Ich hab’ dich doch gelobt

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Intelligenz, Sonntagskinder und Schulversager
Hochbegabung

In mancherlei Hinsicht sind Hochbegabte eine Paradebeispiel für Motivation. Haben sie ein Ziel, welches sie erreichen wollen, verlieren sie es kaum aus dem Auge und streben intensiv nach der Erreichung des Zieles. In anderen Fällen aber scheinen Hochbegabte kaum motiviert zu sein, wenn offenkundig oder vermeintlich der Sinn oder Zweck dessen, was anzustreben ist, nicht nachvollziehbar scheint.

Herausgreifen möchte ich einen kleinen Aspekt, der, da wir als Umweltfaktoren dazu beitragen, den motivationalen Prozess zu fördern (oder zu hemmen), in den Bereich der Erziehung hineinfällt: Lob. Mittels Wertschätzung teilen wir unseren Kindern mit, was wir von ihnen (genauer: ihren Handlungen) halten. Für Heranwachsende wird somit die grundlegende Kopplung von Leistungen (die sie erbracht haben) mit unserer Wertschätzung erstellt: Handeln sie so, wie wir es erwarten oder hoffen, ernten sie Anerkennung und persönliche Wertschätzung. Letztere hat immense Bedeutung, wenn die Kinder in einem noch abhängigen Alter sind, in welchem also Bindung elementare Bedeutung fürs Überleben hat. Werden sie älter, so steigt das Bedürfnis nach Autonomie und Selbstwert, was eine Verlagerung des Fokus auf Leistungen nach sich zieht.

Nun sind Hochbegabte durchaus auf Autonomie bedacht, manche, sobald sie das Licht der Welt erblicken, manche ein wenig später. Sie entwickeln – wie alle – eine innere Leistungsnorm, die sie in der Entwicklung stetig adaptieren. Hier werden Anstrengung während und Ergebnis der Handlung miteinander verglichen, so dass im Laufe der Zeit ein Selbstbild erstellt wird, welches zu Beginn global ist, in Interaktion mit der Umwelt dann aber domänenspezifisch ausdifferenziert wird.

In einem Selbstbild (nicht zu verwechseln mit Selbstwertgefühl oder -erleben) finden sich Konzeptionen über die eigenen Fähigkeiten und Eigenschaften wieder. Bezogen auf Leistungen lässt sich herausziehen, dass Hochbegabte infolge gemachter Erfahrungen und gedanklicher Vorstellungen ein Bild von ihrer Leistungsfähigkeit haben, zu der Anstrengung und Ergebnis (s.o.) gehören. Dabei sind in der Regel für altersgemäße Aufgaben (im Alltag, Spiel, Kindergarten und Schule) im Ergebnis mindestens gleich oder besser – bei deutlich niedriger Anstrengung. Das hält nicht nur das Selbstwertgefühl hoch, sondern auch den Anspruch auf entsprechende Bilanzen (Entweder „Gleiches Ergebnis, aber weniger tun“ oder „Besseres Ergebnis bei gleichem Aufwand“). So weit, so gut.

 

Wechseln wir kurz zu einer kleinen Rechenaufgabe: Addieren Sie zum Vierfachen von 12 bitte 6 dazu und teilen Sie das Ergebnis durch 6.

Als sprachliche Alternative bitte ich um die Beantwortung folgender Aufgabe: Wenn Haus und Treppe zusammengehören, was passt dann zu Fluss? Fähre, Floß oder Furt?

 

Welche Zahl haben Sie erhalten? Welche Antwort haben Sie gewählt? Das ist letzlich gleich. Jedenfalls haben Sie das ganz toll gemacht, wirklich großartig. Ihre Eltern können stolz auf Sie sein. Bedenkt man allein, dass der letzte Tag des Jahres gekommen ist und Sie von den Feiertagen so erschöpft sind …

Sollten Sie „anstrengungsfrei“ zur Lösung gekommen sein, könnten Sie mein Lob überhaupt nicht positiv aufnehmen. „Inverse Power of Praise“ liegt dann vor, wenn wir für etwas gelobt werden, was für uns selbstverständlich scheint – selbstverständlich in Bezug auf das Verhältnis von Anstrengung und Ergebnis. Lob führt in diesem Falle dazu, dass wir dies als Abwertung erleben (können). Bei Hochbegabten könnte das also häufiger vorkommen.

Wie gesagt: Werde ich für (aus meiner Sicht) Handlungsergebnisse gelobt, die keine Anstrengung beinhaltet haben, so dient mir dies in jüngeren Jahren für das Erleben von Bindung, was entwicklungspsychologisch auch sehr wichtig ist. Bin ich älter und somit stärker an Autonomie und Selbstwerterleben interessiert, so wird das Lob gegenteilig aufgenommen, da es ja auch nichts zu loben gibt. Implizit wird durch das Lob ausgesprochen, nicht leistungsfähig und damit auch eingeschränkt autonom zu sein. Im Alter der Heranwachsenden kann dies ein wunderschönes Minenfeld sein, in welches man sich begibt: Man lobt, aber erhält wohl kaum etwas zurück.

Als einen möglichen Vorsatz für das kommende Jahr möchte ich daher vorschlagen, mit Lob (und insbesondere mit verbaler Wertschätzung) bei Ihrem Hochbegabten sparsam und gut portioniert umzugehen. Nutzen Sie bei „kleineren“ Handlungen ein Augenzwinkern, einen gezeigten Daumen oder den leichten Rempler mit dem Arm zur Bestätigung, dass Sie wohlwollend Kenntnis genommen haben. Sprechen Sie nur dann Lob aus, wenn die Anstrengung eine besondere war – diese sollte gewürdigt werden. Das Ergebnis darf auch bedacht sein, aber das lieber sekundär.

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Veröffentlicht von

Götz Müller ist Diplom-Psychologe, Psychologischer Psychotherapeut und Leiter des Instituts für Kognitive Verhaltenstherapie (IKVT). Er arbeitet beratend und diagnostisch mit Familien hoch begabter Kinder und Jugendlicher. In der psychotherapeutischen Arbeit beschäftigt er sich schwerpunktmäßig mit dem Underachievement bei Hochbegabten, hier insbesondere bei Jugendlichen.

3 Kommentare

  1. Verallgemeinert sagt dieser Beitrag, dass die Reaktion auf eine Leistung immer die Person des Leistenden – vor allem seine Leistungsfähigkeit – berücksichtigen muss.
    So formuliert gilt das für jede Form der Förderung – ob sie nun Hochbegabten oder Normalbegabten zugute kommt.
    Dieser Beitrag wäre somit wieder einmal ein Beispiel für das Problem, dass viele nicht mit dem Aussergewöhnlichen umgehen können. Man macht zuoft den Durchschnitt zum Masstab.

  2. Als einen möglichen Vorsatz für das kommende Jahr möchte ich daher vorschlagen, mit Lob (und insbesondere mit verbaler Wertschätzung) bei Ihrem Hochbegabten sparsam und gut portioniert umzugehen.

    Anderer Vorschlag: Weiterhin die Nachwachsenden kräftig loben, aber auch knallhart Kritik äußern.
    MFG + ein gutes Neues!
    Dr. W

  3. Vielen Dank für den Artikel!
    Ich habe mich mein (fast) ganzes Leben nicht als Hochbegabt eingestuft und komme nun erst langsam zu der Erkenntnis, dass ich das wahrscheinlich bin. Ihren Artikel fand ich in Bezug darauf sehr erhellend, weil ich (fast) immer mehr oder weniger genervt/irritiert auf Lob reagiere, das meine Umwelt in aufwertender Absicht mir gegenüber äussert. Ich kann Ihren Ausführungen nur zustimmen, dass ich es so empfinde, dass ich für etwas Banales, Selbstverständliches so gelobt werde, als wäre es eine ausserordentliche Leistung, die es für mich aber nicht ist. Für die anderen aber sehr wohl. Ich konnte mir diesen Unterschied bisher nicht genau erklären. Im Artikel habe ich nun einen möglichen Lösungsansatz für die Antwort gefunden.

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