Denkanstöße – Religionen als nützliche Spielregeln des Lebens…

BLOG: Hinter-Gründe

Denk-Geschichte(n) des Glaubens
Hinter-Gründe

In urvordenklicher Zeit, im letzten Jahrzehnt des letzten Jahrtausends, hatte ich mir mal selber autodidaktisch zusammengelesen und zusammengereimt, wie es wohl dazu kommt, dass Menschen weltweit so etwas pflegen wie Gottesglauben:

Hängt es wohl mit der Menschwerdung des Menschen zusammen? Erkundet der Mensch mithilfe der Religion(en)  die inneren Regelkreise, die Spielregeln des Lebens? Dieses Leben ist ja in vielerlei Hinsicht eine gefährliche Sache, mit vielen tödlichen Klippen – doch wer es recht zu spielen weiß…
Auf der Suche nach den Wurzeln dieser kulturellen Äußerungen des Menschen – und dahinter deren evolutionären Verankerung – begegnete mir als erstes greifbar das Buch von Walter Burkert, Kulte des Altertums, Biologische Grundlagen der Religion. Zentrale Hinweise fand ich da für das, was ich mir selber zusammenreimte. Damit hatte der Philologe Burkert allerdings weiter verwiesen auf evolutionsbiologische und evolutionspsychologische Fragestellungen, auf Soziobiologie und auf Religionswissenschaft.
Über solche Fragen kam ich zu einzelnen religionswissenschaftlichen Essays und anderen Publikationen – kam es auch zu entsprechenden Diskussionen mit Pfarrern und anderen Interessierten. Und so auch zu dem Buch, das Rüdiger Vaas zusammen mit Michael Blume verfasste:

 

Cover Gott, gene und Gehirn

Es erscheint mir mir noch immer und immer wieder als hilfreich zusammenfassender Überblick über den Stand und die Perspektiven der derzeitigen Diskussion. Besonders geeignet, dass man zum Nachschlagen der verschiedenen Themen auch ein umfangreiches Stichwort- und Autorenregister findet. Dass es gute Orientierung bietet auf dem Gesamtfeld heutiger Religionswissenschaft, das wurde ja in mehreren Rezensionen schon kompetent festgestellt, beispielsweise von Heinrich Zankl in amazon und Franz Wuketits in Universitas März 2009 (zitiert in Blogpost von Michael Blume). Dass es zudem unterschiedliche Standpunkte kritisch abwägend darstellt und also nicht nur eine Linie verfolgt oder gar in einer gedanklichen Engführung stecken bleibt, wie sie gerade Michael Blume öfters unterstellt wird, dafür steht das kooperative Gegenüber beider Autoren – wobei der eine sich als Mitglied der evangelischen Kirche bekennt und der andere im Vorstand der Giordano Bruno Gesellschaft ist. Doch beide sind Schwaben :-), die sagen können: So könnt’s auch sein, oder auch wieder anders.
Ist dabei gut, dass der Streit um die Religion „als Adaption“ oder „als Beiprodukt“ – dessen Verbissenheit durchaus auf ideologische Hintergründe verweist – hier in einem sehr differenzierenden Abwägen der verschiedensten Gesichtspunkte bearbeitet wird: Es gebe, lernte ich, in den unterschiedlichen Schichten des Phänomens Religion dazu auch unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten.
Jedenfalls dass sich Religion(en) im Lauf der Menschheitsgeschichte als (fast!)-Universalie nur deshalb durchsetzen und erhalten konnten, weil sie sich – ob als Adaption oder als Beiprodukt oder beides in unterschiedlichen Mischungsverhältnissen – als „nützlich“ erwiesen (und/oder, möglicherweise sich noch immer erweisen) – das ist ein von der Evolutionstheorie her starkes Argument. Für Biologen (in Tübingen) gehörten die diesbezüglichen Thesen Blumes deshalb auch schon zweimal in die Reihe der Vorlesungen zur Evolution und waren vor diesen Naturwissenschaftlern nicht strittig.
Zu den genannten nützlichen Effekten gehören: Welterklärung, Lebensorientierung und Trost/Durchhaltekraft in schwierigen Situationen, Beförderung von Glück und Gesundheit, Gruppenzusammenhalt durch Kooperation und Altruismus, Verantwortlichkeit vor „übernatürlichen Akteuren“ und damit auch Schutz vor Betrug oder gegenüber gemeinschaftsgefährdenden „Trittbrettfahrern“. Schließlich das Spezialthema, mit dem sich Michael Blume (nach seiner Disertation über Gehirnforschung und „Neurotheologie“) profiliert, nämlich der reproduktive Erfolg von (verbindlich) religiös Vergemeinschafteten.

Alpha-Kurs

Aus zwei Bildern kombiniertes – privates – Bild:
Zentrale des (evangelikalen) "Alpha-Kurses" in London –
und viele Kinderwagen finden Platz …


Damit fangen allerdings auch  Probleme an:

Erstens
gibt es, wie ich höre, eine traditionellere Religionswissenschaft, die davor warnt, Religion(en) an die Biologie auszuliefern; und die sich eher um soziologische und psychologische Vergleichsstudien bemüht, ohne deren evolutionäre Wurzeln verfolgen zu wollen. Vgl. dazu und dagegen den neuesten Blog-post von Blume: "Religionsbiologie im Handbuch der Religionen".
Doch Vaas und Blume stehen nicht allein. Nicht nur Burkert suchte nach den „biologischen Grundlagen der Religion“. Auch sie konnten sich auf ähnliche evolutionspsychologische und -biologische Untersuchungen berufen, etwa bei David Sloan Wilson und Pascal Boyer. Diese Ansätze verbreitern sich in der gegenwärtigen Diskussion, siehe die Konferenz „Explaining Religion“ Anfang September in Bristol und ihre Ankündigung durch Michael Blume in seinem Blog.

Zweitens
hat das Spezialthema Michael Blumes, das des reproduktiven Erfolgs der Religionen, tausend Implikationen, die zu Missverständnissen und billigen Polemiken führen und auch verständliche Befürchtungen wecken können. Dass damit nicht unbedingt sexuelle Attraktivität oder gar biologische Fertilität/Potenz gemeint ist – gar Geburtenzahl als Gebetserhörung – , sondern religiös motivierte Entscheidung für Kinder, sollte bekannt sein. Es hat sich aber noch nicht überall herumgesprochen 🙁 . Und selbstverständlich können diese fitnessrelevanten Befunde noch kein Werturteil über die Religion sein. Doch die Forschung wird auch in dieser Richtung unabhängig von solchen Werturteilen weiter getrieben. Siehe die vielen Verweise in Blumes Blog, besonders das Buch von Eric Kaufmann: „Shall the Religious Inherit the Earth?: Demography and Politics in the Twenty-First Century". Sie lassen aber eben auch – bei Tom Rees in epiphenom – Befürchtungen aufkommen: „Shall the fundamentalists inherit the earth?“. Demographische Befürchtungen im Blick auf die Zukunft der Erdbevölkerung sowieso. Doch diese wären eher wirtschaftspolitisch anzugehen.

Überhaupt, und dies ist das Dritte:
Nützlichkeit ist noch nicht Wahrheit. Das wissen und betonen beide Autoren. Menschliche Anlagen und Verhaltensweisen, die dem Individuum und der Gemeinschaft (im statistischen Trend und auf Dauer!) weniger Schaden, eher Nutzen bringen, können zwar nicht so leicht als Krankheit denunziert werden. Aber sie sind damit nicht als einzig denkbare Möglichkeit erwiesen (die Evolution prämiiert ja nicht immer die besten Lösungen) und nicht als die einzig wahre.

Westm Abbey - 20th Century Martyrs

      Westminster Abbey London:
      Märtyrer des 20. Jahrhunderts –

    u.a. Maximilian Kolbe, Martin Luther King, Óscar Romero, Dietrich Bonhoeffer
       (wikimedia)

Das schließlich fordert den Theologen heraus:
Kann so etwas wie Nützlichkeitserwägungen überhaupt dem sensiblen Thema Religion angemessen sein? Haben wir nicht sehr oft, auch in den letzten Jahren, betont: es käme nicht auf egoistische Nützlichkeit an, sondern auf das Gute, das Engagement fürs Leben? Mit Nützlichkeitserwägungen wurden überhaupt schon viele hinters Licht geführt – cui bono? – und zu viele Verhaltensweisen des Menschen verzweckt. Soll nicht Religion auch zweckfreien Raum bieten können? Oder wäre dies auch wieder ein Zweck?
Zudem – das waren und bleiben auch hier Einwände, die ihre Wurzeln und ihre Berechtigung aus dem christlichen Widerstand gegen die Nazi-Ideologie haben: Wahrheit darf nicht nach dem Maß der Vorgaben aus der Natur gemessen werden. Sonst liefere man sich der Stimme des Blutes aus und dem Recht des Stärkeren. Ja, noch mehr: Die Wahrheit Gottes ist das „ganz Andere“, das nicht aus menschlichen Sehnsüchten erwachsen ist. Sonst liefere man sich Feuerbach aus.
Nun, ich denke doch, dass man den Nazis nicht dadurch beikommt, dass man die längst schon vor ihnen diskutierten Vorgaben der Natur für den Menschen (die von ihnen nur willkürlich zusammengeholt und missbräuchlich in Parolen umgesetzt wurden) ignoriert. Zum Verständnis des Glaubens ist – neben Psychologie und Soziologie und einigem mehr – auch (evolutionäre) Anthropologie zu treiben; und die Bedürfnisse des Menschen sind, wie Pfarrer spätestens nach dem Studium in der Gemeindepraxis erfahren, auch für den Glauben nicht belanglos. Es darf nicht darum gehen, Menschen vom Leben abzulenken, sondern das ist Religion: Im Lichte Gottes das Leben zu besprechen, zu feiern – auch die Schmerzen zu beklagen und Hoffnung wach zu halten. Und dazu gehört, die Bedürfnisse der Menschen zur Kenntnis zu nehmen – mit ihren evolutionären Wurzeln.

Ja, und Feuerbach?
Kudwig FeuerbachLiefern wir uns mit evolutionären Erklärungen Feuerbach aus? Ich will ihm in vielem Recht geben – gerade auch aufgrund mancher kirchlicher Erfahrung:
Nach einigen Andachten, die ich zu hören bekam, und geistlichen Worten, in denen die göttliche Antwort so schön auf alle menschlichen Gefühle passt, sagte ich mir bisher schon immer wieder: Jetzt möchte ich gern mit Feuerbach ein Bier trinken. Und ich füge jetzt hinzu: Vielleicht auch mit ihm beim Bier feststellen, dass man nicht sagen muss: Ist „nichts als“ eine Mischung aus Hopfen und Malz. Ein gemeinsames Bier lässt sich ja nicht mehr nur biochemisch verstehen – wie ja auch nicht ein gemeinsames Brot oder der Wein in der christlichen Abendmahlsfeier. Vielleicht könnte ich sogar beim gemeinsamen Bier Feuerbach zu erklären versuchen: Eine Traumgestalt – etwa ein geträumtes Tier, das mich verfolgt – ist nicht „nur ein Traum“; damit würde man den Träumenden nicht verstehen und ihm nicht helfen können. Das geträumte Tier bildet doch eine Wirk-lichkeit, eine Wirk-samkeit ab, die man nicht einmal nur innerpsychisch im Einzelnen verorten darf.
Ähnlich könnte es doch mit dem Glauben, dass in der Kraft der Liebe sich Gott als Schöpfer und Erhalter offenbart, sein: Objektive Wahrheit ist das wohl nicht, aber doch auch über-individuelle, von meinem Verlangen unabhängige. Doch diese Vorstellung von Gott bildet jedenfalls (ebenso wie andere Gottesvorstellungen!) Wirk-Zusammenhänge ab, mit denen man nicht zu leicht fertig wird; und sie nicht zu leichtfüßig denunzieren sollte als: „Sind ja nichts als Vorstellungen“. Ich mag die Nichts-als-Isten nicht so.

Jedenfalls
finde ich es richtig, entsprechend diesem Buch festzustellen, dass Religion(en) aus der Natur des Menschen und seinen psychischen Grundstrukturen erwachsen – ja, dass es gewissermaßen in der Logik menschlicher Natur liegt, Religion(en) mit ihren entsprechenden Vorstellungen zu  produzieren. Das schließt Widerstand gegen (die genannten politischen) Parolen von wegen „nur natürlich“ nicht aus. Denn Seins-Aussagen sind keine Sollens-Aussagen. Und die ontologische Debatte ist auch nach einem Bier mit Feuerbach noch längst nicht entschieden:

Man kann doch noch immer sagen: Der Mensch hat die Wahrheit Gottes nicht er-funden sondern sie vor-gefunden. Gott hat das so gewollt, dass wir so geworden sind und dass wir ihm so auf die Spur kommen können – oder (entsprechend Teilhard de Chardin) die Gottesoffenbarung als Zielpunkt der Evolution verstehen. 
Man kann es auch wesentlich kritischer gegenüber den eingeschliffenen Begriffen sagen – ob die "übernatürlichen Akteure" denn nun "existieren" oder nicht Und wird wenigstens darum wissen (und Xenophanes zugeben), dass jeder Gottesbegriff und jedes Gottesbild anthropomorph ist – was denn sonst?
Und man kann es auch a-theistisch sagen: Um die inneren Regelkreise des Lebens zu erkunden, haben Menschen sich diese Begriffe und Riten und Geschichten zurechtgelegt; sie sind ihnen zugewachsen. Dabei erweisen sie sich (bzw. erwiesen sich zumindest in der Vergangenheit) offensichtlich immer wieder als individuell und gesellschaftlich nützliche Spielregeln der Lebensgestaltung. Die dabei auch (wie bei einigen anderen Kulturleistungen) auftretenden Gefahren muss man nicht bestreiten. Aber eben auch nicht ihren Nutzen.

Auch um dies sinnvoll gegeneinander abzuwägen und nicht durch sture Rechthaberei nur Fronten zu verhärten, bleibt es wichtig, dass dies typisch menschliche Phänomen der Religion(en) kommunizierbar und verstehbar wird.

 

 

 

Avatar-Foto

Veröffentlicht von

Hermann Aichele Jahrgang 1945. Studium evang. Theologie in Tübingen, Göttingen und Marburg (1964-70), Pfarrer in Württemberg, jetzt im Ruhestand. Hinter die Kulissen der Religion allgemein und besonders des in den christlichen Kirchen verkündeten Glaubens zu sehen, das war bereits schon in der Zeit vor dem Studium mein Interesse: Ich möchte klären, was gemeint ist mit den Vorstellungen des Glaubens, deren Grundmaterialien vor Jahrtausenden geformt wurden - mit deren Über-Setzung für uns Heutige man es sich keinesfalls zu leicht machen darf und denen gegenüber auch Menschen von heute nicht zu leicht fertig sein sollten.

37 Kommentare

  1. weltweit

    Religiosität/Spiritualität ist ein weltweit vorzufindendes Phänomen, – weil der Organismus ´Mensch´ überall gleich arbeitet.
    Die ersten Erfahrungen werden etwa ab dem 6. Schwangerschaftsmonat im Gehirn abgespeichert. Dabei hängt das, an was wir uns später erinnern vom körperlich, emotionalen und geistigen Zustand ab, sowohl beim Erleben einer Erfahrung, wie auch beim Erinnern! So kann es dann vorkommen, dass die Erlebnisse eines Fetus/Babys später mit dem Vertand eines erwachsenen Menschen neu bewertet werden.

    Z.B. kann das Baby noch gar nicht verstehen, was mit ihm nach der Geburt geschieht; außerhalb eines Sehhorizontes von 20-30 cm ist es fast blind.
    Werden die dabei abgespeicherten Erlebnisse später von einem erwachsenen Menschen wiedererinnert, so hat man den Eindruck, die Gegenwart eines sprechenden, liebevollen Lichtwesens erlebt zu haben, bei dem man sich umfassend geborgen und vollkommen verstanden fühlt.
    Dieses erinnerte Lichtwesen wurde/wird oft als Empfinden eines Geistwesens bewertet, welches man häufig auch als göttlich/übernatürlich betrachtet. Daher haben viele ´spirituelle´ Erlebnisse eine eindeutige biologische Grundlage, weltweit.
    (Tipp: Dr phil. Stefan Högl hat in seiner Magisterarbeit die NTEs als eine mögliche Grundlage für die Spiritualität unterschiedlicher Religionen und Kulte beschrieben. http://www.nahtod.de > Religion > Magisterarbeit (download: Die religiöse Dimension der Nah-Todeserfahrungen) )

    Derartige Erlebnisse sind in größerer Zahl als sogenannte ´Nahtod-Erfahrungen´(NTEs) dokumentiert. Dabei kann man dem eigenen Gehirn bei der Arbeit ´zusehen´ – z.B. wie es sein Gedächtnis durchsucht. Leider werden diese Erlebnisse noch nicht wissenschaftlich untersucht, sondern man hat die NTEs weitgehend den Deutungen der Esoterik überlassen.

  2. Nahtodes-Erfahrungen @KRichard

    Das mit den NTEs, KRichard, wäre wohl mal ein eigenes Thema wert. Aber meinem Eindruck nach auch schon oft durchgekaut. Leider zu oft esoterisch vereinnahmt. Auch allgemein-religiöse Vereinnahmung ist kritisch zu hinterfragen.
    Doch die wissenschaftliche Erforschung kam, meinem Eindruck nach, auch schon in Fahrt – allerdings nach langem Zögern.
    Ihre Herleitung aus vorgeburtlichen Erinnerungen hat wohl einiges für sich.
    Gibt sicher weitere Herleitungen: Biochemie der Botenstoffe im Hirn – parallel mit Drogenerfahrungen; ich hörte auch mal was von Sauerstoffentzug.
    Aber zu allem müssen wohl die Hirnforscher ff was sagen; und tun es wohl auch.
    Und ich kenne zwar die alte Literatur von Moody, Kübler-Ross… etwas; aber es gibt sicher auch Neueres. Da müsste ich mich zuerst richtig einlesen – nicht bei den Esoterikern.

    Ihr Einleitungssatz:“Religiosität/Spiritualität ist ein weltweit vorzufindendes Phänomen, – weil der Organismus ´Mensch´ überall gleich arbeitet..
    Das würde ich so ähnlich sehen, zusätzlich aber auch sagen: So viele Riten sind verwandt, das weist in Ihrem Sinn auf gemeinsame biologisch-psychologische Wurzeln. Auch so viele Mythen sind weltweit verwandt – gibt ja selbst bei Indianern Parallen zur biblischen Vorstellung einer heilen Urzeit. Womöglich wanderten auch solche Vorstellungen mit der Ausbreitung des Menschen mit, sind also in ihren Grundwurzeln ur-ur-alt. Aber das müssten auch eher Religionswissenschaftler als Theologen erforschen. Wir haben auf unserem Gebiet schon genügend zu tun, z.B. überlegen, wie wir mit Feuerbach umgehen. Das halte ich für die Herausforderung.

  3. Danke

    Vielen Dank fuer die konstruktiv-anregende Rezension! Es ist sehr erfreulich, dass GGG auch theologische Reflektionen angestoßen hat.

  4. @Aichele

    Das einzig Kluge, was zum Thema Nahtod-Erlebnisse (NTEs) gesagt wurde, stammt von dem Theologen Prof. Dr. Hans Küng. Er meinte, dass der Tod unumkehrbar ist und dass deshalb Menschen, welche von einem solchen Erlebnis berichten können, nicht tot gewesen sind.
    Ich gehe sogar noch weiter in der einfachen Annahme, dass man bewusste Denkprozesse nur dann haben kann, wenn man voll bei Bewusstsein ist. Diese Annahme wurde bisher nie ernsthaft diskutiert (und kann daher nicht in der bisherigen NTE-Literatur nachgelesen werden).
    (Schauen Sie mal bei http://www.wissenslogs.de > Groß und klein (Michael Groß) > Denkanstöße – … (6.8.2010) meine Beiträge durch.)
    Mein Erklärungsmodell ist völlig neu – aber damit können die NTEs komplett erklärt werden.
    NTEs sind also keine übersinnlichen Erfahrungen, sondern Ergebnisse von Denkprozessen – damit wird Prof. Küng bestätigt (dass NTEs für die Theologie unbedeutend sind). Aber da solche Erlebnisse oft spirituell bewertet werden, sind sie trotzdem von Interesse (als eine Ursache, wieso Religiosität in allen Kulturkreisen entstanden ist – was ja eine Fragestellung in diesem Blog ist).

    Für die Theologie sind die NTEs auch noch aus einem anderen Grund unwichtig: wieso sollte ein Mensch nur dann eine spirituelle Gotteserfahrung haben, wenn sein Leben bedroht ist – und denn Rest des Lebens lässt sich Gott nie blicken? Aus theologischer Sicht ist ein solch kurzer Moment(NTE) unwichtig – im Gedanken an die Idee des ewigen Lebens.

  5. NTE/Küng und Theologie – @KRichard

    Na ja, KRichard, was Küng gesagt hat, das haben viele andere auch so gesagt. Ist ja auch vernünftig, die Interpretationen nicht phantastisch überschießen zu lassen. Aber die Versuchung ist für gewisse Leute groß.
    Nah-Tod-Erlebnisse werden deshalb normal auch so gesehen: Eben nur nah am Tod. Nun, die wirklich Sterbenden sind ja kurz vorher auch nah am Tod gewesen. Deshalb: Immerhin interessant, dass man (auch) im Sterbevorgang solche Dinge erleben kann, aber nicht muss. Aber was heißt da “Denk-prozess”?! Das Gehirn macht ja viel mehr als nur denken.
    Mich wundert es nicht, dass diese Erfahrungen, die es ja vereinzelt immerhin seit Jahrtausenden gibt, auch – dann nachträglich allerdings denkerisch – von Priestern ff gesammelt wurden; und dass daraus auch Bilder der jeweiligen Jenseitsvorstellungen nach-koloriert worden sind. Man hat ja alle möglichen (und noch ein paar mehr 😉 ) interessante Lebenserfahrungen gesammelt und im jeweiligen Interpretationszusammenhang verarbeitet.
    Das muss nicht heißen, dass Jenseitsvorstellungen daraus entstanden sind, aber sie wurden auch dadurch entsprechend ausgestaltet. Und es gibt ja Religionen (auch solche, aus deren Bereich NTEs berichtet wurden: Griechen), in denen diese Ausmalungen weitgehend keine Rolle spielen. Ich würde (auch deshalb) bestreiten, dass Religion überhaupt erst dadurch entstanden ist. Höchstens als eine der vielfältigen Quellen. Aber das ist eine religionswissenschaftliche Frage.
    In den letzten Jahrzehnten wurden so viele Berichte weltweit gesammelt, dass man durch Vergleiche ff sie endlich auch wissenschaftlich bearbeiten kann. Meines Wissens kommt man heutzutage dabei auf biochemische Vorgänge im Gehirn.
    Sie Ihrerseits kommen eher auf bestimmte Inhaltsformen. Muss ich auch schon irgendwo gelesen haben, dass da Erinnerungen an den Geburtsvorgang mitspielen. Mag sein. Mal sehen, was man da noch sieht.
    Aber auch mal sehen, was man dann vielleicht auch persönlich zu sehen bekommt. Könnte ja noch eine aufschlussreiche Zugabe zum Leben sein.

    Ja – da haben Sie Recht: darin eine besondere spirituelle Gottesgabe oder so was zu sehen, das muss wohl den schalen Eindruck vermitteln: Und das erst jetzt? Soll der Endpunkt das Eigentliche sein? Ich bin schon auch dafür, dass die (Rede von der) Erfahrung mit Gott nur Sinn macht [“macht: schöner, passender Anglizismus], wenn da was mitten im Leben geschieht und nicht erst am Rand. Und dass nicht das Jenseits des Lebens der eigentliche Ort Gottes ist, aus dem heraus er uns nur hin und wieder besucht…
    Deshalb, und damit kriege ich (und kriegen Sie auch?!)hoffentlich die Kurve zum Thema dieses Threads zurück: Mir leuchtet es schon ein, was ich in der Überschrift als Quintessenz aus dem Buch zog: Religionen als nützliche Spielregeln des Lebens, die sich allerdings hoffentlich auch an den Bruchstellen, an den Schwierigkeiten und den Rändern des Lebens und dann auch am Ende des Lebens bewähren.

  6. Zustimmung

    Religionen als nützliche Spielregeln des Lebens zu bezeichnen, ist sehr passend.

    Will man aber Ursachen verstehen: warum/wieso Religiosität weltweit in ähnlichen Formen entstanden ist – warum Menschen trotz schwerster Schicksalsschläge bald wieder positiv in die Zukunft sehen – wie die Moral im Menschsein verankert wird – usw.usw., dann sollte man einen wichtigen Lösungsweg (um zufriedenstellende Antworten zu finden) nicht vorschnell verwerfen. Dies ist der Grund, warum ich meinen neuartigen Erklärungsansatz für die Nahtod-Erlebnisse hier vorgestellt habe.

    PS: Der Geburtsvorgang ist bei NTEs nicht erinnerbar.

  7. KRichard

    “Will man aber Ursachen verstehen: warum/wieso Religiosität weltweit in ähnlichen Formen entstanden ist “
    Inwiwweit ist Religion weltweit “in ähnlicher Form” entstanden?

    Sind z.B. Shinto, Budhismus und die abrahamschen Religionen den “in ähnlicher” From entstanden?

    Und die Religionen der alten mexikanischen und Südamerikanischen Völker sind auch “in ähnlicher Form” entstanden?

    Irgendwie fehlt mir da das gemeinsame.

  8. Gemeinsamkeit

    Gemeinsam ist der Glaube an übernatürliche Kräfte (z.B. Götter) und/oder an ein Jenseits (z.B. Leben nach dem Tod).

    Buddhismus selbst ist keine Religion, sondern eine Philosophie – erst durch Übernahme religiöser Praktiken von anderen Kulten bildete sich religiöses Leben/Denken.

  9. KRichard

    “Gemeinsam ist der Glaube an übernatürliche Kräfte (z.B. Götter) und/oder an ein Jenseits (z.B. Leben nach dem Tod).”

    ok übernatürliche Mächte machen eine Religion ja aus. Das ist aber als wenn ich sagen würde .. es ist bemerkenswert was alle Vierecke gemeinsame haben .. nämlich vier Ecken.

    Bei einm Jenseits bin ich mir schon gar nicht mehr so sicher .. haben das nahezu alle Religionen gemein?
    zumindest bei Naturreligionen wage ich das zu bezweifeln.

    Auch Shinto passt da nicht so recht rein, denke ich.

  10. Ist der Buddhismus eine Religion?

    Vor einiger Zeit habe ich hier einen Beitrag mit dem Titel „Religion ohne Gott – Zen-Buddhismus verfasst. Es gibt im Zen keinen Gott, keinen Teufel und kein Jenseits, also auch kein Leben nach dem Tod. Natürlich kann man Zen-Buddhismus deshalb auch als Philosophie ansehen. Trotzdem würde ich den Buddhismus auch als Religion bezeichnen, da er für einen Praktizierenden einen ähnlichen Stellenwert einnimmt, wie eine Religion. Zudem dürfte es schwierig sein neben dem (Zen-)Buddhismus noch eine andere Religion zu haben, da sich das widersprechen würde. Eine gottlose Religion steht für westliche Betrachter dem Atheismus recht nahe, allerdings gebe ich zu bedenken, dass unser heutiger Religionsbegriff ein westlicher ist, der die „östlichen“ Religionen häufig nur als Randerscheinung wahrnimmt.

    http://www.chronologs.de/…ne-gott-zen-buddhismus

    „Philosophie und Psychologie des Buddhismus sind außerordentlich tief und weit“, schreibt Gonsar Rinpoche in seinem Buch „Egoismus besiegen“. „Deshalb gibt es auch manche Leute, die sagen, der Buddhismus sei keine Religion, sondern lediglich eine Philosophie. Manche modernen Philosophen jedoch sind der Auffassung, der Buddhismus sei keine Philosophie, sondern eine Religion, weil es im Buddhismus auch Mönche und Gebete gibt. Tatsächlich verhält es sich jedoch so, wie es Seine Heiligkeit der Dalai Lama, beschreibt: Aus dem Verbund der Religionen wird der Buddhismus hinausgeworfen mit der Behauptung, er sei eine Philosophie; aus dem Verbund der Philosophien wird er hinausgeworfen mit der Behauptung, er sei Religion. Von beiden Seiten hinausgeworfen, wird der Buddhismus zu einer Brücke zwischen Religion und Philosophie.“

    Von hier: http://www.zeitpunkt.ch/…ne-anfang-und-ende.html

  11. “Zudem dürfte es schwierig sein neben dem (Zen-)Buddhismus noch eine andere Religion zu haben, da sich das widersprechen würde.”

    Hmm, merkwürdig. Wie schaffen es dann die japanischen Shino Anhänger (die, soweit ich weiss, Jenseitsvorstellungen haben und einen Ahnenkult pflegen) ihren Glauben mit dem Buddhismus zu kombinieren? Und wieso funktioniert in die Synthese des Buddhismus in China mit Dao und dem Volksglauben und in Korea mit konfuzianischen religiösen Vorstellungen und dem Schamanismus so gut. Überhaupt, fällt mir jetzt keine Region ein, wo der Buddhismus NICHT mit lokalen Vorstellungen kombiniert wird. Im Gegenteil scheint mir der Buddhismus (überhaupt wie alle anderen östlichen Religionen) sehr kombinierungsfreundlich zu sein. Oder liege ich da falsch?

  12. @Hagthorpe

    Da liegen Sie genau richtig. Der Buddhismus ist streng genommen, eine Philosophie – aber erfolgreich, und damit zur Religion wurde er nur durch die Verschmelzung mit anderen Kultformen.

  13. Jenseits u Religion(en) – Religionsbegriff

    Prima, da ging ja die Diskussion engagiert weiter.
    Zum Jenseits u Religionsbegriff würde ich (ist ja nicht mein Fach und musste mich auch schon von Rel.Wissenschaftlern belehren lassen) schnell festhalten: Jenseitsvorstellungen gibt’s wohl irgendwie quer durch die ganze Menschheit, bzw. etwas vorsichtiger gesagt: dass Menschen mit dem Tod nicht einfach tot sind. Gerade auch in „Naturreligionen“ Aber das „Jenseits“ als erwünschte Zielvorstellung ist doch nicht so verbreitet. So deutlich wie im Christentum und Islam ist es sonst nicht. Und da auch – trotz entsprechender dogmatischer Behauptungen – nicht unbedingt der Mittelpunkt des „normalen“ Glaubens. Aber da gibt es alles.
    „Erlösungsbedürfnis“ – das gibt es dann durchaus auch im Buddhismus. Aber eben ganz anders geformt, mit ganz anderen Vorstellungen verpackt als im Christentum.
    Jetzt haben wesentliche Bereiche des Buddhismus keinen Gott/Götter. Und das stellt vor ein theoretisches Problem. Gut informierend haben Sie, @Mona, das dargestellt. Danke!
    Gerade gegenüber den hier notwendigen Differenzierungen finde ich es etwas platt, wenn auch in Bestsellern – garantiert ohne Rücksprache mit Fachleuten, einfach weil es so schön auf eine Argumentationslinie passt – dekretiert wird, der Buddhismus sei selbstverständlich keine Religion.
    Ist natürlich auch ein Problem, warum manche Strömungen des Buddhismus Götter haben und manche nicht und sie trotzdem im gleichen Geist zusammen gehören – warum dann der Dali Lama als Gott bezeichnet werden kann; er aber wiederum die Zwischenposition betont und eigentlich beides vertritt: einen sehr philosophischen Glauben und doch ziemlich direkt religiös gestrickte Vorstellungen (z.B. über seine geistige Abstammung – ich las da schon einiges bei hpd, den brights o.ä.)
    Ich würde den ganzen Buddhismus aus den durch Mona genannten Gründen eher doch als Religion auffassen, habe aber dabei auch mein Interesse: Die Religionen sind eine (als gemeinsame Strömung einer Gruppe oder einer ganzen Gesellschaft erkennbare) ideelle Form der Lebensbewältigung. Dies geschieht zumeist mithilfe von Gottesvorstellungen (und weiteren Vorstellungen zu überweltlichen Akteuren und dem Aufbau der Welt/Ablauf des Lebens/Jenseits ff) . Sie gehören nicht notwendig konstitutiv dazu, sind aber aus verschiedensten Gründen die gängigste Denk-Form des religiösen Glaubens.

    Finde ich auch zutreffend beobachtet (@N.Hagthorpe/ KRichard) : die Kombinationsfähigkeit mit anderen Religionen. Speziell Japaner wundert das nicht, höre ich immer wieder. Und wundert es wahrscheinlich nur, wenn wir meinen, ein festgefügtes dogmatisches System sei das Wesentliche des Glaubens. Dieser Eindruck kann hierzulande entstehen. Und wird hierzulande auch hoffentlich noch mehr aufgeweicht. Schon bei den Juden stimmt er nicht: Da ist „Rechtes Handeln“ viel konstitutiver für den Glauben als „richtige Vorstellungen“. Und die östlicheren Religionen sollte man überhaupt nicht durch diese Brille sehen: Da gibt es heilige Schriften, aber als Anweisungen für den religiösen Vollzug, Meditation ff. Doch die Vorstellungen sind wahrscheinlich regional sehr unterschiedlich – so unterschiedlich, dass man auch schon darauf kam, etwa den Begriff Buddhismus oder Hinduismus als typisch europäische Etikettierung sehr unterschiedlicher Religionen zu bezeichnen.
    Vielleicht hilft da doch mein Gedanke: Religion als „ideelle Lebensbewältigung“, die zwar für mehrere Leute gemeinsam ist (Lernen aus gemeinsamer Überlieferung und Einübung nach gemeinsamer Methode), die aber so variieren kann wie z.B. Volklieder, Tänze, Nahrungszubereitung usw. u.U. mit regionalen und sonstigen Veränderungen auch variieren können.

    Das ist jetzt auch eher religionswissenschaftlich als theologisch gedacht. Aber es geht ja hier auch um ein religionswissenschaftliches Buch. Und auch Theologen sollten ja sehen, wie das, was sie treiben, rel.wissenschaftlich eingeschätzt und verständlich gemacht werden kann.
    Na, ich bin wohl auch hier ein Grenzgänger.

  14. Synkretische Religion

    @N. Hagthorpe
    „Wie schaffen es dann die japanischen Shino Anhänger (die, soweit ich weiss, Jenseitsvorstellungen haben und einen Ahnenkult pflegen) ihren Glauben mit dem Buddhismus zu kombinieren? Und wieso funktioniert in die Synthese des Buddhismus in China mit Dao und dem Volksglauben und in Korea mit konfuzianischen religiösen Vorstellungen und dem Schamanismus so gut. Überhaupt, fällt mir jetzt keine Region ein, wo der Buddhismus NICHT mit lokalen Vorstellungen kombiniert wird. Im Gegenteil scheint mir der Buddhismus (überhaupt wie alle anderen östlichen Religionen) sehr kombinierungsfreundlich zu sein. Oder liege ich da falsch?“

    Nein, da liegen Sie natürlich richtig. Ich hatte bei meinem Kommentar ja eher die Abrahamitischen Religionen im Sinn und dachte an den christlichen Benediktinermönch Willigis Jäger, der sich ja sehr mit dem Zen-Buddhismus auseinandergesetzt hat. Er fand auch viele Parallelen in der christlichen Mystik, aber letztendlich war es für ihn schwierig beide Religionen zu synkretisieren, da es im Christentum einen Gott gibt und im Buddhismus nicht. Allerding verfälscht es auch aus buddhistischer Sicht natürlich die Lehre, wenn man andere Religionen mit dazu nimmt. Natürlich haben manche Religionen ähnliche Vorstellungen, insbesondere die in China und Indien „ansässigen“ Weisheitssysteme wie Daoismus und Hinduismus. Schwierig wird es bei der Vermischung der Bön-Religion mit dem Buddhismus, der Dalai Lama wurde diesbezüglich ja schon scharf kritisiert und tendiert seitdem eher zum „reinen“ Buddhismus. Allerdings ist der Buddhismus ja von Hause aus tolerant, d.h. es gibt keine Kirche und keinen Absolutheitsanspruch, wer kann da also was verbieten?

    @H. Aichele
    „Ist natürlich auch ein Problem, warum manche Strömungen des Buddhismus Götter haben und manche nicht und sie trotzdem im gleichen Geist zusammen gehören – warum dann der Dali Lama als Gott bezeichnet werden kann; er aber wiederum die Zwischenposition betont und eigentlich beides vertritt: einen sehr philosophischen Glauben und doch ziemlich direkt religiös gestrickte Vorstellungen (z.B. über seine geistige Abstammung – ich las da schon einiges bei hpd, den brights o.ä.)“

    Normalerweise gibt es im Buddhismus KEINEN Gott. Auch wenn man im einfachen Volksglauben immer wieder damit konfrontiert wird. Anders im Hinduismus, da gibt es Richtungen, die Götter haben und manche nicht. Allerdings muss gesagt werden, dass man diese Gottesvorstellungen nicht so ohne weiteres mit dem christlichen Gott vergleichen kann, eher mit den vielen Heiligen die man im Katholizismus verehrt, aber nicht anbetet.

    Religion als „ideelle Lebensbewältigung“, finde ich sehr treffend! Fast alle „Weisheitssysteme“ des Ostens wollen dem Menschen ja dabei helfen sein Leben zu bewältigen und die Angst vor dem Tod zu überwinden.

  15. Wo ist Gott?

    Wenn man „atheistische“ Religionen mit solchen vergleicht, die an einen persönlichen Gott glauben, so muss man sich fragen: Wo ist Gott? Ist er außerhalb oder innerhalb der Welt bzw. in uns oder „über“ uns? Oder anders ausgedrückt: Ist Gott transzendent oder immanent? Viele christliche Gläubige können sich Gott ja nur als etwas Übernatürliches vorstellen. Mystiker, die Gott in sich suchten, wurden von der christlichen Kirche als Häretiker verdammt. Nichtchristliche Religionen suchen Gott hingegen oft in der Welt, d.h. als Teil der Welt und haben entsprechend ein pantheistisches Weltbild. Wenn Gott Teil der Welt ist, ist er auch Teil des Menschen und kann, wie Bloch es ausdrückte, durch die Überschreitung des Menschen, zu seiner eigentlichen Bestimmung und Werdung gefunden werden. Zitat: „Ich bin, aber ich habe mich nicht, darum werden wir erst“.Und Einstein soll einmal auf die Frage eines New Yorker Rabbiners, ob er an Gott glaube, geantwortet haben: „Ich glaube an Spinozas Gott, der sich in der gesetzlichen Harmonie des Seienden offenbart, nicht an einen Gott, der sich mit Schicksalen und Handlungen der Menschen abgibt.“

  16. Buddhismus

    Dass Buch und Blogs solche Reflektionen anregen koennen, macht gluecklich. 🙂 Wobei zum Buddhismus zu sagen ist, dass die Philosophie nur dort Bestand hatte, wo sie auch religioese Form annahm. So breitete sich der Zen-Buddhismus in Japan als Mittel gegen boese Geister und zur Ahnenverehrung aus. Monas Gastbeitrag hat bereits ueber fünftausend Klicks!

  17. Frage @Michael Blume

    Lieber Michael,

    vielen Dank für Deine Rückmeldung! Allerdings ist mir nicht ganz klar warum Du schreibst: „Wobei zum Buddhismus zu sagen ist, dass die Philosophie nur dort Bestand hatte, wo sie auch religioese Form annahm. So breitete sich der Zen-Buddhismus in Japan als Mittel gegen boese Geister und zur Ahnenverehrung aus.“

    Wie schon weiter oben gesagt, sehe ich den Buddhismus durchaus als Religion an, er zählt ja auch zu den Weltreligionen. Zen-Buddhismus als Mittel gegen boese Geister und zur Ahnenverehrung widerspricht natürlich total der Philosophie des Zens. Ich will mal vom bloßen Volksglauben absehen, der diverse Bodhisattwas als „heilig“ ansieht und zum pantheistischen Glauben zurückkehren, der Gott nicht als Person betrachtet, sondern Gott und das Universum als identisch betrachtet. Was sagt eigentlich die Religionswissenschaft zu diesen Formen des Glaubens? Du sprichst ja im Zusammenhang mit Religion immer auch von übernatürlichen Akteuren, was ist dann mit Religionen, die keinen persönlichen Gott kennen, wie dem Taoismus z.B., und die ein pantheistisches oder panentheistisches Weltbild haben? Wenn man die Evolution mit einbezieht und Gott nicht als alten Mann begreift, sondern als Energie oder Urkraft, wie lässt sich das dann mit „übernatürlichen Akteuren“ vereinbaren?

  18. Gute Frage!

    „Wenn man die Evolution mit einbezieht und Gott nicht als alten Mann begreift, sondern als Energie oder Urkraft, wie lässt sich das dann mit „übernatürlichen Akteuren“ vereinbaren?“

    … als Energie, Urkraft oder Wirklichkeit!
    Nach dieser Diskussion in der „WIRKLICHKEIT“ , stellte sich mir dieselbe Frage.

    Es gibt ja auch in der (christlichen) Theologie die Mode, sich von einem „übernatürlichen Akteur/übernatürlichen Akteuren“ zu verabschieden.

    Reden wir dann noch von Religion? Hat das noch irgendetwas mit traditionellen Glaubensvorstellungen zu tun? Ist das noch der „wahre (Volks-) Glaube“?

    Am Feiertag der „Leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel“ sollte man das mal klären.

  19. übernatürliche Akteure

    Bei ´übernatürlichen Akteuren´ muss man nicht immer an Götter denken. Z.B. zeigt das empfehlenswerte Buch ´Dschungelkind´ von Sabine Kuegler sehr schön, wie die dortigen Menschen vom Glauben an Zauberei beherrscht waren. Sie wussten nicht einmal, dass es sowas wie einen natürlichen Tod gibt: Man starb entweder durch Zauberei oder einen feindlichen Pfeil.

  20. @Itz

    Vielen Dank für den Link! Christian Hoppe vertritt da einen Gottesbegriff, der mit den traditionellen christlichen Glaubensvorstellungen nicht mehr viel zu tun hat. Er könnte eher einer modernen Religion entstammen, wie der Bahai-Religion.

  21. @alle engagierten Diskutanten

    DANKE, the games must go on. Und, es wird fair gespielt. Prima.
    Der Gottesbegriff „Energie oder Urkraft“ ist sicher nicht nur eine Sache der „Mode“. Hoppe kann sich auch auf ganz alte Traditionen berufen. Zumindest bis Thomas von Aquin – die ersten Post in seinem Blog vom November 2007 belegen da was. Auch dass der Begriff „Wirklichkeit“ eine theologische Wortschöpfung sei. (Ich sage oben im Blog-Beitrag und auch hier im Kommentar unten dann lieber „Wirksamkeit“). Auflockernd bei Hoppe gut finde ich immer noch seinen Beitrag vom 26. Juni 2008 „Fußball und Gott“ vom 26.06.08, aus dem ich ja schon in „Die Explaining Religion Konferenz…“ bei M. Blume ein Langzitat brachte. Aber insgesamt wird’s mir dabei etwas kalt begrifflich; und ich frage mich natürlich auch, wie das mit „normalen“ Glaubensvorstellungen zusammenpasst. Edward O.Wilson formuliert (gegen Ähnliches) in dem von mir besprochenen Atheismus-Buch, siehe thread „Brauchen wir Gott“): „Dies alles hat … wenig mit der realen Religion der nächtlichen Beschwörungstänze australischer Eingeborener und des Konzils von Trient zu tun“. Recht hat er.
    Ja, ich möchte das Ding mehr „erden“.
    Religionen kann man – theistisch wie die westlichen oder a-theistisch wie die Grundbausteine des Buddhismus – verstehen als ideelle Lebensbewältigungskonzepte – und dabei bitte nicht als Privatkonzept (das es auch immer wieder bei einzelnen Philosophen gibt) sondern als kulturell vermitteltes, also gemeinsames: eine gesellschaftlich identifizierbare kulturelle Strömung.
    Für Religionen ist die Vorstellung von Gott/Göttern also nicht konstitutiv , gibt ja auch Zen ff. Sie ist nicht definitions-notwendig für Religion, für gemeinsame Lebensbewältigungs-Konzepte. ABER: Es ist auffällig, dass quer durch alle Völker diese Vorstellung immer wieder auftaucht und selbst in solche philosophischen Konzepte wie bei Buddha immer wieder einströmt. Sie ist nicht definitions-notwendig, aber anscheinend psychologisch dem Menschen am plausibelsten. Für ihn womöglich (fast) unumgänglich, wenn er nicht nur allein sein Leben bedenkt sondern mit anderen bespricht und sich auf andere einstimmt. Und warum das so ist, das erklärt meines Wissens mit am besten Pascal Boyer. Entscheidendes Kurzzitat und Links dort in meinem – von mir oben genannten – Beitrag zu „Brauchen wir Gott“.
    Ähnlich wie die Vorstellung Gott nicht definitions-notwendig aber psychologisch fast unausweichlich für Religionen ist, sage ich jetzt auch zu dieser Vorstellung von Gott: selbst:
    Begriffsbildungen müssen wohl, um sich nicht in heillose Widersprüche zu verwickeln wohl a-personal sein; sonst kommt das gasförmige Wirbeltier Ernst Haeckels, der unsichtbare ungreifbare… Gärtner Antony Flews heraus oder eben der alte Mann mit weißem Bart (meiner ist wenigstens noch teilweise schwarz; aber sonst könnte die Beschreibung auch auf mich passen). Und dann müsste man wohl nachhaken, was jeweils hinter seinen Absichten steckt; und weiß doch dabei, was für Schindluder damit schon getrieben wurde; bzw. wie man sich da hoffnungslos in der Theodizee-Frage verstricken kann. Begriffsbildungen müssen wohl a-personal sein;. Aber man wird nicht verwehren können, dass aus den oben genannten psychologischen Gründen – der psychischen Grundstruktur des Menschen – diese abstrakten Gottes-Begriffe erst mit Leben füllen, wenn sie (zeitlich und regional sehr sehr unterschiedlich!) sich mit personalen Bildern füllen. Und es gibt natürlich auch Anzeichen dafür, dass ohne solche (begrifflich eigentlich nur verwirrenden) personalen Bilder manche Religion nicht lebensfähig wäre – abstrakteres Denken ist zwar möglich, entspricht aber den normalen Bedürfnissen nicht; und für einige Normalverbraucher auch über ihr Be4griffs-Vermögen.
    Man muss sich allerdings klar machen, dass diese Bilder (Gott als Vater, Hirt, König ff) eben wirklich Bilder sind. Aber ähnlich wie das geträumte Raubtier (hier im Blogbeitrag, Abschnitt zu Feuerbach) nicht einfach nicht ist; sondern eine Wirksamkeit, Wirkzusammenhänge verkörpert – so ähnlich können die Bilder von Gott Wirkzusammenhänge verkörpern, die sehr real sind: Meine, unsere Widerfahrnisse, die ich mit anderen besprechen (der Begriff schillert bis ins Religiöse, Magische !) will oder muss und auf die ich mich mit anderen zusammen einstimmen will – die lassen sich eben am besten in dieser personhaften Form erzählen, weitergeben; und die Widerfahrnisse, auf die ich wiederum einwirken will, packe ich eben am ehesten in dieser personhaften Form. Jedenfalls war das in der Zeit der biblischen Erzähler für viele die einzig denkbare Form, die Widerfahrnisse ihres Lebens zu bearbeiten, zu besprechen… Wer will, mag da an den Kampf Jakobs am Jabbok denken.
    Es ist, wie gesagt, nicht definitionsmäßig notwendig bzw. man kommt da in Widersprüchlichkeiten – entspricht aber der widersprüchlichen Psyche des Menschen. Und ich denke, die Analogie zu Hoppes Argumentation ist deutlich; aber ich hoffe, dass die Linien, die ich da ausziehe, mehr „geerdet“ sind.

    Und im Übrigen möchte ich auf die sehr gelungenen Auflockerungsübungen von Dietmar Hilsebein , eben zu dem Blogbeitrag „Brauchen wir Gott“ hinweisen: Es reizt zum Lachen und zum Nachdenken.

    Aber am „Tag der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel“ werden wir das doch wohl nicht ganz klären können. Wie weit ist sie denn gereist ? Wenn es denn schon leiblich sein muss: mehr als 1.950 Lichtjahre dürfte es dann doch nicht sein. Na, dann haben wir noch Zeit zum Klären…

    Und I like Ernst Bloch – auch Monas Zitat, vermutlich aus „Atheismus im Christentum“: Und vermutlich, meiner Erinnerung nach, drückt Bloch damit aus, wie er atheistisch doch verstehen will, was mit Gott gemeint ist:
    „Ich bin, aber ich habe mich nicht, darum werden wir erst“

  22. @Mona, @Aichele

    M.E. definiert sich Religion als Glauben an uebernatuerliche Akteure, sonst sind es Philosophien. Sowohl Buddhismus, Jainismus, Taoismus etc. unterstreichen den evolutionären Effekt: Sie überlebten nur durch die Aufnahme uebernatuerlicher Akteure. A-personale Ueberlieferungen bleiben Angelegenheiten kinderarmer Eliten.

  23. Schwierige Definition @Michael Blume

    Oh, oh, da machst Du aber einen harten Schnitt. Das hieße ja, dass “übernatürliche Akteure” auf jeden Fall Personen, Tiere oder zumindest Geister? sein müssten. Pantheisten würden da schon mal rausfallen. Waren Deiner Meinung nach die christlichen Mystiker verkappte Atheisten? Oder wie schaut es mit manchen christlichen Intelektuellen aus, die ein weiter gefasstes Gottesbild haben, alles “nur” Philosophen?

    Wenn a-personale Ueberlieferungen nur die Angelegenheit kinderarmer Eliten waren, wie erklärst Du Dir dann beispielsweise die Klöster, die es in fast allen Religionen gibt und gab? Hier fanden sich ja immer wieder Menschen ein um ihren Glauben zu leben, pflanzten sich in der Regel aber nicht selber fort. Und wie verhält es sich mit Naturreligionen, die die Erde, die Sonne usw. verehren oder an Magie glauben (wie hier schon angefragt wurde)?

    Wahrscheinlich müsste man, streng genommen, auch die Buddhisten auseinanderdividieren, da es ja Richtungen gibt, die an keinen (persönlichen) Gott glauben (Zen) und solche, wie die tibetischen Buddhisten, die die Götter der älteren Bön-Religion einfach adoptiert haben. Auch wenn sie nicht im christlichen Sinne angebetet werden, so sind sie doch Teil des Systems. Siehe hier:
    http://www.cv-perspektive.de/…gion_ohne_gott.pdf

    In meinen Augen ist es ein gewisser Widerspruch an die Evolution zu glauben, aber das Gottesbild nicht mitzunehmen. Heißt nicht ein christliches Gebot: “Du sollst dir kein Bildnis machen.” Also ist da auch noch nichts in Stein gemeißelt, oder?

  24. @Michael Blume und @Mona

    Michael, gelle sehr schön schwer, auf fremden Tastaturen schnell was ins Netz zu bringen. Man muss ja kein Kriminalist sein, um zu merken, dass das irgendwo in einem Urlaubs-Land ist. Aber Du kannst auch dort nicht ganz die bytes von deinen Fingern schütteln… Sie verfolgen Dich und Du sie…
    Zur Sache: Du spürst wohl an meiner zweischichtigen Argumentation, dass ich Deine und die religionswissenschaftliche Definition für Religion berücksichtige: Definitionsmäßig gehören da übernatürliche Akteure dazu. Und man kann sich dabei ja auch auf Darwin berufen; aber dessen Begrifflichkeit wird für uns heute nicht so verbindlich sein. Der Buddhismus gehört doch auch irgendwie dazu; und es ist ein bisschen platt, wie gewisse Leute mit einem Federstrich dessen atheistische Varianten als unreligiös erklären – wo doch gerade auch die Buddhisten dieser Varianten ins klassische Bild religiöser Leute passen.

    Ich versuch, was ich will, mal mit Vergleichen: Definitionsmäßig gehört zu einem Auto ein Steuerrad (oder ein Fenster) nicht dazu. Denkbar und definierbar (und auch schon erprobt) sind Autos auch mit Steuerknüppel oder auf Schienen; oder Autos ohne Fenster (alles per Bildschirm). Definitionsmäßig gehört zu einem Irrenhaus – zumal dann, wenn “die Welt ein Irrenhaus” ist… – kein Heimleiter: kleine Verbeugung vor dem exzellenten Vergleich von @Dietmar Hilsebein – jetzt im Thread „brauchen wir Gott…“. Sind ja alle möglichen Organisationsformen denkbar

    Also: definitionsmäßig nicht. Aber die meisten Autos haben Steuerräder (oder Fenster) und die meisten Irrenhäuser auch eine Heimleitung/Heimleiter. Hat sich besser bewährt.
    Ebenso: Man müsste Religion doch auch als kulturell vermittelte Lebensbewältigung definieren. können; und dann müsste sie definitionsmässig keinen Gott haben. Aber die meisten Religionen haben dann doch Gott/Götter. Das hat sich für die eligionen besser bewährt. Das belegst Du immer wieder, hier an Entwicklungen im Buddhismus. Und so viel ich aus Deinem Buch weiß (und jetzt nicht nachschaue), zeigst Du besonders auch unter Berufung auf Pascal Boyer, wie es dazu kommt, dass Menschen ihre Religionen vorzugsweise mithilfe von Gottesvorstellungen organisieren.

    Die Frage ist ja interessant im Vergleich von Philosophie und Religion. Da greift @Mona ein und protestiert mit Recht dagegen, die atheistischen Varianten des Buddhismus aus der Religion auszuklammern
    Sicher, einige östliche Religionen sind original eher Philosophien und wurden großenteils dann zu Religionen. Ich würde deshalb die Frage jetzt so hindrehen: Wird jetzt eine Philosophie dadurch zur Religion, wenn sie Gottesvorstellungen in sich aufnimmt? Wenn ein Philosoph schon theistisch denkt, ist er dann religiöser?
    Ich würde eher sagen: wenn Philosophie sich in praktischen Lebensvollzügen (Riten, Liedern, Feiern, Moralvorstellungen) auswirkt, die nicht nur einer sich ausdenkt und ausübt sondern die kulturell vermittelt wird und zumeist auch gemeinsam ausgeübt werden – dann ist aus der Philosophie Religion geworden.
    Kurz: Nachdenken über das Leben ff = Philosophie; Lebensvollzüge = Religion. Nachdenken über speziell diese Lebensvollzüge = Theologie. Na ja, die Gleichungen gehen sicher nicht bruchlos auf – aber in der Richtung möchte ich es noch immer und immer wieder vorschlagen. Oder wo wäre der Haken?

  25. Religion, Philosophie oder spirituelles System?

    Lieber Herr Aichele,

    vielen Dank für Ihre Überlegungen. Ihre Gleichungen kommen der Sache schon recht nahe. Sie schreiben: “Wo ist der Hacken”?

    M.E. hackt es noch etwas bei der Definition, würde man nämlich anstatt der Religion (und den nicht immer vorbehaltlosen Glauben an übernatürliche Akteure), die Spiritualität und damit die geistige Verbindung zum Transzendenten nehmen, käme man der Sache näher. Es ist doch eindeutig, dass all diese Sinnsucher, wie Meister Eckhard oder Huang Po, sehr spirituelle Menschen waren. Viele große Religionstraditionen haben auch unterschiedliche spirituelle Strömungen hervorgebracht. Auch heißt es, dass alle Religionsgründer wohl eine tiefe angeborene Spiritualität besaßen und das unterscheidet sie m.E. auch von den reinen Philosophen.

    Letztendlich hängt die Beschreibung und Benennung einer höheren Instanz oder Wirklichkeit auch von der religiösen Tradition des jeweiligen Landes oder Volkes ab. Ich habe mich (da ich Michael noch einen Beitrag über Indianer schuldig bin) mit dem großen Geist der Indianer befasst, der ja immer als Pondon zum christlichen Gott gilt, aber, nach näherer Sichtung, doch eher eine Art universelle Lebenskraft ist. Muss man ihnen jetzt eine eigene Religion absprechen? Viele indigene Völker glauben auch an Zauberei/Hexerei und an eine beseelte Natur, auch an höhere Wesen, aber oft an keine übernatürlichen Akteure bzw. Götter in unserem Sinn, wie ist dieser Glauben zu bewerten? Überhaupt fällt auf, dass oftmals die Religionen dieser Völker gar nicht als eigenständige Gedankengebäude betrachtet wurden, sondern ihr Glaube nur nach unserem Vorbild einfach “übersetzt” wurde.

    Zum Schluss noch, damit es nicht gar zu ernst wird:
    “Aber die meisten Autos haben Steuerräder (oder Fenster) und die meisten Irrenhäuser auch eine Heimleitung/Heimleiter. Hat sich besser bewährt…”

    Jaja, da gibt es auch ein paar anarchistische Irre. Deren erfahrbare Wirklichkeit sagt ihnen zwar, dass sie sich in einem Irrenhaus befinden, aber einen Heimleiter haben sie nie gesehen, darum existiert er für sie nicht. Aber falls es ihn doch geben sollte, integrieren sie ihn ihr System, oder er sie. 😉

  26. @Mona & Aichele

    Erfreulicherweise ist die Definition von uebernatuerlichen Akteuren weiter als ein bestimmter Gottesbegriff. Ein Engel, ein heiliger Berg, eine Ahnin… was Personal ansprechbar ist, erfuellt den Anspruch von Personalitaet. Im real existierenden Buddhismus sind hier z.B. Boddhisatva oder Kami zu nennen – und gerade auch der japanische Zen hat komplexe Rituale zum Umgang mit uebernatuerlichen Akteuren hervor gebracht. Dennoch plaediere ich dafuer, auch jene ernst zu nehmen, die den Buddhismus eben nicht als Religion, sondern als a-personale Philosophie auslegen. Und, ja, auch einige christliche Mystiker und Denker haben personale Vorstellungen hinterfragt. Regel: Die Religion interagiert mit Jemandem, die Philosophie mit Etwas. Die Auswirkungen z.B. auf Soteriologie und Reproduktionserfolg sind enorm.

  27. Christliche Theologie @Michael Blume

    “Die Auswirkungen z.B. auf Soteriologie und Reproduktionserfolg sind enorm.”

    Ja, das ist christliche Theologie. Soteriologie, die dogmatische Lehre von der Erlösung des Menschen durch Jesus Christus. Und das Gebot in der Bibel: “Gehet hin und mehret Euch”.
    Ich sehe da jetzt leider keinen Zusammenhang.

  28. Ja dann… @Michael Blume u. @Mona

    Ja dann, wenn das “Verhalten zu” in den Mittelpunkt rückt, dann sind’s eher die Riten und weniger ein bestimmter Gott(esbegriff), der die Religion(en) ausmacht. Oder man könnte vielleicht auch sagen: Wenn der Gott sich auflöst wie der Gärtner A.Flews, dann sind wir uns auch in diesem Punkt, der sich nicht mehr punktuell festmachen lässt, einig.
    Und natürlich immer zuzugestehen: Unser westlicher Religionsbegriff und Gottesbegriff sollte die Interpretation ganz anderer Verhaltensweisen nicht in unser westliches Schema zwängen. OK?
    Den Reproduktionserfolg würde ich tatsächlich nicht als Haupt-Kriterium nehmen, ob etwas Religion ist oder nicht. Als starkes Indiz und zwecks Prognose, wie eine Religion auf Dauer Bestand hat, schon. Aber es gibt ja doch auch komische, destruktive Varianten.
    Die Soteriologie:
    Da widerspreche ich wieder meinem ersten Abschnitt: Das ist mir schon auffällig, dass in vielen Religionen, die voneinander völlig unabhängig entstanden sind, so etwas wie Soteriologie thematisiert wird: In irgend einer Form Erschrecken über den Zustand der Welt und der Menschen und das Gefühl, es könnte und müsste etwas anders werden – durch (erneute) Intervention der Götter und/oder durch Anstrengung des Menschen. Oft ausgedrückt in Mythen, die an den Sündenfall erinnern oder an paradiesische Zustände früher oder ganz anderswo oder in einer Dreamtime, öfters auch in einem Widerspiel zwischen Göttern und Menschen.
    Einige mittelmeerischen Religionen (Ägypter, Griechen, Römer) sind davon vielleicht weniger betroffen. Und auch wenn ich an die Schilderung der Abraham-Gestalt denke. Aber die Dinge nicht einfach so laufen zu lassen, sondern sich irgendwie durchzukämpfen, das Leben als Risiko-Spiel – das ist auch hier. Religionen sind nicht nur Beruhigungsmittel (“Opium”), sie thematisieren und produzieren auch die Unzufriedenheit (den “Seufzer der bedrängten Kreatur”): Aufputschmittel.

  29. @Mona, @Aichele: Soteriologie

    Oh, da habe ich mich dann wohl unpräzise ausgedrückt: Gemeint war, dass sich religiöse und philosophische Systeme in ihren Erlösungsaussagen dann auch entsprechend unterscheiden. Übernatürliche Akteure können gefürchtet oder geliebt werden – entsprechend entwickeln sich z.B. Soteriologien, die z.B. das Heil aus der Hinwendung zur Gottheit o.ä. lehren.

    Apersonale Systeme (wie Karma, Dharma, Tao etc.) werden dagegen nicht geliebt, sondern allenfalls verwirklicht oder, häufiger noch, als leidvoll erfahren und überwunden (z.B. im Nirvana). Von einer Person lassen wir Menschen uns ggf. etwas sagen, von einem apersonalen Prinzip nicht. Und entsprechend unterschiedlich sind dann auch die beobachtbaren Auswirkungen (einschließlich des Reproduktionserfolges). Darauf wollte ich hinaus: Dass der unterschiedliche Ansatz also auch in Lehre und Ergebnissen unterschiedliche Auswirkungen mit sich bringt.

    Das gilt zwischen Religionen und Weltanschauungen, aber auch innerhalb der Traditionen. “Religiöse” Buddhisten wollen z.B. häufig einfach Diesseitswünsche erfüllen oder eine bessere – z.B. paradiesische – Wiedergeburt erreichen und wenden sich daher häufiger an übernatürliche Akteure. Die Folge sind entsprechende Rituale, Gebote etc. Der “philosophische” Buddhist dagegen strebt die Überwindung gerade auch dieser karmischen Prinzipien an und erhofft sich eine Befreiung davon. Einen Bodhisatva oder eine Gottheit kann man verehren und ansprechen, das Karma allenfalls bearbeiten.

  30. @Mona & Aichele

    Noch eine kleine Ergänzung: Je bei Gebet (gerichtet an übernatürliche Akteure) und a-personaler Meditation sind ja auch ganz unterschiedliche Gehirnregionen beteiligt. Selbstverständlich wird man in den großen, kulturellen Traditionen immer beides finden (z.B. buddhistische Gebete, islamische Meditationen), aber gerade deswegen ist m.E. begriffliche Schärfe so wichtig, um die real existierenden Phänomene je wissenschaftlich zu erkunden und zu beschreiben.

    Vgl. mit Scan-Bildern:
    http://www.chronologs.de/…ge-nach-hirngespinsten

  31. Der Begriff “Religion” @Michael Blume @H. Aichele

    Ich habe hier eine m.E. interessante Doktorarbeit (Philosophie) von John G. Coughlan mit dem Titel „ RELIGION UNTER DEM ASPEKT VON BEZIEHUNG – Entwurf einer relationalen Religionstheorie“ gefunden, in der sich der Autor u.a. kritisch mit dem Begriff „Religion“ und „Religiosität“ auseinandersetzt. Zitat: „Der Begriff „Religion“ ist problematisch. Einerseits bezieht sich dieser Begriff auf die Handlungen und inneren Einstellungen von Menschen (gemeint sind hier Gebet, kultische Handlungen, Verehrung usw.), andererseits handelt es sich bei der Religion um (einen jeweils bestimmten) Glauben und um (ein jeweils bestimmtes) Bekenntnis, die durch eine verbindliche Lehre festgelegt sind.

    Damit werden zwei völlig gegensätzliche Positionen deutlich: Einerseits sprechen wir von der Beziehung des Menschen zu dem, was der Mensch als heilig erfährt, erkennt oder vermutet. Andererseits geht es darum, Religion(en) als System(e) zu bestimmen, also Glaubenssätze, Bekenntnisse usw. empirisch zu erfassen und als bestimmte Religion(en) zu definieren. In diesem Zusammenhang sprechen wir sinn-vollerweise von bestimmten Religionen, etwa dem Christentum, dem Buddhismus etc. (Seite 9)

    (…) Nach dem relationalen Verständnis ist das Wesentliche an der Religion weder der Glaube an Gottheiten (wie man z. B. an dem viel zitierten nicht-theistischen Charakter des Buddhismus sehen kann), noch die Kategorie des Heiligen, noch die Herstellung gesellschaftlicher Kohäsion, sondern die Festlegung des Wohin und des Wie des Du-Sagens. Zum Menschsein gehört es, in Beziehung zu sein, und dies setzt voraus, dass das Wohin und das Wie der Beziehungen definiert ist.“ (Seite 116)

    http://deposit.ddb.de/…mp;filename=972022546.pdf

    Gerne würde ich Eure Meinung dazu hören!

  32. @Mona

    Das Problem ist, das wir das “Wohin” des Du-Sagens trotzdem zumindestens vage definieren müssen, wenn wir Religion von Nicht-Religion, Zivilreligion, Religionsersatz e.t.c. unterscheiden können.

    So geht z.b. die Kölner Religionsphilosophin (deren Ausführungen z.B. zu Bewusstsein und Religiösität ich teilweise für brilliant halte) Prof. Saskia Wendel denselben Weg der relationalen Bestimmung der Religion, unterscheidet also erstmals Religion (als Glaubenssystem) und Religiösität (als konkrete Haltung bzw. Handlung) und deutet letztere als relational, bestimmt dann aber auch das Wohin, so dass bei Ihr Religiösität “Die Beziehung auf ein Unbedingtes hin” ist. Damit lässt sich Religion und Nicht-Religion gut unterscheiden, allerdings kämen wir dann wieder dahin, dass einige Zweige des Buddhismus wirklich nicht als Religion, sondern als Philosophie gesehen werden (also jene, wo nicht das Unbedigte den Bezugspunkt darstellt). Das könnte problematisch sein. Andererseits: müssen wir das wirklich als Abwertung sehen? Zumal ja eine nicht-religiöse Haltung sich mit einer religiösen Praxis kombinieren könnte.

  33. Spannend u verwirrend @Mona

    Danke, Mona, für den Link auf Coughlan. Aber bei den ca 170 Seiten bin ich nicht so leicht durch – erst bei ca S. 60.
    Soooo vielfältige Gesichtspunkte. Für mich vermutlich das erste Mal, dass ich etwas ausgesprochen Religionspsychologisches im Netz zu lesen finde. Erinnert in vielem an Religionswissenschaftliches. Aber anders gewichtet. Und damit (für mich) eben spannend u verwirrend vielfältig. Um die damit angesprochenen Probleme mit den Definitionen wird man nicht rumkommen.
    Aber ich bin auf dem Sprung zu einer Auslandsreise – vermutlich internetfreie Zone; und ich will es auch als computerfreie Zeit gestalten, freut meine Frau.
    Diese ganze Dissertation kann ich vorher nicht mehr recht bewältigen. Ich habe sie mir abgespeichert.
    Voraussichtlich erst ab 30.8. bin ich wieder auf Sendung…

  34. Das Unbedingte @N. Hagthorpe

    Wenn man vom ursprünglichen Buddhismus ausgeht, und ich spreche jetzt nicht von der Variante die alle möglichen Bodhisattwas integriert hat oder vom japanischen “Begräbnis-Zen”, so hat der Buddhismus auf einen Gott, bzw. die alten Hindugottheiten, bewusst verzichtet. Natürlich hat Michael Blume recht, wenn er meint, dass die Menschen immer wieder zu religiösen Anschauungen und Handlungen tendieren. Auch wurde der Buddhismus ja immer wieder mit anderen Religionen vermischt, aber dieser Synkretismus ist eigentlich eine neue Religion. Bezieht man sich rein auf die Schriften, so ist der Buddhismus eine Anleitung, wie man richtig leben soll. Allerdings gibt es “Die Beziehung auf ein Unbedingtes hin” auch hier. Im Palikanon ist von Nibbana (Nirwana) die Rede, übersetzt als das Unbedingte, Ungewordene, das Todlose, das andere Ufer, das höchste Glück, das Erlöschen allen Leids. Dieser Zustand ist immer präsent, nur kann der Mensch ihn nicht immer wahrnehmen, dies gelingt erst durch spirituelle Praxis und die Überwindung des “Ich”. Es gibt also Buddhisten, die sämtliche Götter eliminiert haben, aber keine ohne Beziehung auf ein “Unbedingtes”, wie soll das gehen? Wofür sollten die ganzen Meditationsübungen sonst gut sein?

  35. @Mona

    Zustimmung, so sehe ich den Buddhismus auch. Und finde die Weite zur Integration menschlich-personaler Beduerfnisse gut. Analoges gilt ja auch fuer Taoismus und Jainismus. Große Traditionen leben aus ihrer Vielfalt, mit der sie unterschiedliche Menschen erreichen.

Schreibe einen Kommentar