Das Leben „wahr“nehmen – Geschichten der Bibel

BLOG: Hinter-Gründe

Denk-Geschichte(n) des Glaubens
Hinter-Gründe

Ich mag Erich Kästners „Konferenz der Tiere“ *). Im Religionsunterricht der Grundschule habe ich daraus öfters vorgelesen. Zum einen ist es friedenspädagogisch sinnvoll. Und dies durchaus auch unter dem Gesichtspunkt, dass die Tiere den Frieden nicht durch („lammfromme“) Nachgiebigkeit erreichen, sondern mit List und Phantasie ihre Machtmittel einzusetzen wissen – dass sie um den Frieden streiten. Zum anderen – und darauf kommt es mir hier an – kann man mit solchen Geschichten ein Gespür dafür zu entwickeln versuchen:
Auch Geschichten, die im banalen Sinn nicht als „wahre“, wirklich geschehene, Geschichten gelten, können doch das Leben „wahr“nehmen. Sie können zu richtigem Handeln provozieren und dazu helfen, Lebens-Wahrheiten und Lebens-Einsichten auf die Spur zu kommen.

Kästner, Konferenz der Tiere
Buch-Cover aus dem Amazon-Angebot

 

Solche Geschichten gibt es in relativ modernen Erzählungen wie denen von Kästner. Und natürlich habe ich als Theologe auch mit vielerlei solcher Geschichten der biblischen und sonstigen religiösen Tradition zu tun: nicht nur mit solchen, die wirkliches Geschehen berichten wollen, sondern eben auch mit Fabeln und Legenden, Märchen und Mythen. Sie sind in sich selber: wirksames Geschehen; sie können zu Motivations-Geschichten werden. Dazu müssen sie technisch nicht auf dem neuesten Stand sein – wie bei Kästner die Szene mit den Telefonfräuleins im ägyptischen Hauptpostamt, die Verbindungen stöpseln müssen. Sie können biologisch Unsinniges erzählen wie das von den Tintenfischen, die die Botschaft in die Meerestiefen schreiben oder von den „Walfischen“ (!), die als schwimmende Container andere Tiere zur Konferenz transportieren. Oder geologisch Ulkiges wie die Geschichte vom Regenwurm Fridolin, der sich durch den Erdkern durchfrisst, um bis nach Australien zu kommen…
Der Kundige wird ahnen, warum ich dies gerade so betone und gerade diese Beispiele auswähle. Jedenfalls: normale Kinder verstehen so etwas – erst Pubertierende halten sich daran auf. Und solche, die noch immer nicht über die Pubertät hinwegkommen, bleiben drin hängen. Verlangen womöglich, man dürfe den Kindern nur tatsächliche Begebenheiten – „wahre Geschichten“ – erzählen.  Was nicht wirklich geschehen sein kann, könne auch nicht wahr sein.
Aber, wenn man etwas von den inneren Wahrheiten solcher Erzählungen verstehen will, darf man sich nicht zu sehr von den oft sehr unwahrscheinlichen äußeren Abläufen blenden lassen und nicht von den weltbildhaften Vorgaben, die darin verwoben sind. So wird man Erich Kästners Buch ja auch nicht auf die oder jene naturkundliche Richtigkeit abklopfen, auch wenn es sehr deutlich mit entsprechenden Vorstellungen spielt und sie gleichzeitig überspielt. Nun, ein ähnliches Verständnis könnte man u.U. doch auch den alten biblischen Erzählern entgegenbringen: Auch wenn sie – natürlich, was denn sonst ? – das benützt haben, was ihnen zu ihrer Zeit an gängigen naturkundlichen Vorstellungen zur Verfügung stand, sollte man nicht darin hängen bleiben; sondern sehen, welche Lebens-Einsicht, Lebens-Kunde sie mit ihren Mitteln darzustellen vermochten.

Dabei haben sich die naturkundlichen Vorstellungen im Lauf einer über tausendjährigen biblischen Erzähltradition auch gewandelt und widersprechen sich auch zum Teil. So ist mal die Erde fest gegründet auf Säulen, und mal ist sie aufgehängt über dem Nichts – einmal sogar (Hiob 26,7 und 38,6) in derselben Erzählung nur wenige Abschnitte auseinander. Das tut doch nichts zur Sache (im Hiob-Buch geht’s um die Bewältigung menschlichen Leids und nicht um Geologie). Auf die Vor-Stellungen kommt’s doch nicht so an wie auf die Ein-Stellung – wie das Leben wahrgenommen wird. So geht auch immer noch in vielen Volksliedern und Kirchenliedern die Sonne auf – auch wenn wir wissen, dass eher die Erde sich bewegt. Why not?
Letzteres einzusehen, fällt wohl vielen leicht. Bei den überkommenen weltbildhaften Vorstellungen aus dem Altertum, mit denen man es in der Bibel zu tun bekommt, ist es sicher um einiges schwieriger. Und die Schwierigkeit wird dadurch potenziert, dass zu viele kleine und öfters sehr lautstarke Geister sich bemüßigt fühlen, irgendwelche naturkundlichen Richtigkeiten denn doch in der Bibel ausfindig zu machen. Sicher, da kann man manchmal, wie in anderen antiken Erzählungen, u.U. auch mal Spuren von Naturerkenntnis finden – doch wichtig sind nicht solche oft verkrampft hergeholten „Beweise“, sondern: was die alten Erzählungen individual- und gruppenpsychologisch zur Lebens-Kunde beitragen: Wie man mit dem Leben, seinen Gefährdungen und den Chancen, zurechtkommen kann – wie man das Leben „wahr“nimmt.
Jedenfalls ist es die Aufgabe von Theologen, eben dies herauszuarbeiten. Und damit gleichzeitig auch festzustellen, worum es in den biblischen Erzählungen, Geschichten und Gedichten nicht gehen kann: Für Naturkunde beispielsweise sind schlicht andere Leute zuständig. Denen mag ich nicht in ihre Suppe spucken – nicht einmal den Anschein erwecken, als müsste man sie von der Theologie aus kritisch beäugen, dass sie ja nicht „ihre Grenzen überschreiten“. Von wegen „Grenzen überschreiten“ – da sollten wir die Lebens-Weisheit beherzigen, die wir sonst doch auch betonen: Sich an die eigene Nase fassen. Man kann es auch biblisch ausdrücken: mit dem Splitter und dem Balken im Auge (Matth .7,3 ff). Schon wieder so etwas biologisch Unmögliches, aber diese drastische Ausdrucksweise soll ja auch nicht wissenschaftlich sein, sie stammt von einem Bauhandwerker aus dem vorderen Orient.

“Wahr”nehmen und motivieren

Worum geht es? Wäre natürlich bei den unterschiedlichsten Geschichten der über tausendjährigen Erzähltradition im Einzelnen zu untersuchen und sowohl zwischen den Geschichten als auch manchmal innerhalb längerer Geschichten kritisch zu unterscheiden. Insgesamt scheint mir der oben kurz genannte Begriff Motivations-Geschichten einiges richtig zu treffen: Die biblischen Geschichten, die tatsächlich weiter erzählt werden (viele werden auch vergessen, und nicht wenige zu Recht), werden dazu erzählt:
Leute zu motivieren, entsprechend dem sich durchs Erzählen herausbildenden Wertekanon die Welt, das individuelle und das gemeinschaftliche Leben – also den „Menschen vor Gott“- „wahr“zunehmen: Kunde vom Leben, Kunde zum Leben, Lebens-Kunde.

Alte Bibel Lateinische Bibelhandschrift von 1407
Malmesbury Abbey, Wiltshire, England –
via Wikimedia Commons

Dabei ist es schlicht nicht nötig, von den alten Geschichten konkrete Handlungsanweisungen zu verlangen. Motivationsgeschichten müssen dies nicht hergeben. Auch bei Kästner wird man praktikable Handlungsanweisungen vergeblich suchen: Wir können den Frieden sicher nicht so machen wie die Tiere in seiner Geschichte. Und manche Handlung (Kindsentführung) wäre sogar kriminell, anderes politisch nur naiv. Nein, ganz ohne umsetzbare Handlungsanweisungen können Motivations-Geschichten ihren eigenen Wert haben: damit sich gewisse Gedanken durchsetzen und Leute dazu angestiftet werden, aus guten Gedanken auch gute Handlungen folgen zu lassen – sie werden dafür dann schon ihre eigenen Strategien entwickeln können.
Bei Kästners „Konferenz der Tiere“ soll ja zum Pazifismus pro-voziert, herausgefordert werden. Ob und wie die biblischen Motivationsgeschichten ihrerseits zu etwas Gutem pro-vozieren können, das entscheidet sich sicher nicht daran, ob sie Vorlagen liefern für praktikable Umsetzungen. Und eben auch nicht daran, ob ihre weitgehend zeitgebundenen weltbildhaften Vorstellungen heutigen naturwissenschaftlichen Kriterien genügen. Sondern ob sie zu einem guten Wertekanon führen – ob im Erzählen dieser Geschichten so etwas wie Lebens-Kunde und Lebens–Einsicht gewonnen wird – ob sie wirklich das Leben „wahr“nehmen.
Da ist allerdings in einer langen biblischen und einer noch längeren kirchlichen Tradition ein ziemlich großes und vielschichtiges Erbe auf uns gekommen, das für Einzelne, auch für Gruppen und Gesellschaften prägend geworden ist. Über die „Risiken und Nebenwirkungen“ wird ja mitunter heftig diskutiert. In dieser Diskussion wird die Theologie, wenn sie nicht nur Selbstverteidigung sein und zum reinen Selbstzweck werden will,  es als ihre Aufgabe verstehen, dieses Erbe kritisch und selbstkritisch zu durchleuchten und darauf sehen, wie daraus ein Lebensraum wird, in dem Menschen atmen können und der sie zum Guten verbündet.

*) Der Inhalt dieser Geschichte ist beispielsweise in Wikipedia kurz zusammengefasst: HIER.  Ich muss ihn deshalb hier nicht ausführlicher schildern.

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Veröffentlicht von

Hermann Aichele Jahrgang 1945. Studium evang. Theologie in Tübingen, Göttingen und Marburg (1964-70), Pfarrer in Württemberg, jetzt im Ruhestand. Hinter die Kulissen der Religion allgemein und besonders des in den christlichen Kirchen verkündeten Glaubens zu sehen, das war bereits schon in der Zeit vor dem Studium mein Interesse: Ich möchte klären, was gemeint ist mit den Vorstellungen des Glaubens, deren Grundmaterialien vor Jahrtausenden geformt wurden - mit deren Über-Setzung für uns Heutige man es sich keinesfalls zu leicht machen darf und denen gegenüber auch Menschen von heute nicht zu leicht fertig sein sollten.

32 Kommentare

  1. Religiöse Geschichten Lügengebäude

    Religiöse Geschichten sind einfach nur übel. Man denke an die Beschneidung von Kindern, an die Inquisition, an den Ablasshandel, usw.

    Jede Menge Götter: Zeus, Aton, Odin, der abrahamitische Gott, usw.. Warum gibt es so viele Menschen, die sich von Priestern einen Bären aufbinden lassen?

    Mit dem Brustton der Überzeugung wird von den Priestern der Götter ein Hokuspokus zelebriert, der jeder Vernunft spottet, man denke nur an den christlichen Teufel und die christliche Hölle.

    Heute verlangt der Mensch nach Begründung, die Naturwissenschaften erziehen zu rationalem Denken. Humanismus und naturwissenschaftliche Weltsicht sind wesentlich besser als religiöse Weltanschauungen.

    Ich bin gerne bereit, gegenüber Print- und Internetmedien zum Unterschied zwischen religiöser Weltsicht und rationaler Welterklärung Stellung zu nehmen.

    Joachim Datko – Physiker, Philosoph
    Forum für eine faire, soziale Marktwirtschaft
    http://www.monopole.de

  2. Homöopathische Übelbekämpfung?

    Och ja, @J.Datko, „Religiöse Geschichten sind einfach nur übel“? Ich weiß, ich weiß, Sie begeben sich ja gern in die Nähe dieses „Übels“. Vielleicht halten Sie heimlich was von Homöopathie? Vielleicht brauchen Sie das. Da sah ich schon öfters so ein Konglomerat heraus gekotzter Beschimpfungen. Hat bloß öfters in der Form keinen besonders rationalen Eindruck gemacht. Na, Sie nehmen in Ihr Repertoire jetzt auch noch die Beschneidung auf. Das ist neu. Aber sonst eigentlich nix.

  3. Das Wunder des Glaubens

    Ich wundere mich immer wieder, wie ausfallend Christen reagieren, wenn ihre märchen- und lügenhafte Welt angegriffen wird. Man hat keine Argumente, glauben alleine ist kein Beweis für einen Gott.
    Männlich geht schon gar nicht. Selbstverständlich gehen die Theologen nie auf wissenschaftliche Ergebnisse ein, man bleibt bei dem Märchen der unbefleckten Empfängnis, an dem Märchen vom genagelten Jesus und an dem Märchen seiner Auferstehung. Die Bibel ist jedenfalls nicht glaub-würdig. Die Würde fehlt.

  4. Bewegend schöner Post

    … da kann ich @MartinM und @Michael Blume nur zustimmen.

    In dieser Form wünschte ich mir auch vergleichende Religionswissenschaft, also wie sich die Motivationsgeschichten der verschiedenen Religionen unterschieden. Wie wir durch sie Leben “wahr”nehmen können und zu welchen “Wahr”heiten und Einsichten gelangen, ja was wir von einander lernen könnnen. Und wie miteinander gestalten.

    Gibt es in dieser Form Nachles- und Nachlebbares?

  5. Erich Kästner

    Was immer geschieht: Nie dürft ihr so tief sinken, von dem Kakao, durch den man euch zieht, auch noch zu trinken.

    Da hilft kein Zorn. Da hilft kein Spott.
    Da hilft kein Weinen, hilft kein Beten.
    Die Nachricht stimmt! Der Liebe Gott
    ist aus der Kirche ausgetreten.

    Erich Kästner

  6. @ Joachim Datko

    „Religiöse Geschichten sind einfach nur übel. Man denke an die Beschneidung von Kindern, an die Inquisition, an den Ablasshandel, usw.“, schreibt @Datko. Er merkt nicht, daß man problemlos religiöse durch nicht-religiöse ersetzen könnte (wie es nicht nur unter Fundamentalisten in kirchlichen Kreisen recht üblich ist: „keine Werte ohne Gott“); der Satz bliebe so intelligent wie er war. Die extreme Dummheit, durch die sich die Extremisten der Diskussion pro ist contra Religion auszeichnen – leider hat man den Eindruck, an dieser Diskussion beteiligen sich überwiegend Extremisten – sollte einen aber nicht dazu verleiten, die jeweilige gute Absicht zu übersehen. @Datko scheint eine ferne Ahnung zu haben: Wenn die Geschichten religiös sind, dann singen sie doch, so tief die Wahrheiten sein mögen, die sie enthalten, das Loblied der Heteronomie. Sollen die Geschichten „zu einem guten Wertekanon führen“ (H. Aichele), dann müssen sie anders gelesen werden als sie bisher, also in den Religionen, gelesen oder gepredigt wurden. Einem Christen sollte das allerdings nicht schwerfallen.

  7. Wahrnehmung

    Lieber Herr Aichele,

    ich verstehe ihren Text so, dass Sie biblische (oder andere religiöse) Texte als Grundlage einer philosophischen Diskussion verstanden wissen wollen. Das ist sicherlich ein Konzept, auf das sich jeder einigen können müsste. Ich befürchte jedoch, dass gerade die Vertreter der Relionen selbst Probleme bekommen werden, wenn man ihr Gotteskonzept (für das die im Falle der Christen die Bibel die einzige Grundlage stellt) auf die Ebene einer offensichtlich phantastischen Erzählung stellt. Wäre die Enttäuschung nicht groß, wenn Sie jemandem erklären müssen, dass die Heilsversprechen der Kirche die Glaubwürdigkeit etwa von Pippi Langstrumpfs Superkräften besitzen. Ich denke, etwas mehr Substanz sollten Sie ihren Schwestern und Brüdern im Glaube schon anbieten. Woher Sie diese nehmen wollen, ist füe mich die eigentlich spannende Frage.

  8. @Wolfgang

    Wie oft wurde(n) die Kirche(n) doch gleich totgesagt? Nur als ein Beispiel von vielen: Die Amish gründen gerade alle dreieinhalb Wochen eine neue Gemeinde, einfach aufgrund ihres Kinderreichtums.
    https://scilogs.spektrum.de/…d-probleme-neues-sciebook

    In einem Punkt haben Sie aber wohl Recht: Christen sollten sich vielleicht gar nicht soviel um die angeberischen Schreier kümmern, die sich für die Spitze des Fortschritts halten und doch nur vor sich hin ergrauen. Danke also für die Anregung! 🙂

  9. Weiterführende Bibel-Interpretationen

    Ja, danke an einige Stimmen, für Zustimmung und Nachhaken. Ich glaub, auf @Noït Atigas Bemerkungen bin ich bisher nirgendwo direkt eingegangen – aber seien Sie versichert, ich fand ihre umgekehrte Agitation (hab ich Ihren Nickname doch richtig verstanden?!) auch in den letzten Monaten immer wieder mit Interesse und auch Zustimmung – manchmal gespannter Neugier – gelesen. Nur, jetzt stehe ich auf dem Schlauch:
    Für Ihre Schlussfrage (Nachles- und Nachlebbares) muss ich mich mal bei ein paar möglicherweise fachkundigen, jedenfalls jüngeren Kollegen kundig machen: Für spannend und immer wieder gut auch die in die Bibel eingestreuten Märchen tiefenpsychologisch (und zu wenig sozialpsychologisch?) interpretierend halte ich Eugen Drewermann. Aber sonst fallen mir höchstens Einzelbemerkungen in ausführlichen Bibelkommentaren ein. Die sollte man wegen dieser einzelnen Stellen nicht insgesamt durchackern müssen.
    Na, eigentlich habe ich bei einigen Blogbeiträgen ( Adam-Eva / Kain und Abel / Jungfrau Maria und auch mit der Auferstehung ) schon in der Richtung argumentiert. Aber da war mir vieles so selbstverständlich, dass ich wohl kaum Belege aus der theologischen Fachliteratur nannte.
    Nun ja, vielleicht weiß ich in ein paar Tagen mehr.

  10. @Wolfgang

    Ach ja, und @Wolfgangs Zitate von Kästner: Da ist’s nicht nötig, mir dies oder jenes um die Ohren zu schlagen. Mir macht da einiges Spaß – gerade auch das Frömmigkeits-Kritische. Das Gedicht, das Sie nannten oder ebenso: „Dem Revolutionär Jesus zum Geburtstag“. Mit dem Kästner hätte ich gern zusammen ein Bier getrunken. Ja, und das war ein ganz wichtiger Lernimpuls in dem kirchlichen Internat, in dem ich war: Da verbrannte (etwa 1960) gerade eine frömmelnde Gruppe öffentlich Bücher von Kästner. Die kamen sich wohl mutig-bekenntnishaft (eben „entschieden“) vor. Unsere Lehrer – in Deutsch und in Religion – wiesen uns drauf hin: zu solch widerlicher Untat (die ja Parallelen bei den Nazis hat), dürfte keine Frömmigkeitsform herhalten – dürfte…
    Nun, bei Ihnen klang es mir bisher wie ein Rundumschlag, der ziemlich viel gleichzeitig erledigen, runterputzen will. Etwas pauschal formulieren Sie:„Selbstverständlich gehen die Theologen nie auf wissenschaftliche Ergebnisse ein“ – könnten Sie das „selbstverständlich“ und das „nie“ wenigstens andeutungsweise belegen? Sind Sie etwa schon länger in Diskussion mit Theologen; und mit welchen? Und könnten Sie zeigen, welche wissenschaftlichen Ergebnisse in der Analyse der mythischen Geschichten, die Sie etwas pauschal als Märchen bezeichnen (eigentlich ein anderes, auch in der Bibel vertretenes, Genre) Sie konkret meinen?

  11. @Ludwig Trepl

    Danke für das souveräne Zurechtrücken etwas zu platter Anwürfe. Nun, ich habe bei der Abfassung dieses Posts an eine Frage gedacht, die vermutlich Sie im vergangenen Frühjahr stellten. Inwiefern können gerade diese Geschichten überhaupt zu etwas helfen? Und ich meine, damals sei mir als vorläufige Antwort eingefallen: Diese Geschichten können keine Handlungsanweisungen geben und nicht über zu berücksichtigende Umstände informieren, schon gar nicht über wissenschaftlich zu erhebende Zusammenhänge. Aber sie können Impulse geben, motivieren. Deshalb jetzt in diesem Post der Ausdruck „Motivationsgeschichten“.
    Nun ja, das mit dem „Loblied der Heteronomie“ ist ein Problem – ich kenne diese Melodien, natürlich. Und ich kenne auch einige biblische Wurzeln. Und ich weiß, dass viele Christen das mit dem aufrechten Gang für nicht so christlich halten.
    Aber in der Vielschichtigkeit der Bibel und der Kirchengeschichte lässt sich auch anderes entdecken, das ich eher ins rechte Licht ziehen möchte (und da gibt es schon einige, die es nicht so beengend lesen und predigen, wie man es – etwas klischeehaft? – oft von den Kirchen erwartet): Das im Einzelnen auszuführen, würde hier ein bisschen weit führen. Bloß mal kurz der Doppel-Satz bei Luther: Ein Christ sei frei und „niemand untertan“. Ein Christ sei abhängig und „jedem untertan“. (Und beides auf Gegenseitigkeit!). Na ja – ich würde dann anstatt Heteronomie eher Interdependenz sagen.
    Aber das Problem lässt sich wohl nicht nur durch Begriffsverschiebung lösen.

  12. @Joachim Datko

    Dringend: Sie sollten beim Thema bleiben. Das aktuell bei den Amishen aufgetauchte Problem gehört schlicht nicht zur hier zu verhandelnden Frage, inwiefern Geschichten der Bibel auf ihre (mythologische oder märchen- legendenhafte)Weise das Leben “wahr”zunehmen versuchen.

  13. Entschuldigung, @IngoG,

    Ihr Kommentar verschwand etwas im toten Winkel hinter den anderen (offensichtlich hier eingestellt, während ich an meinen drei “großen” Kommentaren arbeitete) – fällt mir jetzt erst auf.
    Nun, ich verstehe Sie nicht ganz: Mir geht es nicht um die Texte „als Grundlage einer philosophischen Diskussion“. Sondern – sage ich es hier mal so: Wenn man hinter der Fabulierkunst Erich Kästners einen ernst zu nehmenden lebensgestalterischen (in diesem Fall: pazifistischen) Sinn zu erkennen vermag (und nicht an den geologischen, biologischen… Unmöglichkeiten hängen bleibt) – dann könnte man Ähnliches auch einigen (nicht unbedingt allen) biblischen Erzählungen zugestehen:
    Hinter dem biologisch, kosmologisch, physikalisch … Unmöglichen denn doch die lebensgestalterische Absicht ernstnehmen, die Gestaltung eines zum Leben helfenden Wertekanons. In den kann zB Gerechtigkeit und Friede passen – aber das alles führte ich hier im Einzelnen nicht aus – es ging um die Grundstruktur des Verstehens erzählerischer Absichten – gerade bei Geschichten, bei denen offensichtlich klar ist, dass sie so tatsächlich nicht geschehen sind; also nicht „wahre“ Geschichten sind; aber auf Lebens-Wahrheiten verweisen können.
    Vielleicht hat Sie das Stichwort Lebens-Wahrheiten dazu verleitet, es in philosophischer Richtung zu verstehen. Es geht aber viel lebens-praktischer drum, dass Leute mit den gemeinsamen Geschichten (auch und gerade mit den erfundenen, frei fabulierten) auch gemeinsame Lebens-Werte artikulieren und nicht nur artikulieren, sondern sich ständig in Erinnerung rufen und damit auch ein Klima schaffen, in dem sie diese Werte praktisch leben.
    Ja, Pippi Langstrumpf kann auf ihre Weise auch motivieren – in ihrem Fall zu Mut und Selbstvertrauen. Aber das dürfte dann die einzige Parallele sein – es geht nicht um das Wörtlich-Nehmen ihrer Superkräfte.

  14. Kanonisches

    Die Bibel so zu lesen wie Kästners “Konferenz der Tiere”, halte ich für einen klugen Gedanken. Auch die Bibel ist mehr oder weniger schöne Literatur. Beide Bücher entstammen einer bestimmten Epoche und beschreiben, weitestgehend metaphorisch, die “Wahr”nehmung zur jeweiligen Zeit. Dies sollte bei jeder Interpretation mit berücksichtigt werden.

    Viel Erfolg dabei, den Gläubigen, nicht nur den Fundamentalisten, klar zu machen, dass sie nicht mehr (oder tiefere) “Wahrheit” in der Bibel suchen sollen, als in anderen Büchern – sie enthält Motivationsgeschichten, mehr nicht. Dann könnte hier auf der Erde ein Lebensraum entstehen, in dem auch Atheisten atmen können und der uns alle zum Guten verbündet.

    “Die biblischen Geschichten, die tatsächlich weiter erzählt werden (viele werden auch vergessen, und nicht wenige zu Recht), werden dazu erzählt:
    Leute zu motivieren, entsprechend dem sich durchs Erzählen herausbildenden Wertekanon die Welt [] „wahr“zunehmen”

    Welche biblischen Geschichten werden denn zu Recht vergessen? Die Bibelautoren hielten ja wohl jede einzelne für erzählenswert. Ein entsprechendes Kriterium wird sich demnach nur schwerlich aus der Bibel selbst gewinnen lassen. Da es hier um einen Wertekanon geht, nicht darum, wie die Welt ist, kann hierbei auch die Naturwissenschaft zunächst kaum Hilfestellung geben. Sind wir denn heute überhaupt schon in der Lage, die Bibelgeschichten zuverlässig zu klassifizieren? Falls ja, könnte es die Aufklärung gewesen sein, die gute Dienste geleistet hat, um uns das Rechte erkennen zu lassen?

  15. @Hermann Aichele: Danke

    Vielen Dank für Ihre schnelle Antwort. Ich wollte Sie mit meiner Nachfrage aber keinesfalls in Verlegenheit bringen – zumal ich Ihre Blogbeiträge durchaus in diese Richtung erlebt hatte (Eugen Drewermann muss ich erst noch kennen lernen). Mir gefällt nur diese Interpretation, weil sie soviel kindliche Weisheit enthält. Verharrt doch auch sie nicht an der Oberfläche, sondern lebt in der intuitiven Tiefe der erzählten Erfahrungen.

    Aus meiner Sicht lassen sich so viel leichter Brücken bauen zwischen sonst scheinbar konträren Ansichten. Werden doch wie mit Märchen oder Musik Ebenen erreicht und zum (Mit)Schwingen angeregt, die sich dem Verstand nur schwer eröffnen. Zumal mir beim vergleichenden Lesen von Märchen aufgefallen ist, dass die Unterschiede oft nur in den Obertönen liegen. Also auch Harmonien viel wahrscheinlicher sind. Ähnliches könnte ich mir zwischen Religionstexten vorstellen – vermutlich oft mehr in den Erzählungen als in deren aktueller Auslegung. Und dieser Weg könnte das Miteinander erleichtern.

    Ihr Kompliment zu meinen Kommentaren freut mich gerade jetzt sehr und meinen Nickname haben Sie in einer Bedeutung richtig erfasst, doch war mir diese eher Nebenprodukt. Mir ging es ursprünglich um die Geschichte seiner vielen Übersetzungen und Assoziationen. Derzeit kann ich dafür nur auf Google und Co. zu den Begriffen Noït/Noit, Atiga oder ATIGA verweisen – aber da ich nun wiederholt gefragt wurde, werde ich das wohl mal ausführlicher vorbereiten.

  16. Noït Atiga, u.a.

    Etwas OffTopic:

    Ihr Kompliment zu meinen Kommentaren freut mich gerade jetzt sehr und meinen Nickname haben Sie in einer Bedeutung richtig erfasst, doch war mir diese eher Nebenprodukt. Mir ging es ursprünglich um die Geschichte seiner vielen Übersetzungen und Assoziationen. Derzeit kann ich dafür nur auf Google und Co. zu den Begriffen Noït/Noit, Atiga oder ATIGA verweisen – aber da ich nun wiederholt gefragt wurde, werde ich das wohl mal ausführlicher vorbereiten.

    Interessant! – Und ich dachte bisher immer, das sei ein realer französischer Name. – Dumm halt, wenn man die Sprache nicht kann… :-/

    Ansonsten @Hermann Aichele (oder auch Michael Blume) würde mich konkret mal interessieren, welche Geschichten aus der Bibel denn eindeutig als Märchen gelten können? – Bisher hab ich das nur über die Hiobs-Geschichte gehört. Andere meinen auch, der Prophet Daniel sei so eine Art “Biblischer Fantasy” Geschichte. Appropos Fantasy: Als so richtige Motivationsgeschichte aus diesem Genre fällt mir eigentlich nur der Hawklan-Zyklus von Roger Taylor ein, wobei ich jetzt allerdings nicht wirklich erwarte, das den hier irgendwer kennt.

  17. @Hans: Gar nicht dumm!

    Ihr Denken war und ist völlig korrekt. Denn das gehört zu den benannten Assoziationen – es gibt Noït als Vornamen und Atiga als (Nach)Namen.

  18. Durchschlagskraft

    Du schreibst Hermann, in biblischen Geschichte gehe es darum, “Leute zu motivieren, entsprechend dem sich durchs Erzählen herausbildenden Wertekanon die Welt, das individuelle und das gemeinschaftliche Leben – also den „Menschen vor Gott“- „wahr“zunehmen: Kunde vom Leben, Kunde zum Leben, Lebens-Kunde.”
    Und wie immer triffst Du den Nagel auf den Kopf und hast mit der Dir eigenen Feinsinnigkeit, Gründlichkeit, Sprach- und Assoziationsfähigkeit – ein bisschen auch mit Spieltrieb – die´Sache auf den Punkt gebracht. Wir Pfarrer wollen und sollen, in Auslegung biblischer Texte – eben wie diese Texte selbst – in Gottes Namen zum Guten motivieren und locken.

    Doch, wie immer, kann ich Dir eine für mich typische Ergänzung nicht ersparen, indem ich zurückfrage: Was meinen wir eigentlich, was meinst Du eigentlich, wenn wir G-O-T-T sagen. Ich hoffe doch mehr als Psychologie. Wenn Thomas von Aquin Gott kurz und treffend als “Wirklichkeit” (actualitas) schlechthin, als die Wirklichkeit selbst beschreibt, ist das sehr viel mehr als Psychologie. Mich interessiert das an Gott, was bleibt, wenn alle Psychen Vergangenheit sind, auch wenn meine eigens Psyche Vergangenheit ist. 😉

  19. Text verschluckt

    Lieber Herrmann,
    Jetzt hat die Höllenmaschine Computer meinen sorgfältig formulierten Text mir nix Dir nix, haste was kannste einfach verschluckt – nach dem evtl. fehlerhaften Eingeben des Codes.
    Ich kann jetzt nicht nochmal alles ausbreiten.
    Es ging darum, was wir meinen, und was Du meinst, wenn wir G-O-T-T sagen. Thomas von Aquin nannte ihn treffend und einfach “Wirklichkeit” (actualitas) und meinte damit natürlich viel mehr als Psychologie. Mich interessiert an Gott vor allem dieses außerpsychologische. Was ist er und wie ist er, wenn alle Psychen, incl. meiner eigenen Vergangeheit sind? Dies ist doch auch dann entscheidend, wenn alle Verständigungen über diesen außerpsychologischen Gott ihrerseits innerpsychologisch sind.

  20. Der christliche Gott ist un-glaub-würdig

    Der Christ behauptet, es gäbe einen Gott.
    Eine Behauptung ist aber lange noch nicht ein Beweis.
    Der Atheist weiß, das es keinen Gott gibt. Warum sollte es einen geben, wenn alle Götter in der Vergangenheit (z.B Griechenland, Ägypten, Italien) schon längst aus den Köpfen der Menschen verschwunden sind und nur noch ihr Dasein am Firmament und in Kreuzworträtseln fristen. Nichtgläubigen geht es auch nicht besser oder schlechter als den Gläubigen. Steht schon bei Hiob.
    Und im übrigen, bis heute hat sich weder ein Gott aus der Vergangenheit oder der Gegenwart gezeigt, jedenfalls hat BILD nichts davon berichtet. Amen.

  21. Bibel und so

    Die biblischen Geschichten, die tatsächlich weiter erzählt werden (viele werden auch vergessen, und nicht wenige zu Recht), werden dazu erzählt:
    Leute zu motivieren, entsprechend dem sich durchs Erzählen herausbildenden Wertekanon die Welt, das individuelle und das gemeinschaftliche Leben – also den „Menschen vor Gott“- „wahr“zunehmen: Kunde vom Leben, Kunde zum Leben, Lebens-Kunde.
    (…)
    Dabei ist es schlicht nicht nötig, von den alten Geschichten konkrete Handlungsanweisungen zu verlangen.

    Lassen Sie’s mal raus, der Schreiber dieser Zeilen hat schon so einiges “mitgelesen” bei Ihnen, was sagen denn so die ‘alten [biblischen] Geschichten’ dem “alten Herzen” und was sollte I.E. weitergegeben werden?

    Helfen Sie einem alten Kulturchristen, der zwar der Veranstaltung nie beigewohnt hat, aber die Nachricht schätzt oder zu schätzen in der Lage wäre.
    Doch eher alles Muckefuck?

    MFG
    Dr. Webbaer

  22. Och @Wolfgang

    ich weiß nicht, was Sie in dieser Diskussion an Erkenntnisgewinn suchen oder vermitteln wollen. Bleiben Sie mal lieber bei BILD. Und versperren den Atheisten, die mehr Niveau suchen und bieten, nicht den Weg.
    Da möchte ich aus einem Nachbarblog – übrigens dem eines erklärten Atheisten – über „Debattenkultur – Erkenntnis oder Befriedigung“zitieren:
    “Tatsächlich sollte der Austausch in Blogs, über Twitter, bei Facebook etc. als Prozess verstanden werden, der ähnlich dem wissenschaftlichen Prozess langsam Erkenntnisgewinn bringt. Das ist nicht für die schnelle Befriedigung geeignet. Wer vor allem zeigen will, dass er den größeren hat, wird damit nicht klar kommen“.
    Und auch das:
    “Kein Leser hat Lust, sich durch 384 Pöbel- oder Claqueurkommentare zu wühlen, um die eine wichtige Ergänzungen auf Seite 16 zu finden.“
    Ja, und deshalb nehme ich mir vor, den nächsten derartigen Kommentar ohne weitere Ankündigung zu löschen. AMEN.

  23. Nix als Psychologie?

    Sind die biblischen Geschichten „Motivationsgeschichten, mehr nicht“? fragt @Joker. Und ähnlich @Johannes W, der drauf Wert legt, dass alles doch mehr als Psychologie ist.
    Nun ja, mag sein. Ich wollte diese Frage mal ausklammern. Betont mal nicht festlegen, welche Wirklichkeit beschrieben oder behauptet wird. Bloß die Behauptung, dass es Gott und Himmel und Hölle und …. „gebe“, bringt nicht viel. Wenn man konkret nachbohrt, sieht man doch, dass es auch in derselben Konfession (religiösen Richtung) sehr divergente Ontologien gibt.
    Ja, ich möchte die volle Aufmerksamkeit von den Ontologien weg und auf das richten, was die Menschen in ihrer Psyche dabei bewegt – Ersteres scheint mir letzten Endes blass, Letzteres sehr konkret. Und da möchte ich der Abwertung der psychischen Ebene widersprechen. Was heißt schon „nur psychisch“? Oder dass Aussagen, die den Menschen bis tief innen hinein umtreiben, nicht tief genug gingen? Kann so schon tief genug gehen…
    Klar dabei: die verschiedenen Geschichten der Bibel gehen nicht alle gleich tief – behaupten auch konservativere Theologen nicht, dass sie gleichermaßen letzte Wahrheiten berühren.
    Und ich sag mal so: inwiefern sie zu einem lebensförderlichen Wertekanon beitragen, das ist schon sehr unterschiedlich.

  24. Nicht alle Geschichten gleichwertig

    Ja, manche biblischen Geschichten werden auch mehr oder weniger vergessen, und das zu Recht. Welche sind das? Z.B. @Joker fragt danach. Erste Antwort: Die, die ich nicht vergessen habe ;-). Ernsthafter: Wie bei den gesammelten Gedichten von… – bei jedem Dichter gibt es auch solche, die man vergessen kann. Bei einer Sammlung über so vielerlei „Autoren“ und über ein Jahrtausend hinweg, erst recht. Da gab’s ziemlich viele Zufälligkeiten, was sich da schließlich in dieser Sammlung zusammenfügte.
    Hat sich ja keiner hingesetzt mit der Absicht, ich will jetzt einen Text zur Bibel beitragen, denn es wird mal Christen geben, die jedem Text, der in die Sammlung gerät, Ewigkeitswert zumessen. Sondern da haben die einen erzählt und die andern (zT als Auftragsarbeit) zusammengeschrieben, was sie da oder dort vorfanden.
    Welche Geschichten werden heute eher vergessen?
    Da kann man an die denken, die Vorgänge schildern, die man selbstverständlich moralisch ablehnen wird – zB wo es (am Königshof in Jerusalem) um Mord und Intrige geht. Da gibt es, besonders im Buch der „Richter“ (vorstaatliche Zeit Israels) Geschichten, die so sehr alle moralischen Vorstellungen durcheinander wirbeln, dass man nicht einmal weiß, wo man mit Ablehnen anfangen soll. Behauptet aber auch niemand, dass die biblischen Geschichten nur nachahmenswertes Verhalten darstellen – nicht einmal bei solchen zentralen Gestalten wie Abraham oder David. Manche nimmt man wirklich nur als abschreckende Beispiele.
    In anderem Zusammenhang zähle ich nachher Geschichten auf; hier (mit folgender Ausnahme) absichtlich nicht. Denn diese Warnung geht mir noch nach:
    Isaaks (Nicht-)Opferung (1.Mose 22) wurde schon als Beleg dafür genommen, wie inhuman doch „die Juden“ seien; und man müsse die Bibel von solchen grausamen Geschichten reinigen, sie keinesfalls Kindern im christlichen Religionsunterricht zumuten. Überhaupt sei das ganze Alte Testament mit seinem rächenden Gott zu voll der Gräueltaten. Nun, die die auf diese Weise die Humanität vor den Juden retten wollten und die moralisch entsetzlichen Stellen des Alten Testaments aus dem christlichen Religionsunterricht verbannen – das waren die Nazis und die Theologen, die auf deren Propaganda hereinfielen. Vor solchen Säuberungen kann man sich nur ekeln. Lassen wir die Finger davon. Und man wird doch einige Geschichten vergessen. Aber ich muss das nicht bewerten. Ich achte nur darauf, wozu die, die biblische Geschichten nacherzählen, motivieren wollen. Ja, und ich nehme (hoffentlich ohne das Alte Testament dadurch als solches abzuwerten) natürlich schon hauptsächlich die alttestamentlichen Geschichten, die sich auf den Grundlinien bewegen, die aufs Neue Testament hinführen. Die biblischen Geschichten insgesamt sollte man nicht als fertige Ergebnisse lesen sondern als Belege einer fortlaufenden Diskussion, in denen sich erst allmählich Werte herauskristallisieren, die dann bis in unsere Wertediskussionen weiter wirken.
    Übrigens: Isaaks Nicht-Opferung sollte man lesen als erzählerischen Widerhall der Ablösung von Menschenopfern. Derartige Traditionen gab es ja noch im Umfeld Israels.

  25. Märchen und andere Geschichten

    Was sind die Märchen? Ja, man kann Hiob nehmen. Allerdings nicht einfach das ganze Buch. Im Allgemeinen wird man sagen können: Märchenhaft ist der Rahmen – die Geschichte von dem reichen Mann, der vom totalen Unglück überschwemmt wird. Uralter (Über 1000 Jahre alter?) Märchenstoff wurde etwa 200 vor unserer Zeit aufgegriffen und mit weisheitlichen Diskussionen, den Auseinandersetzungen um die Theodizee, aufgefüllt. Zu dieser späten Bearbeitung gehört nach meinem Dafürhalten auch die Gestalt des Teufels und die Wette mit Gott. Aber ich habe dazu schon lange kein Buch mehr gelesen und kümmere mich jetzt nicht darum, was Fachkundigere heutzutage dazu wissen.
    Ein anderes Märchen ist die Jona-Geschichte. Eugen Drewermann, der überhaupt den Märchen auch in der Bibel ihre eigene Würde zuerkannt wissen will, hat dazu eine sehr tief gehende tiefenpsychologische Auslegung geschrieben.
    Geschichten um den Propheten Elia und sonstige Geschichten aus der vorexilischen Zeit arbeiten auch viel mit Märchenmotiven. (Etwa der letzte Krug Öl, der sich dann doch nicht erschöpft; oder die Raben, die Speise bringen; oder die durcheinander fliegenden Felsbrocken des Gebirges Sinai oder der Prophet, der hergebeamt und weggebeamt wird… – lauter Märchenmotive)
    Spannend finde ich zB (und das wurde so bis in ein Vorlesebuch für den Religionsunterricht hinein) ausgenützt – als erste Andeutung, um auch Schülern schon die verschiedenen Schichten solcher Überlieferungen zu zeigen: Dass etwa die Art, wie Saul zum König wird, auf dreifache Art erzählt wird. Die Geschichte von dem Bauernsohn, der einen Esel sucht und als gesalbter König zurückkommt, ist die märchenhafteste. Oder: Bekannt ist die Geschichte von David gegen Goliath – der durch diesen überraschenden Sieg übrigens die Königstochter zur Frau gewinnen soll. Ebenso: der letzte Hütejunge, der zum König gesalbt wird. Typische Märchenmotive. Sehr viel weniger märchenhaft die andere Erzählvariante (zu Goliath) : 2. Samuel 21. Aber auch die nicht einfach historisch, wohl eher eine Sage. Die Sagen wachsen gewissermaßen über die Märchen hinaus.

    Ja, überhaupt wird man nicht scharf trennen können zwischen Märchen und Sagen, auch nicht gegenüber Legenden oder Fabeln. Die erzählerische (lehrhafte) Absicht, auf die es letzten Endes ankommt, wird man in Übergangsbemerkungen, Schlusszusammenfassungen oder auch in eingefügten längeren Reden finden. Und gerade daran wurde natürlich im Lauf der ganzen mündlichen und auch noch der schriftlichen Überlieferung der alten Geschichten immer weiter bearbeitet und überarbeitet. (Da merkt man zT auch Risse und Sprünge).

    Aber jetzt will ich nichts mehr überarbeiten und auch mich nicht überarbeiten. Deshalb: Vorläufiger Schluss dieser Trilogie von Kommentaren.

  26. Neu erzählen

    Wo Du von Motivation sprichst. Ich muss gestehen, dass ich “Paradise Lost” von John Milton viel spannender und interessanter als das Original finde. Vor allem finde ich die Figuren und ihre Motive viel besser ausgearbeitet.

  27. Ja, @Joe

    Im Prinzip JA. Das “Original”, die alte Erzählung vom Paradies entspricht sicher nicht heutigen Standards der Erzählkunst. Auch nicht der Odyssee o.ä. Ich vergleiche manche Erzählungen in der Bibel mit Bauernmalerei – naiv, aber darin auch ehrlich. Ja gut, und sie wurden zum Katalysator für weitergehende Überlegungen, die schließlich (mit durchaus ambivalenter Wirkung) die Weltgeschichte prägen.

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