Klaustrophobie gefällig? Die ersten Raumschiffe

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Raumfahrt aus der Froschperspektive
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Leiden Sie an Klaustrophobie? Ich schon, deswegen kann ich mir eher nicht vorstellen, mich freiwillig in eine Kapsel zu zwängen, von der einer ihrer Piloten sagte: “In die steigt man nicht hinein, die zieht man sich an.” Danke, aber nein Danke. Für mich ist es gerade dieser Punkt, weswegen ich die ersten Kosmonauten und Astronauten bewundere.

 

Das Schiff der sowjetischen Kosmonauten hieß Wostok (russisch: Osten), das der US-Astronauten Mercury. Beide waren für die Aufnahme eines Insassen ausgelegt, aber das ist fast auch schon die einzige Gemeinsamkeit. Interessanterweise zeigen beide Schiffe unterschiedliche richtungsweisende Punkte in ihrer Auslegung, die in späteren Systemen aufgegriffen und zusammengeführt wurden:

  • Wostok: die Trennung zwischen Eintrittsmodul und Servicemodul
  • Mercury: das Rettungssystem 

Weder Wostok noch Mercury waren jedoch sichere oder gar komfortable Raumschiffe, und beide waren, da im Rahmen eines Wettlaufs der Systeme mit großer Eile entwickelt, nicht wirklich ausgereift, ebenso wenig die Raketen, mit denen sie gestartet wurden.

Ein wesentlicher Auslegungsparameter eines jeden Raumfahrzeugs ist sein Masse – diese darf genau so groß sein wie die Startkapazität der verfügbaren Rakete. Her hatten die Russen dank der schieren Größe der ebenfalls Wostok getauften Raketen (einer Ableitung der R7 “Semjorka”, wie von Eugen Reichl hier (Teil 1) und hier (Teil 2) ausführlich beschrieben), eindeutig die Nase vorn, ihr Schiff war beim Start mehr als doppelt so schwer wie das amerikanische.

Wostok: First in Space!

Das Wostok-Raumschiff wurde von Sergej Koroljows Konstruktionsbüro OKB-1 unter Leitung von Mikhail Tichonrawow entwickelt. Es bestand aus einem kugelförmigen Eintrittsmodul (=der Kapsel mit dem Kosmonauten) und einem Versorgungsmodul. Beide sollten kurz vor Wiedereintritt per Sprengbolzen getrennt werden, um zu vermeiden, dass nicht mehr gebrauchte Masse in der Hyperschallphase mit abgebremst werden musste und danach zusätzlich am Fallschirm hing.

Das Eintrittsmodul mit seinem Durchmesser von 2.3 Metern war auf den ersten Blick zwar recht geräumig, wenn auch eine Menge Platz vom Schleudersitz eingenommen wurde, in dem der Kosmonaut, gekleidet in Raumanzug und Helm, während der Mission saß. Der Schleudersitz sollte den Astronauten im Fall eines Problems in der frühen Startphase retten. Dieser Fall trat zum Glück nie ein, denn es wäre wohl einem russischen Roulette gleichgekommen. Er wurde ferner planmäßig bei der Landung verwendet. Die Wostok-Kapseln kamen zwar auf festem Boden herunter, hatten aber kein Abbremssystem, um die Restgeschwindigkeit vor dem Aufschlag zu reduzieren.

Deswegen betätigte der Kosmonaut in etwa 7 km Höhe den Schleudersitz und landete mit einem eigenen Fallschirm so wie ein Kampfpilot, der aus einem abstürzenden Düsenjäger aussteigt. Die Landung in der fallschirmgebremsten Kapsel wäre zwar möglich, erschien aber nicht empfehlenswert.

Schon bei Gagarins Start wurde aus diesem Umstand ein großes Geheimnis gemacht; es sollte nicht publik werden, dass der Kosmonaut nicht den kompletten Flug vom Start bis  zur Landung in seinem Raumschiff zugebracht hatte. In zahlreichen Raumfahrt-Büchern, auch solchen, die im Westen verlegt wurden, findet sich die Behauptung wieder, dass Gagarin bis zum Aufsetzen in der Kapsel blieb. Das stimmt aber nicht.

Das Eintrittsmodul war durch einen 13 cm starken Hitzeschild aus Asbest vor der Hitze des Wiedereintritts geschützt. Die Massenverteilung war so, dass das Eintrittsmodul sich stabil mit dem Hitzeschild entgegen der Flugrichtung und damit in Richtung der Anströmung ausrichtete. Während des Wiedereintritts konnte die g-Belastung auf mehr als 8 g steigen.

Das Versorgungsmodul umfasste das Bremstriebwerk für das Wiedereintrittsmanöver, das Lageregelungssystem (Kaltgasdüsen, die mit Stickstoff betrieben wurden), Funkausrüstung, Sauerstoff- und Stickstofftanks für das Lebenserhaltungssystem des druckbelüfteten Eintrittsmoduls  und Batterien für die Stromversorgung. Dieses Konzept der Auslagerung technischer Komponenten, die nur im Orbit, aber nicht während der Eintrittsphase gebraucht werden, hat sich bewährt, man findet es in späteren sowjetischen Raumschiffen wie Woßchod (eigentlich nur eine Version des Wostok-Schiffs mit der Möglichkeit, zwei bzw. drei Kosmonauten aufzunehmen, allerdings unter Verzicht auf selbst die ohnehin nicht ausreichende Wostok-Sicherheitsausrüstung) und Sojus, die bis heute weiterentwickelt und -verwendet wurde). Man findet es aber auch in den Gemini- und Apollo-Raumschiffen der NASA, ebenso beim privat entwickelten Dragon der Firma SpaceX und beim CST-100 von Boeing.  Auch das geplante Orion-CEV sollte dieser Auslegung folgen.

Ein abtrennbares Versorgungsmodul ist an und für sich eine gute Idee, sonst hätte man sie nicht mehr als 50 Jahre lang weiter verfolgt. Allerdings muss die Abtrennung auch zuverlässig erfolgen. Bei Gagarins Schiff Wostok 1 tat sie es nicht: Eintritts- und Versorgungsmodul blieben bis zum Eintritt über eine nicht ordnungsgemäß getrennte elektrische Leitung verbunden, sodass die Kapsel taumelte und von der falschen Seite angeströmt wurde, bis das Kabel durchschmolz oder riss und die Kapsel sich in die richtige Lage einpendelte. Dasselbe Problem trat – was schwer verständlich ist – bei der folgenden Mission Wostok 2 mit dem Kosmonauten German Titow wieder auf.

Es wurden insgesamt acht Wostoks des Aufbaus 3KA, wie er für die bemannten Flüge verwendet wurde, gestartet, davon sechs mit einem Kosmonauten an Bord. Der erste bemannte Flug war  Wostok 1 am 12. April 1961. Auf der Wostok-Technik basiert aber nicht nur das Woßchod-Raumschiff, sondern auch einige unbemannte Satellitenbaureihen. Die Wissenschaftskapseln der Serie “Foton” werden sogar bis in unsere Zeit verwendet! 

 

 Schnittzeichung des Wostok-Raumschiffs, hier noch auf der Oberstufe der Rakete, Quelle: flightglobal.com

Mercury: Second Best

Das Mercury-Raumschiff sah gänzlich anders aus als das Wostok-Raumschiff. Seine Startmasse betrug weniger als 2 Tonnen, nicht einmal die Hälfte der 4.7 Tonnen von Wostok. Unten am konischen Eintrittsmodul, das ein Innenvolumen von anderthalb Kubikmetern bot, war der Hitzeschild aus mit Kunstharzmasse getränkten Glasfasermatten eingehakt. Darunter, an absprengbaren Spannbändern befestigt, hing das “retrorocket pack”, ein Paket aus Festbrennstofftriebwerken für das Manöver zum Einschuss in die Wiedereintrittsbahn.

Zwischen Hitzeschild und eigentlicher Kapsel befand sich noch ein aufblasbarer Gummibalg, der den Aufschlag auf dem Wasser dämpfen sollte – im Gegenstz zu Wostok konnte Mercury nur auf Wasser landen. Danach sollte sich der Balg mit Wasser vollsaugen und durch sein Gewicht die Kapsel auch bei Wellengang aufrecht halten, bis sie geborgen werden konnte. Die Wand der Kapsel bestand aus Titan, umgeben von einer keramischen Isolierschicht und einer dünnen Schicht aus einer Nickellegierung.

Der Astronaut konnte durch eine absprengbare Luke aussteigen, alternativ aber auch oben durch ein Druckschott, das sich öffnen ließ. Dabei wärten aber die Instrumententafel und die Fallschirmbehälter im Weg. Die Lageregelung benutzte als Treibstoff den Heißdampf aus katalytisch zersetztem Wasserstoffperoxid. 

Etwa 600 kg der Startmasse entfielen auf das Rettungssysten, eine geradezu geniale Erfindung, die später in verbesserter Form im sowjetischen Sojus-Raumschiff und dem Mondraumschiff Apollo eingesetzt wurde. Auf der Sojus kam ein System dieser Art zwei Mal zum tatsächlichen Einsatz: beim Fehlschlag von Sojus 18-1 (1975), einer Explosion der Oberstufe im Flug, und bei Sojus T-10-1 (1983), einer Explosion der Rakete auf der Startrampe. Vier Menschen verdanken Die Besatzung verdankt ihm ihr Leben. Das Rettungssystem besteht aus einer starken Feststoffrakete, die auf einer turmartigen Struktur oberhalb der Kapsel abgebracht ist. Wird vor oder nach dem Abheben ein Problem festgestellt, das den Abbruch des Flugs unvermeidbar macht und das Leben der Mannschaft in Gefahr bringt, Wird die Kapsel vom Rest der Rakete getrennt und das Rettungssystem gezündet. Sein hoher Schub reißt die Kapsel mit der Mannschaft schnell vom Ort des Geschehens weg, wobei allerdings unvermeidlich eine hohe g-Belastung auftritt. 

Bei Einsatzbereitschaft des Mercury-Raumschiffs standen die Amerikaner vor dem Problem, keine geeignete Rakete verfügbar zu haben. Die Atlas wäre zwar stark genug gewesen, das Schiff ins niedrige Erdorbit zu heben, war aber noch nicht einsatzbereit. Die viel kleinere Redstone wurde als etwas zuverlässiger betrachtet, schaffte es aber mit fast zwei Tonnen Nutzlast nicht ins Orbit, sondern nur in eine suborbitale Trajektorie von etwa 15 Minuten Dauer und weniger als 200 km Scheitelhöhe, wobei rund 500 km über Grund zurückgelegt wurden. Die ersten zwei bemannten Flüge des Mercury-Systems waren von dieser Art. Alan B Shepard startete am 2. Mai 1961 mit Mercury Redstone 3 in den Weltraum, aber nicht in den Orbit, denn das sind zwei Paar Schuhe. Auch Virgil I Grissom absolvierte mit Mercury Redstone 4 am 21. Juli 1961 nur einen Parabelflug. Erst John Glenn gelangen am 20. Februar 1960 1962, mit Mercury Atlas 6 – da traute man sich endlich, einen Menschen auf die Atlas zu setzen – drei Erdumkreisungen. Zu dem Zeitpunkt hatte Kosmonaut German Titow mit Wostok 2 allerdings bereits 17 Mal die Erde umkreist und damit mehr als einen Tag im Orbit zugebracht. 

Ein passendes Zitat …

in Bezug auf die Männer und eine Frau, die mit diesen Raumschiffen das ungeheure Wagnis eines Flugs in den Weltraum eingingen, wohl wissend, dass ein Versagen irgendeines der vielen wichtigen Bauteile für sie den Tod bedeuten könnte. Das Zitat wird in Buch und Film “The Right Stuff”  dem US-Testpiloten Chuck Yeager zugeschrieben. Er antwortet damit auf den abfälligen Kommentar eines Kollegen, die Rolle der Astronauten sei nicht anders als die der Affen, die bei Versuchsstarts in der Mercury-Kapsel saßen:

Monkeys? You think a monkey knows he’s sittin’ on top of a rocket that might explode? These astronaut boys they know that, see? Well, I’ll tell you something, it takes a special kind of man to volunteer for a suicide mission, especially one that’s on TV.

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Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

3 Kommentare

  1. John Glenn Mercury Atlas 6

    “”Erst John Glenn gelangen am 20. Februar 1960, mit Mercury Atlas 6 – da traute man sich endlich, einen Menschen auf die Atlas zu setzen – drei Erdumkreisungen.””

    Hier hat sich ein Tippfehler eingeschlichen. Es sollte wohl 20. Februar 1962 heissen.

    Danke für den Hinweis! Ist korrigiert. MK

  2. Dazu eine kleine Ergänzung: Beim Fehlschlag von Sojus 18-1 war der Fluchtturm bereits im nominalen Verfahren abgetrennt gewesen. Dies geschah bei der damaligen Version der Sojus etwa 2 Minuten und 15 Sekunden im Flug (heutzutage eher, noch vor Ablauf der zweiten Flugminute).

    Damals geschah folgendes: Der Start verlief bis 4 Minuten und 49 Sekunden nach dem Abheben normal. Dann sollte die Stufentrennung erfolgen. Wie üblich im sowjetischen Startverfahren der damaligen Sojus-U Version handelte es sich um eine „heiße“ Stufentrennung, bei der zunächst die dritte Stufe zündet und erst dann die zweite Stufe abgeworfen wird. Die Sprengbolzen lösten damals aber nur drei der sechs Verbindungen, welche die beiden Stufen miteinander verbanden. Nach einigen Sekunden durchtrennte zwar der heiße Gasstrom die Halterungen, und die Stufe kam frei, das Raumfahrzeug war jedoch schon aus der Bahn geworfen worden.

    Das Flugkontrollsystem bemerkte die Abweichung 4 Minuten und 55 Sekunden nach dem Abheben und leitete daraufhin den Flugabbruch ein. Die Sojus-Kapsel wurde von der dritten Stufe getrennt, gleich danach lösten sich Service- und Orbitalmodul von der Mannschaftskabine und ein ballistischer Abstieg begann.

    Hier war also der Fluchtturm nicht mit im Spiel. Bei Anatoli Zak kann man über den Sojus-Fluchtturm noch ein wenig mehr erfahren http://www.russianspaceweb.com/soyuz_sas.html

    Bei Sojus T-10-1 rettete der Fluchtturm aber definitiv das Leben von Gennadi Strekalow und Wladimir Titow. Ohne den Fluchtturm wären die Kosmonauten ums Leben gekommen. Dieser Film hier http://www.youtube.com/watch?v=UyFF4cpMVag zeigt die dramatische Szene (am besten den Ton abschalten, um die blödsinnige Musikuntermalung zu eliminieren).

    Interessant die Rakete, die in Flammen eingehüllt ist, und die wie beiläufig herumstehenden militärischen Beobachter des Ereignisses. Durch eine Reihe technischer und organisatorischer Pannen erfolgte der Abschuss des Fluchtturm eigentlich viel zu spät (die Rakete, die eine ganze Weile in Flammen gehüllt war, hätte auch schon längst hochgehen können), aber dennoch gerade noch rechtzeitig.

    Vielen Dank für die wichtige Korrektur, Eugen. Wieder was gelernt! 🙂 Ich habe meinen Text entsprechend korrigiert. MK

  3. Interessant die Rakete, die in Flammen eingehüllt ist, und die wie beiläufig herumstehenden militärischen Beobachter des Ereignisses.

    Na ja, was hätten die denn auch anderes tun können? Die Feuerwehr rufen? Die Flammen auspusten? Oder nägelkauend auf einem Bein hüpfen?
    Sorry, aber da steht man wohl nur da und schaut zu, zu machen ist in so einem Moment nicht wirklich was.

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