EWP-Premiere naht

BLOG: GUTE STUBE

Salon der zwei Kulturen
GUTE STUBE

Die Vorbereitung der ersten Sitzung des Europäischen Wissenschaftsparlaments befindet sich in der Schlussphase. Die Idee hinter dem etwas hochtrabend klingenden Namen und dem gemeinsamen Konzept der RWTH und der Stadt Aachen liest sich gut: Forscher, Wirtschaftsvertreter, Politiker sowie NGOler diskutieren (auf Englisch) alle zwei Jahre eine bedeutende wissenschaftliche und gesellschaftliche Herausforderung unserer Zeit – und zwar nicht exklusiv unter ihresgleichen, sondern gemeinsam mit engagierten Bürgern aus der ganzen EU: Schülern, Studenten, Hausmännern, Rentnerinnen…

Einbringen kann sich jeder, zumindest im Netz. Denn um tatsächlich offline zu der 2-tägigen Konferenz am 9./10. Oktober eingeladen zu werden, die mit insgesamt 120 Teilnehmern in Aachen stattfindet, müssen sich die Laien, anders als die gesetzten Experten, zuvor online in einer Art Diskussionswettstreit qualifizieren. Die Auswahl erfolgt über „Trustpoints“, die sich registrierte User gegenseitig für besonders gute Diskussionsbeiträge ans Revers heften können. Die meistdekorierten Nutzer dürfen dann ins eigentliche Parlament in die Europastadt reisen, Hände schütteln und mit den Experten debattieren.

Für die Premiere hat sich das EWP das Thema „Europa unter Strom – geht 2050 das Licht aus?“ auf die Fahnen geschrieben. Wer mag, kann seinen Hut noch in den Ring werfen, denn noch gibt es freie Parlamentssitze – allein die abgezählten Schülerplätze sind bereits vergeben.

Die 2-tägige Veranstaltung wird nach dem Willen der Organisatoren mit einer „Aachener Erklärung“ enden: energiepolitischen Empfehlungen an die EU. Damit diese auch Eindruck in Brüssel hinterlassen, hoffen die Veranstalter auf 3000 bis 4000 registrierte Nutzer aus ganz Europa. Die Mitmach-Zahl ist also das Erfolgskriterium. Sollte eine entsprechende Hausnummer erreicht werden, wird das Europäische Wissenschaftsparlament eine Dauereinrichtung.

Vom Zuschnitt her ist das EWP ein so genanntes diskursives Verfahren:
Um politische Entscheidungen auf eine möglichst breite demokratische Basis zu stellen, lädt man schon (weit) im Vorfeld Vertreter aller möglichen Betroffenen- und Interessengruppen an einen Tisch. Ob es um den Bau einer Müllverbrennungsanlage geht oder um ethische Richtlinien im Umgang mit den Neurowissenschaften: Der Bürger soll partizipieren, ein Mitspracherecht einberaumt bekommen – und hinterher die getroffenen Entscheidungen mittragen.

Nun stellen sich ein paar spannende Fragen: Hat das Europäische Wissenschaftsparlament Zukunft? Braucht man so eine Einrichtung? Inwieweit müsste man sie anders ausrichten? Ist das Verfahren geeignet, möglichst viele EU-Bürger einzubinden und mit Zukunftsfragen zu konfrontieren? Oder wollen die Leute das gar nicht und überlassen die Beschäftigung mit so schwer verdaulichen Themen lieber den „wichtigen Leuten vom Dienst“? Verdient das Parlament seinen Namen? Ich bin gespannt auf Ihre Meinung.

PS: Ob die erhofften Nutzerzahlen erreicht werden? Als ich vorhin auf der Seite war, war nur ein einziger registrierter Nutzer dort unterwegs. Wer mag, kann das ändern:

www.wissenschaftsparlament.eu


Weiterer Link:

Aktuelle EWP-User-Hitliste nach „Trustpoints“

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Veröffentlicht von

Carsten Könneker Zu meiner Person: Ich habe Physik (Diplom 1998) sowie parallel Literaturwissenschaft, Philosophie und Kunstgeschichte (Master of Arts 1997) studiert – und erinnere mich noch lebhaft, wie sich Übungen in Elektrodynamik oder Hauptseminare über Literaturtheorie anfühlen. Das spannendste interdisziplinäre Projekt, das ich initiiert und mit meinen Kollegen von Spektrum der Wissenschaft aus der Taufe gehoben habe, sind die SciLogs, auf deren Seiten Sie gerade unterwegs sind.

5 Kommentare

  1. Finde ich ganz gut, die Idee, den “Bürger” mehr daran zu beteiligen. Die haben sich sogar Gedanken drüber gemacht, wie eine Auswahl der “Bürger” erfolgt, durch den “Bürger” selbst. Mal schauen, ob sich der “Spinnerschutz” bewährt.

  2. “Spinnerschutz”

    Die Gefahr ist dabei natürlich, dass sich (z.B. über die Einladungsfunktion) ganze Netzwerke von “Spinnern” ein Stelldichein geben und sich gegenseitig ans Ziel ihrer Träume katapultieren: Aachen. Das wäre dann das Gegeteil von “Spinnerschutz”.

  3. Naja, vielleicht fallen die “Spinnernetzwerke” neben den Experten gar nicht so auf, wenn die “Aachener-Erklärung” verabschiedet wird. 😉

  4. Die sinnvollsten und revolutionärsten Ideen kann doch kein Mensch unter seinem richtigen Namen angeben.

    Denn es müssten viele etablierte Köpfe für die Umsetzung rollen. Viel ist kritikwürdig – und wer kritisiert, wird von den Systemangehörigen gemobbt werden.

    Ich hätte ja auch viele Ideen – aber ich bin ja nicht blöd…

    Das ist wie der Erwartungshaltung hier, dass hier jemand seinen richtigen Namen und eine richtige Email-Adresse hinterlegt… ganz schön naiv…

    1:1, Auge in Auge, mach ich schon den Mund auf. Aber wer, der nicht schon eine absolut gesicherte Position und unabhängige Einnahmequelle hat, kann es sich leisten, Kritik kund zu tun.

    Schließlich können Personaler zumindest googeln – und Leute, die den Mund aufmachen, sind uninteressant (auch wenn natürlich in monotoner Regelmäßigkeit das Gegenteil behauptet wird).

    Die hohe Anzahl der Schüler halte ich übrigens für völlig unangebracht. Das ist ganz klar Effekthascherei. Ohne ein zugehöriges Fachstudium oder eine sonstige berufliche Fachbezogenheit kann man MIT SICHERHEIT keinen sinnvollen Beitrag leisten. Sorry, das klingt für mich alles sehr nach eine Image-Kampagne für die RWTH und klingt nicht nach ernst zunehmendem Nutzen..

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