Der vernagelte Gottessegen

BLOG: Hinter-Gründe

Denk-Geschichte(n) des Glaubens
Hinter-Gründe

“Euern Ein- und Ausgang segne Gott” – diesen etwas ungelenk formulierten Spruch sah ich vor etwa drei Jahren über dem Haupteingang einer Dorfschule, irgendwo in der Nähe von Erfurt, sauber in lateinischen Buchstaben auf einer sandsteinernen Platte eingemeißelt. Nun, ganz neu war diese Aufschrift nicht. Sie wird ähnlich alt sein, konnte ich unterstellen, wie das Gebäude: ein Backsteinbau, noch aus Wilhelminischer Zeit, womöglich sogar 19. Jahrhundert. Aber, fragte ich meinen Begleiter, der mir das Dorf zeigte, wie haben gerade diese Worte all die Jahre überstanden, besonders die letzten Jahrzehnte sozialistischer Herrschaft? Ausgerechnet an einer Schule! Das konnten die SED-Herrscher doch keinesfalls dulden. War ihnen doch, wie man damals so plakativ sagte, an einer „wissenschaftlichen Weltanschauung“ gelegen. Die Erinnerung an Gott passte ihnen sicher nicht ins Konzept.
Sieh doch die Krampen, meinte mein Begleiter, die Krampen um das Feld. Da war eben ein Brett über diesen Worten angebracht, drauf der Name der Schule. In jenen 40 Jahren war der Segen Gottes ganz einfach – vernagelt.

Das Schulportal
eigenes Foto
Zum Vergrößern aufs Bild klicken – wegen der Krampen 😉


Ja, zugenagelt, aber dadurch umso besser erhalten. Jetzt ist das Brett wieder weg und die Schrift erst jetzt wieder den Witterungseinflüssen und den Autoabgasen ausgesetzt. Wirklich zeitgemäß sieht es so auch nicht aus; aber das Denkmalamt wolle wohl, wurde mir erklärt, den Spruch erhalten wissen.
Ob das nun besser ist, die Wertschätzung dieser Worte aus gewissermaßen musealen Gründen? Das kann man wohl fragen. Ja, irgendwann waren sie einmal gut gemeint. Und man kann sich manche Eltern vorstellen, die ihre Wünsche für die Kinder mit dem Segenswunsch über der Schulhaustür verbanden. Möglicherweise gerade auch dann, wenn ihnen selber die  frommen Worte so nicht über die Lippen gekommen wären. Vielleicht sogar in dem Bewusstsein, dass die wirklichen Widerfahrnisse des Lebens um einiges verzwickter sein werden als es die guten Wünsche je vorbahnen können – widriger gar, als dass sie dagegen ankämen. Doch schaden wird’s nicht, werden die meisten gedacht haben, wenn dieser heilsamere Ton dagegen anklingt.

Die Zeiten wechselten

Die Systeme wechselten und setzten dabei mit ihren Parolen eigene Duftmarken oder tilgten sie eben. Und als diese Worte dann überdeckt werden mussten, hat vielleicht der Dorfschreiner, der das neue Brett anzubringen hatte,  bei sich selbst gedacht: Unter diesem Spruch wurde ich eingeschult. Viel gebracht hat es mir nicht; und jetzt –  jetzt soll es nichts mehr bringen dürfen. Aber – wer weiß – vielleicht ist’s gut, dass ich es nicht wegkratzen, nur überdecken muss; vielleicht kann’s so besser überdauern…
Die Parteioberen, die ein Unmaß an Hoffnung angesagt hatten – die dachten sicher anders: Weg mit dem Symbol der Rückständigkeit; weg mit allem, was uns am Fortschritt hindert. Die Kinder müssen vor dem primitiven Aberglauben geschützt werden.  Jetzt gilt nur noch wissenschaftliches Denken – Aufklärung und Humanismus.
Nun, auch da verbanden wohl manche mit den hehren Worten entsprechende Hoffnungen: die Internationale erkämpft das Menschenrecht.  Kann ja nicht alles böse gemeint sein. Oder doch? Man hat mit den Hoffnungen so lange Schindluder getrieben, bis die meisten „an nichts mehr glauben konnten“, wie es Michael Blume vor Kurzem für seinen Vater beschrieb.
Das harte Brot der real existierenden Verhältnisse und die nach Chemie stinkenden Kartoffeln, die würgte man hinunter. Der Fortschritt bröckelte vor sich hin; und die Sonne, die so schön wie nie über Deutschland scheinen sollte, machte die Braunkohleschwaden sichtbar. Lief ja alles „seinen Gang“. Gut, wenn man sich für ein bescheidenes Glück in eine Nische zurückziehen konnte und nicht in eine Stehzelle eingesperrt war. 

Alle Verhältnisse umzustoßen, in denen der Mensch ein geknechtetes Wesen ist – der Weg erwies sich als verzwickter; und wandte sich auch gegen dessen Propagandisten: Als ich schließlich hörte, dass Anfang 1989 – in einem andern Bezirk – die Pfarrerschaft von der Parteileitung gebeten wurde, sie möge doch bitte in den anstehenden schweren Zeiten beruhigend auf die Bevölkerung einwirken, damit keine staatsgefährdenden Umtriebe aufkämen, da wusste ich: Da ist noch mehr vernagelt. Man musste sich ja fragen oder fragte es besser schon nicht mehr: Kannten diese Apparatschiks, die ihrem Anspruch nach Marxisten waren, eigentlich ihre eigene Religionskritik? Ist ihr zufolge die Religion nicht der „Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt“?   Sie wollten genau diese Verhältnisse doch überwinden und dadurch Religion überflüssig machen.  Wenn  sie aber nun danach zu greifen versuchten wie Ertrinkende nach einem Strohhalm – widerlegten sie sich nicht selbst? Während kritischere Zeitgenossen das kritische Potential von Religion erkannten und in die Kirchen gingen, auf die Straßen und auf die Plätze…

Montagsdemonstration Leipzig

Montagsdemonstration Leipzig 1989
Bundesarchiv – durch Wikimedia Commons

Nachsicht und Einsicht

Nun, ich könnte wohl auch verständnisvolle Nachsicht zeigen für die Schwierigkeiten eines Programms, das sich durchaus auch auf  edle Motive stützen wollte; und das nicht wenige Menschen eben deshalb veranlasste, trotz allem den Versuch zu wagen und mitzumachen. Doch wenn Ideen und Interessen zusammenstoßen, haben sich immer die Ideen blamiert, meinte schon Marx und haben diese Marxisten zu spät erst bemerkt.  Aber hämische Schadenfreude ist ja auch Fehl am Platz: Spätestens da fallen ja ebenso einige Parallelen zur Kirchengeschichte ein oder auf, in der auch manche Motive zertrampelt wurden und mancher Idealismus zerbröckelte.  Aber kritische Aufarbeitung der eigenen Geschichte ist schon nötig.  Und die Erkenntnis, dass jeder, der meint, er habe die einzige Wahrheit gefunden, von der nur noch der Rest der Welt zu überzeugen wäre… –  dass der sich selber und gleichzeitig andere täuscht. Besonders wenn er meint, sie auf seinem nagelneuen Reißbrett präsentieren zu können, von historischer und politischer Erfahrung ungetrübt, von menschlicher Enttäuschung unbelastet.   
Ich denke deshalb, es wäre – auch angesichts der letzten hundert Jahre – an der Zeit, die Rivalitätskämpfe mit den steilen Ideologien und Parolen endlich zu beenden. Es wäre an der Zeit, die Lagermentalität zu überwinden und – im Bewusstsein, dass man sich in jeder Richtung falsch verrennen kann – nicht nur den andern ihre Fehler vorzuhalten sondern auch sie und sich selbst an verschüttete Einsichten zu erinnern und die besseren Einsichten miteinander wach zu halten
„Um Gottes willen“ sagt der Christ. „Um des Menschen willen“  ist aber auch eine gute biblische Parole. Jedenfalls braucht’s Leute, die helfende Einsichten nicht nur im eigenen Umfeld suchen, sondern auf verschiedenste Weise herauszufinden versuchen, was Menschen zum Leben brauchen und – gegen die großen Parolen – der Kleinarbeit zu ihrem Recht verhelfen. Der hartnäckigen und der gemeinsamen Kleinarbeit. 

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Veröffentlicht von

Hermann Aichele Jahrgang 1945. Studium evang. Theologie in Tübingen, Göttingen und Marburg (1964-70), Pfarrer in Württemberg, jetzt im Ruhestand. Hinter die Kulissen der Religion allgemein und besonders des in den christlichen Kirchen verkündeten Glaubens zu sehen, das war bereits schon in der Zeit vor dem Studium mein Interesse: Ich möchte klären, was gemeint ist mit den Vorstellungen des Glaubens, deren Grundmaterialien vor Jahrtausenden geformt wurden - mit deren Über-Setzung für uns Heutige man es sich keinesfalls zu leicht machen darf und denen gegenüber auch Menschen von heute nicht zu leicht fertig sein sollten.

20 Kommentare

  1. Ein sehr schöner Blogpost…

    …und an der einen oder anderen Stelle war zu erkennen, wie er diskret Gedanken und Zitate aus anderen Chronologs-Posts aufgriff.

    Wohltuend und nachdenklich. Danke.

  2. In bayerischen Schulen Brett vor d. Kopf

    Der Spruch ist übel, er ist die tägliche religiöse Indoktrination für Lehrer und Schüler.

    Bei uns in Bayern hängen in den Klassenzimmern christliche Kreuze. Religionen indoktrinieren die Menschen von klein auf, Religionen sind ein Übel.

  3. Na ja, @ J.Datko,

    das eigenartige Verhältnis der bayrischen Staatsregierung zum Urteil des Verfassungsgerichts betr. Kruzifix können wir wohl beklagen aber nicht so leicht ändern. Und dahinter stehen wohl auch kirchliche Kräfte bestimmter Couleur, in deren Schublade ich nicht automatisch gesteckt werden möchte.
    Ich befürchte, dass aus deren Verhalten eine gewisse Verbitterung und Verbiesterung in solchen Fragen entsteht. Nein, ich befürchte es nicht nur, ich sehe es auch aktuell an Ihrer Reaktion. Und ich nehme wohl wahr: Manche Verletzungen können weh tun, selbst wenn man sie nur ganz sanft berührt.
    Andersherum aber auch: Die Fronten zwischen „wissenschaftlichem Atheismus“ im Ostblock und der DDR und dem, was damals mehr oder weniger verbissen dagegen gehalten wurde, hat eine unverkrampfte Diskussion auch weithin unmöglich gemacht. Auch heute, ein knappes Vierteljahrhundert danach, sollte man nicht darüber diskutieren, ohne die noch bestehenden Verletzungen zu berücksichtigen. Und die kommen besonders dann hoch, wenn atheistische Äußerungen so klingen, als kämen sie von alten Stabi-Lehrern – als seien von der damaligen „wissenschaftlichen Weltanschauung“ nur die direkt politischen Beimengungen wegsortiert, um sie im Übrigen umso unbekümmerter weiter zu pflegen…
    Dabei muss man wohl im Vergleich zwischen den Systemzwängen die Verhältnismäßigkeit wahren. Nicht jeder Zwang wirkt sich so unmenschlich aus. Mein Blogbeitrag sollte aber eben auch mal an diese Gefahr erinnern

  4. Danke, @Michael

    ja, danke für dein Lob. Und die Zitate waren wohl etwas sehr “diskret”. An der einen wichtigen Stelle habe ich das Zitat von deinem Vater jetzt nachträglich als solches kenntnlich gemacht und den Querverweis zu deinem Blogpost hergestellt.
    Ansonsten bzw. für andere “geneigte Leser”: Die farblichen Unterlegungen sollten Hinweise auf Anspielungen und Teilzitate sein – ohne den Anspruch genauen Zitierens. Ich weiß, bei Doktorarbeiten müsste man es anders machen 😉

  5. Der vernagelte Gottessegen

    Wie es halt in der “Realität” so ist …. in jeder Meinung oder Meinungsrichtung steckt ein Teil der Wahrheit. Sie zu finden bedarf es der Kommunikation miteinander und nicht gegeneinander. Auch wenn es einem manchmal schwer fällt!

  6. Zitat: Hötzl … 26.01.2012, 20:17
    “Wie es halt in der “Realität” so ist …. in jeder Meinung oder Meinungsrichtung steckt ein Teil der Wahrheit.”

    Damit wäre Wahrheit zum Teil der Beliebigkeit preisgegeben. Man sollte schon klar sagen, dass die erfolgreichen Religionen ihren Erfolg massiver Indoktrination von klein auf verdanken.

    Bei uns in Regensburg haben 2011 über 800 Menschen eine der beiden großen christlichen Kirchen verlassen, viele von ihnen wurden schon als Säuglinge, gegen ihr Selbstbestimmungsrecht, christlich gemacht.

    Ich bin gerne bereit, gegenüber Print- und Internetmedien zum Unterschied zwischen religiöser Weltsicht und rationaler Welterklärung Stellung zu nehmen.

    Joachim Datko – Physiker, Philosoph

  7. @ Datko

    “Joachim Datko – Physiker, Philosoph”

    Beethovens Bruder erwirbt ein kleines Landgut und versendet seither stolz seine neuen Visitenkarten: „Johann van Beethoven, Gutsbesitzer“. Ludwig unterzeichnet in seinem nächsten Brief alsdann mit „Ludwig van Beethoven, Hirnbesitzer“!

  8. Nachtrag

    „Johann van Beethoven, Gutsbesitzer“.

    Da war wohl einer indoktriniert…

    gez.

    L.v.Beethoven

  9. @ Beethoven

    Tja -lieber Freund Ludwig,

    185 Jahre nach Deinem Tod fragen wir uns jetzt: besitzen wir das Hirn oder besitzt das Hirn uns? Ich sehe Dich lachen?

  10. Nachtrag2

    Man kann sich wohl über den Satz beschweren: “Brüder -über dem Sternenzelt…”
    Aber verdammte Scheiße -oh Gott! diese Musik möchte ich nicht missen!

  11. @ Hilsebein

    “Ich widerlege die Ideale nicht, ich ziehe bloß Handschuhe vor ihnen an…

    Ich selber, ein Gegner des Christentums de rigueur, bin fern davon, es dem Einzelnen nachzutragen, was das Verhängnis von Jahrtausenden ist. -“

    Mit freundlichen Grüßen

    Friedrich Nietzsche

  12. @ Nietzsche

    “Das Christentum ist eine Allegorie, die einen wahren Gedanken abbildet; aber nicht ist die Allegorie an sich selbst das Wahre…
    …Eine Allegorie ist ein Kunstwerk, welches etwas Anderes bedeutet, als es darstellt.”

    beste Grüße

    Arthur Schopenhauer

  13. Beethoven, Nietzsche, Schopenhauer…

    Ja sauber und wo habt ihr das jetzt alles her?

    alle zugleich: et…et incarnatus est de Spiritu Sancto.

  14. Na, danke @D.Hilsebein,

    Sie sind ja zu Späßen aufgelegt. Genießen kann ich sie wohl auch, aber nicht so leicht produzieren. Umso mehr: danke. Dabei produziert die Zahl Ihrer Kommentare einen etwas falschen Eindruck betr Traffic in meinem Blog. Na ja.
    Nun, besonders gefallen hat mir – aus schon deutlichem Anlass – das mit dem „Hirnbesitzer“. Eingefallen wäre mir da der gut schwäbisch gedachte Gebetsruf, „Herr, schmeiß Hirn ra“. Was ja auf Deutsch so viel bedeutet wie: Gott, lass den Leuten mehr Gehirn/kluge Gedanken zukommen, schütze uns vor Dummheiten.
    Mag manchen missfallen, weil sie in einem solchen als Gebet, also theistisch formulierten Satz ein Oxymoron entdecken. Manche vermögen auch darin Lebensweisheit wahrzunehmen, die zum Lächeln reizt. Andere verbieten sich das Lächeln.
    Womit wir wieder am wilhelminischen Schulhaus bei Erfurt wären – oder in Regensburg. Und da wird’s gefährlich: Gefährlich sind die so absolut sicheren Wahrheitsbesitzer. (Nein, man muss nicht die Wahrheit relativieren; aber den Wahrheitsbesitz; deshalb der gut demokratische Vorschlag Wilh.Hötzls: „bedarf es der Kommunikation“).
    Ja, @J.Datko, Indoktrination ist nicht gut – sie kann auch zum Rohrkrepierer werden.
    Ich zitiere dazu mal Reiner Kunze, Die wunderbaren Jahre, 1976:

    Die Schulbehörde in N. wies die Direktoren an zu verhindern, dass Fach- und Oberschüler die Mittwochabend-Orgel-Konzerte besuchen. Lehrer fingen Schüler vor dem Kirchenportal ab und sagten den Eltern: Etwederoder. Eltern sagten ihren Kindern: Entwederoder. Bald reichten die Sitzplätze im Schiff und auf den Emporen nicht mehr aus…
    Hier müssen sie [die Schüler] nicht sagen, was sie nicht denken. Hier empfängt sie das Nichtalltägliche, und sie müssen mit keinem Kompromiss dafür zahlen.

    Wer von Indoktrination redet, kann ja solches auch mal zur Kenntnis nehmen. Und sollte, wie ich im ersten Kommentar schon bemerkte, im Vergleichen der Systemzwänge die Verhältnismäßigkeit wahren.

    Dabei begegnet mir aber auch die fatale Geschichte um Jessica Ahlquist aus Cranston in den USA – die Sache mit dem Schulgebet. Und was man ihr da antut. Oh Gott, erinnere die Christen an die Inhalte ihrer Gebete.
    Also, wir haben noch einiges aufzuarbeiten. Und vielleicht wird uns dann doch wieder zum Lachen zumute.

  15. @ Aichele

    “Dabei produziert die Zahl Ihrer Kommentare einen etwas falschen Eindruck betr Traffic in meinem Blog.”

    Mich überfällt das manchmal so. Ich muß mich zusammenreißen.

  16. @Dietmar Hilsebein

    Jetzt machen wir doch ein bisschen Traffic 😉 Reißen Sie nicht zu sehr. Ich finde Ihre Späße immer wieder ermunternd – echt hinter-gründig in Hinter-Gründe. Auch wenn ich öfters mal nicht so direkt antworte: Danke!

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