Die drei Künstlichen Intelligenzen

BLOG: Heidelberg Laureate Forum

Laureates of mathematics and computer science meet the next generation
Heidelberg Laureate Forum

Dabbala Rajagopal (“Raj”) Reddy ist Turing Preisträger – und einer der Experten für Künstliche Intelligenz (KI) unter den Laureaten. Entsprechend ging es in einem Gespräch, welches ich im Rahmen des Heidelberg Laureate Forums 2013 mit ihm führen konnte, nicht nur um Chancen und Entwicklung der digitalen Globalisierung und des Internets, sondern auch um Geschichte und Zukunft seiner “Heimatdisziplin”.

Dabbala Rajagopal Reddy
Dabbala Rajagopal Reddy
@HLFF, Christian Flemming

Befragt nach seiner Zukunftsvision für KI sowohl als Forschungsdisziplin, als auch als zunehmender Teil unseres täglichen Technologieumfeldes, zeichnete Reddy drei Bilder – eines für die Richtung, welche die Betonung in “Künstliche Intelligenz” auf das erste Wort legt, eines für die Alternativinterpretation mit Schwerpunkt auf Intelligenz (welche er hierbei als “menschliche Intelligenz” interpretiert sehen will), und eines für denjenigen Zweig, der sich darauf konzentriert, dem Menschen in seinem Lebensumfeld mit mehr und mehr intelligenter Technologie zu versehen.

Damit nimmt er eine Teilung vor, wie sie sich auch historisch in drei verschiedenen KI-Schulen wiederfindet: Auf der einen Seite die Forschungsrichtung, welche sich damit beschäftigt, wie Computersysteme Intelligenz nach menschlichem Vorbild, basierend auf Menschen nachempfundenen Mechanismen an den Tag legen können (Vorreiter wären hier etwa Allen Newell und Herbert Simon). Mittendrin die zum Beispiel von Marvin Minsky und John McCarthy begründete Bewegung, welche sich vom menschlichen Vorbild lossagt und jegliche Art von Mechanismus und Methode zulässt, um Computerprogrammen scheinbar intelligentes Verhalten zu ermöglichen (wobei hier der Mensch nicht mehr als Vergleichsstandard herangezogen wird, also ebenfalls ein erweiterter Intelligenzbegriff zum Tragen kommt). Und auf der anderen Seite die jüngste Lesart der Begriffs “Künstliche Intelligenz”, nämlich als Verfügbarmachung datenverarbeitender Technologien für den Menschen in seinem täglichen Leben – quasi als Unterstützung und Upgrade der menschlichen Intelligenz.

Für die menschenähnliche Intelligenz sieht Reddy eine zweite Blüte voraus. War dieses Forschungsprogramm in den 1970ern noch sehr populär und stark vertreten, war es danach für einige Zeit (auch aufgrund ausbleibender Erfolge) sehr ruhig geworden. Inzwischen sind jedoch, nicht zuletzt durch den Aufschwung junger Disziplinen wie der Kognitionswissenschaft oder der Neurowissenschaft, vermehrt WissenschaftlerInnen dabei, zu den ursprünglichen Ideen und Konzepten zurückzukehren, diese neu zu interpretieren, und auch neue Ansätze und Sichtweisen, beispielsweise in die Forschung an kognitiven Systemen oder in die Computational Neuroscience, einzubringen.

Und ebenso bezüglich der “generell intelligenten” Programme ist er frohen Mutes: Zwar sei noch ein langer Weg zurückzulegen, dennoch zeigten aber Systeme wie IBMs Jeopardy!-spielender Watson, dass die stetige Erhöhung der verfügbaren Rechenleistung und Speicherkapazität moderner Systeme, gepaart mit theoretischen und konzeptuellen Fortschritten auf Seiten der Algorithmen und Programmiermethoden, gegenwärtige Computer in die Lage versetzt, Aufgaben erfolgreich zu bewältigen, welche noch vor etwas mehr als einem Jahrzehnt als unlösbar gegolten hatten.

Wirklich begeistert war der Turing Preisträger des Jahres 1994 aber hinsichtlich der dritten Richtung: Reddy verfolgt gespannt und mit großen Erwartungen die Entwicklung und Integration immer mehr für den Lebensalltag zugeschnittener Unterstützungssysteme für den Menschen. Von dem in Apples letztem iPhone integrierten Softwareagenten Siri, welcher es erlaubt, das iPhone zum größten Teil per Sprachkommando zu bedienen, über “intelligente” Haussteuerungen, welche unter anderem die Erstellung energieeffizienter Heiz- und Beleuchtungspläne ermöglichen, bis hin zu digitalen Museumsführungen via spezieller Erweiterter Realität-Brillen (dem Vorbild von Google Glass folgend) – diese Rechnerallgegenwart ist es, welche Reddy als technischen Durchbruch des beginnenden 21. Jahrhunderts betrachtet. Begeistert erzählt er von der Idee, alle als UNESCO-Welterbe ausgewiesenen Gebäude und Landschaften per digitaler Führung zugänglich zu machen, sei es als vor Ort verfügbare Zusatzinformationen, oder als komplett digitalisierte Erfahrung, welche losgelöst vom aktuellen Standort des Nutzers zugänglich ist. Angesprochen auf mögliche Gefahren und Nachteile der Vernetzung lächelt er: Anders als viele Zeitgenossen, welche gerade angesichts der allgegenwärtigen Rechner und des uneingeschränkten Datenaustausches Bedenken anmelden, sieht er der digital erweiterten Zukunft mit großen Hoffnungen entgegen.


D. R. Reddy erhielt 1994 (gemeinsam mit Edward Feigenbaum) den Turing Award in Anerkennung seiner richtungsweisenden Leistungen im Forschungsgebiet der Künstlichen Intelligenz (KI). Nach bahnbrechenden Ergebnissen im Bereich der Erkennung und Verarbeitung natürlicher Sprache, war er Ende der 1970er Gründungsvater des heute weltbekannten Robotikinstituts der Carnegie Mellon University in Pittsburgh, PA (USA), sowie Mitbegründer und etwas später Präsident der heutigen Association for the Advancement of Artificial Intelligence (TB: deutsch “Vereinigung zur Weiterentwicklung der Künstlichen Intelligenz”), einer weltweiten KI-Organisation mit mehr als 6000 Mitgliedern. Heute beschäftigt sich Reddy schwerpunktmäßig unter anderem mit Problemen der Mensch-Maschine-Interaktion, Methoden und Technologien für digitale Onlinebibliotheken, und sozialen Fragen rund um Kommunikationstechnologie und das Internet.

Avatar photo

arbeitet als PostDoc zu verschiedenen Themen aus dem Dunstkreis "Künstliche Intelligenz und Künstliche Kreativität" am Institut für Kognitionswissenschaft der Universität Osnabrück. Vor seiner Promotion in Kognitionswissenschaft hatte er Mathematik mit Nebenfach Informatik studiert, und ein einjähriges Intermezzo als "Logic Year"-Gaststudent an der Universität Amsterdam verbracht. Neben seiner eigentlichen Forschungsarbeit engagiert er sich als Wissenschaftskommunikator (zweiter Gewinner des 2013er Falling Walls Lab "Young Innovator of the Year"-Preises), Mitveranstalter von Wissenschaftsevents und gelegentlicher Autor des Analogia-SciLogs-Blog tätig.

1 comment

  1. Der Siegeszug der Gadgets und mobilen, bald schon täglich in der Hosentasche, auf dem Gesicht oder in den Schuhen herumgetragenen Geräte eröffnet tatsächlich ein fast unendlich grosses Feld für intelligente Assistenten. Assistenten, die beispielsweise die Umgebung in der man sich gerade befindet besser kennen als man selbst und die aufgrund des Wissens über die Person, die den Dienst benötigt dasjenige an Information liefert, das den Gadgetbesiter wirklich interessiert. Ein Botanikinteressierter wird also Auskunft über die Pflanze erhalten, an der er gerade im Wald oder Feld vorbeiläuft und die er etwas länger anschaut, was das System als Aufforderung interpretiert Informationen zu dieser Pflanze zu lieferen. Jemand anderer erhält Informationen zu dem historischen Gebäude vor dem er gerade steht. Alles aber so unaufdringlich, dass es nicht stört, sondern als echte Hilfe und Bereicherung empfunden wird. Solche Assistenzdienste können als AI-Probleme sehr einfach aber auch äusserst schwierig zu implementieren sein. Aus der Sicht des Benutzers spielt das keine Rolle. Für ihn sollte der Assisten einfach helfen. Wie er das macht will der Benutzer gar nicht wissen. Damit werden Assistenten im Alltag des Benutzers die Rolle einnehmen, die früher zur Zeit der Aristokraten ein gut ausgebildeter Butler übernahm, der dem Herrn oder der Dame des Hauses die Wünsche von den Augen ablas und ihm oder ihr die unangenehmen Dinge vom Hals hielt und ihr oder ihn im richtigen Moment auf eine kritische Begegnung durch Zusatzinformationen den Rücken stärkte

Leave a Reply


E-Mail-Benachrichtigung bei weiteren Kommentaren.
-- Auch möglich: Abo ohne Kommentar. +