Frühste Indikatoren für hohe Begabung

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Intelligenz, Sonntagskinder und Schulversager
Hochbegabung

Das Jahr ist noch jung: Wir haben Januar! Ein geeigneter Anlass, sich zur frühen Zeit des Jahres den so genannten Forschern in Windeln zu widmen, den Kindern in noch jungen Monaten. Die Erforschung des Säuglings und Kleinkindes hat immenses Wissen hervorgebracht, sei es Entropie in Küche und Spielzimmer im Hause Dahlem, sei es Rasselgeräusch und Kuscheltier in der Babywiege. Vieles davon wird in unterschiedliche Zusammenhänge gebracht und so auch in den Zusammenhang mit Begabung und Hochbegabung.

Im Folgenden möchte ich eine Untersuchung aus den 80er-Jahren vorstellen, geleitet von Marc Bornstein, einem namhaften us-amerikanischen Forscher in der Entwicklungspsychologie. In dieser Untersuchung wurden Säuglingen im Alter von 3 bis 5 Monaten unterschiedliche Reize dargeboten, die sich am besten anhand der Art der Darbietung – akustisch oder visuell – aufteilen lassen. Beobachtet wurden nun die Reaktionen der kleinen Forscher: Nach Darbietung der freundlichen Reize wurde erfasst, wie lange die Säuglinge bei den Reizen verweilten. Die Reize wurden wiederholt dargeboten, bis die Babys sie nicht mehr beachteten. Diese Nicht-Beachtung wurde interpretiert als Habitualisierung, deren Grundlage in der Musterspeicherung des Stimulus besteht: Wenn bekannt, nicht mehr „interessant“! Somit wurden einfache Mustererkennungsprozesse durchgeführt: Wenn Säuglinge Reize mehr als einmal wahrgenommen haben, können sie dies wiedererkennen; somit haben sie Muster entwickelt, die ihnen bei der Beurteilung helfen, ob etwas gleich oder ungleich ist.

Sobald aber ein neuer Reiz dargeboten wurde, verweilten die Säuglinge signifikant länger bei denselben. Das Neue am Reiz führte zu einer Erhöhung der Aufmerksamkeitslenkung, was gleichbedeutend mit der Erkenntnis ist, dass hier etwas Unbekanntes (ergo kein vorhandenes Muster) zu verarbeiten ist. Der anhaltende Detektionsprozess führt zum notwendigen Schritt, denn die gespeicherten Muster passen nicht, sie müssen eben erweitert werden. Wurde der neue Reiz häufiger gezeigt, kam es wieder zur Habitualisierung – und es erfolgte keine Beachtung mehr.

Zugegeben: Wir betrachten hier einen sehr einfachen Prozess der Entwicklung, Speicherung und Erkennung von akustischen und visuellen Mustern oder Schemata. Und doch lässt sich anhand dieser Daten eine Vorhersage für die Entwicklung sprachlicher Intelligenz leisten – faszinierend! Fast ein kleiner IQ-Test, auch wenn dies sehr reduktionistisch klingt! Bornstein konnte nachweisen, dass diejenigen Kinder, die schneller bei wiederholter Reizdarbietung habituierten, im Altersbereich von 2 bis 5 Jahren signifikant bessere sprachliche Leistungen erbringen konnten. Wenn ein Säugling schneller als die anderen erkennen konnte, dass ein Stimulus gleich war, so befähigt ihn dies anscheinend, sich verbal-akustischen Reizkonstellationen erfolgreicher zu stellen. Banal, aber Grundlage von Lernen.

 

Texte von Bornstein:

Tamis-LeMonda & Bornstein (1989). Habituation and maternal encouragement of attention in infancy as predictors of toddler language, play, and representational competence. Child Development, 60.

Bornstein & Sigman (1987). Continuity in mental development from infancy. In: Oates & Sheldon: Cognitive development in infancy.

Bornstein & Tamis-LeMonda (1994). Antecedents of information-processing skills in infants. Infant Behavior & Development, 17.

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Veröffentlicht von

Götz Müller ist Diplom-Psychologe, Psychologischer Psychotherapeut und Leiter des Instituts für Kognitive Verhaltenstherapie (IKVT). Er arbeitet beratend und diagnostisch mit Familien hoch begabter Kinder und Jugendlicher. In der psychotherapeutischen Arbeit beschäftigt er sich schwerpunktmäßig mit dem Underachievement bei Hochbegabten, hier insbesondere bei Jugendlichen.

4 Kommentare

  1. Signifikant besser => Hohe Begabung?

    Alles geht hier ein bisschen schnell, auch die Schlussfolgerung: Wenn Säuglinge im Alter von 3 bis 5 Monaten sich “cleverer” verhalten und dann im Alter von 2 bis 5 Jahren signifikant bessere Sprachleistungen zeigen, sind sie dann schon hochbegabt?

    Wenn sie so viel wissen über Marc Bornstein und seine Forschungen sind sie dazu aufgefordert, den Wikipedia-Artikel Mark H.Bornstein, zu ergänzen oder Links zum Bornstein-Artikel an anderen Stellen einzufügen, denn This article is an orphan, as few or no other articles link to it. Please introduce links to this page from related articles; suggestions may be available.

  2. @ Martin Holzherr

    Ad 1: Schnelle Schlussfolgerung ist nicht angedacht – langsame schon: In dieser Studie wird von Werten in sprachlichen Fähigkeiten gesprochen. Wenn Sie mehr Bornstein lesen wollen, wird es dann komplexer – somit:
    Ad 2: Bornstein ist sicherlich im Netz zu finden, wenn Sie ihm folgen wollen. Ich habe noch gute, alte Papierlektüre, die ich oben eingefügt habe, damit der Waise seine Eltern findet.

  3. Habituation

    Per Google > Fetuses have memories, Rachel Rettner, finden Sie einen Beitrag in dem gezeigt wird dass bereits Feten sich an gleichartige Reize gewöhnen (Habituation, Adaption)(Forschungsarbeit von Prof. Dr. Jan G. Nijhuis).
    Dies zeigt allerdings nur, dass ein Gedächtnis vorhanden ist und gespeicherte Gedächtnisinhalte im Vergleich zum aktuellen Erleben verarbeitet werden.

    Die Annahme, dass dies ein Indikator für spätere Begabung sei, sollte man davon nicht ableiten.

  4. Experiment-Parameter

    Werden Feten im Mutterbauch mit Frauenstimmen beschallt, so zeigen sie im 7. Monat unterschiedliche Reaktionen – je nachdem ob die Stimme von der eigenen Mutter oder von einer fremden Frau stammt.

    Unterschiedliche Vokale können sie aber erst ab der 34. Woche unterscheiden.

    Diese beiden Beispiele zeigen zeitliche Unterschiede auf, welche manche Experiment-Parameter und Ergebnisse fragwürdig erscheinen lassen.

    In diesem Zusammenhang sei auch auf den Schreitreflex von Babys hingewiesen: Hält man ein Baby so, dass die Füße gerade noch den Tisch berühren können, dann beginnt es zu schreiten. Nach ein paar Wochen verliert sich dieser Reflex – dachte man jahrzehntelang; bis eine Forscherin auf die Idee kam, die Babys in ein Becken mit warmem Wasser zu halten: die Babys begannen zu schreiten. D.h. Experimentparameter beeinflussen das Ergebnis massiv.

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