Was machen die Leoniden 2009?

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In diesem Jahr könnte es sich nach längerer Zeit noch mal lohnen, einen Blick auf die Leoniden zu werfen. Der bekannteste Sternschnuppenstrom des Novembers soll 2009 nämlich einen kleineren Ausbruch erleben, der zwar längst nicht so spektakulär wird wie die Leonidenstürme der Jahre 1998 bis 2002, aber immerhin mit rund 300 Sternschnuppen pro Stunde aufwarten könnte. 

Und jetzt kommt das große Aber: Aber nicht bei uns! So wie es aussieht (und da kann man sich, was die vorhergesagten Zeiten angeht, schon sehr sicher sein) werden zumindest wir in Europa nur den müden Rest abbekommen: vielleicht noch 20 bis 30 Meteore in der Stunde. Das "Feuerwerk" geht dieses Mal in Asien nieder. Ich schreibe aber trotzdem darüber, weil ich denke, dass es selbst diese Minishow noch einigermaßen in sich hat, so dass es sich auch für uns lohnen könnte, am Abend des 17. November auf Leonidenjagd zu gehen. Zumal der Neumond dabei nicht stört. (Für die Eiligen: Die beste Zeit zum Schnuppenschauen ist gegen Mitternacht, der Ausbruch soll zwischen 22:00 und 23:00 Uhr unserer Zeit stattfinden, doch da ist der Löwe noch nicht aufgegangen.) 

Wie kommt es zu so einer Konstellation, bei der eine Hälfte der Erde den Logenplatz innehat und die andere leer ausgeht? Die Leoniden sind im Wesentlichen Staubkörnchen, Überbleibsel des Kometen 55P/Tempel-Tuttle, der alle 33 Jahre um die Sonne kreist und dessen Bahn dabei die der Erde kreuzt. Auf dieser Bahn lässt der Komet bei jeder Annäherung an die Sonne tonnenweise Material zurück, dass sich dann wie in einem langgestrecketen Trümmerfeld ebenfalls um die Sonne bewegt. Weil unser Planet diese Trümmerwolke jedes Jahr um den 18. November durchquert, tritt der Meteorschauer des Kometen immer um diese Zeit herum auf: die Staubteilchen verglühen als Sternschnuppen in der Erdatmosphäre. (Das gleiche gilt auch z. B. für den Sternschnuppenstrom der Perseiden im August, nur ist hier ein anderer Komet der Auslöser, nämlich 109P/Swift-Tuttle.) 

Alle 33 Jahre, nach jedem neuen Umlauf des Kometen Temple-Tuttle, wird das Trümmerfeld mit neuem Material "gefüttert". Deshalb kann man dann mit besonders spektakulären Sternschnuppenstürmen rechnen, bei denen mehrere Tausend Meteore pro Stunde aufblitzen können.

  Die letzte Annäherung des Kometen fand 1998 statt, tatsächlich waren in den Jahren danach fantastische Sternschnuppenfeuerwerke zu bewundern. In den Jahren dazwischen sind die Leoniden eher unscheinbar und für den gelegentlichen Beobachter nicht weiter auffällig. 

Die Verbindung zwischen den wiederkehrenden Leoniden und dem Kometen Tempel-Tuttle ist erst seit Ende des 19. Jahrhunderts bekannt (der Komet wurde 1866 entdeckt, im gleichen Jahr gabe es ebenfalls einen Leonidensturm), aber Beobachtungen der Leoniden datieren weiter zurück. So berichtet etwa der berühmte Naturforscher Alexander von Humboldt von seiner Beobachtung des Sternschnuppenstroms, die er 1799 vom südamerikanischen Cumaná im heutigen Venezuela gemacht hat: 

Die Nacht vom 11. zum 12. November war kühl und ausnehmend schön. Gegen Morgen, um 2.30 Uhr, sah man gegen Ost höchst merkwürdige Feuermeteore. […] Tausende von Feuerkugeln und Sternschnuppen fielen hintereinander, vier Stunden lang. Ihre Richtung war sehr regelmäßig von Nord nach Süd. Nach Bonplands Aussage war gleich zu Anfang der Erscheinung kein Stück am Himmel so groß wie drei Monddurchmesser, das nicht jeden Augenblick von Feuerkugeln und Sternschnuppen gewimmelt hätte. [1]  

Ein solches Spektakel können wir leider auf absehbare Zeit nicht mehr erwarten. Einen Eindruck von einem "echten" Meteorsturm vermittels Zeitrafferaufnahmen aus dem Jahr 2001, die auf der Seite von Sirko Molau zu finden sind. Alexander von Humboldt, ein außerordentlich gewissenhafter Naturbeobachter, hat in seiner Beschreibung aber erstaunlicherweise ein ganz wesentliches Detail nicht benannt: Die Flugbahnen der Meteore über den Himmel sind keineswegs "regelmäßig von Nord nach Süd" – vielmehr scheinen sie alle aus einem einzigen Punkt zu kommen. Dies ist im Grunde eine optische Täuschung, die durch die Bewegung der Erde relativ zur Teilchenwolke der Kometentrümmer zustande kommt. Ähnlich wie für einen Autofahrer, der sich mit seinem Fahrzeug durch dichtes Schneetreiben bewegt (wobei die Schneeflocken alle mehr oder weniger parallel zu Boden fallen), und die Flocken beim Blick durch die Windschutzscheibe als von einem einzelnen Punkt ausgehend wahrnimmt, so sieht es auch für uns so aus, als ob die Sternschnuppen der Leoniden alle aus einem Punkt kommen. Es handelt sich dabei um den sogenannten "Radianteneffekt", und der Punkt, von dem aus die Schneeflocken bzw. die Sternschnuppen auszugehen scheinen, heißt dementsprechend "Radiant". Der Radiant der Leoniden liegt zufälligerweise im Sternbild Löwe, lateinisch: Leo. So kommen die Sternschnuppen des Kometen Tempel-Tuttle zu ihrem Namen: Leoniden.  

Soweit, so gut – doch hat man im Laufe der Jahrhunderte immer mal wieder Ausnahmen von dieser 33-Jahres-Regel festgestellt. Nicht immer erschienen die Leoniden pünktlich, und manchmal fiel das erwartete Spektakel sogar aus. Mittlerweile weiss man, dass es nicht nur eine große Trümmerwolke gibt, sondern viele kleine. Denn immer, wenn sich der Komet um die Sonne bewegt, wird seine Bahn durch die Einflüsse der anderen Planeten verändert, so dass es nicht eine Kometenbahn mit einer darauf befindlichen Teilchenwolke gibt, sondern in Wirklichkeit viele unterschiedliche Bahnen mit jeweils einer eigenen Wolke, eine für jeden einzelnen Sonnenumlauf. Jede dieser Wolken ist etliche Zehntausend Kilometer groß. Nur wenn die Erde einen dieser Teilchenschläuche (engl. dust-trails) durchquert, was meist nicht länger als eine Stunde dauert, gibt es einen kurzen, aber heftigen Leonidensturm. Passiert die Erde aber nur die Teilchenschläuche, ohne einen von ihnen direkt zu kreuzen (was weitaus häufiger geschieht), so beobachtet man um den 18. November herum nur eine erhöhte Aktivität der Leoniden, aber keinen Sturm. 

 

Der Himmelsanblick Richtung Osten am 18.11.2009 gegen 00:00 Uhr MEZ. Der Löwe steht tief am Horizont. Die roten Pfeile deuten die möglichen Flugrichtungen der Meteore an, die alle aus dem Kopf des Löwen zu kommen scheinen. (Grafik erstellt mit Stellarium)

Nun haben wir alle Zutaten beisammen, die man für einen ausgewachsenen Leonidensturm braucht: Erstens muss die Erde sich den Trümmerwolken des Kometen Tempel-Tuttle nähern, das geschieht Jahr für Jahr um den 18. November. Zweitens muss sie einen oder mehrere der besonders dichten Teilchenschläuche durchqueren, die der Komet bei jedem seiner Umläufe hinter sich zurücklässt. In diesem Jahr passiert sie tatsächlich zwei Teilchenschläuche, die der Komet in den Jahren 1466 und 1533 zurückgelassen hat. Zwar nicht zentral – aber doch recht nahe. Das geschieht genau am 17. November zwischen 22:00 Uhr und 23:00 Uhr MEZ. Diese Zeit kann sehr genau vorausgesagt werden, die Anzahl der zu erwartenden Sternschnuppen ist da schon unsicherer.  

Die dritte Zutat jedoch ist in diesem Jahr das Problem: Der Radiant (also das Sternbild Löwe) muss über dem Horizont stehen. Und das ist eben in Asien gegen 22:00 MEZ schon der Fall, bei uns allerdings überquert der Radiant erst später den Osthorizont. Wir befinden uns also im "Windschatten" der Erde und können ab Mitternacht etwa nur die wenigen Leoniden sehen, die gerade eben den Rand der Erdatmosphäre schrammen. 

Doch gerade diese sind meist besonders schön anzuschauen, denn sie ziehen sich oft besonders lang und mit wunderschönen Schweifen über den Himmel, und sind dabei noch recht langsam. Die Meteore sind übrigens nicht nur, wie in der Abbildung dargestellt, in der Nähe des Radianten zu sehen, sondern über den ganzen Himmel verteilt. Auch wenn man nur einige wenige dieser "Earthgrazer" zu Gesicht bekommt – für diese lohnt sich das Warten allemal. Wenn also (das wäre sozusagen die vierte, ultimative Zutat) am Abend des 17. November der Himmel noch einmal wolkenlos sein sollte, dann werde ich mich fernab der städtischen Lichtverschmutzung auf die Lauer stellen!    

Clear Skies! 

Mehr zu den Leoniden gibt es u. a. bei astrocorner.de

[1] Alexander von Humboldt: Die Reise nach Südamerika. Vom Orinoko zum Amazonas. Übersetzung von Hermann Hauff, Lamuv Verlag, Göttingen 1990, 8. Auflage 2002  

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Mit dem Astronomievirus infiziert wurde ich Mitte der achtziger Jahre, als ich als 8-Jähriger die Illustrationen der Planeten auf den ersten Seiten eines Weltatlas stundenlang betrachtete. Spätestens 1986, als ich den Kometen Halley im Teleskop der Sternwarte Aachen sah (nicht mehr als ein diffuses Fleckchen, aber immerhin) war es um mich geschehen. Es folgte der klassische Weg eines Amateurastronomen: immer größere Teleskope, Experimente in der Astrofotografie (zuerst analog, dann digital) und später Reisen in alle Welt zu Sonnenfinsternissen, Meteorschauern oder Kometen. Visuelle Beobachtung, Fotografie, Videoastronomie oder Teleskopselbstbau – das sind Themen die mich beschäftigten und weiter beschäftigen. Aber auch die Vermittlung von astronomischen Inhalten macht mir großen Spaß. Nach meinem Abitur nahm ich ein Physikstudium auf, das ich mit einer Diplomarbeit über ein Weltraumexperiment zur Messung der kosmischen Strahlung abschloss. Trotz aller Theorie und Technik ist es nach wie vor das Erlebnis einer perfekten Nacht unter dem Sternenhimmel, das für mich die Faszination an der Astronomie ausmacht. Die Abgeschiedenheit in der Natur, die Geräusche und Gerüche, die Kälte, die durch Nichts vergleichbare Schönheit des Kosmos, dessen Teil wir sind – eigentlich braucht man für das alles kein Teleskop und keine Kamera. Eines meiner ersten Bücher war „Die Sterne“ von Heinz Haber. Das erste Kapitel hieß „Lichter am Himmel“ – daher angelehnt ist der Name meines Blogs. Hier möchte ich erzählen, was mich astronomisch umtreibt, eigene Projekte und Reisen vorstellen, über Themen schreiben, die ich wichtig finde. Die „Himmelslichter“ sind aber nicht immer extraterrestrischen Ursprungs, auch in unserer Erdatmosphäre entstehen interessante Phänomene. Mein Blog beschäftigt sich auch mit ihnen – eben mit „allem, was am Himmel passiert“. jan [punkt] hattenbach [ät] gmx [Punkt] de Alle eigenen Texte und Bilder, die in diesem Blog veröffentlicht werden, unterliegen der CreativeCommons-Lizenz CC BY-NC-SA 4.0.

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