Nothing propinks like propinquity

BLOG: Go for Launch

Raumfahrt aus der Froschperspektive
Go for Launch

Endlich. Die Gelegenheit ist da, diesen Satz anzubringen, den CIA-Agent Felix Leiter in “Diamonds are Forever” zu 007 sagte. Er passt hier wie die Faust aufs Auge: Es ist genau der Faktor “Nähe”, der die Sache voranbringt: In diesem Fall die Nähe der NASA-Raumsonde Messenger zum innersten Planeten Merkur.

Bereits 2005 lieferten Radar-Messungen von terrestrischen Radioteleskopen und Bodenstationen Hinweise auf das Vorhandensein von Wassereis in definierten Regionen nahe den Nord- und Südpolen des Merkur. Die NASA-Bodenstation in Goldstone schickte polarisierte Radarsignale im X-Band, das Arecibo-Radioteleskop (Komisch, in diesem Artikel hat alles mit 007 zu tun) im S-Band. In beiden Fällen waren die Signale echte Donnerschläge mit mehr als 400 kW Sendeleistung. Die Goldstone-Signale wurdem von dem Array aus 25-Meter-Radioteleskopen des VLA in Socorro, New Mexico, empfangen, die Arecibo-Signale von Arecibo selbst. Beide Messungen zeigten Regionen hoher Radar-Reflektivität, zudem waren die zurückgeworfenen Signale stark depolarisiert. Beides ist so, wie man es erwarten würde, wenn das Radarsignal auf Wassereis trifft.

Wo kommt das Eis her? Merkur wird ständig von Asteroiden und Kometen bombardiert. Beide, insbesondere Kometen, haben einen hohen Eisanteil. Ein Teil des Eises kann auch von Wasserdampf stammen, der in der Frühzeit des Sonnensystems aus dem frisch akkretierten Merkur ausgaste.

Warum ist das Eis noch da? Merkur hat keine Atmosphäre und wird sehr heiß, zumindest fast überall auf seiner Oberfläche. Es wurde zwar bereits spekuliert, dass polnahe Regionen kalt genug sein könnten, im Eis zu halten. wenn dort die Sonne maximal unter sehr flachem Winkel scheint. Aber die üblichen Verdächtigen sind doch, wie auch auf dem Erdmond, die Böden tiefer, polnaher Einschlagskrater.

2005 war die Oberfläche des Merkur noch unzureichend kartiert. Es hatte damals noch nie einen Merkurorbiter gegeben. Die Beobachtungsdaten stammten im Wesentlichen von drei nahen Vorbeiflügen der NASA-Sonde Mariner 10. Diese war in einer heliozentrischen Bahn, die so gewählt war, dass sie mehrfach Merkur begegnete. Allerdings – dran konnte man nichts ändern – sah Mariner 10 jedes Mal dieselbe Seite des Planeten vom Sonnenlicht beleuchtet und konnte deswegen nur 45% der Oberfläche ablichten. Diese Daten waren zwar besser als gar nichts, aber unzureichend, um die Struktur und Tiefe polnaher Krater zu beurteilen.

Dies änderte sich mit der Ankunft der NASA-Sonde Messenger am 18. März 2011. Diese umläuft auf einer exzentrischen, polaren Bahn zwei Mal pro 24 Stunden den Merkur. Der bei modernen Raumsonden übliche Sturzbach aus Bildern und anderen Daten, insbesondere den Messungen eines Laser-Altimeters, erlaubte erstens die hochaufgelöste globale Kartierung und zweitens die Identifizierung von Lokationen, in die die Sonne nie scheint – zumindest nicht in den mittlerweile mehr als 3 Merkur-Tagen, die seit der Ankunft von Messenger verstrichen sind. Ein siderischer Tag auf Merkur hat eine Dauer von 58.7 Erdtagen, aber ein merkurischer Sonnen-Tag ist 176 Erdtage lang. Letzterer ist dann relevant, wenn es um Licht und Schatten geht. Er ergibt sich aus der Rotation des Planeten um seine Achse und seiner Bewegung auf seiner Bahn um die Sonne. Ein Merkur-Jahr dauert 88 Erdtage, also beträgt ein siderischer Merkur-Tag 2/3 eines Merkurjahres und ein solarer Merkur-Tag dauert zwei Merkurjahre.

Oermanently Shaded North Polar regions on Mercury, source: NASA/JHU-APL/CIW/NAIC/Arecibo

Die Nordpolar-Region des Merkur. Rot eingefärbt: Regionen, die von Messenger als permanente Schattenregionen (zumindest über die Dauer der kontinuierlichen Nahbeobachtung) identifiziert wurden. Gelb: Regionen, die 2005 als Orte hoher Radarreflektivität mit Depolarisation der zurüyckgeworfenen Strahlung identifiziert wurden. Quelle: NASA/Johns Hopkins University Applied Physics Laboratory/Carnegie Institution of Washington/National Astronomy and Ionosphere Center, Arecibo Observatory

Die obige Karte der Nordpolarregion zeigt rot eingefärbt die Gebiete, die in allen bis jetzt gemachten Aufnahmen im Schatten liegen, bzw., insbesondere in unmittelbarer Polnähe, noch nicht ausreichend lange beobachtet worden sind. Einige tiefe, offenbar in ewiger Dunkelheit und Kälte liegende Kraterböden sind bereits identifiziert. Die gelb eingefärbten Regionen sind die, bei denen die Radarmessungen 2005 Auffälligkeiten ergaben. Offenbar stimmen diese mit tiefen, dunklen Kraterböden überein.

Die Zusammensetzung des Materials auf den betreffenden Kraterböden konnte nun von Messenger direkt gemessen werden, und zwar mittels der Neutronenspektroskopie. Bei der Messung des Spektrums von Neutronen, die von der Merkuroberfläche stammen, kann deren Energie bestimmt werden. Wenn kosmische Strahlung die Merkuroberfläche trifft, werden unter anderem hochenergetische Neutronen freigesetzt. Wenn diese auf andere Materie treffen, geben sie Energie ab, insbesondere an Wasserstoff.

Werden im gemessenen Spektrum über einem Ort viele thermische, also langsame Neutronen festgestellt, ist das ein Hinweis auf eine hohe Wasserstoffkonzentration an diesem Ort. Wassereis ist die plausibelste Erklärung für eine hohe Wasserstoffkonzentration.

Die Messungen weisen darauf hin – wie genau, weiß ich noch nicht, da mir die Veröffentlichungen noch nicht vorliegen – dass es dort mindestens mehrere Dezimeter starke Schichten aus fast reinem Eis unter 10-20 cm starken Schichten aus weniger wasserstoffreichem, dunklen und wahrscheinlich organischem Material gibt. All dies wäre konsistent mit der Annahme, dass es sich um die Überreste von Kometen handelt.

Alles hochinteressant und nicht anders festzustellen als durch Messungen vor Ort – wie gesagt: Nothing propinks like propinquity oder frei übersetzt: Nichts geht über in-situ-Messungen.

Weitere Information:

New Evidence for Ice on Mercury, NASA Science News, 29. November 2012

Ice on Mercury, Hintergrundinformation zur NASA-PK am 29. November 2012, NASA/GSFC

Projektwebseite der Mission “Messenger” auf nasa.gov

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Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

6 Kommentare

  1. Transportprobleme

    “Merkur wird ständig von Asteroiden und Kometen bombardiert. Beide, insbesondere Kometen, haben einen hohen Eisanteil.”

    Wegen der Nähe des Merkur zu Sonne fiel mir dazu spontan ein anderer Satz ein: “Wie ein Schneeball, der durch die Hölle fliegt.”

    Na gut, irgendwie muss das Eis ja auf den Merkur gelangt sein. Die Erklärung dafür könnte sein, dass der Merkur ständig von Asteroiden und Kometen bombardiert wird, die einen sehr hohen Eisanteil haben. Diese Vermutung wird wahrscheinlich auch auf andere Planeten im Sonnensystem zutreffen, die Wasser enthalten. Der Merkur befindet sich jedoch ziemlich nah an der Sonne, deshalb meine Frage: Verdampfen die Dinger nicht während des Fluges oder spätestens beim Einschlag?

  2. Warum kaum Eis auf dem Mond?

    Bis zu 1 Billion Tonnen Eis gibt es also auf dem Merkur, immerhin genug für einen Würfel von 1 km Seitenlänge, womit man wohl den Wasserbedarf einer bemannten Merkurstation auf hunderte von Jahren decken könnte.

    Eigentlich ist das ja das, was man erwarten würde, dass es nämlich nicht unbedeutende Mengen von Eis kometischen Ursprungs in permanent beschatteten Kratern gibt. Berechnungen zeigen, dass solches Eis kometischen Ursprungs in permanent beschatteten Merkurkratern eine gewisse thermale Stabilität hat, wobei aber nur geringen Temperaturanstiege das Eis sublimieren.

    Eigentlich würde ich solche Eisbrocken und -ablagerungen auch in permanent beschatteten Mondkratern erwarten. Dass grössere Mengen solchen kometischen Eises bis jetzt nicht nachgewiesen werden konnten, könnte ich mir noch damit erklären, dass der Mond über Jahrmillionen hinweg nicht immer dieselbe Bahn relativ zur Sonne ziegt, so dass es permanent beschattete Mondkrater für Jahrtausende, nicht aber für die nötigen Jahrmillionen gibt.

    Mekurs durch die Gezeitenkraft gebundene Rotation um die Sonne ist dagegen möglicherweise stabiler, so dass gewisse Krater länger oder gar für immer beschattet bleiben.

    Das mindestens ist meine Erklärung für den Unterschied Mond/Merkur – falls es diesen Unterschied überhaupt gibt. Es wäre ja eine Schande, wenn der Erdmond einfach noch nicht genügen erforscht wäre.

  3. Antworten

    @Mona

    Ja, bei einem Kometen, der der Sonne nahe kommt, verdampft bzw. sublimiert eine Menge volatiles Material schon auf dem Weg. Offenbar ist aber die Beschaffenheit von Kemeten dergestalt, dass sie auch mehrfache nahe Sonnenvorbeiflüge überstehen können. Ein bekanntes Beispiel ist 2P/Encke, auf den ich in diesem Artikel Bezug nehme.

    Bei einem Einschlag auf Merkur ist die Relativgeschwindigkeit wegen des geringen Bahnradius immer sehr hoch und die kinetische Energie gewaltig. Wenn es ein großer Komet ist, wird er dabei sicher zum überwiegenden Anteil vaporisiert. Aber ein verschwindend geringer Anteil kann zurückbleiben, entweder im Boden unter dem Krater, aus dem er während der darauffolgenden Erkaltung wieder ausgast oder aber als Kondensat, wenn ein Teil der Wolke verdampften Kometenmaterials in Kontakt mit dem eisig kalten Boden eines benachbarten Kraters gelangt.
    Wahrscheinlich ist gerade letzterer Prozess von Relevanz. Mir ist allerdings nicht klar, wie es dazu kommt, dass das abgelagerte Material differenziert, mit fast reinem Eis unten und kohlenwasserstoffhaltigem Material darüber. Mir ist ja noch einsichtig, wieso die Eiskonzentration oben geringer ist, nicht aber, wie es zu der Schichtung kommt.

    @Martin Holzherr

    Die Rotationsstabilität des Mondes verglichen mit dem des Merkur ist ein interessanter Punkt. Als erster Unterschied fällt mir aber auch der Unterschied in der Masse und Dichte auf. Mond: Radius 1738 km, Masse 7.4E22 kg, Merkur: Radius 2439 km, Masse 3.3E23 kg. Die Dichte von Merkur ist deutlich höher und damit auch die Schwerkraft an der Oberfläche, was die Wahrscheinlichkeit erhöhrt, dass verdampfte Bestandteile eines eingeschlagenenen Kometen so lange gehalten werden können, bis sie irgendwo kondensieren.

  4. @Michael Khan

    Ich fürchte ich habe Ihnen eine zu schwierige Frage gestellt. Zwar habe ich schon selbst versucht mich schlau zu machen, jedoch keine befriedigende Antwort gefunden. Danke jedenfalls für die umfangreiche Erklärung, die mehr Informationen bietet als die Artikel, die ich gelesen habe. Irgendwann wird sich dieses Geheimnis sicher lüften lassen, dann berichten Sie hoffentlich wieder darüber.

  5. Hallo Mona, hallo Michael Khan,

    Zu dem Problem:

    “wie es dazu kommt, dass das abgelagerte Material differenziert, mit fast reinem Eis unten und kohlenwasserstoffhaltigem Material darüber”

    Meine Vermutung ist:

    Wenn man eine Mischung aus viel Eis und wenig hochmolekularen Kohlenwasserstoffen dem Vakuum aussetzt, dann wird an seiner Oberfläche vorwiegend das Eis durch Sublimation verloren gehen.

    Dadurch wird das restliche Eis von einer Schicht aus Kohlenwasserstoffen bedeckt, und auch in seiner weiteren Sublimation behindert.

    So ähnliche Vorgänge kann man auch beim Gefrier-Trocknen von Flüssigkeiten beobachten.

    Vielleicht überwindet dadurch auch das Eis der Kometen die Schneegrenze des Sonnensystems.

    http://en.wikipedia.org/…rost_line_(astrophysics)

    (Die hintere Klammer-zu funktioniert bei diesem Link zumeist nicht.)

    Die hochmolekularen Kohlenwasserstoffe entstehen vermutlich bereits im kälteren Teil des Sonnensystems aus festem Methan und UV-Strahlung durch Wasserstoff-Abspaltung, denn die niedermolekularen Kohlenwasserstoffe würden noch schneller als das Eis sublimieren.

    Auf Planeten mit höherem Gasdruck für flüssiges Wasser würden die Kohlenwasserstoffe auf Grund ihrer geringeren Dichte an der Oberfläche schwimmen.

  6. @The Karl Bednarik

    Wenn man eine Mischung aus viel Eis und wenig hochmolekularen Kohlenwasserstoffen dem Vakuum aussetzt, dann wird an seiner Oberfläche vorwiegend das Eis durch Sublimation verloren gehen.

    Dadurch wird das restliche Eis von einer Schicht aus Kohlenwasserstoffen bedeckt, und auch in seiner weiteren Sublimation behindert.

    Das ist schon klar und deswegen schrieb ich in einem Vorkommentar:

    Mir ist ja noch einsichtig, wieso die Eiskonzentration oben geringer ist, nicht aber, wie es zu der Schichtung kommt.

    Ich habe kein Problem, nachzuvollziehen, wieso die Eiskonzentration oberflächennah abnimmt. Aber wieso ist weiter unten fast reines Eis? Das wäre ein Prozess der Differenzierung, wie man ihn bei Flüssigkeiten beobachtet, aber doch nicht bei einem Klathrat, oder?

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