Die Bringschuld der Klimaforscher

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In den späten 1970er und frühen 1980er Jahren, während meiner Schulzeit und meines Physikstudiums, war die Rolle des Naturwissenschaftlers in der Gesellschaft ein heißes Thema. Es war die Zeit des nuklearen Wettrüstens und der Anti-Atomkraft-Bewegung, der Debatten von Experten und Gegenexperten. Unter uns Physikstudenten wurde oft und leidenschaftlich darüber diskutiert, welches die korrekte Haltung eines Wissenschaftlers bei solchen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen sei. Wir diskutierten über Texte wie Brechts Leben des Galilei, Dürrenmatts Physiker und Kipphardts In der Sache J. Robert Oppenheimer. Diese Theaterstücke und Brechts böses Wort von den Wissenschaftlern als „Geschlecht erfinderischer Zwerge, die für alles gemietet werden können“ haben meine eigene Einstellung nachhaltig mit geformt.

Auch in meinen inzwischen beinahe zwanzig Berufsjahren in der Klimaforschung hat mich diese Diskussion stets begleitet. Unser Berufsstand steht im Rampenlicht der Öffentlichkeit und inmitten der politischen Diskussion, und natürlich wird abends bei einem Glas Wein unter Kollegen auch immer wieder unsere eigene Rolle reflektiert. Dabei haben sich für mich einige Grundprinzipien herauskristallisiert. Ich spreche im Folgenden zwar nur für mich, bin aber aufgrund vieler Gespräche überzeugt, dass das Gesagte auch von einer Mehrzahl der Kollegen weitgehend geteilt wird.

Der wichtigste Punkt ist der Folgende: Neben unserer eigentlichen Forschungsarbeit, die in der Regel in Fachpublikationen mündet, haben wir auch eine Bringschuld gegenüber der Öffentlichkeit. Sie besteht darin, die Ergebnisse unserer Arbeit auch der Öffentlichkeit so klar, verständlich, sachlich und neutral wie möglich zu erläutern, und auch auf den Informationsbedarf der Öffentlichkeit einzugehen. Die wissenschaftliche Wahrhaftigkeit muss dabei immer absoluten Vorrang haben vor politischer Opportunität oder allen sonstigen Erwägungen.

Mit „unsere Ergebnisse“ meine ich dabei nicht speziell nur die der eigenen Studien, sondern den breiteren Stand des Wissens in unserem Fachgebiet. Um ein konkretes Beispiel zu geben: Letztes Jahr habe ich in der Fachzeitschrift Science eine Studie publiziert, wonach der Meeresspiegel global bis zum Jahr 2100 um 50-140 cm ansteigen könnte. In meinen öffentlichen Vorträgen oder gegenüber den Medien sage ich aber nicht: „der Meeresspiegel wird 50-140 cm ansteigen“, sondern ich erläutere, dass die meisten anderen Studien (siehe den kürzlich erschienenen Klimabericht des UN-Gremiums IPCC) zu niedrigeren Zahlen kommen – mein eigenes Resultat ist nur eine Abschätzung unter vielen, die unterschiedliche methodische Stärken und Schwächen aufweisen und deren unterschiedliche Ergebnisse insgesamt eine noch große Unsicherheit bei der Prognose des Meeresspiegelanstiegs offenbaren. Es ist dieses breitere Bild der wissenschaftlichen Diskussion, nicht nur das eigene Resultat, das ein seriöser Forscher der Öffentlichkeit vermitteln wird.

Ein anderer, für mich klarer Punkt ist, dass man mit Ergebnissen erst dann an die breite Öffentlichkeit geht, wenn sie in der Fachliteratur publiziert worden sind. In den Monaten, in denen meine Studie längst fertig aber noch nicht erschienen war, habe ich sie in meinen öffentlichen Vorträgen nicht erwähnt, sondern nur die Zahlen der anderen Studien genannt. Manche Fachzeitschriften fordern diese Zurückhaltung sogar explizit, sie ist aber in jedem Falle eine gute Grundregel. Man sollte Ergebnisse erst sauber und nachprüfbar dokumentieren und damit auch der Kritik der Fachkollegen aussetzen, bevor man sie Laien präsentiert.

Doch wo hören die naturwissenschaftlichen Ergebnisse auf und Einschätzung oder Meinung beginnt? Dies ist eine schwierigere Frage, weil die Übergänge hier fließend sein können. Jeder Mensch, auch ein Forscher, darf natürlich seine Privatmeinung äußern. Es sollte aber für den Zuhörer erkennbar sein, wo er konkrete Forschungsergebnisse mitteilt, wo seine darüber hinaus gehende Einschätzung als Experte und Kenner der Fachliteratur beginnt, und wo er Meinungen zu Themen äußert, für die er gar kein Experte ist. Immer wieder fragen mich Journalisten, was meine Studie zum Meeresspiegel konkret für die deutschen Küsten bedeutet – da passe ich und vermittle sie an Küstenschutzexperten weiter, da ich selbst diese Frage noch nicht näher studiert habe.

In diesem Blog werden wir uns bemühen, uns zu Themen zu äußern, von denen wir auch etwas verstehen – und das Gesagte auch durch Links und Quellenangaben möglichst nachprüfbar und transparent zu machen. Das soll natürlich nicht bedeuten, dass wir uns nun im klassischen Expertentum strikt auf unser engstes eigenes Forschungsgebiet beschränken und keinen Blick über den Tellerrand wagen – dann könnten wir das Bloggen auch gleich sein lassen. Jeder von uns bringt vielfältige eigene Erfahrungen mit, und wir können Themen im weiteren Umfeld der Klimaforschung recherchieren und fachlich einschätzen. Ich selbst bin zum Beispiel Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats Globale Umweltveränderungen (WBGU) – das ist ein interdisziplinäres Arbeitsgremium, das intensiv die Fachliteratur zu allen möglichen Themen des „global change“ sichtet und diskutiert.

Wieso ein neuer deutscher Klima-Blog? Gibt es nicht schon zu allen erdenklichen Klimafragen eine Fülle von Informationen im Netz, zum Beispiel bei unserem Schwesterblog realclimate.org, und ist nicht Englisch die Sprache des Web und der Wissenschaft?

Schreibt man vor allem für Kollegen, so ist das sicher richtig. Viele Laien lesen aber ungern wissenschaftliche Texte auf Englisch, und auch diesen Lesern wollen wir ein Angebot machen. Und es gibt zum Klima auch manche spezifisch deutschen Diskussionen – etwa wenn es um die regionalen Auswirkungen des Klimawandels geht oder um Berichte in deutschen Medien. Zur Verantwortung eines Wissenschaftlers gehört es unseres Erachtens auch, dabei mitzuhelfen, dass die gesellschaftliche Diskussion über die Bedeutung des Klimawandels und mögliche Gegenmaßnahmen auf Basis korrekter Fakten abläuft. Konkret kann dies auch bedeuten, auf sachliche Fehler in Medienberichten hinzuweisen. Soweit die Themen international sind, werden wir gelegentlich auch Übersetzungen aus dem englischen Realclimate-blog präsentieren. Gastkommentare von Fachkollegen sind willkommen. Anregungen und Fragen von Lesern wollen wir gerne aufgreifen – soweit die Zeit erlaubt, denn die Forschung hat für uns Vorrang und erfordert viel Einsatz.

Letzte Woche hat Martin Visbeck sich bereits mit seiner Arbeit im Exzellenzcluster „Ozean der Zukunft“ vorgestellt. Daher hier noch ein paar Worte zu meiner eigenen Forschungsarbeit. Sie steht unter der Überschrift Aus der Klimageschichte lernen. Wir studieren in meiner Arbeitsgruppe die natürlichen Klimaveränderungen der Erdgeschichte, um die physikalischen Mechanismen im Klimasystem besser zu verstehen und zu quantifizieren.

Der Schwerpunkt lag dabei bislang auf dem Klima des Quartär – des großen Eiszeitalters, in dem unser Planet sich seit rund zweieinhalb Millionen Jahren befindet. Dabei haben uns zum Beispiel die Eiszeitzyklen beschäftigt – eine Computeranimation einer Klimasimulation der letzten Eiszeitzyklen kann man hier ansehen. Außerdem haben wir die abrupten Klimasprünge während der letzten Eiszeit analysiert – mehr dazu hier. Und wir versuchen einzugrenzen, wie sensibel das Klimasystem in der Vergangenheit auf Störungen des Strahlungshaushaltes reagiert hat – damit kann man die so genannte Klimasensitivität bestimmen.

Seit ihrer ersten Abschätzung durch den schwedischen Nobelpreisträger Svante Arrhenius im Jahr 1896 ist dies die wohl wichtigste Kennzahl des Klimasystems: sie besagt, wie stark die globale Temperatur bei einer Verdoppelung der CO2-Konzentration steigen wird. Arrhenius kam übrigens auf 4-6 ºC. Von den 13 im IPCC-Bericht gelisteten Studien zur Abschätzung der Klimasensitivität liefert unsere mit 4,3 ºC die niedrigste Obergrenze. Durch ein neues Verfahren unter Nutzung von Eiszeitdaten konnten wir eine größere Empfindlichkeit des Klimasystems weitgehend ausschließen.

Wer sich näher für meine Arbeit interessiert, findet viele Artikel für Laien und Fachleute auf meiner homepage.

Stefan Rahmstorf ist Klimatologe und Abteilungsleiter am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und Professor für Physik der Ozeane an der Universität Potsdam. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf Klimaänderungen in der Erdgeschichte und der Rolle der Ozeane im Klimageschehen.

10 Kommentare

  1. Glaubwürdigkeit

    Lieber Herr Rahmstorf, herzlich willkommen bei den Wissenslogs – und vielen Dank für die sehr reflektierten Ausführungen über die Rolle des Wissenschaftlers in Bezug auf Medien und Gesellschaft. Ich stimme Ihnen ausdrücklich zu: Je nachdem, was ihr Thema ist und wie medienaffin sie auftreten, stehen Forscher spätestens seit dem frühen 20. Jahrhundert im Rampenlicht. Schon ein Einstein konnte – bildlich gesprochen – an jedem neuen Tag seiner Berliner Zeit in irgendein Mikrofon sprechen, wenn er gewollt hätte. Da kommt man schon in Versuchung, sich über alles Mögliche zu äußern. Wissenschaftler sind aber gut beraten, der Öffentlichkeit auch die Grenzen der eigenen Kompetenz aufzuzeigen, wie Sie es ja auch fordern! Etwa indem sie den Leuten die Arbeiten der „Konkurrenz“ in Vorträgen oder Artikeln nicht vorenthalten – vor allem wenn diese zu anderen Ergebnissen kommen. Das ist übrigens nicht nur ein (eigentlich selbstverständliches) Gebot der Fairness und Transparenz. Wer als Wissenschaftler so auftritt, erhöht auch ungemein die eigene Glaubwürdigkeit. Spannend zu sehen, dass Sie und Ihre Kollegen nun auch die Möglichkeiten des Blogs nutzen, die eigenen Ansprüche einzulösen. Das könnte Schule machen!

  2. dorniger Weg

    Lieber Herr Rahmstorf,
    fein, was Sie da äußern! Die Seelenverwandtschaft kommt rüber. Mit dieser Ethik sind Sie sicher eine Bereicherung auch dieses Blogs.
    Sie wissen, dass ihr Weg dornig ist. Brecht lässt seinen Galilei den Satz von den Zwergen zwar erst sagen, nachdem der Physiker vor der drohenden körperlichen Pein eingeknickt ist. Heute zwingen keine Folterknechte mehr mit glühenden Zangen den Wissenschaftler zum Opportunismus. Die Zwänge sind subtiler, aber wie damals systemimmanent und ähnlich wirksam: Klickraten und Quoten in den Massenmedien bestimmen die Veröffentlichungsstrategien, das öffentliche Schaum- und Flügelschlagen dominiert das Fundraising.
    Bezogen auf das Bloggen im Allgemeinen und reflektiert auf unser Verhalten hier in WISSENSlogs könnte Ihr Beitrag gut ein Anstoß sein für einen Gedankenaustausch darüber, wie wir konkret mit diesem „neuen“ Medium umgehen. Vielleicht bietet sich am Samstag ja eine Möglichkeit.
    Herzlichst Werner Große

  3. Toller Beitrag!

    Lieber Herr Rahmstorf,

    ein toller Beitrag, der vielen hier aus der Seele spricht! Denn wichtig ist ja “beides”: Einerseits die Öffentlichkeit aktiv zu suchen, auch über neue Medien – was in vielen Fakultäten noch keinesfalls akzeptiert ist, da wird man als junger Kollege auch schon mal freundschaftlich “vor dem Reputationsverlust gewarnt. Und dann aber auch andererseits Versuchungen zu widerstehen, sich so sehr auch außerhalb der eigentlichen Kompetenzen in den Medien zu sonnen, bis thematische Schatten geworfen werden.

    Letztlich wird es dann gelingen, wenn es viele wagen und sich den Chancen und Gefahren des Lernens am Tun aussetzen. Toll, dass Sie hier mit-bloggen!

    Mit herzlichen Grüßen

    Michael Blume

  4. Global / Lokal

    Herr Rahmstorf sollte mal mit Beispielen vollkommen präzise definieren, was in der Klimaforschung als “global”, was als “lokal” definiert wird, insbesondere unter Berücksichtigung von Proxy-Daten, die z. B. zur s.g. Hockeystick-Kurve geführt haben.

  5. Sehr geehrter Herr Rahmstorf,
    ihr Beitrag macht mich leider etwas melancholisch, denn, zu meinem Bedauern, wird Brechts Zitat in ähnlicher Weise immer öfters in meinem Umfeld betont! Meistens aber eher: „Ich glaube keiner Statistik, die ich nicht selbst gefälscht habe.“
    Immer mehr Menschen vertrauen Wissenschaftler nicht mehr. Das ist nun das Resultat von der jahrelangen black mood-method aus der Wissenschaft: U.a. Clobal Cooling, Waldsterben, FCKW-Ozonloch, Auspuff–Ozon-Smog, Hockeystick, Versieglung des Golfsstroms usw.
    Der Nobelpreisträger Svante Arrhenius war noch aus einem ganz anderen Holz geschnitzt. Aus seiner Überlegungen, wie die Eiszeit entstehen konnte, konnte er durch den Erwärmungseffekt von CO2 nichts Schlechtes erkennen. Er war Schwede und wusste nur zu gut, wie Kälte und Eis das Leben an sich mehr schadet als nutzt.

  6. Bringschuld

    Die größte Bringschuld der Klimawissenschaft ist es, den tatsächlichen und unumstößlichen Nachweis zu erbringen, daß der Mensch am Klimawandel definitiv schuld ist, ohne “likely”, “very likely”, “wir wissen noch nicht”, etc etc.
    Dieser Nachweis fehlt bis heute.
    Der “Täter” soll aber schon in’s “Gefängnis”, gewissermaßen aus Vorsorge, fall er es doch “likely” oder “very likely” gewesen sein könnte.
    Und Politik fällt dummerweise darauf rein, es werden ja genug Horrorszenarien verbereitet, oder andersrum:
    Wenn es kalt wird, hängt das mit dem Klimawandel zusammen, ‘es würde sonst noch kälter’, oder #die Erwärmung versteckt sich hinter der Kälte’ – durfte man alles schon lesen oder von Wissenschaftlern in Fernsehintervies hören.
    Also, bitte die Bringschuld einlösen.

  7. “Tatsächliche und unumstößliche”

    Nachweise für irgendetwas gibt es in der Wissenschaft nicht. Das wissen heutzutage schon Fünftklässler. Aber der Herr Krischnag offenbar nicht.

    Es wäre auch nett, wenn Sie aufhören würden, die Kommentare vollzuspammen, wenn Sie schon nichts sinnvolles beizutragen haben.

  8. @Fischer
    Sicher gibt es den Beweis nicht:
    1. aus den von Ihnen genannten Gründen
    2. Weil nicht mal die Indizien ausreichend sind, maximal 90 % – aber zur Kasse gebeten werden wir, die Industrie soll zurückgefahren werden, die allseits beliebten WKA sollen für stabile und sichere Stromlieferungen sorgen, na was so alles gefordert wird – Basis maximal 90 %, die ich rein gefühlsmäßig, das ist zwar irrelevant für dritte, nicht mal als richtig einschätze.

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