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Raumfahrt aus der Froschperspektive
Go for Launch

Das Tolle an der Astronomie und Raumfahrt ist, dass man oft mit physikalischen Grundkenntnissen und einfachen mathematischen Mitteln Berechnungen anstellen kann, die die Realität schon gut beschreiben.

(Read this post in English here)

25143/Itokawa von Sonde Hayabusa, Copyright JAXA/ISAS Hier war beispielsweise in letzter Zeit von Asteroiden die Rede. Also stellen wir doch mal die Frage: Wie schnell kann ein Asteroid maximal rotieren, bevor es ihn auseinanderreißt? Hört sich doch erst einmal kompliziert an, oder? Dabei ist die Berechnung trivial. Ich war selbst erstaunt, wieviel sich da herauskürzt. Am Ende bleibt ein ganz simpler Sachverhalt.

Also gut, ein ganz paar einschränkende Annahmen muss man schon treffen. Der Asteroid muss gravitationell zusammenhalten; er darf kein massiver Monolith sein. Und die Dichteverteilung sollte einigermaßen homogen sein. Das ist allerdings keine besonders harte Einschränkung, es trifft immer noch auf die überwältigende Mehrzahl der Asteroiden zu.

Die Rechnung baut auf einer einleuchtenden Ausgangsannahme auf: Rotation erzeugt Fliehkraft, je schneller etwas rotiert, desto höher die Fliehkraft. Nehmen wir an, ein Asteroid besteht aus Brocken verschiedenster Größe. Diese ziehen sich gegenseitig durch ihre Schwerkraft an und lagern sich locker aneinander. Wenn die Fliehkraft kleiner als die Schwerkraft ist, hält der Asteroid zusammen. Ist die Fliehkraft größer als die Schwerkraft, zerreißt es ihn. Dazwischen gibt es genau eine Rotationsgeschwindigkeit, bei der die Fliehkraft eben die Schwerkraft aufwiegt. Das ist gerade die gesuchte maximale Rotationsgeschwindigkeit.

Berechnungen zur minimalen Rotationsperiode nicht-monolithischer Asteroiden, Michael Khan Ich werde natürlich hier den Rechengang nicht hinschreiben, schon gar nicht in HTML. Wie schrieb doch Stephen Hawking? Jede Formel kostet dich 50% der Leserschaft. Ich brauche so um die 7, hätte damit also schon über 99% der potenziellen Leser vergrault. Wer will, kann sie hier nachlesen.

Es hat mich selbst erst einmal verblüfft. Da kürzt sich so gut wie alles ‘raus, und am Ende steht, dass die Grenzperiode genau von der Dichte des Asteroiden abhängt und von nichts Anderem. Die Grenzperiode, das ist die Zeit, die der Asteroid für einen Umdrehung um seine eigene Achse braucht, gerade bei der Rotationsgeschwindigkeit, bei der es anfängt, ihn zu zerreißen.

Die Grenzperiode P ist 375780 geteilt durch die Quadratwurzel aus der Dichte. Zugegeben, mit den Einheiten habe ich hier etwas geschludert, aber als Ingenieur darf ich das. Schnell nachgeschoben: Die Dichte muss man in Kilogramm pro Kubikmetern einsetzen, dann kommt die Grenzperiode in Sekunden heraus.

Weiter nichts. Das gilt für kleine wie für große Asteroiden. Nur massive Monolithen dürfen sie nicht sein.

Wenn man 2000 Kilogramm pro Kubikmeter einsetzt, was als Wert für die mittlere Dichte gut passt, dann bekommt man eine Grenzperiode von 8403 Sekunden, also 2.33 Stunden. Ein Asteroid, der langsamer rotiert, also eine längere Periode hat, hält gravitationell zusammen.

Nun ist obiger Zusammenhang natürlich nicht gerade neu. Wenn sogar ich das ausrechnen kann, dann konnten andere das schon lange. Mir gefällt an der ganzen Sache so gut, dass dies genau den Beobachtungen entspricht. Man beobachtet bei Asteroiden die Lichtkurve. Da sie zumeist unregelmäßig geformt sind, schwankt ihre Helligkeit während der Rotation. Daraus kann man die Rotationsperiode ablesen.

Bestimmt kein Schnellrotierer: 25143/Itokawa, Quelle: JAXA/ISAS

Bis vor kurzem waren kaum Asteroiden bekannt, deren Periode unter etwa 2.2 Stunden lag. Bei vielen war es deutlich mehr. Nur in den letzten Jahren wurden einige, ausnahmslos sehr kleine, Schnellrotierer entdeckt. Das Ganze gibt Anlass zur Vermutung, dass die allermeisten Asteroiden fliegenden Geröllhalden sind.

Es gibt keine großen Schnellrotierer. Das ist natürlich kein Beweis, dass es auch keine ganz großen Monolithen gibt, man kann es aber schon als deutlichen Hinweis werten. Die bekannten Monolithen (oder große Metallklumpen) – da Schnellrotierer mit Perioden von bis zu wenigen Minuten – sind alle klein, deswegen hat man sie nicht früher entdeckt.

Diese Schnellrotierer müssen interessant aussehen. Kein Steinchen, kein lockerer Krümel könnte sich auf ihnen halten. Auch eine Raumsonde könnte nie auf so einem Asteroiden landen, er würde sie einfach weghauen.

Vielleicht sind solche Objekte ja das Resultat einer Kollision, bei der sich zwei größere Asteroiden gegenseitig in ihre Bestandteile zerlegten. Eine faszinierende Vorstellung. Und das alles aus einer einzigen kleinen Formel.

Nicht schlecht, oder?

Weitere Informationen 

Planetary Database – Small Bodies Node

Veröffentlichung des LPL zu Rotationsraten kleiner Asteroiden 

Harris, Wisnewski: Papier zu Asteroidendrehraten

Donnison, Wiper: Statistische Analyse von Asteroidendrehraten 

Spiegel Online zu YORP-Effekt und Asteroidenrotation

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Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

3 Kommentare

  1. Interessant, was man mit Schulmathematik alles herausfinden kann! Einer meiner Physikprofessoren ließ “seine” Ingenieure übrigens regelmäßig durchfallen, wenn die Rechnung zwar stimmte, aber die Einheiten falsch waren 😉

  2. >Einer meiner Physikprofessoren ließ
    >”seine” Ingenieure übrigens regelmäßig
    >durchfallen, wenn die Rechnung zwar
    >stimmte, aber die Einheiten falsch waren

    Völlig zu Recht, das ist bei Professoren anderer Fächer nicht anders. Die Einheiten sind in meiner Rechung allerdings richtig – es kommen am Ende Sekunden heraus.

  3. Den physikalischen Sachverhalt und der einfache Rechenweg zu dieser Erkenntniss finde ich sehr schön, aber
    bei dem Kommentar zum lockeren Umgang mit Einheiten und Schreibweisen muss ich Herrn Hattenbach und seinem Physikprofessor eindeutig Recht geben.

    Die Schreibeweise [Q] bedeutet laut ISO (siehe:
    International Vocabulary of Metrology – Basic and General Concepts and Associated Terms) “die Einheit der Größe Q”, d.h. eine Schreibweise wie
    “P=Umlaufperiode [s]” ist völlig sinnfrei.
    Gemeint ist doch wohl: Die Größe “Umlaufperiode” wird mit dem Formelzeichen “P” bezeichnet. Die Maßeinheit ist dabei völlig egal, solange es sich um eine Zeit handelt.

    Wenn in den Formeln dann nicht wilde Zahlen, sondern vernünftige Größenangaben mit Einheiten stünden, ergäbe sich alles wie von selbst.

    So wie es da steht, würde man z.B. aus der, als Text nicht schön lesbaren Zeile

    “f ≤ 2.6613…*1E-6 √(Dichte)” folgern, dass die Größe Frequenz die Dimension √(Dichte) hat, also z.B. √( kg/m^3) oder, zusammen mit der Zeile davor, dass Gamma eine dimensionslose Größe ist.
    Dieses wäre eindeutig falsch, und darum hat der Physikprofessor von Herrn Hattenbach Recht.

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