfläche zerstört wurde. Damit hat aber Daniel Fischer recht, wenn er schreibt, eine solche Rückkehr einer Stufe sei genau das was Elon Musk anstrebe. Ursprünglich wollte Elon Musk ja die 1. Stufe mit einem Fallschirm heil herunterbringen, stellte dann aber fest, dass die Stufe schon zerstört war bevor überhaupt ein Fallschirm geöffnet werden konnte.
        Ganz unmöglich erscheint mir die obige Beschreibung nicht, wenn auch unwahrscheinlich. Wenn die Stufe ihre Trajektorie fortsetzt könnte es zufällig so herauskommen, dass die Stufe stabil bleibt und ihre Längsachse immer in Flugrichtung zeigt. So könnte sie “überleben”. Falls sie sich aber irgendwann dreht, dann steigt der Luftwiderstand plötzlich sehr stark und man sollte eigentlich erwarten, dass die Stufe dann in der Luft zerrissen wird.

        • Die Stufe wurde ganz unzweifelhaft erst beim Aufschlag auf dem Boden beschädigt. Wenn sie sich bereits beim Abbremsen noch oberhalb der Stratosphäre zerlegt hätte, dann wären wohl kaum so große Einzelteile so dicht beieinander an der Erde angekommen, sondern es hätte ein weitverteiltes Trümmerfeld gegeben, mit nur wenigen erkennbaren Komponenten.

          Dass Booster und Unterstufen es weitgehend intakt bis zum Boden schaffen und sogar die Tanks noch erhebliche Mengen an Treibstoff enthalten, ist eine wohlbekannte und wohldokumentierte Tatsache (und ein Problem). Siehe u.a. hier. Wir müssen nicht diskutieren, ob das vielleicht so sein könnte oder nicht. Es ist so.

          Das Problem der weichen Landung zu lösen ist wohl nicht so einfach. Die CZ-4B-Unterstufe war jedenfalls weit davon entfernt. Dass eine Stufe äußerlich weitgehend intakt aussehen mag (was in diesem Fall ja noch nicht einmal gegeben ist), ist eher belanglos. Entweder sie ist intakt oder sie ist nicht intakt. Wenn man sie erst wieder auseinander- und wieder zusammen bauen muss, und dann nochmals komplett neu testen, dann frage ich mich, ob der Preisvorteil gegenüber der Wegwerfware vom Fließband noch gegeben ist. Ein Auto mag nach einem Unfall fast unbeschädigt aussehen, aber die Karosserie kann sich dennoch so verzogen haben, dass die Reparatur nicht mehr lohnt. So eine Situation muss man gleich von vorneherein ausschließen, was dann nochmals Geld kostet.

          Was Musk machen will, ist der Wiedereintritt in kontrollierter Lage. Das sollte nicht so schwierig sein, da ja eine Stufe die ganze Masse auf einer Seite hat. Auf der anderen Seite könnte er aufblasbare Stabilisatoren installieren, damit sicher gestellt bleibt, dass die Triebwerksseite entgegen der Anströmung ausgerichtet bleibt. Soweit ich weiß, soll das weiche Aufsetzen gewährleistet werden, indem eins der 5 Merlin-Triebwerke dicht über dem Boden gezündet wird. Das Delta-v ist, wie ich angesprochen habe, um die 100 m/s. Dazu muss man dann noch Treibstoff vorhalten.

          Ich halte die Wiederverwertung von Raketenstufen für eine Art Fetisch. Das ist halt ein Modethema, aber deswegen ist es noch lange nicht wirtschaftlich darstellbar. Wenn man die Unterstufe weniger effizient machen muss, indem man sie so aufrüstet, dass sie weich landen kann, wenn man sie dann noch untersuchen und gegebenenfalls reparieren muss, und alles, was man gemacht hat, qualifizieren und testen, und wenn dass dann noch billiger sein soll als Wegwerfware, die in großen Stückzahlen produziert wird, dann erscheint mir das wie ein reichlich aussichtsloses Unterfangen.

          Aber das ist Elon Musks Problem, nicht meins.

  4. Mich wundert die geringe radiale Deformation des zylindrische Elements mit den roten Strichen.Wir reden ja schließlich nicht von einer axialen Belastung in Flugrichtung für die man Unterstufen auslegt. Zudem scheint der Boden erstaunlich dicht zu sein, denn es ist auf den (gering aufgelösten) Bildern auch keine signifikante Deformation zu sehen (und irgendwo muss der Aufschlagimpuls ja hin.)

    • Ich kann da auch nur spekulieren.

      Offenbar sind die beiden ursprünglich zu der Stufe gehörenden Teile beim Aufprall auseinandergebrochen. Wahrscheinlich trat der Bruch entlang der Verbindung zwischen dem Oxidatortank und dem Brennstofftank auf. Ich habe weiter oben bereits etwas zum Aufbau einer Raketenstufe gesagt. Es ist wohl nicht zu verkennen, dass die eine Hälfte der Stufe (die ohne rote Längsmarkierungen) deutlich schwerere Beschädigungen aufweist.

      Aus diesen Tatsachen folgere ich, dass es die schwerer beschädigte (und auch radial zusammengedrückte) Seite war, die zuerst auf den Boden traf. Dabei verformte sie sich und nahm die Kräfte des Auschlags auf. Die andere Seite fiel erst, nachdem die Stufe mittig durchbrach, dann nur noch eine relativ kurze Strecke zu Boden und schlug mit geringer Geschwindigkeit auf.

      Das erscheint mir nicht unplausibel.

      Wenn ein Auto mit hoher Geschwindigkeit auf ein Hindernis prallt, kann es ja auch sein, dass es vorne schwerste Schäden aufweist, wohingegen die Kofferraumseite kaum etwas abbekommt.

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