Über Jeans, Medikamente und die Deutsche Bank

BLOG: Gute Geschäfte

Wie Wirtschaft und Ethik zusammenpassen
Gute Geschäfte

Ich nehme wieder einmal die Deutsche Bank als Beispiel für ein Problem der Wirtschaftsethik. Nicht, weil ich etwas gegen diese Bank hätte, aber sie liefert ganz gutes Anschauungsmaterial.

Es geht um die Zinsgeschäfte, die die Bank (einige ihrer Konkurrenten auch) mit mittelständischen Unternehmern, vor allem aber mit zahlreichen Kommunen und kommunalen Unternehmen abgeschlossen hat. Keiner weiß genau, wie groß der Gesamtschaden ist, aber einzelne Kommunen hat es jedenfalls mit hohen Millionenbeträgen getroffen. Wahrscheinlich werden in nächster Zeit noch mehr Fälle bekannt, denn nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vor einigen Monaten sind die Chancen, gegen die Bank zu gewinnen, deutlich gestiegen.

Ich will jetzt nicht auf die juristische Argumentation eingehen, die letztlich vor dem BGH gezogen hat, obwohl ich diesen Prozess bis zu einem gewissen Grad verfolgt habe und immer wieder mal Kontakt mit dem Anwalt hatte, der letztlich den Erfolg durchgeboxt hat. Diese juristische Argumentation ist sehr kompliziert und war aus meiner Sicht – nun sagen, sagen wir: etwas schwierig – nachzuvollziehen. Was für mich zählt ist das Ergebnis: Der BGH hat diese Geschäfte für unzulässig erklärt. Und mich interessiert vor allem die ethische Frage, die dahinter steht und vielleicht indirekt den Prozess auch über die rein juristische Schiene hinaus beinflusst hat – schließlich sind Richter auch nur Menschen, die nach Möglichkeiten suchen, das als Recht zu sprechen, was sie auch ethisch für richtig halten (jedenfalls gilt das für die Richter, die ich bisher kennengelernt habe, da war allerdings niemand vom BGH dabei).

Um was für Geschäfte ging es? Ich habe mir mal am Beispiel einer Ruhrgebietsstadt die Formel angeschaut. Daraus ergab sich ganz klar: Es handelte sich um eine Zinswette. Bei einer bestimmten Entwicklung der Zinssätze konnte der Kunde profitieren. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Entwicklung eintrat, war sogar recht hoch. Trat sie nicht ein – und im Verlauf der Finanzkrise lief an den Märkten einiges anders als prognostiziert -, dann kam auf den Kunden aber ein theoretisch sogar unbegrenzter Schaden zu. Kurz gesagt: Einer guten Chance auf einen überschaubaren Gewinn stand ein kleines Risiko eines sehr hohen Verlusts gegenüber.

Ich will hier mal die Frage ausklammern, ob mittelständische Unternehmer solche Geschäfte abschließen sollten, und ob und unter welchen Voraussetzungen man sie ihnen verkaufen darf. Viel eindeutiger erscheint mir der Fall bei den Kommunen: Darf ein Kämmerer so ein Geschäft machen und damit das Geld seiner Bürger riskieren? Sicher nicht. Die Aufgabe einer Kommune ist es nicht, mit Geld zu spekulieren. Der Fall ist relativ klar. Aber trifft auch die Bank eine Schuld? Um diese Frage soll es hier gehen?

Es gibt hier zwei Argumentationsschienen. Eine besagt: Ein Finanzprodukt ist so etwas wie eine Jeans. Man geht in den Laden, schaut die Jeans an, probiert sie, und wenn sie einem gefällt, kauft man sie. Geht die Jeans zu schnell kaputt, kann man das reklamieren. Aber wenn man mit der Jeans zu einem wichtigen Geschäftstermin geht und komisch angeschaut wird, kannman nicht der Boutique einen Vorwurf machen, dass sie einem Jeans und nicht einen Anzug verkauft hat. Schließlich kann die Boutique nicht wissen, wofür man die Hose braucht, und was für einen gut ist.

Das ist die "Jeans"-Argumentation. Sie entspricht, so weit ich das verfolgen konnte, in etwa auch der Argumentation der Bank. Nach dem Motto: Wir sind alle erwachsene Menschen, und deswegen muss jeder selber wissen, was gut für ihn ist.

Ich würde dem aber eine "Medizin"-Argumentation entgegensetzen. Was passiert, wenn ich in eine Apotheke gehe? Vielleicht habe ich ein Rezept, dann weiß der Apotheker, der Verkäufer, dass vorher geprüft worden ist, was ich brauche. Vielleicht verlange ich Lutschbonbons gegen Halsschmerzen. Dann wird der Verkäufer nicht weiter nachfragen, weil das ein simples Produkt ist, das jeder versteht und das auch kaum Schaden anrichten kann. Vielleicht frage ich den Apotheker auch, was ich zum Beispiel gegen Mückenstiche anwenden kann. Dann wird er mich beraten. Vielleicht verlange ich aber ein Medikament, das unangenehme Nebenwirkungen haben kann oder in manchen Fällen völlig wirkungslos ist. Dann wird er mich darauf hinweisen, wenn er ein guter Apotheker, und im Zweifel sich sogar weigern, das Medikament zu verkaufen.

Entscheidend ist jedenfalls: Kein Apotheker würde behaupte, dass der Kunde schon selbst wissen muss, was gut für ihn ist, und dass ihn als Verkäufer da überhaupt keine Verantwortung trifft. Im Gegenteil: Wer Medikamente verkauft, der darf einem Kunden nichts in die Hand geben, was für ihn völlig ungeeignet ist und ihm möglicherweise großen Schaden zufügt.

Meiner Ansicht nach sollte man Finanzrpodukte eher mit Medikamenten als mit Jeans vergleichen. Und je komplizierter sie sind und je größer der mögliche Schaden ist, desto eher. Und bei den Kommunen kommt ja noch etwas hinzu: Gekauft hat die Medizin der Kämmerer, geschluckt haben sie aber die Bürger, zum Teil, ohne etwas davon zu wissen. Das ist so, als wenn jemand ein gefährliches Medikament für seine Kinder kauft: Wenn der Apotheker das merkt, kann er auch nicht sagen: "Ist doch nicht mein Problem", sondern er muss Verantwortung übernehmen – für die Kinder, die letztlich die Ware bekommen. Die Bank hätte den Bürgern der Kunden keine Medizin verabreichen dürfen, das völlig ungeeignet für sie war und dazu mit dem Risiko sehr gefährlicher Nebenwirkungen behaftet.

Ich glaube, diese Frage – Jeans oder Medikamente – muss man immer wieder stellen, wahrscheinlich auch in vielen anderen Branchen. Die Sache mit der Deutschen Bank ist nur ein Beispiel dafür.

 

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Ich habe Betriebswirtschaft in München und Philosophie an der Fernuni Hagen studiert, früher bei einer großen Bank gearbeitet, und bin seit über 20 Jahren Journalist beim Handelsblatt mit Spezialisierung auf Finanzthemen, davon fünf Jahre in New York und seit November 2017 in Frankfurt. Im Jahr 2013 habe ich das Buch „Wie fair sind Apple & Co?“ veröffentlicht.

5 Kommentare

  1. Eine Frage der Verantwortung

    Ein interessanter Fall. Aus juristischer Sicht habe ich den Eindruck, dass in den meisten Faellen die Bank gerade nicht einem Apotheker, sondern eher einem Jeansladen gleich gesetzt wird. Die Bank muss keinen Eid leisten oder ist gesetzlich verpflichtet einer Kommune mit Geldsorgen zu helfen. Beim Apotheker gibt es ausserdem bestimmte Medikamente nur auf Rezept, das heisst der Arzt hat schon im Sinne des Patienten eine Entscheidung getroffen. Ich weiss nicht ob es etwas Vergleichbares dem Arzt in der Finanzwelt gibt. Es hindert auch niemand eine Apotheke daran, homoepathische Globuli zu verkaufen. Eine Sparkasse hat da wirtschaftsethisch gesehen, schon mehr Verpflichtungen als eine Bank, zumal der Staat dort mehr im mitredet (auch im Sinne des Kunden).

  2. Der Stadtkämmerer als Unbedarfter

    Mangelnde Fachkenntnisse eines Kunden sollte man nicht ausnützen um ihn übers Ohr zu hauen. Da kann ich nur zustimmen.

    Ich frage mich nur ob auch ein Stadtkämmerer zu dieser Gruppe von Leuten gehört, die vor ihrer eigenen Unktenntnis und Unbedarftheit geschützt werden muss. Ist es nicht eher so, dass die Stadtkämmerer sehr wohl wussten, dass es ein geringes Risiko eines Totalverlusts gab, dass sie das aber hinnahmen, weil die Wahrscheinlichkeit so gering war.

    In letzter Konsequenz könnte Frank Wiebe sogar führende Leute deutscher Landesbanken bedauern, die mit dem Geld der Steuerzahler in todsichere amerikanische Immobilienpapiere investiert haben. Diese Unglücklichen wollten auch einmal etwas an der Party teilnehmen und Gewinn einfahren, nicht nur für sich, sondern sogar für das Bundesland, von dem sie das günstige Geld für ihre Investitionen erhielten. Auch diese Leute in ihren staatlich geschützen “Werkstätten” wollten einmal zeigen das sie etwas draufhaben und eigentlich gute Kapitalisten wären. Allein es lief schief, weil sie auf das Urteil von “Apothekern” wie Standard&Poors und Moodys gehört haben.

    Fazit:
    – Wer professionell mit Geld zu tun hat braucht vor allem ein gesundes Misstrauen. Und nicht nur dem Markt und seinen Institutionen gegenüber (also z.b. den Ratingagenturen) sondern vor allem auch sich selbst gegenüber. Wer das nicht hat, ist am falschen Ort – mindestens wenn seine finanziellen Transaktionen nicht nur ihn selbst, sondern auch den Steuerzahler betreffen.

  3. Ich habe versucht, die Argumentation am Produkt festzumachen, nicht an den Strukturen des Verkaufs. Und es gibt eine Menge Produkte in der Finanzwelt die großen Schaden anrichten können – wie falsch eingesetzte Medikamente. Zu der Sache mit dem Kämmerer: Der tut mir nicht leid, es ist völlig klar, dass er versagt hat. Es geht nur daum, ob die Bank AUCH verantwortlich ist, und zwar den Bürgern, nicht dem Kämmerer gegenüber.

  4. New Banking: Spekulation wurde sexy

    Vielleicht liegt der Hase ja woanders begraben und das Problem liegt weniger bei den Banken allein, die ihre Kunden aus Eigeninteresse ins Messer laufen lassen, sondern bei den neuen innovativen Finanzprodukten, die in den 90er-Jahren erfunden wurden und die dem spekulativen Banking a la Investmentbank immer mehr Auftrieb gaben, was dann ja auch zur Aufhebung des Glass-Steagall Act’s, also zur Aufhebung des Trennbankensystems führte, denn der phänomenale “Erfolg” dieser innovativen neuen Finanzprodukte – zu denen viele “Wetten” gehörten – sollte nicht länger nur den Investmentbanken zu Teil werden, sondern jede noch so nüchterne, bis anhin als langweilig empfundenen Bank, wollte sich damit 1) attraktiver für die Kunden machen und 2) der Bank mehr Entfaltungs- und Spielraum geben.

    Die stockkonservative Deutsche Bank also, die man vielleicht mit einem noblen Herrenausstatter für gehobene Buisnessanzüge vergleichen könnte, hatte in ihrem Portfolio plötzlich diese vielen sexy Produkte wie Derivate, komplizierte Termingeschäfte usw.. Eigentlich war das vergleichbar mit dem vornehmen Herrenausstatter, der plötzlich Präservative, Latexunterwäsche und Sexartikel anbot – nur mit dem Unterschied dass die deutsche Bank für ihre Produkte in Hochglanzbroschüren warb und ihnen mit Wortkreationen und PR-Speak auf die Sprünge half.

    Es mag schon sein, dass Stadtkämmerer etwas länger zuwarteten bis sie schliesslich auch solche Wetten eingingen, doch wenn die ganze Welt – mindestens aber alle Erfolgreichen – davon sprachen und es ja anfänglich auch Erfolge gab vielleicht sogar bei einem Kollegen aus der Nachbarstadt, da wollte niemand mehr der dumbe Kassenwart bleiben, sondern am Erfolg teilhaben.

    Der Artikel hier erweckt den Eindruck, die deutsche Bank oder vielmehr die meisten oder gar alle Banken handeln unethisch weil sie die Kunden Risiken eingehen lassen, die sie (die Kunden) gar nicht verkraften können. Doch diese behauptete Asymmetrie ist vielleicht gar nicht so ausgeprägt und entscheidend. Denn auch Banken können in die Falle laufen mit innovativen Finanzprodukten. Auch Banken sind Kunden von anderen Banken und werden genau so abgeschlachtet wie der Privatkunde oder der Finanzbeauftragte einer Stadt (alle sind vor dem Kapital gleich).

    Was wäre daraus zu folgern: Für mich ist es klar. Das Banking sollte wieder so langweilig werden, wie es das jahrzehntelang war und die meisten innovativen Finanzprodukte sollten wieder verschwinden. Dass das Banking einen Anteil an der Gesamtwirtschaft von 10 oder mehr Prozent hat und praktisch ein Eigenleben zu führen beginnt ist kein Zeichen von positiver Wachstumsdynamik, sondern ein Gefahrenzeichen.

    Nicht umsonst war die Finanzindustrie vor der grossen Depression in den USA ein beudeutender Wirtschaftszweig und verfiel anschliessend in einen Dornröschenschlaf, der erst Ende der 1990er-Jahre endete.

  5. @Frank Wiebe

    Als ich von dieser aktuellen Studie über das Risikoverhalten von Aktienhändlern las, kam mir gleich der Gedanke, wie genial es wäre, wenn sie auf “Gute Geschäfte” vorgestellt und besprochen werden würde!
    http://www.spiegel.de/…men/0,1518,788232,00.html

    Herzliche Grüße!

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