Gesucht: Verwendungszweck für zwei 94-Zöller

BLOG: Go for Launch

Raumfahrt aus der Froschperspektive
Go for Launch

Die NASA gelangte Mitte des Jahres unerwartet in Besitz zweier ursprünglich für den militärischen Einsatz vorgesehener Teleskope aus dem Fundus der US-Agentur für satellitengestützte Spionage Aufklärung NRO. Die NRO hatte die Dinger noch herumliegen, fand sie dann offenbar beim Aufräumen und stellte fest, dass sie die gar nicht mehr brauchte.

Es handelt sich um Reflektoren mit einer Apertur von 94 Zoll, also 2.4 Meter. Dieselbe Apertur wie das Hubble Space Telescope, wenn auch mit deutlich kürzerer Brennweite und damit weiterem Blickfeld. Etwas sperrig für den durchschnittlichen Garten. Jedes Teleskop ist nach NASA-Angaben 250 Millionen $ wert, Ja, genau, wir reden von einer Gesamtsumme, bei der erst eine 5 kommt, und dann 8 (acht) Nullen.

Es sagt bereits Einiges über die finanzielle Ausstattung der NRO aus, wenn die dort Beschaffungspolitik dergestalt ist, dass sie optische Nutzlasten dieser Größen- und Preisklasse einfach so ordern, bauen und liefern lässt, dann aber feststellt, dass sie die Hardware doch nicht braucht. Das nächste Mal, wenn von Regierungsseite jemand herummault, dass die Wissenschaft ja ach so teuer ist und die zivile Raumfahrtforschung astronomisch kostspielig, reibe ich ihm mal dieses Factoid unter die Nase.

Nun hat die NASA also die beiden Riesentonnen am Bein, und damit hat sie ein Problem. Die Dinger sind zu wertvoll zum Wegschmeißen, aber es ist auch nicht gar so einfach, mit denen etwas anzufangen. Es handelt sich nämlich nur um die Teleskope. Keine Detektoren und vor allem keine daran hängenden Satellitenkomponenten für Lageregelung, Bahnsteuerung, Funkverkehr, Datenspeicherung, thermische Kontrolle. All das wäre noch zu entwickeln und bauen.

Die NRO hat sicher bereits komplette Baupläne für den Satelliten. Aber die werden sie nicht herausrücken. Und selbst wenn sie das täten: Wenn man den kompletten Satz an Entwicklungsdaten hat, dann hat man noch lange nicht die dazugehörige Hardware. und selbst wenn man die hätte und alles zusammenbaut, hat man keinen wissenschaftliches Observatorium, sondern einen Spionagesatelliten.

Also muss man alles selbst entwickeln, und dann natürlich bauen, die Komponenten testen, integrieren, die Subsysteme und das Gesamtsystem testen und dann den Satelliten starten und betreiben. Das kostet Geld, da das Gesamtsystem groß ist, einfach weil bereits die Nutzlast groß ist. Viel Geld. Und bis das alles fertig ist, muss man die Dinger einlagern. Auch das kostet Geld. Viel Geld. Etwa eine Million Dollar pro Jahr.

Die erste Idee der NASA war, eines der Teleskope für ein orbitales Infrarotteleskop namens WFIRST zu nutzen. Dafür hatte man erst einen gut halb so großen Spiegel mit 59 Zoll Durchmesser vorgesehen. Damit hätte die Missionskosten bereits bei 1.6 Milliarden $ gelegen. Zu teuer, deswegen war die Hoffnung, mit einem der geschenkten Teleskope die Gesamtkosten drücken zu können. Gute Idee, aber leider nicht akzeptabel, denn selbst wenn man Tubus und Spiegel für den Preis der Lagerungskosten bis zur Systemintegration bekommen hätte, wären die Gesamtkosten auf rund 1.75 Milliarden $ geschnellt – einfach weil der Satellit dann unvermeidlich eine ordentliche Schippe dicker ausgefallen wäre und zudem auch noch eine teurere Rakete gebraucht hätte.

Upps. So hatte man aber nicht gewettet.

Jetzt sucht die NASA nach neuen Ideen, wie sie dieses Danaergeschenk so schnell wie möglich los werden kann, und zwar beide Teleskope. Wenn jemand eine gute Idee hat, nur zu. Aber bitte billiger als die WFIRST-Idee.

Das dürfte allerdings ein Problem bleiben. Jede Mission, die eines dieser Teleskope nutzt, wird allein schon aufgrund der erforderlichen schieren Größe eine große, teure Flaggschiffmission sein. Bei einer Flaggschiffmission will man aber üblicherweise keine Kompromisse bei der wissenschaftlichen Ausstattung eingehen, sondern man erwartet zu Recht, dass diese den Missionsbedürfnissen angepasst ist. Genau das geht bei der Wiederverwertung anderweitig gefertigter optische Systeme aber eben nicht. Die sind halt bereits so, wie sie sind.

Wiederverwertete Systeme kann man in kleinen, preiswerten Missionen nutzen. Wenn niedrige Missionskosten im Vordergrund stehen, dann ist es akzeptabel, dass die Nutzlast vielleicht nicht ganz auf die Missionsanforderungen zugeschnitten ist. Aber die Nutzung im Rahmen einer kleinen Mission ist bei diesen Brummern einfach nicht drin.

Also hat die NASA hier wohl ein klassisches Dilemma. Ich bin gespannt, wie die da wieder herauskommen.

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Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

6 Kommentare

  1. In den eigenen Reihen?

    Hmm, ich habe in dem Artikel keine Aufforderung gefunden, Ideen einzuschicken. Ansonsten würde ich mal diese Meldung mit einer von vor ein paar Tagen kombinieren und mal den Gedanken in den Raum schmeissen, oder die Dinger nicht kostengünstiger am Boden für das Projekt SpaceView genutzt werden können. Wenn die Brennweite kurz genug ist, sollten sie dafür doch tauglich sein oder zumindest entsprechend ausgerüstet werden können. Ich habe nur keine Ahnung, wie schnell Teleskope zur Verfolgung von Objekten im Orbit geschwenkt werden müssen, das könnte sich bei einem 94″-Trümmer als Problem erweisen.

  2. Genauigkeit

    So wie ich es verstanden habe, sind nicht 250 Mio. sondern 500 Mio mit 8 Nullen geschrieben, und das passt ja, oder?

  3. Ganz langsam zum mitmeißeln

    Wörtlich aus dem Artikel zitiert:

    Jedes Teleskop ist nach NASA-Angaben 250 Millionen $ wert, Ja, genau, wir reden von einer Gesamtsumme, bei der erst eine 5 kommt, und dann 8 (acht) Nullen.

    Irgendwelche Einwände?

  4. @Mathias: Vorschläge

    Die Aufforderung, Vorschläge für die Nutzung einzureichen, erging offensichtlich nur an einen eingeschränkten Kreis, nämlich an Wissenschaftler, von denen ja üblicherweise Vorschläge für Forschungsprojekte oder Experimente kommen. Eine öffentliche Aufforderung an Alle im Web wurde wohl als nicht zielführend erachtet, was ich auch nachvollziehen kann.

    Es würde wohl einer Suche einer Stecknadel im Heuhaufen nahekommen, wollte man aus einer Riesenmenge von Vorschlägen wie denen in den Kommentaren zum von mir zitierten Artikel auf spaceflightnow.com die brauchbaren herausfiltern. Bei Vorschlägen von Wissenschaftlern ist der Heuanteil zumindest soweit reduziert, dass eine reelle Chance auf Beurteilung der Vorschläge in absehbarer Zeit reduziert. Auf einem Workshop bereits im kommenden Februar sollen die ausgewählten Vorschläge diskutiert werden.

    Zum Vorschlag, diese Brummer im Rahmen des SpaceView-Netzwerks einzusetzen: Eine interessante Idee. Allerdings ist erst einmal zu klären, inwieweit denn ein Spiegel, der für den Einsatz im Weltraum gedacht ist, mit den Wetterunbilden auf der Erde klar kommt. Die werden die teure Einlagerung unter Reinraumbedingungen ja nicht zum Spaß machen, sondern um die empfindliche optische Hardware zu schützen.

    Nachführung ist bei der Beobachtung von Weltraumschrott übrigens nicht erforderlich, weder mit großen noch bei kleinen Teleskopen, denn es geht ja nicht darum, Schrott-Teile zu “beobachten” bzw. abzubilden, sonden darum, sie zu detektieren und ihre Bahnen zu bestimmen. Zumindest das w&aum;re also noch kein Hinderungsgrund, aber oben genanntes schon eher.

  5. peinlich

    keine Einwände: ich habe das Wort ´Gesamtsumme´ überlesen

    [Antwort: Ich dachte immer, sowas passiert nur mir! 🙂 MK]

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