ROSETTA: Reaktion auf die verfrühte Bild-Veröffentlichung

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Raumfahrt aus der Froschperspektive
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Die ESA-Kometensonde Rosetta ist nur mehr 8000 km vom Kern des Zielkometen 67P/Churyumov-Gerasimenko entfernt. Gestern fand ein weiteres Bremsmanöver statt, dass die Relativgeschwindigkeit mehr als halbierte. Rosetta nähert sich dem Kern nunmehr mit weniger als 10 m/s, also eine Geschwindigkeit, die ein Radfahrer locker erreicht.

Infolge der ungeplanten Veröffentlichung von vor 2 Tagen von Bildern, die zeigen, dass die Gestalt des Kerns nahelegt, dass es sich um ein “contact binary” handelt, ist es zu vielfachen Forderungen aus der Öffentlichkeit nach zeitnaher Publikation zumindest einiger Daten gekommen. Drei Projektverantwortliche haben dazu gestern (also unverzüglich) eine Stellungnahme auf dem Rosetta-Blog gepostet. Die Erläuterungen in dieser Stellungnahme stoßen auf ein wenig Zustimmung und eine Menge Ablehnung, einige hitzige, aber auch einige sachliche, darunter auch wirklich sachdienliche, beispielsweise hier.Es wird also wie geplant im Laufe des heutigen Tages “neue” Bilder geben. Wollen wir mal sehen, ob die über das hinaus gehen, was Sie schon seit zwei Tagen kennen.

Offenbar ist von den Kritikern immer noch weitgehend nicht verstanden worden, dass die Vereinbarungen über Publikationsrechte von Instrumenten, die nicht von der ESA finanziert wurden, sondern von nationalen Instituten aus Forschung und Bildung, nicht einfach so von der ESA festgelegt worden sind und auch nicht von der ESA einfach so geändert werden können. Das ist bei der NASA, die wissenschaftliche Instrumente, zumal bei planetaren Mission, aus den Projektbudget finanziert, anders. Wer zahlt, bestimmt die Musik. Ich sehe nicht, dass dieser Punkt dediziert zur Sprache kommt und dass entsprechende Forderungen gezielt an die Institute und die dort angestellten verantwortlichen gerichtet werden.

Die ESA-Verantwortlichen haben die Situation nicht wirklich erläutert und ziehen damit die gesamte Kritik allein auf sich. Dann wird sich aber auch an der Situation nichts ändern. Es wäre doch sicherlich möglich – einige der konstruktiven Vorschläge zeigen eine Lösung auf – eine für alle Seiten akzeptable Lösung zu finden. Die Wissenschaftler möchten als erste Zugriffsrecht auf ihre Daten genießen, sie in der dafür erforderlichen Zeit und ohne Druck auswerten und schlussendlich auch die Früchte der Arbeit ernten, in die sie Jahre ihrer wissenschaftlichen Karriere investiert haben. Das ist verständlich.

Die Öffentlichkleit hat ein großes Interesse an dieser Mission und möchte zeitnah informiert werden. Auch verständlich – wobei es aber auch klar sein sollte, dass es nicht immer möglich ist, erforderliche Erläuterungen unverzüglich beizubringen. Es gibt keine “Instant Science” und es ist niemandem damit geholfen, wenn belastbare Fakten durch pure, aus Zeitnot geborene Spektulation ersetzt wird.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass es unmöglich sein soll, zwischen diesen Inbteressenlagen eine Brücke zu schlagen. Dazu macht man doch Public-Outreach-Pläne im Vorfeld.

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Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

11 Kommentare

  1. Ich sehe nicht, dass […] entsprechende Forderungen gezielt an die Institute und die dort angestellten verantwortlichen gerichtet werden.

    Der viel beachtete – und sogar schon von Nature und der BBC aufgegriffene – Offene Brief deutscher Raumfahrtfans, der (mit) zu der ESA-Reaktion geführt hat, richtete sich primär an den Principal Investigator von OSIRIS am MPIfSSR in Göttingen. Der nicht zu den Unterzeichnern des ESA-Statements gehört oder darin erwähnt wird.

    Die Suche nach einer für alle Seiten zufriedenstellenden Lösung kann wirklich nicht so schwer sein – wenn es es denn will. Die Best Practice macht die NASA derzeit mit Opportunity, Cassini und Curiosity vor und wird es dem Vernehmen nach auch mit den LORRI-Bildern auf New Horizons im Anflug auf den Pluto so halten: zeitnahe Blicke auf eine im Bildfeld wachsende unbekannte Welt. Für alle. (Bereits zu Voyager-Zeiten in den 1980er Jahren wurden übrigens die Bilder der Telekamera live im NASA-Fernsehen übertragen.)

    Und – die ESA bräuchte sich nur mal in die Aufzeichnungen ihrer eigenen ESOC-Events von 1986 und v.a. 1992 von den beiden Giotto-Encountern mit Halley bzw. Grigg-Skjellerup anzuschauen: Vor allem beim letzteren waren vielfach die einlaufenden Rohdaten groß im (TV-)Bild und wurden mit den Wissenschaftlern live diskutiert. Hat diese Daten vielleicht jemand geklaut und damit eigene Wissenschaft gemacht? Warum heute unmöglich sein soll, was im 20. Jahrhundert der Regelfall war: Man möge es (nicht nur) mir erklären …

    • Erst einmal muss es der Richtige wollen, nämlich der, der die Rechte am zu veröffentlichen Material besitzt. Wollen allein reicht nicht, man muss zusätzlich zum Wollen auch noch dürfen können. Was ist denn die genaue Vereinbarung zur Veröffentlichung von Material? Was steht genau im Outrach plan? Gibt es so einen überhaupt?

      Aber selbst wenn man will und darf, ist noch nicht sicher, dass auch was passiert. Ich will und darf meinen Büroschreibtisch aufräumen, aber ich komme halt nicht dazu. So etwas gilt im gegebenen Fall genau so. Bei NASA-Missionen ist nicht nur von vorneherein klar festgelegt, wie das Outreach abzulaufen hat und welche Sanktionen erfolgen, wenn gegen die Vorgaben verstoßen wird.

      Das ist nur eine Seite der Medaille. Die andere ist, dass bei der NASA meines Wissens auch gleich ein Mittel für die Outreach-Aktivitäten fest vorgesehen und zugewiesen sind. Sollten die Geldgeber der wissenschaftlichen Ausstattung bei der Rosetta-Sonde das nicht gemacht haben, wird sich dies zwangsläufig in Umfang und Geschwindigkeit der Outreach-Aktivitäten niederschlagen.

      Wir leben in Zeiten, in denen aufgrund von Ressourcenmangel nicht einmal der Schatz an wissenschaftlichen Daten von Raumfahrtmissionen zeitnah – oder überhaupt – aufgearbeitet werden kann. Das ist die Situation.

      Nichts darf mehr Geld kosten, Wissenschaft schon gar nicht, und dann erlauben wir uns noch die europa-übliche-Kleinstaaterei oben drauf. Was dabei herauskommt, ist unzufriedenstellend, aber die Wuzeln liegen da schon ein bisschen tiefer als nur “Die ESA will ja nicht”.

      • Das nennen Sie einen unaufgeräumten Schreibtisch? Dann sollten Sie mal das Uni-Büro eines typischen Astronomen … 😉 Aber Spaß beiseite, Sie haben genau Recht: Bei der NASA ist der Outreach stringent geregelt – und vor allem, was herauskommt, wird gewürdigt. Allein der NASA-Twitter-Account nähert sich gerade dem 7-millionsten Follower (bei der ESA ist man bei 200’000) und kann so manchem Popstar paroli bieten. Und es mögen zwar viele doof finden, dass es keinen Shuttle mehr oder immer noch keine Mondbasis gibt (und an allem Obama die Schuld geben), aber die Agency ist integraler Bestandteil der öffentlichen Diskussion. Mehr noch, sie wird mit der Raumfahrt schlechthin gleich gesetzt. So geschehen vor ein paar Jahren bei einer Präsentation der wirklich exzellenten ESA-Ausstellung mit großformatigen Bildern des Mars Express, auf Tour in den USA. Sagt ein beeindruckter Besucher zum anderen: “Die NASA macht aber tolle Bilder …”

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  3. Danke für die Klarstellung – die ESA kann nicht viel tun. Der offene Brief von Raumfahrer.net richtet sich daher speziell auch an Holger Sierks, den PI der Kamera OSIRIS am Göttiger Max-Planck-Institut. Am ehesten könnte er wohl eine etwas weniger restriktive Bildpolitik entscheiden.

    Allerdings scheint OSIRIS (von außen betrachtet) ein sehr komplexes Instrument zu sein. Nicht nur technisch, sondern auch politisch. Hier scheint das Hauptproblem zu liegen, schätze ich.

    Holger Sierks hat bis heute übrigens nicht auf unseren offenen Brief geantwortet.

      • Nun ja. Rosetta ist eine ESA-Mission. Es sind ESA-Leute die in der Missionsleitung die Hüte aufhaben. Und ich bin mir sicher, dass die auch mit ihren Kollegen reden. Nicht, um den PIs vorzuschreiben, was sie mit ihren Daten zu tun haben. Aber um denen mal die Welt da draußen zu erklären. Druck auf die ESA auszuüben ist sicher nicht per se falsch.

        Ich habe zudem den Eindruck, dass hier ein schwarzer Peter herumgereicht wird. Die ESA sagt, die PIs seien schuld. Die Wissenschaftler sagen, es sei der unmenschliche Publikationsdruck, der uns davon abhält, Bilder schneller freizugeben. Die Politiker und Forschungsförderer sind froh, mit der Erwartung höchst-gerankter Publikationen ein Druckmittel gegenüber den Forschern zu haben.

        • Ich diskutiere jetzt nicht darüber, ob die Darstellung, “ESA versteckt Bilder vor der Öffentlichkeit” (was ich wörtlich aus einem Kommentar zum offenen Brief zitierte habe) akzeptabel ist.

          Weder sind Schuldzuweisungen hilfreich noch das Ignorieren der harten Tatsachen. Die harte Tatsache ist, dass es rechte an Datenmaterial gibt. Die Rechteinhaber werden aber nicht mit Ressourcen ausgestattet, um die Öffentlichkeitsarbeit zu gewährleisten. Sie haben oft nicht einmal genügend Ressourcen, um die wissenschaftliche Aufarbeitung vorzunehmen. So sieht’s aus.

          Es muss also vertraglich geregelt werden: “Für die Instrumentenentwicklung gibt es so iund so viel, davon gehen zwingend n% in den Outreach. Der Outreach-Plan ist vor dem Start festzulegen. Das obliegt XYZ und ABC. Sanktionen bei Nichterfüllung des Plans sind XXX.”.

          Wenn das nicht gemacht wurde, ist das Kind schon vor mehr als 10 Jahren in den Brunnen gefallen.

          • Was derzeit viele in der Öffentlichkeit kritisieren (inklusive wir Autoren des offenen Briefes), ist das Freigabe-Prozedere um Bilder von der Rosetta-Mission. Einer öffentlich geförderten Mission im Namen der Wissenschaft. Es ist Teil demokratischer Teilhabe, so einen Status Quo zu kritisieren, auch ohne die internen Ursachen dafür zu kennen. Die ESA-Forscher erklärem sich selbst ja nur sehr verklausuliert. – Immerhin tut sie es aber, das erkenne ich an.

            Es ist auch ein Anliegen der Öffentlichkeit, dass sich der Status Quo ändert. Das kann nur gelingen, wenn der Druck von außen groß genug ist. Und um Druck auszuüben, ist eine Mission wie Rosetta nun mal perfekt geeignet: Hier haben wir eine Sonde, die in Namen der europäischen Raumfahrt nie Dagewesenes versucht. Es gibt ein immenses öffentliches Interesse am Bildmaterial. Und die Beteiligten machen zu wenig daraus. Wir müssen jetzt Druck ausüben, nicht bei den derzeit abstrakt geplanten Missionen, die in 20 Jahren starten.

            Was die ESA, die PIs und beteiligten Institute aus diesem Druck machen, ist ihre Entscheidung. Das können wir von außen ohnehin nicht antizipieren. Wenn die Verträge schon unterzeichnet und die gesamten Outreach-Mittel verplant sind, ist es halt so. Dann bewirkt der jetzt ausgeübte Druck aber vielleicht, dass sich zumindest zukünftig etwas bewegt. Ich sehe keinen Grund, jetzt nachzulassen, gerade auch gegenüber der ESA.

          • Sie müssen gerade mir wirklich nicht erklären, warum Outreach wichtig ist und warum man auf der Welle des öffentlichen Interesses mitsurfen sollte. Ich bin doch da in allen Punkten ihrer Meinung.

            Was den outrach-Plan und die dafür vorzusehenden Mittel angeht, so ist mir nicht bekannt, dass es – anders als bei NASA-Missionen – so etwas hier gibt. Genau das sehe ich als großes Problem. Ich fürchte, dass es im nachhinein nicht möglich sein wird, einen Zustand zu erreichen, wie er im Idealfall, also bei Vorhandensein eines geplanten, finanzierten und professionell organisierten Outreach gegeben wäre. Outreach ist nicht-trivial und muss gut vorbereitet sein. Genau so wie eine wissenschaftliche Beobachtungskampagne oder wie ein Manöver einer Raumsonde.

            Kritik an Umständen, die einem nicht gefallen, gewinnt an Wirkung, wenn die Hintergründe dieser Umstände bekannt sind und in Betracht gezogen werden.

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