Frauen in der Informatik 1/2: Jenseits des bloßen Programmierens

Vor 1995 hatte der Fachbereich Informatik der Carnegie Mellon University (CMU) in Pittsburgh, trotz einem der prestigeträchtigsten Informatik-Studiengänge der USA, recht traurige Zahlen, was die Zulassung und die Studienabschlüsse von Studentinnen betraf: eine einstellige Prozentzahl bei den Zulassungen zum Studium, und von diesen vergleichsweise wenigen Studentinnen wechselten dann auch noch viele während der Studienjahre zu anderen Fächern. Ab den frühen 2000er Jahren änderten sich diese Zahlen ganz massiv: 40% Studienanfängerinnen in Informatik, und fast alle davon machten in diesem Fach dann auch ihren Abschluss. Was war passiert?

Bei der Antwort spielt sowohl Raj Reddy eine Rolle, Dekan der School of Computer Science von 1991 bis 1999 (und seinerseits ein Turing-Preisträger, der 2013 auch beim ersten HLF dabei war) als auch Lenore Blum, Lehrstuhlinhaberin (Distinguished Professor) für Informatik an der Carnegie Mellon University, die beim diesjährigen HLF dabei ist (zusammen mit ihrem Ehemann, dem Turing-Preisträger Manuel Blum). Am Montag hielt Lenore beim HLF einen Vortrag zum Thema Alan Turing’s influence on “the other theory of computation” (sprich: zu Turings weit weniger bekannten Beiträgen zu numerischen Rechnungen). Bei der kurzen Einführung vor dem Vortrag hatte es am Rande geheißen, sie sei involviert in einem der in punkto Gleichstellung erfolgreichsten Informatik-Studiengänge. Das hat mich neugierig gemacht; am nächsten Tag konnte ich sie dann ausführlich zu diesem Thema interviewen.

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Lenore Blum bei ihrem Vortrag auf dem HLF am Montag. © HLFF / C. Flemming­ – Alle Rechte vorbehalten 2015

Noch einmal: Was war da passiert? Einiges hatte sich geändert, anderes nicht, und die Kombination hatte die Umgangsformen und das Selbstverständnis der Informatiker an der CMU komplett verwandelt – in einer Weise, die für jeden von Interesse sein sollte, der daran interessiert ist, geschlechtergerechte Studienbedingungen in Mathematik, Informatik, Natur- oder Technikwissenschaften (MINT-Fächer) zu schaffen.

Den Anfang hatten zwischen 1995 und 1999 die Sozialwissenschaftlerin Jane Margolis und der Informatiker Allan Fisher gemacht (Fisher seinerseits Vize-Dekan [associate dean] für das Grundsstudium). Die beiden hatten die Interessen, Motivationen und Erfahrungen von Informatik-Studierenden an der CMU untersucht, und dabei insbesondere versucht herauszufinden, wo die Unterschiede lagen. Was machte das Studium für die Studentinnen offenbar deutlich problematischer als für ihre männlichen Kommilitonen? Ihre Ergebnisse veröffentlichten Margolis und Fisher 2001 in dem Buch “Unlocking the Clubhouse: Women in Computing”.

Wann bietet ein Informatikstudium Studentinnen faire Bedingungen? Das fängt eigentlich noch vor dem Studium selbst an; eine Reihe von Problemen ergeben sich nämlich direkt, wenn sich von vornherein nur extrem wenige Frauen um Informatik-Studienplätze bewerben.

Wie ermutigt man Frauen, sich zu bewerben?

Was die Bewerbungen angeht, gab es im Falle der CMU-Informatiker einen glücklichen Zufall. In den USA gibt es sogenannte advanced placement programs (AP) in Informatik, aber auch in anderen Fächern – dort haben Schüler/innen die Möglichkeit, in ihren Schulen Kurse auf Universitätsniveau zu belegen und entsprechende Examina abzulegen. Wer bei diesen Examina sehr gut abschneidet, bekommt die Kurse bei zahlreichen Colleges und Universitäten als Studienleistung angerechnet.

Zu jener Zeit, Mitte der 1990er Jahre, war das Informatik-AP-Programm sehr programmierzentriert. Das bedeutete aber auch: In dem Maße, wie in der Informatik nacheinander verschiedene Programmiersprachen wichtig wurden, mussten sich die AP-Programme anpassen. Für das Jahr 1999 war der Übergang von Pascal auf C++ angesetzt (das wiederum 2003 durch Java ersetzt wurde).

In Vorbereitung des Programmiersprachenwechsels schrieb die National Science Foundation, die staatliche Forschungsförderungsbehörde in den USA, Unterstützung für Fortbildungen aus, in denen Lehrer mit der neuen AP-Standardprogrammiersprache vertraut gemacht werden sollten. Allan Fisher wurde klar, dass dies eine Möglichkeit wäre, vielen Lehrern gleichzeitig zu vermitteln, wie man Schülerinnen zum Informatikstudium motiviert – nämlich indem man ihnen zeigt, wie vielfältig die Informatik ist und sie, entsprechendes allgemeines naturwissenschaftliches Interesse vorausgesetzt, ermutigt, sich zu bewerben. In insgesamt sechs einwöchigen Sommer-Fortbildungen, je zwei in den Jahren ’96, ’97 und ’98, vermittelten Fisher und seine Kollegen den Teilnehmer/innen nicht nur C++ – aber eben noch mehr. Die Folgen waren spürbar: Hatte sich von den entsprechenden Schulen aus 1995 noch keine einzige Schülerin beworben, stellten dieselben Schulen 1999 ganze 18% der weiblichen Bewerber für ein Informatikstudium an der CMU. Als Blum, die 1999 an die CMU kam, die entsprechenden Studentinnen befragte, bekam sie häufig zu hören, die Bewerbung sei damals eher auf gut Glück gewesen, ermutigt durch ihre(n) Lehrer. Offenbar hatten die Sommerkurse etwas bewirkt.

Wie bekommen wir die Vordenker der Zukunft?

In Deutschland ist es selbstverständlich, dass man sich um einen Studienplatz in einem bestimmten Fach bewirbt. In den USA ist die CMU mit diesem Bewerbungsmodus eine Ausnahme – aber gerade das ermöglicht es den Informatikern, ihre Bewerbungskriterien gezielt zu formulieren.

Bis 1995 hatten in den Informatik-Bewerbungskriterien an der CMU die zum Bewerbungszeitraum bereits vorhandenen Programmierfähigkeiten die Hauptrolle gespielt. Das verstärkte geschlechterspezifische Trends, denn in einer Gesellschaft, wo Jungs eher als Mädchen ermutigt werden, an Computern herumzubasten und zu programmieren, und dies dann auch von vergleichsweise jungem Alter an tun, bekommt man mit diesem Kriterium natürlich auch vor allem männliche Studienanfänger, und wenn wir ehrlich sind: eher typische Nerds.

Um 1995 herum schlug Raj Reddy, seit 1991 Dekan der School of Computer Science, vor, Carnegie Mellon sollte seine Ziele höher stecken. Wie, fragte er, könnte man nicht nur die Programmierer, sondern die Vordenker der Zukunft heranziehen? Gegeben die immer größere Wichtigkeit von Computern in allen Wissenschaftsbereichen: Wie konnte man diejenigen flexiblen Denker gewinnen, die sich dann die für die nächsten Jahre entscheidenden Anwendungen ausdenken würden?

Zur gleichen Zeit machte sich Allan Fischer für gender-gerechtere Zulassungkriterien stark, bei denen bereits vorhandene Programmierkenntnisse ihre Hauptrolle verlieren sollten.

Ausbalancierte Zulassungskriterien

Wie sich herausstellte, passten diese beiden Zielsetzungen sehr gut zueinander. Die Zulassungsstelle der CMU begann, ein neues System auszuarbeiten, in dem nicht-akademische Faktoren wie Leistungen außerhalb der Schule und Sozialbewusstsein einen höheren Stellenwert bekamen. Das Idealbild für Informatikstudierende an der CMU änderte sich vom lebenslangen IT-Bastler und Jungprogrammierer zu solchen Kandidaten, die einen breiteren Horizont hatten, natürlich immer noch sehr gut in Mathematik und den wissenschaftlichen Fächern waren, aber mit durchaus weit gefächerten Interessen. Die Zulassungsstelle begann außerdem, auf eine vielfältigere Zusammensetzung der Studienanfänger zu achten – repräsentativer für die verschiedenen Bevölkerungsgruppe, die Computertechnik und Software-Entwicklungen schließlich nutzen würden.

Für diejenigen, die ohne größere vorherige Programmiererfahrung zum Studium zugelassen wurden, gab es ein intensives Semester programmiertechnischer Grundausbildung; bis zum zweiten Jahr, so das Ziel, sollten alle ungefähr auf demselben Niveau sein.

Die neuen Zulassungskriterien hatten eine positive Auswirkung nicht nur auf die Anzahl der Frauen, die sich bewarben, sondern auf die Gesamtanzahl der Bewerbungen: von 1484 im Jahre 1995 bis zu 3237 im Jahre 2001 (inzwischen, 2014, sind es mehr als 6000). Im gleichen Zeitraum stieg der Prozentsatz an weiblichen Bewerbern, die zum Studium zugelassen wurden, von 34% auf 36%.

Blum ist es wichtig zu betonen, dass sich eine Sache jedenfalls nicht geändert habe: Das Informatik-Programm an der CMU blieb und bleibt eines der anspruchvollsten im Land – insbesondere das strenge und fordernde “Boot Camp”, in dem zu Studienanfang die Grundkenntnisse erarbeitet werden. Das war den CMU-Informatikern von vornherein klar: Ihre Standards würden sie nicht senken dürfen; sonst würde ihr Studiengang rapide an Ansehen verlieren. Die neuen Zulassungskriterien funktionieren nur deswegen, weil diejenigen, die zugelassen werden, den Anforderungen nach wie vor gewachsen sind. Der Unterschied ist dass es insgesamt eine vielfältigere Gruppe von Studierenden ist, die das Programm durchlaufen.

Keine rosafarbene Informatik

Eine der Empfehlungen, die sich aus der Forschung von Margolis und Fisher ergab, hat die School of Computer Science allerdings nicht umgesetzt. Aus ihren Interviews hatten Margolis/Fisher deutlich verschiedene Einstellungen weiblicher und männlicher Studierender zu Computern abgeleitet: die Männer seien vor allem am Faszinationsobjekt Computer selbst interessiert, die Frauen würden Computer vor allem als Werkzeuge betrachten. Bedeutete dies, ein geschlechtergerechter Studiengang würde seine Schwerpunkte von den Grundlagen zu den Anwendungen verschieben müssen?

Blum nennt eine solche Lösung “rosafarbene Informatik” und erzählt, dass die CMU genau dies nicht tat. Stattdessen ging sie, als sie 1999 an die CMU kam einen anderen Weg. Denn da war noch etwas wichtigeres, was geändert werden musste.

Weiter geht es (bald!) mit Frauen in der Informatik 2/2: Kulturwechsel

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Markus Pössel hatte bereits während des Physikstudiums an der Universität Hamburg gemerkt: Die Herausforderung, physikalische Themen so aufzuarbeiten und darzustellen, dass sie auch für Nichtphysiker verständlich werden, war für ihn mindestens ebenso interessant wie die eigentliche Forschungsarbeit. Nach seiner Promotion am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Potsdam blieb er dem Institut als "Outreach scientist" erhalten, war während des Einsteinjahres 2005 an verschiedenen Ausstellungsprojekten beteiligt und schuf das Webportal Einstein Online. Ende 2007 wechselte er für ein Jahr zum World Science Festival in New York. Seit Anfang 2009 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, wo er das Haus der Astronomie leitet, ein Zentrum für astronomische Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, seit 2010 zudem Leiter der Öffentlichkeitsarbeit am Max-Planck-Institut für Astronomie und seit 2019 Direktor des am Haus der Astronomie ansässigen Office of Astronomy for Education der Internationalen Astronomischen Union. Jenseits seines "Day jobs" ist Pössel als Wissenschaftsautor sowie wissenschaftsjournalistisch unterwegs: hier auf den SciLogs, als Autor/Koautor mehrerer Bücher und vereinzelter Zeitungsartikel (zuletzt FAZ, Tagesspiegel) sowie mit Beiträgen für die Zeitschrift Sterne und Weltraum.

7 comments

  1. Die Zulassungsstelle begann außerdem, auf eine vielfältigere Zusammensetzung der Studienanfänger zu achten – repräsentativer für die verschiedenen Bevölkerungsgruppe, die Computertechnik und Software-Entwicklungen schließlich nutzen würden.

    Böse formuliert: Die Carnegie Mellon University hat im Bereich der hier gemeinten Formalwissenschaft sogenannte Positive Diskriminierung eingeführt

    Die neuen Zulassungskriterien hatten eine positive Auswirkung nicht nur auf die Anzahl der Frauen, die sich bewarben, sondern auf die Gesamtanzahl der Bewerbungen: von 1484 im Jahre 1995 bis zu 3237 im Jahre 2001 (inzwischen, 2014, sind es mehr als 6000).

    und freut sich über (den zu erwartenden) Erfolg.

    MFG
    Dr. W (der hier – ‘die Männer seien vor allem am Faszinationsobjekt Computer selbst interessiert, die Frauen würden Computer vor allem als Werkzeuge betrachten’ – nichts anderes als Stereotypisierung festzustellen hat; selbst natürlich nur das benannte Gerät als Instrument betrachtet, wie es wohl auch viele andere Bären tun, selbst “un-fasziniert” bleibt)

  2. Da einfach das Etikett “positive Diskriminierung” dranzuklatschen, greift zu kurz. Die Zahlen sind Gesamtzahlen – schaut man genauer hin, haben sich mit der Zeit deutlich mehr Männer beworben als ursprünglich, 2001 mehr als doppelt so viele wie 1995.

  3. Ändert ja nüscht daran, dass die ‘Vielfältigere Zusammensetzung’ als Merkmal nicht anders verstanden werden kann, als die Eignung meinend zurückbauend.
    Korrekt bleibt natürlich, dass bspw. Sportsmen seit eh und je auch von dieser Institution durchgepflegt worden sind und dass letztlich bei dieser privaten Veranstaltung mit wissenschaftlichem Anspruch der unternehmerische Erfolg nicht vom angeblich promovierten Erfolg zu trennen ist.

    Gut muss dies aber nicht gefunden werden!

    MFG
    Dr. W

    • Ich halte es ganz allgemein für sinnvoll, nach denjenigen Fähigkeiten und Qualifikationen auszuwählen, die man im Studium nicht ebenmal so antrainieren kann, als nach solchen Fähigkeiten (wie eben Programmierkenntnissen), die man, falls sie fehlen, locker nachholen kann. Insofern kann ich mir durchaus vorstellen, dass die neuen Kriterien die Eignung (alle Wirkungen eingeschlossen) deutlich besser abbilden als die alten.

  4. Programmieren bleibt eine Kernkompetenz in der Informatik. Falsch ist allerdings die Fixierung auf eine Programmiersprache. In Wirklichkeit sind die allen Programmiersprachen zugrundeliegenden Konzepte und Paradigmen essentiell, mit Paradigmen wie imperativer, funktioneller und deklarativer Programmierung. Nicht wenige Leute, die mit C++ aufwuchsen oder mit Java haben Schwierigkeiten eine andere Programmiersprache zu verstehen, was zeigt, dass ihnen entweder die Begabung fehlt oder dass sie nicht wirklich verstanden haben um was es in der Programmierung geht.
    Wenn die CMU also nicht mehr eine bestimmte Programmiersprache in den Mittelpunkt stellt, hat sie zweifellos richtig gehandelt. Eine grosse Rolle beim Erfolg des CMU-Programms hat sicher auch der Pragmatismus gespielt, der sich in folgendem widerspiegelt:

    Für diejenigen, die ohne größere vorherige Programmiererfahrung zum Studium zugelassen wurden, gab es ein intensives Semester programmiertechnischer Grundausbildung; bis zum zweiten Jahr, so das Ziel, sollten alle ungefähr auf demselben Niveau sein.

    • Kernkompetenz ist es natürlich – und wird dort auch im Boot Camp kräftig gelehrt. Nur als Haupt-Auswahlkriterium ist es vorangehende Programmiererfahrung eben nicht so aussagekräftig.

      • Danke für den Hinweis. Vorbestehende Programmierkenntnisse als Haupt-Auswahlkriterium für das Informatikstudiumm zu nehmen, war schon immer falsch und wird in Europa wohl weniger vorgekommen sein aks in den USA.

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