Ein tiefer Fall in die Schatten-Wissenschaft

BLOG: Graue Substanz

Migräne aus der technischen Forschungsperspektive von Gehirnstimulatoren zu mobilen Gesundheitsdiensten.
Graue Substanz

In dem Wissenschaftskrimi “Ein tiefer Fall” von Bernhard Kegel geht es um eine nicht reproduzierbare Studie, eine der besonderen Art. Nachgewiesen — jedoch nur einmalig — wurde eine völlig fremdartige Lebensform aus der Schatten-Biosphäre. Die Ergebnisse sind nobelpreiswürdig, wären sie nur reproduzierbar. Sind sie aber nicht. Die genauen Hintergründe liegen tiefer als nur in einem offenbar fehlgeschlagenem Experiment. Wie las ich erst neulich?

Es gehört zum wissenschaftlichen Überzeugungssystem der Genomiker und synthetisierenden Molekularbiologen, daß sie ›alles im Griff‹ haben.

Das trifft den Kern, um den sich diese Geschichte vor allem dreht.

Mehr will ich gar nicht verraten, zumal das Buch schon mehrfach gut rezensiert wurde (z.B. hier und hier).

altEs wäre aber kein Wissenschaftskrimi, spielte die Geschichte nicht vor dem Hintergrund hoher Motivation der Wissenschaftler und ihrer eigentümlichen Gesetze, insbesondere die Abhängigkeiten und Zerwürfnisse, die durch die verengten Karrierestrukturen entstehen. Selbst aktuelle Bezüge zu “unseren” Plagiatsfällen (leider eher ein deutsches Phänomen, da eine politische Laufbahn hier eng an akademische Titel geknüpft ist) und Wissenschaftsblogger kommen am Rande vor.

Meine aktuelle Leseempfehlung muss ich noch mit einem Disclosure abschließen: Ich habe das genannte Buch regulär im Buchhandel erworben und auch sonst keinerlei finanziellen Verbindungen zu dem genannten Autor, der nur rein zufällig mein Nachbar ist. Wenn er das lesen sollte, kann ich nicht ausschließen, mal auf einen Kaffee eingeladen zu werden. (Bernd: mit Milch ohne Zucker.)

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Markus Dahlem forscht seit über 20 Jahren über Migräne, hat Gastpositionen an der HU Berlin und am Massachusetts General Hospital. Außerdem ist er Geschäftsführer und Mitgründer des Berliner eHealth-Startup Newsenselab, das die Migräne- und Kopfschmerz-App M-sense entwickelt.

18 Kommentare

  1. Motiv

    “… der nur rein zufällig mein Nachbar ist.”

    Ja, ne, ist klar. Zwinkersmiley. Jeder weiß doch, wie der Hase läuft: eine Hand, die andere Hand, und beide wollen gewaschen werden.

    “…Hintergrund hoher Motivation der Wissenschaftler…”

    Ohne das Buch bisher gelesen zu haben: Läßt sich diese hohe Motivation näher umschreiben? Ist vielleicht die Motivation der reinen Erkenntnissuche gmeint? Denn so erlebe ich die Wissenschaftler in meinem Umfeld: ausschließlich an der Wahrheit interessiert, unbestechlich und integer.

  2. Zitat:

    “Buchrezension…sonst keinerlei finanziellen Verbindungen zu dem genannten Autor, der nur rein zufällig mein Nachbar ist.”

    -> Na dann, prost Kaffee. Aber vorher noch die Buchrechnung hier veröffentlichen…(Adressen dürfen geschwärzt werden).

    Die “Nichtreproduzierbarkeit” scheint gerade zu einem Bloggewitter geworden zu sein.
    Es ist ja auch ein Skandal. Bin gespannt, was daraus wird.

  3. Gar nicht so wichtig, was irgendwie “Werbung” angeht. Wir nehmen nicht an, dass hier aus dem Scilogs plötzlich potente Verkaufszahlen hervorgingen. Und wenn schon.

    So richtig Stereotyp war das eben mit dem Nachbar, was es mir wert war zu rezitieren.

    Und eben mit dem Bloggewitter über Reproduzierbarkeit.

  4. Tugenden kein Pfandrecht der Wissenschaften

    Weil ich es gerade lese und es hier gut in die Diskussion passt (Off topic, @Chryrs: kennst Du den Begriff Organized Complexity, ist mir bisher noch nicht untergekommen), hier mal ein Zitat von Warren Weaver (“Science and Complexity“):

    The essence of science is not to be found in its outward appearance, in its physical manifestations; it is to be found in its inner spirit. That austere but exciting technique of inquiry known as the scientific method is what is important about science. This scientific method requires of its practitioners high standards of personal honesty, open-mindedness, focused vision, and love of the truth. These are solid virtues, but science has no exclusive lien on them. The poet has these virtues also, and often turns them to higher uses.

  5. @Markus A. Dahlem / Organized Complexity

    Fehlanzeige auch bei mir. Sogar Klaus Mainzer, der ja sonst gerne alle nur vorstellbaren Facetten von Komplexität berücksichtigt, scheint weder diesen Begriff noch den Essay von Weaver zu erwähnen (jedenfalls nicht in Thinking in Complexity, 5th ed., 2007). Womit wir uns wohl als entschuldgt betrachten dürfen.

    N,B. Google scholar hat mir zu Weaver und “Organized Complexity” gerade noch dies als Hinweis beschert:
    J. Fromm. The Emergence of Complexity. Kassel Univ. Press, 2004. (PDF zum download.)

  6. @Dahlem

    “Ausschließlich die Befriedigung, die aus dem Erkenntnisgewinn folgt, ist gemeint.”

    Was ist mit Erkenntnisgewinn gemeint? Wer gewinnt? “Nur” der Autor, die Allgemeinheit oder evtl. Geldgeber?

  7. @ Dahlem

    Statt einer einfachen Antwort, oh je, noch ein blog. Waren Sie schon mal in der Politik?

    Mich interessierte, was Ihre Motivation ist, Wissenschaft zu betreiben, ob es für Sie persönlich auch eine Moral dahinter gibt, abgesehen davon, dass es sicher Freude macht, bezahlt dafür zu werden, mehr oder weniger die Natürliche Schönheit zerstörende Dinge (fancy tools without instruction manual) herauszufinden.

    Feynman quote: “Nature is there, and she’s going to come come out the way she is.” – If we let her.

  8. Frage

    Zielt Ihre Frage darauf, ob und wo ich Grenzen sehe in der Forschung? Im Buch geht es ja um Synthetische Biologie, bei Physiker denkt man an den Bau der Atom-Bombe.

    Kurz nachgefragt, sonst reden wir (weiter) aneinander vorbei.

  9. @Dahlem

    “Zielt Ihre Frage darauf, ob und wo ich Grenzen sehe in der Forschung?”

    Nein, das war nicht Ziel meiner Frage. Welchem Ideal Ihre persönliche Motivation folgt, oder ob überhaupt einem Ideal, war die Frage. Sie bloggen hier als aktiver Wissenschaftler, also die einfache Frage an Sie. Was umtreibt Sie, Wissenschaft zu machen? Und gestatten Sie mir, eins draufzusetzen: ist es Liebe?

    Natürlich bauen nur Ingenieure und Physiker Atombomben, die schlauen Leute halt, Laureaten. Aber warum sie das tun-, warum das passiert und vielleicht sogar passieren muß, was da so dramatisch schiefläuft, das interessiert mich. Würden Sie nur antworten, reimte ich mir den Rest schon zusammen.

  10. Ist es ein Ideal, dem meine persönliche Motivation folgt? Vorab, es bloggen hier wie anderswo nicht so viele “aktive” Wissenschaftler, dass allein wundert mich zunächst und hängt vielleicht mit Ihrer “einfachen Frage” zusammen.

    Denn was mich umtreibt, Wissenschaft zu machen, hat auch viel mit dem öffentlichen Arbeiten zu tun.

    Und ja, ich gestatte Ihnen ausgesprochen gerne, eins draufzusetzen: ist es Liebe? Möchte unbedingt mit Ja antworten, hoffentlich meinen wir das gleiche.

    Ich wollte als Teenager Jurist werden, aus Liebe zur Gerechtigkeit. Verwarf es allein, weil ich dachte, nicht gut schreiben zu können. Da mir Rechnen lag, ich gerade Bücher über Los Alamos, Heisenberg und von Feynman las, wurde es dann Physik.

    Nun ist ein Studium nicht das gleiche wie die Forschung danach. Warum ich bei Physik, später Naturwissenschaft blieb und “aktiv” wurde? Weil ich es konnte, ist auch noch eine Antwort, die ich gleich parat hatte, als ich über diese Antwort nachdachte.

    Es gibt also viele Aspekte zu Ihrer einfachen Frage. Ich denke sicher noch weiter nach. Fragen Sie auch gerne noch weiter. Hilft mir beim denken.

  11. @Dahlem

    Sie schreiben: “Ist es ein Ideal, dem meine persönliche Motivation folgt?”

    Ja, genau das war meine Frage. “Trauen” Sie sich, ihr persönlches Agens beim Namen zu nennen?

    Und wieder weichen Sie, nicht ohne Grund, aus:
    “Vorab, es bloggen hier wie anderswo nicht so viele “aktive” Wissenschaftler […]”

    “hoffentlich meinen wir das gleiche”
    Hoffentlich?
    Was meinen Sie denn?

    Ich würde nicht so aufdringlich weiter hinterfragen, wenn ich aus Ihren bisherigen Antworten irgendwie schlau geworden wäre. Dachte ich.

    Aber: “Weil ich es konnte” ist allerdings eine Antwort. Und sie ist erfrischend ehrlich, insofern sie nicht den hochgepriesenen Idealismus heuchelt, der Agens allen Forschens sei. Es passiert einem halt. Verabschiedet man sich aber von dem Gedanken, Wissenschaft werde aktiv zu unser aller Wohl betrieben, wie skeptisch haben wir dann die Wissenschaft, ihre Motivation und ihre Methoden zu betrachten, und welche Idee “zähmt” die Wissenschaft, wie bewahren wir uns vor der destruktiven Entropie der Beliebigkeit des Machbaren ()? Was bewahrt einen Wissenschaftler davor, sich an der Schlüssigkeit seines Wirkens sinnlos zu berauschen, kopflos und keiner empathischen Idee mehr verpflichtet zu sein? Nichts, außer er selbst, aber das erzähle man einem Süchtigen, der nichts anderes ersehnt als die Tiefe des Füllhorns seines Dealers.

    Fast bin ich geneigt zu fragen, wie Sie das sehen.

  12. Wer, was und wovor.

    Was bewahrt einen Wissenschaftler, wer zähmt. Oder umgekehrt, wer bewahrt, was zähmt. Oft wissen wir ja nicht im vorhinein das “wovor”. Der Staat? Die Gesetzte? Sicher beides mehr als die Moral der Wissenschaftler als Gemeinschaft. Nur jene werden immer später kommen als diese Moral Vorsorge treffen könnte, gäbe es sie denn als Gruppenmotif.

    Schwierige Frage, greife ich nochmal auf.

    Das “wer, was und wovor” soll aber nicht ablenken davon, dass dies auch für mich nur eine Frage ist — und zwar eine fundamentale.

  13. @Dahlem

    “… Oft wissen wir ja nicht im vorhinein das ‘wovor’.”

    Doch, das wissen wir. Wir können uns da nicht rausreden.

    Um den Albtraum, um das “wovor” – um das, “wo Gott vor sein möge”, wissen auch diejenigen, die ihn durch die unbarmherzige Konsequenz ihres Scharfblicks schließlich erzeugen. Intuitiv. Denn natürlich sind wir hier sprichwörtlich angesprochen und gemeint. Wir sind – unter der Voraussetzung eines freien Willens – die Götter, die jetzt und hier schöpfend = zerstörend wirken (weil werkeln) und – hoffentlich – empathisch und besonnen bleiben mögen.

    Gibt es eigentlich ein Äquivalent zum hippokratischen Eid für die naturwisenschaftlichen Disziplinen? Wenn nein, warum nicht? Welche positive Evidenz kann eine Wissenschaft ganz ohne Maßstab, ohne weiteres Ideal einfordern? Man rühmt die Wissenschsft, die Wissenschaft rühmt sich – aber wofür eigentlich genau? Ihre Erfolge und Niederlagen, woran werden diese gemessen?

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