Der Weg zum europäischen Raumschiff

BLOG: Go for Launch

Raumfahrt aus der Froschperspektive
Go for Launch

Europa braucht ein eigenes bemanntes Raumschiff, um unabhängigen Zugang zum Weltraum zu bekommen. Es wird langsam peinlich, dass wir ständig andere Nationen bitten müssen, damit diese mit ihren Raumschiffen die europäischen Astronauten mitnehmen. Dieser Zustand ist für Europa als weltweit führende Volkswirtschaft nicht hinnehmbar.

(To read this post in English, click here)

Also, wie können wir ein europäisches Raumschiff entwickeln? Dies soll hier untersucht werden. Dabei erspare ich Ihnen und mir die Polemik, stattdessen sollen Fakten sprechen. Zunächst können einige Eckdaten festgeklopft werden.

Ein bemanntes europäisches Raumschiff würde sinnvollerweise unter weitgehender Nutzung vorhandener Technik entwickelt. Hier sind vor allem das Frachtschiff ATV und die zu ihrem Start verwendete Version der europäischen Rakete Ariane 5 ES zu nennen.

Konzept von ATV mit Kapsel - hier unbemannt: Quelle: ESAVom ATV kann das Versorgungsmodul mit Tanks, Antrieb, Energieversorgung, Lageregelung sowie die Technik zum Andocken und auch die Luftschleuse übernommen werden.

Die Verwendung der Ariane 5 ES, die außer zum Start des unbemannten ATV auch für den Aufbau des Navigationssystems Galileo vorgesehen ist, legt die Obergrenze der Masse eines bemannten Schiffs auf rund 20 Tonnen fest (Zum Vergleich: Die Sojus TMA hat eine Masse von gut 7 Tonnen, die SpaceX Dragon über 9 Tonnen und das neue NASA-Raumschiff Orion aus dem Projekt Constellation bis zu 25 Tonnen).

Was viele gar nicht wissen: Mit der Entscheidung für die Ariane 5 mit ihrem Startort Kourou legt im Wesentlichen auch schon die Zielbahn fest. Die Ariane 5 kann nämlich nur in einige wenige Richtungen gestartet werden:

  • Genau östlich, dann fällt die ausgebrannte kryogene Zentralstufe EPC in den südlichen Atlantik beim Knick zwischen dem westlichen und südlichen Afrika – dies entspricht einer Neigung der Zielbahn von 6-7 Grad
  • Nord-östlich, dann fällt sie vor der spanischen Küste in den nördlichen Atlantik und die Zielbahn hat eine Neigung von knapp 52 Grad, praktischerweise genau wie die ISS.

Bahnneigungen beispielsweise um 30 Grad sind nicht möglich: Bei einem ost-nord-östlichen Start würde die EPC in Westafrika einschlagen, bei einem ost-süd-östlichen Start würde die Rakete beim Aufstieg südamerikanische Landflächen überfliegen, und wenn sie erst östlich starten und dann in mehr südliche Richtung abbiegen würde, um der Küste auszuweichen, dann führt das dazu erforderliche sogenannte “dog-leg”-Manöver zu einer erheblichen Nutzlasteinbuße. Gehen wir also davon aus, dass auch für ein bemanntes Schiff immer 51.6 Grad Inklination angeflogen werden, allemal solange die ISS noch da ist, aber wahrscheinlich auch noch später, zumindest solange die Europäer von Kourou aus starten.

Soviel zu den groben Eckdaten.

Wie würde ein bemanntes europäisches Raumschiff nun aussehen? Die zur Auswahl stehenden Konzepte sind:

  1. Eine ungeflügelte Kapsel, die vertikal – und relativ hart – landet
  2. Ein geflügelter Raumgleiter, der horizontal und weich auf einer Landebahn landet wie ein Flugzeug

So nicht: Das europäische Raumgleiterkonzept Hermes, Quelle: capcomespace.netEin geflügeltes Gefährt hat einen großen Vorzug. Es ist sexy. Es ist spannend. Es dokumentiert allein schon mit seiner Form den Fortschritt. Es sieht nach Zukunft aus. So stellt man sich doch ein Raumschiff vor! Da kann eine Kapsel-Lösung natürlich nicht mithalten, wer die sieht, fragt sich, ob seit den 60er Jahren nichts mehr passiert ist.

Das Kapselsystem punktet allerdings in allen anderen Bereichen. Es ist sicher – mit einem Kapselsystem kann man die Mannschaft fast in jeder Phase des naturgemäß immer ziemlich heiklen Starts heil herausholen, selbst wenn die Rakete gar nicht von der Startrampe hochkommt oder irgendwo unterwegs explodiert. Ferner ist bei einer Kapsel der ohnehin sehr einfache und deswegen robuste Hitzeschild beim gesamten Aufstieg geschützt, er kann mit nichts zusammenstoßen und deshalb auch nicht beschädigt werden. Eine Kapsel kann so ausgelegt werden, dass sie beim Eintritt aerodynamisch stabil auf der Strömung “reitet”, einfach durch geeignete Formgebung und Massenverteilung.

Vergleichen wir das mit einem Raumgleiter: Der sitzt entweder neben der Rakete und ist bei einer Explosion in höchster Gefahr. Oder er sitzt oben drauf und macht mit den aerodynamischen Kräften die Steuerung der Rakete zu einem Vabanquespiel. Im Notfall kann die Besatzung meist nicht gerettet werden. Bauch und Flügel tragen den Hitzeschild, der deswegen sehr komplex geformt ist, kleine Krümmungsradien und hohe Temperaturgradienten aufweist und empfindlich und schadensanfällig ist, dafür aber ungeschützt allem Ungemach ausgeliefert ist. Wehe, der Raumgleiter ist beim Wiedereintritt nicht genau ausgerichtet oder kann die komplexen Schleifen nicht fliegen, auf denen von orbitaler (mehr als Mach 20) auf Unterschallgeschwindigkeit abgebremst wird! Fatal wäre, wenn er aufgrund eines Regelungsproblems das Zielgebiet verfehlt und keine Landebahn findet, auf der er seine wunderbar weiche Landung absolvieren kann – auch dann noch läuft man Gefahr, das Schiff samt Mannschaft zu verlieren.

Da gibt es wirklich keine Wahl. Vergessen wir den Raumgleiter und reden wir über die einzig vertretbare Lösung:

Ein unterteiltes System mit einem Versorgungsmodul und darauf einer unter Druck stehenden bemannten Kapsel. Die Kapsel ist annähernd kegelförmig, an ihrem stumpfen Ende ist der Hitzeschild. Wie gesagt, das Versorgungsmodul haben wir schon, die Kapsel wäre noch zu entwickeln.

Die russische Sojus TMA, Quelle: der_orion.comNatürlich hat man mit der Entwicklung dieser Kapsel – oder gar nur des Hitzeschilds – noch lange kein bemanntes Raumschiff, wie manche behaupten. Aber man hätte schon mal ein halbes Raumschiff, nämlich eins, das zu orbitalen Transferflügen und zur bemannten Rückkehr zur Erde fähig wäre.

Das allein ist schon eine wichtige Sache. Es würde Europa in die Lage versetzen, für relativ geringe Entwicklungskosten ein Rettungsboot für die ISS beizutragen.

Die Rettungsbootfunktion wird momentan noch einzig durch das russische Sojus TMA-Raumschiff erfüllt, diese kann drei Menschen aufnehmen, dann aber keine Fracht mitführen.

Eine europäische Alternative zur kleinen Sojus TMA wäre hochwillkommen. Mit dem Kapsel-Raumschiff könnten die Europäer schon wichtige Erfahrungen mit bemannten Operationen und Wiedereintritt sammeln, während sie gleichzeitig auch die technischen Voraussetzungen für bemannte Starts schaffen. Zum einen ist die Rakete “man-rated” zu machen, d.h. tauglich für bemannte Starts. “Man-rated” ist ein ziemlich schwammiger Begriff – es bedeutet im Wesentlichen, dass die Auslegung des Systems so sein muss, dass eine katastrophale Fehlfunktion sich ankündigt und wenigstens einige Sekunden Zeit zur Einleitung von Gegenmaßnahmen lassen muss.

ESA-Grafik mit einer bemannten kapsel auf ATV-Basis, Quelle: ESADie Gegenmaßnahmen werden in der Regel auf eines hinauslaufen: Sprengbolzen zwischen Kapsel und Versorgungsmodul zünden und trennen die Kapsel vom Rest der Rakete. Gleichzeitig zündet der Rettungsturm, eine starke Feststoffrakete, die oben auf der Kapsel sitzt und genug Schub entwickelt, um die Kapsel von dem gewaltige Feuerball wegzuziehen, in den sich die Rakete gerade verwandelt.

Der ausgebrannte Rettungsturm muss sich zuverlässig von der Rakete trennen; dann muss sich die Kapsel eigenständig ausrichten und nach Abbremsung auf eine sichere Geschwindigkeit die Fallschirme ausfahren. Der Rettungsturm muss sicherstellen, dass die Kapsel dann auf jeden Fall hoch genug ist, um die Fallschirme wirksam werden zu lassen.

Hier liegt noch erheblicher Entwicklungsaufwand, deswegen werden erhebliche Kosten anfallen. Zwar können die Kosten dank der oben beschriebenen Entwicklungsstufen entzerrt werden. Dennoch fällt die Investitionssumme unweigerlich an, wenn auch nicht auf einen Schlag.

Die mir bekannten Zahlen für die Entwicklung eines kompletten Systems, das zu bemannten Landungen und auch Starts fähig ist, liegen um 5 Milliarden Euro, vielleicht auch deutlich darüber. Dies entspricht etwa zwei ESA-Jahresbudgets. Ich nenne diese Zahl nicht, weil sie mir übermäßig hoch erscheint – sie liegt in etwa in der Größenordnung dessen, was auch das Satellitennavigationsystem Galileo kosten wird und was auch andere anspruchsvolle technische Systeme kosten.

Das kostet nun einmal so viel, es bringt nichts, sich da etwas vorzumachen. Wir müssen aufhören, uns einzubilden, Spitzentechnologe, die weltweit konkurrenzfähig ist, gäbe es für lau. Andere Nationen geben sich nicht solchen Illusionen hin; die sind bereit, in ihre Zukunft zu investieren. Entweder wir wollen technologisch mithalten, dann sollten wir auch bereit sein, dafür etwas zu tun. Oder wir wollen nicht mithalten, dann sollten wir uns aber auch über die Konsequenzen der Zweitklassigkeit im weltweiten Vergleich im Klaren sein und bereit sein, sie hinzunehmen.

Für mich gibt es auch hier keine Wahl, ebenso wie bei der Frage “Kapsel oder Gleiter” ist die Antwort klar. Raumfahrt ist eine Schlüsseltechnologie mit Signalfunktion. Die Entwicklung bemannter europäischer Kapazität sollte sobald wie möglich angegangen werden, und zwar im Rahmen koordinierter europäischer Aktivitäten unter Führung der ESA. Über eine kräftige und dauerhafte Budgeterhöhung müssen die hierfür notwendigen Mittel zur Verfügung gestellt werden.

Sonst bleiben wir unten und schauen zu, wie der Rest der Welt uns hinter sich lässt.

Anhang

Die Aufstiegsbahn der Ariane 5 ES mit dem ATV

Die ausgebrannten Feststoffbooster fallen bereits in die Karibik, die ausgebrannte kryogene Zentralstufe EPC fällt vor der spanischen Küste in den Atlantik. Zu diesem Zeitpunkt ist die Rakete noch auf einer suborbitalen Bahn. Nach Trennung von der EPC zündet sofort die Oberstufe EPS. Dadurch wird das Apogäum der Bahn auf rund 250 km angehoben. Bei Erreichen des Apogäums zündet die Oberstufe wieder und schießt die Nutzlast (hier das unbemannte Frachtschiff ATV, zukünftig kann ein bemanntes Schiff auf dieselbe Weise gestartet werden) in die Zielbahn ein. Von der anfänglichen 250 km-Kreisbahn wird über geeignete Manöver die etwa 120 km höhere Bahn der ISS erreicht und dort angedockt. Die Oberstufe leitet nach dem Abtrennen von der Nutzlast durch ein Bremsmanöver ihren kontrollierten Wiedereintritt im Pazifik ein.

ATV-Evolution

Es existieren bei ESA und Industrie durchaus bereits Pläne, auf der Basis von ATV-Technik eine Version mit unter Druck stehender Kapsel zu entwickeln. Mehr dazu hier.

Avatar-Foto

Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

22 Kommentare

  1. Danke für die klaren Worte!

    Stimmt schon, ein Raumgleiter wäre spannender, aber er würde auch den Verbleib im Erdorbit zemntieren. Der Einstieg in die Kapseltechnologie lässt da doch mehr Spielräume offen, oder nicht? Letztlich könnte man so ein Raumschiff auch mit einer Landefähre für den Mond kombinieren, ganz so, wie es die Amerikaner planen oder man kann mehrere im Orbit zu einem Marsraumschiff verbinden. Man wird ja wohl noch träumen dürfen!

  2. @Stefan Taube

    Sie haben eine weitreichende Vision, das gefällt mir!

    Und außerdem haben Sie vollkommen Recht, gerade die Einfachheit der Kapsel erlaubt den Zuschnitt auf völlig unterschiedliche Missionsprofile: Flüge ins LEO mit Eintrittsgeschwindigkeit (bei der Rückkehr in die Erdatmosphäre) unter 8 km/s, Mondflüge mit Eintrittsgeschwindigkeiten um 11 km/s, interplanetare Flüge mit Eintrittsgeschwindigkeiten von deutlich mehr als 12 km/s.

  3. Trennung von Kapsel und Versorgungsmodul

    Ein unterteiltes System mit einem Versorgungsmodul und darauf einer unter Druck stehenden bemannten Kapsel,

    ermöglicht eine Trennung von Kapsel und Versorgungsmodul während eines Fluges zum Mars.

    Wenn man nun Kapsel und Versorgungsmodul durch ein langes Seil verbindet, dann kann man beide um ihren gemeinsamen Schwerpunkt kreisen lassen.

    Auf diese Weise kann man schon bei geringen Winkelgeschwindigkeiten eine Beschleunigung von 1 g erzeugen.

    Hohe Winkelgeschwindigkeiten stören das Gleichgewichtsorgan.

    Lange Schwerelosigkeit schadet dem Körper.

  4. @Karl Bednarik

    Sie sprechen mit der künstlichen Schwerkraft bei langen Transfers zur Vermeidung der (teilweise irreversiblen) körperlichen Schäden durch ausgedehnte Schwerelosigkeit ein wichtiges Thema an.

    Die Frage ist allerdings, wo man die technischen Vorkehrungen anordnet, um künstliche Schwerkraft zu erzeugen.

    Hier liegt vielleicht ein Missverständnis vor: So ein 20-Tonnen-Schiff (inklusive Treibstoffe) eignet sich keinesfalls für eine ausgedehnte interplanetare Reise.

    So ein Schiff kann man maximal für Kurztrips verwenden, beispielsweise zum Mond. Typischerweise würde man aber damit nur Astronauten ins niedrige Erdorbit befördern, um dann an der ISS oder einem interplanetaren Schiff anzukoppeln. Das kleine Raumschiff bliebe dann am großen Schiff angekoppelt und inaktiv, bis man es bei der Rückkehr wieder braucht.

    Nicht nur ist das Volumen keinesfalls ausreichend, als dass eine mehrköpfige Mannschaft ausreichend Platz hätte, um es monatelang auszuhalten, auch die Treibstoffmenge für einen interplanetaren Flug ist eine ganz andere als bei kurzen Missionen. Schon bei einem Mondflug würden die ATV-Tanks nicht reichen, man müsste eine weitere Antriebsstufe starten und andocken.

    Ferner wäre das Lebenserhaltungssystem nicht für viele Monate Betrieb geeignet. Man könnte auch gar nicht den dafür erforderlichen Sauerstoff, das Wasser und andere Lebensmittel unterbringen.

    Für interplanetare Reisen wird man zwangsläufig ein viel größeres Schiff bauen müssen, dazu bedarf es einer viel größeren Rakete (beispielsweise der Ares V), aber auch von der werden einige starten müssen, bis das Mars-Schiff im Erdorbit zusammengebaut und startbereit ist.

    Bei der Entwicklung so eines großen Schiffs kann man sich dann auch über künstliche Schwerkraft Gedanken machen.

  5. Und wann…

    …wird es dann soweit sein dass wir dann hören:”Allumage de CTV 18 en direction de lune!” ?

    Ich habe ja gehört, die politischen Meinungen gehen in der bemannten Raumfahrt weit auseinander und dementsprechend auch die Finanzierung.

  6. wie stehen die Chancen?

    Erstmal Danke für den (wie gewohnt) guten Blogeintrag! Ich stimme Ihnen komplett zu, dass die Europäer keine eigenen bemannten Raumfahrzeuge haben ist wirklich nur noch peinlich…

    Aber Hand aufs Herz, wie groß sind die Chancen, dass sich das bald ändert? Zwei Jahres Budgets, unter Umständen deutlich mehr, spielen die ESA Oberen und vor allem unsere lieben Staatenlenker mit?

    Oder chartern wir in Zukunft anstatt der Sojus Kapseln eben die Dragon Kapseln von SpaceX? Ist die staatliche Raumfahrt insgesamt im Umbruch in Richtung Privatunternehmen? Outsourcing des gesamten Transfervorgangs statt ATV Umbau?

    P.S. nach dem Blogeintrag kann ich endlich kurz und knapp artikulieren, was mir an Ares und Orion nicht gefällt:
    sie sind nicht sexy! =D

  7. @Daniel Sproll

    Keine Ahnung, wann es los geht (meine Kristallkugel ist in Reparatur), aber *wenn* endlich etwas getan wird, dann würde ich wetten, dass Verlauf der Entwicklung und Ergebnis so oder so ähnlich aussehen wie hier beschrieben.

    Woran liegt’s, dass es so schleppend vorangeht? Hm … die “ESA-Oberen”? Es ist zwar anscheinend in diesem Blog in Mode gekommen, auf denen herumzuhacken, aber ist es plausibel, dass das ESA-Management tatsächlich eine solche Chance auslassen würde, wenn sie sich bieten würde? Warum sollten sie das tun?

    “Die Politiker” kann man trefflich kritisieren, wenn ich das täte, wäre mir die allgemeine Zustimmung gewiss. Aber passt das? Politiker vertreten das, womit sie wiedergewählt werden. Das ist das Wesen der Demokratie.

    Es ist leider nicht so, dass in der Bevölkerung eine große Zustimmung für massive Investitionen in irgendetwas vorherrschen würde, schon gar nicht Investitionen in die Forschung, und dass die Politik diese breite Zustimmung zu Investitionen ignorieren würde.

    Die zurückhaltende Investitionspolitik spiegelt leider genau das Desinteresse und die Ablehnung wieder, die naturwissenschaftliche Forschung und Technik allgemein in den europäischen Bevölkerungen erfahren.

    Hinzu kommt natürlich auch das von mir schon oft angesprochene Phänomen, dass in Europa nicht an einem Strang gezogen wird, sondern die großen Nationen beispielsweise in der Raumfahrtforschung sich eigene konkurrierende Behörden leisten.

    Das Ergebnis ist eine unsinnige Zersplitterung der Kräfte. Keine der jeweiligen Institutionen, sei es ESA, DLR, CNES oder ASI erreicht allein die kritische Masse, um wirklich Großes zu bewegen. Getrennt jedoch machen sie alle immer nur Kleinkram und erreichen damit die europäische Öffentlichkeit nicht.

    Das ist das Grundproblem. Es ist so offensichtlich, dass es eigentlich jedem klar sein sollte. Es gehört eher heute als morgen geregelt.

    Wir haben ein geeintes Europa geschaffen, weil wir verstanden haben, dass wir nur vereint gegen die Großen dieser Welt standhalten können. Dass dieses verstanden und umgesetzt wurde, halte ich für die bemerkenswerte und positivste politische Leistung des 20sten Jahrhunderts.

    Aber das Argument gilt genauso auch in der Raumfahrttechnik – auch da kommen wir, wenn wir unsere Kräfte nicht bündeln, nicht mit den großen Nationen der Welt mit.

    Genau das passiert jetzt gerade. Wir verlieren den Anschluss.

    Und wir sind selbst Schuld, wenn wir es nicht ändern. Wir haben es in der Hand.

  8. Raumfahrt Europa

    Ich glaube hier in Europa fühlt man sich überhaupt nicht zuständig für eigene Schiffe oder sonstige Projekte dieser Art. Das war immer Sache der Amerikaner, so glaubte man wohl. Europa guckt und staunt, tut aber nur wenig, um sich auch da zu profilieren.
    Die Europäer müssen in diese Frage mehr Selbstbewußtsein entwickeln…

  9. Selbstbewusstsein

    > hier in Europa fühlt man sich
    > überhaupt nicht zuständig für eigene
    > Schiffe oder sonstige Projekte dieser
    > Art. Das war immer Sache der
    > Amerikaner, so glaubte man wohl.
    > Europa guckt und staunt, tut aber nur
    > wenig, um sich auch da zu profilieren.
    > Die Europäer müssen in diese Frage
    > mehr Selbstbewußtsein entwickeln…

    Das wäre aber seltsam. Weder im Satellitenbau noch im der Raketentechnik haben die Europäer die Hände in den Schoß gelegt, und beim Flugzeugbau auch nicht.

    Warum fehlt denn nur in der Frage eines bemannten Raumschiffs dieses Selbstbewusstsein?

    Ich fürchte, der Erklärungsansatz allein reicht nicht aus. Da muss es wohl noch konkretere Gründe haben.

    Wie gesagt, ich denke, wir bremsen uns hier in Europa gegenseitig aus. Beispielsweise haben die Italiener mit den Amerikanern unter Umgehung Europas bilaterale Abkommen in der bemannten Raumfahrt. Solche Aktionen moegen kurzfristig attraktiv erscheinen, am Ende hat aber kein Europäer etwas davon, wenn wir zurückbleiben.

  10. Es gibt solche und solche

    “Politiker vertreten das, womit sie wiedergewählt werden. Das ist das Wesen der Demokratie.”

    Klar, so nüchtern kann man das sehen. Neben diesen pragmatischen Berufspolitikern ohne eigene Meinung gibt es aber auch noch den Typus mit Visionen. Man denke an das Duo Schmidt-Brandt, um sich den Unterschied vorzustellen. Brandt hat sich sicherlich nicht in Warschau hingekniet, weil er damit Stimmen fangen wollte. Solch einen Politikertypus für die Raumfahrt einzufordern ist mehr als nur billige Politikerschelte, oder? Wie steht es denn um Peter Hintze?

    Letzlich ist es eben schwer, die Bevölkerung für etwas zu begeistern, was immer nur als Animation existiert. Wenn die Raumschiffe aber erstmal starten, finden sich auch die Fans ein, ähnlich wie Thomas Reiter plötzlich richtig populär wurde. Man muss da in Vorleistung gehen und den Mut haben, die politische Verantwortung dafür zu tragen.

  11. waiting for Kennedy

    Tja, schade nur dass das hier in Deutschland keiner machen will. Zumal zurzeit sowieso jeder, der Investitionen fernab irgendwelcher Rettungsfonds vorschlägt, ausgelacht wird.
    Da heißts wohl auf den Aufschwung und den Europa-Kennedy warten der uns Europäer alle unter der Vision einer großen Marsmission oder Ähnlichem vereint…

    Aber ist doch schön, ich hab grade mein Abitur fertig, da kann ich sowas ja jetzt angehn…^^

  12. Politik als Spiegel der Gesellschaft

    Leuten wie Hintze und Glos wurde Verantwortung für ein Gebiet übertragen, das sie mangels entsprechender Qualifikation überfordert und in dem sie deswegen auch gar keine Vision entwickeln können.

    Dies ist symptomatisch für einen Mangel an Interesse an Naturwissenschaften – und daraus resultierend, die Unfähigkeit, den Wert naturwissenschaftlicher Forschung zu erkennen – der quer durch die Gesellschaft geht. Würde man die Forschung und speziell die Raumfahrttechnik wirklich Ernst nehmen, wäre man auch in den Personalfragen wählerischer.

    Insofern sehe ich das wirkliche Problem nicht bei einzelnen Personen, sondern im gesellschaftlichen Kontext. Justizminister muss jemand mit juristischem Hintergrund werden. Das sieht jeder ein. Dürfte dann nicht aber auch nur jemand mit naturwissenschaftlichem Hintergrund verantwortlich für die Forschungspolitik sein? Diese – für mich offenkundige – Konsequenz zieht allerdings niemand. Kein Politiker, kein Journalist und auch kein Wähler (und wenn nicht “kein”, dann zumindest “kaum ein”).

    Und das ist der Kern des Problems, denke ich. Da müssen wir uns alle ein bisschen an die Nase fassen.

  13. Auf Kennedy warte ich nicht unbedingt

    Ich stimme absolut zu, dass es vor 50 Jahren zumindest möglich war, eine solche Vision umzusetzen. Dazu gehörte allerdings auch ein gewisses politisches Umfeld (das ich mir nicht zurückwünsche), aber auch eine gesamtgesellschaftliche Wertschätzung von Technik und Forschung.

    Ich denke, dass es auch in Europa gelingen kann, eine langfristige Vision durchzusetzen. Dazu bedarf es aber der Wahrnehmung einer konkreten Bedrohung von außen.

    Diese Bedrohung existiert schon seit langem. Sie besteht darin, dass die besten und klügsten unserer jungen Leute nach dem Studium oder nach der Promotion ihre Heimat verlassen und ihre produktivesten Jahre oder gar den Rest ihres Lebens dort zubringen, wo ihnen angemessene Bedingungen geboten werden, um ihre hohe Qualifikation auch voll zur Geltung zu bringen.

    Da die Talente dieser jungen Leute das wichtigste und wertvollste Kapital darstellen, das der ansonsten rohstoffarme Kontinent Europa hat, ist die Auswirkung dieses Verlusts auf Dauer nicht tragbar – wir werden dadurch zweitklassig.

    Es gbt nur einemn Weg, diesen Verlust zu stoppen und sogar zu einem Zufluss umzukehren, und das ist die erhebliche Aufstockung der Invesitionen in Ausbildung, Forschung und Entwicklung. Wir dürfen keineswegs hinter den Konkurrenten bleiben, es reicht noch nicht einmal, wenn wir gleich viel tun wie sie: Wir müssen mehr tun.

    Und damit das nicht unbemerkt bleibt, müssen neben der generellen Anhebung der Investitionen auch Projekte mit Signalfunktion her.

    Sobald sich die Öffentlichkeit der durchaus akuten Gefährdungslage endlich bewusst geworden ist, wird man einen Ausweg suchen und ihn auch finden, denn es gibt genau einen Weg und der ist recht offenkundig.

    Nun, ich bin sicher, dass es dann auch nicht an Politikern fehlen wird, die sich als visionär feiern lassen werden, weil sie das Offensichtliche erkannt und darauf reagiert haben. Dass dies so ist, stört mich aber nicht, ich gönne es ihnen. Was mir wichtig ist, ist dass wir hier in Europa endlich von unseren *****en hochkommen, wer dafür die Lorbeeren einstreicht, ist mir egal.

  14. Ist denn das Hochschießen von Astronauten wirklich wichtig und effektiv? Liegt die Perspektive der Welraumaktivitäten nicht eher in Automaten? Ich hab den Astronautenrummel eher als Mittel gesehen um über Öffentlichkeitsarbeit die Akzeptanz für entsprechende Forschungsmittel zu gewinnen.

  15. Es fehlen die grossen Ziele

    Du hast hier viele wichtige Punkte angesprochen, das fehlende Technikinteresse, die fehlende Koordination innerhalb der EU, auswandernde Naturwissenschaftler sowie desinteressierte Firmen/Politik.
    Dr. Riesenhuber war IIRC der letzte Forschungsminister mit echtem wissenschaftlichen Hintergrund.
    Aber auch in den Firmen ist doch vermehrt ein langfristiges Forschungsorientiertes Denken zu vermissen.
    Da kann die Politik noch so viel Wollen (was sie ja nicht tut) wenn die Firmen nicht Willens sind das mitzutragen.
    Und die Firmen scheinen ja den Staat mehr und mehr als Melkkuh und Puffer für Managementfehler zu sehen.
    Es ist doch interessant, das Opel gerettet wird, während andere HighTech Firmen Problem haben Zwischenfinanzierungen zu bekommen.
    Es liegt wohl daran, das wir uns über Autos definieren, oder es so erklärt bekommen wie wichtig der dt. Automotiv Sektor ist.
    Ich denke das ein gesellschaftlich politischer Paradigmenwechsel überfällig wäre.

    Aber es wurde auch richtig gesagt das die Gesellschaft an sich kein Interesse hat. Meiner Meinung sind wir, oder entwickeln wir uns zu, einer Gesellschaft ohne Visionen für die Zukunft.
    Wie Aktionäre, die sich nur für Quartalsergebnisse interessieren, scheint der 08/15 Bürger sich nur für das nahe liegende zu interessieren, der Urlaub, das neue Auto, die Bierpreise oder die Fußballübertragung am Samstag etc.pp
    Wir scheinen uns in ein “Panem et Circensis”-Volk zu entwickeln das sich mehr für den nächsten Superstar oder Model interessiert als für technologische Entwicklungen.
    Man kann es aber auch kaum verdenken ich kenne keine Sendung im dt. Fernsehen die ein Interesse an Naturwissenschaften irgendwie wecken würde. Es fehlen Leute wie Heinz Haber, Volker Arzt oder Hoimar von Ditfuhrt welche z.B. mir als Kind den Weltraum und die Naturwissenschaften nahe brachten.

    Ja viele der Visionen die damals beschrieben wurden haben sich als schwieriger rausgestellt als zu Anfang beschrieben, siehe Space Shuttle, aber es hat doch unseren Geist angeregt und den Willen geweckt diese Vision wahr machen zu wollen.
    Saint-Exupery sagte mal: “Wenn Du mit Leuten ein Schiff bauen willst, fang nicht an, Holz zu sammeln, sondern weck in ihnen die Sehnsucht nach dem großen, weiten Meer”
    Das ist was IMHO in Sachen Raumfahrt fehlt! Wir bekommen nur noch gesagt was wir NICHT können… das deprimiert, das törnt ab.

    Gerade im Westen zeigt es sich doch das wenn es eine “neue Technologie” gibt werden mittlerweile erstmal die Nachteile und Risiken groß beschrieben, das ist z.B. hier in Japan zum Teil anders, bestes Beispiel Roboter.

    Zu der Technologischen Seite, natürlich mag eine Kapsel nicht “sexy” sein, aber ich denke das in diesem Fall die Systeminhärenten Sicherheitsaspekte gegenüber einem Gleiter doch überwiegen.
    Und ja auch eine Kapsellösung bietet immer noch genug Entwicklungspotential, da ist noch nicht alles Ausgereizt IMHO.

  16. @adenosine

    Die Frage, ob der Weltraum bemannt oder robotisch erkundet werden sollte, liefert sicher Stoff für eine eigene Diskussion. Ich sehe keinen wirklichen Widerspruch zwischen bemannter und robotischer Erkundung.

    In vielen Fällen ist robotische Erkundung besser, das wird auch in der Zukunft so sein. Aber es gibt immer eine Grenze dessen, was man robotisch machen kann. Außerdem stellt sich die Frage, mit welcher Zielsetzung man denn überhaupt Schritte ins Weltall unternimmt.

    Aber darum geht es mir in diesem Artikel gar nicht. Hier geht es allein darum, wie man ein vorhandenes europäisches Astronautencorps unter Nutzung vorhandenen Know-Hows mit eigenen Mitteln sicher in die Umlaufbahn und zurück transportieren kann.

    Das sehe ich als eine anders gelagerte Diskussion. Auch die politische Betrachtung, warum es denn nicht in Angriff genommen wurde, ist eigentlich außerhalb dieses kernthemas angesiedelt.

  17. Bemannte RF: mehr als nur Wissenschaft!

    Zunächst einmal vielen Dank für den sehr informativen Artikel und dass Sie Ihre Meinung so klar formulieren!

    Auch ich bin ein großer Freund der bemannten Raumfahrt, doch ich glaube es wäre vergebens, zu große Hoffnung in Naturwissenschaftler für die Verteidigung und Weiterentwicklung der menschlichen Exploration zu setzen (also sollte man z.B. nicht auf einen Forschungsminister mit naturwissenschaftlichem Studium hoffen). Denn gerade aus den naturwissenschaftlichen Bereichen kommt doch oft nur Kritik an der teuren bemannten Raumfahrt, die vielleicht auch berechtigt ist, wenn man versucht mit einem knappen Budget möglichst effizient Forschung zu betreiben.

    Raumfahrt und gerade die menschliche Exploration sollten vielmehr als kultureller Imperativ gesehen werden. Betrachten wir die Kolonisation anderer Himmelskörper als kulturelle Leistung und als notwendiger Schritt in der Entwicklung der Menschheit, dann befreien wir uns endlich von der Notwendigkeit, immer den relativ zu “preiswerterer” robotischer Exploration zu geringen wissenschaftlichen Mehrwert rechtfertigen zu müssen.

    Ich glaube, nur so kann man vielleicht die breite Bevölkerung eher von den notwendigen Ausgaben überzeugen. Eine Argumentation über die Wissenschaft wird immer eher schwierig sein.

    Die andere hier schon skizzierte Alternative ist natürlich, die Hoffnung auf den privaten Bereich zu setzen. Vielleicht mit der Perspektive, dass sich die öffentlichen Träger Stück für Stück aus der bemannten Raumfahrt zurückziehen und den aufkommenden privaten Sektor helfend unterstützen. Aber in diese Richtung scheint sich in Europa so gut wie nichts zu bewegen.

  18. Wissenschaft als Treiber?

    Dass gerade die Wissenschaft eine wirklich treibende Funktion bei Weltraumaktivitäten hat, ist eher die Ausnahme. In der Regel steckt ein ganzer Cocktail von guten Gründen dahinter, von denen der wissenschaftliche Erkenntnisgewinn nur einer, aber meist nicht der hauptsächliche ist.

    Die kulturelle Leistung einer Leistung wie einer bemannten interplanetaren Reise oder gar einer bemannten Basis auf einem anderen Himmelskoerper sehe ich durchaus, aber eben auch die ganz handfesten Gründe des erzielten technologischen Fortschritts, die sich immer dann ergeben, wenn man erhebliche Summen zielgerichtet in ein fokussiertes Hochtechnologieprojekt investiert.

    Bei der Hoffnung auf Fortschritte durch private Aktivitäten bin ich eher skeptisch. Wesentliche Argumente für Vorhaben wie bemannte Weltraumaktivitäten sind volkswirtschaftlicher und nicht betriebswirtschaftlicher Art und deswegen gehe ich nicht davon aus, dass ein wirkliches Interesse der Privatwirtschaft besteht, hier nennenswerte Investitionen zu tätigen.

    Das gilt auch für diverse unbemannte Vorhaben im Weltraum, selbst solche, die gar nicht primär der Forschung dienen. Das Fiasko mit der “public private partnership” beim Satellitennavigationssystem Galileo hat gezeigt: Wenn staatliche Stellen nicht in Vorleistung gehen, passiert da gar nichts.

  19. Ausstieg aus dem ATV-Programm

    Am 2.4.2012 wurde von der ESA der Ausstieg aus dem ATV-Programm nach dem geplanten fünften Flug im Jahr 2014 verkündet . Ruhe in Frieden, ATV… War’s das wirklich, einfach so? Das für teures Geld gewonnene Know-How dürfte dann schnell dahin schwinden, und mit einem europäischen bemannten Raumschiff wird es auf lange Sicht nichts werden. Lernt man denn gar nichts von den Fehlern der anderen (Apollo, Space Shuttle)?

    Ein aktueller Blog-Beitrag zu dem Thema wäre nett und würde mich (und bestimmt auch viele andere Leser und Leserinnen) brennend interessieren.

  20. Kapsel ./. Gleiter

    Wie wäre es mit einem Rundflugzeug (fliegende Untertasse, Reichsflugscheibe)? Die Unterseite würde wie bei der Kapsel aus einem gleichmäßig runden Hitzeschild für den Wiedereintritt bestehen, aber wenn die Flugscheibe hinreichend abgebremst ist, wäre sie prinzipiell aerodynamisch genug, um für die sanfte Landung in einen Horizontalflug zu wechseln. Die Horizontaltriebwerke müßten natürlich an der Oberseite der Scheibe montiert sein, um bis zu ihrer Benutzung vom Hitzeschild geschützt zu werden.

Schreibe einen Kommentar