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NASA-Forscher haben jetzt die neuesten Messungen zum Eisverlust in Grönland und der Antarktis veröffentlicht. Die Ergebnisse verheißen nichts Gutes. Ein Gastbeitrag von Ricarda Winkelmann.


Ricarda Winkelmann promoviert bei den KlimaLounge-Autoren Anders Levermann und Stefan Rahmstorf zur Modellierung des Antarktischen Eisschildes. Sie ist kürzlich von einer zweimonatigen Forschungsfahrt in die Antarktis zurückgekehrt (ein Erfahrungsbericht von dieser Reise folgt in Kürze).

Der Beitrag der beiden Eisschilde auf Grönland und der Antarktis ist laut dem letzten IPCC-Bericht (Meehl et al., 2007) eine der größten Unsicherheiten in Bezug auf den zukünftigen Meeresspiegelanstieg. Die Veröffentlichung der neuesten Messdaten durch Rignot et al. (2011) liefert ein weiteres Puzzlestück, um diesen besser zu verstehen. Den aktuellen Beobachtungsdaten zufolge verlieren die beiden Eisschilde immer schneller an Masse – wesentlich mehr als vom IPCC erwartet.

Rignot et al. haben die Massenbilanzen des Grönländischen und des Antarktischen Eisschildes mit zwei unabhängigen Messmethoden untersucht:

  • Die erste Methode bilanziert den Massenzuwachs durch Schneefall, den Verlust durch Schmelzen und den erhöhten Eisfluss in den Ozean. Die Massenveränderungen an der Oberfläche werden dabei einem regionalen Klimamodell entnommen, der Eisfluss wird aus Beobachtungen der Geschwindigkeiten und Eisdicken berechnet, die aus InSAR-Satellitendaten und Echolot-Daten stammen. All dies wurde über den Zeitraum von 1992 bis 2009 gemessen und liefert uns damit eine der längsten Zeitreihen direkter Beobachtungen der Massenveränderung der Eispanzer.
  • Für die zweite Methode werden Daten vom GRACE-Satelliten verwendet, die Veränderungen im Gravitationsfeld der Erde durch den Eisverlust messen.

Ein Vergleich der letzten 8 Jahre, für die Daten von beiden Methoden vorliegen, zeigt eine gute Übereinstimmung.


Abbildung 1: Masseverlust pro Jahr der beiden großen Eisschilde in Grönland und der Antarktis (Rignot et al., 2011)

Abbildung 1 zeigt den Masseverlust von Grönland und der Antarktis für die letzten 18 Jahre. Es gibt erhebliche Schwankungen von Jahr zu Jahr, wie sie für klimatologische Zeitreihen typisch sind. Doch wichtiger ist der Trend: die gerade Linie zeigt, dass der Eisschwund immer schneller wird. Von anfangs nahe Null hat er sich inzwischen auf deutlich über 500 Milliarden Tonnen jährlich beschleunigt. Die mittlere Beschleunigung beträgt laut Rignot et al. 36.3 ± 2 Gigatonnen/Jahr2.

Setzt sich dieser beobachtete Trend fort, hätte dies weitreichende Konsequenzen für den künftigen Meeresspiegelanstieg. Dies zeigt sich in einem Vergleich mit Beobachtungen der Gebirgsgletscher: Meier et al. (2007) bestimmen für die Gletscher im Jahr 2006 eine Eisverlustrate von 402 ± 95 Gigatonnen im Jahr, mit einer mittleren Beschleunigung von 12 ± 6 Gigatonnen/Jahr2.

Für das gleiche Jahr finden Rignot et al. für die beiden Eisschilde eine Eisverlustrate von 475 ± 158 Gigatonnen im Jahr. Umgerechnet bedeutet dies einen Anstieg des globalen Meeresspiegels von 1.3 ± 0.4 mm im Jahr (insgesamt steigt der Meeresspiegel nach Satellitenmessungen seit 1993 stetig um 3.2 mm/Jahr). Dieser Wert ist vergleichbar groß wie der für die Gebirgsgletscher. Die Beschleunigung des Masseverlustes von Grönland und der Antarktis beträgt aber das Dreifache derer für die Gebirgsgletscher – die Eisschilde überholen demnach gerade die Gletscher in ihrem Beitrag zum Meeresspiegelanstieg und dürften in den nächsten Jahrzehnten deutlich mehr zum Anstieg beitragen.


Schelfeiskante in der Atka-Bucht nahe der Neumayer III – Forschungsstation. (Foto: M. Martin.)

Der Beobachtungszeitraum für beide von Rignot et al. verwendeten Methoden ist noch kurz und man kann nicht mit Sicherheit sagen, welchen Anteil natürliche Schwankungen beitragen und ob die  beobachtete Beschleunigung sich in Zukunft so fortsetzen wird. Extrapoliert man die Ergebnisse jedoch, würde der Eisverlust von Grönland und der Antarktis zusammen zwischen 2010 und 2050 zu einem Meeresspiegelanstieg von 15 ± 2 cm führen. Der mittlere Beitrag der Gletscher bis 2050 beträgt laut IPCC 8 ± 4 cm, durch thermische Ausdehnung kämen weitere 9 ± 3 cm hinzu. Addiert man all diese Komponenten, kommt man auf einen Gesamtmeeresspiegelanstieg von 32 ± 5 cm bis 2050.

Mit einer vollkommen anderen Methode kommen Vermeer & Rahmstorf (2009) zu dem gleichen Ergebnis. Sie verbinden in ihrer halb-empirischen Methode die beobachtete Rate des Meeresspiegelanstiegs mit der beobachteten globalen Erwärmung.  

Vor dem Hintergrund der aktuellen Beobachtungsdaten stellt sich erneut die Frage, wie sehr tiefliegende Küstenregionen und ihre Infrastruktur vom zukünftigen Meeresspiegelanstieg bedroht sind.  Fest steht, dass die beiden Eispanzer auf Grönland und der Antarktis noch wesentlich stärker im Fokus der Forschung stehen müssen. Es ist dringend notwendig, sowohl weitere Beobachtungsdaten zu gewinnen als auch die Modellierung der Eisdynamik zu verbessern, um die Prozesse, die zum Eisverlust führen, besser zu verstehen.

Literatur:

G.A. Meehl et al., 2007: Global climate projections, in Climate Change 2007: The Physical Science Basis. Contribution of Working Group I to the Fourth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change, edited by S. Solomon et al., 747-845. Cambridge University Press

M. F. Meier et al., 2007: Glaciers Dominate Eustatic Sea-Level Rise in the 21st Century. Science, 317, 1064-1067.

E. Rignot et al., 2011: Acceleration of the contribution of the Greenland and Antarctic ice sheets to sea level rise. Geophysical Research Letters, 38,  doi:10.1029/2011GL046583.

M. Vermeer und S. Rahmstorf, 2009: Global sea level linked to global temperature. Proceedings of the National Academy of Science of the USA, 106, 21527-21532.

Stefan Rahmstorf ist Klimatologe und Abteilungsleiter am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und Professor für Physik der Ozeane an der Universität Potsdam. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf Klimaänderungen in der Erdgeschichte und der Rolle der Ozeane im Klimageschehen.

6 Kommentare

  1. Daten öffentlich verfügbar?

    Hallo, das klingt erstmal alles gar nicht so gut..

    nur kann man eventuell vollen Zugriff auf die Daten bekommen..

    Mich würde vorallem Grönland interresieren, gerade im Zeitraum 09-10, dieser Zeitraum war gerade eine bezeichnende Phase der negativen NAO/AO und mit vermehrter Warmluftadvehtion (WLA) auf Gröndland, durch ständige merdionalisierte Strömungsverhältnisse.

    Aufällig scheint hier vorallem das gerade die größten Ausschläge in nähe der ENSO-Events liegen.

    Deswegen wären Rohdaten erwünschenswert um die Massverluste mit der QBO-Phase+ENSO Zustand abzugleichen.

    Wir wissen ja im Allgemeinen das die QBO-Phase + das ENSO-Event über Kelvin/Rosbey-Wellen Einfluss auf den Stratosphärischen Polarwirbel nimmt, wobei Maximalste Wirkungen(Labitzke et al.) eher im Solaren-Minimum auftretten.

    1998 stellt eher eine Ausnahme da, weil der Solarzykluss eher schon weiter voran war als z.b 2010.

    Es fällt halt deutlich erstmal ins Auge das Massverlust und NAO/AO+QBO+Sonnensignal zu korrelieren zu scheinen.

    Dem würde ich gerne nachgehen.

    mfg Christian Steger

  2. Eisschilde als nicht-lineare Systeme

    Frägt sich nur ob der Eisverlust in den Polregionen einfach in die Zukunft extrapoliert werden kann. Denkbar wäre auch eine Zunahme der Niederschläge, wenn die Antartkis wärmer wird.
    Einzelne Studien prognostizieren genau das. So stehen in Simulated Antarctic precipitation and surface mass balance at
    the end of the 20th and 21st centuries
    (siehe http://tel.archives-ouvertes.fr/…cdyn-accept.pdf ) folgende Sätze im Abstract:

    The simulated Antarctic surface mass balance increases by 32 mm water equivalent per year in the next century, corresponding to a sea level decrease of 1.2 mm yr-1 by the end of the 21st century. This surface mass balance increase is largely due to
    precipitation changes, while changes in snow melt and turbulent latent surface fluxes are weak.

    In den letzten 50 Jahren scheinen die Niederschläge in der Antartkis nicht aber nicht zugenommen haben wie man unter http://www.innovations-report.de/…cht-69022.html nachlesen kann.

    Schon interessant, dass ein scheinbar so einfaches Klimasystem wie es in Polnähe herrscht, trotzdem – wegen nichtlinearer Effekte und Kippelementen -schwierig voraussagbar ist.

  3. Das Eis bleibt spannend

    Wenn man sich einmal anschaut, wie die Entwicklung in den letzten 10 jahren gewesen ist, kommt man eigentlich nicht umhin, sich zu fragen, was wir hier sehen. Gut, in den Berechnungen haben wir eine mehr oder weniger gleichmässig beschleunigte Kurve. Aber ein Haufen Fragen bleiben trotzdem bestehen. Eine ganz konkrete spuckt mir seit geraumer Zeit im Kopf herum. Wie ist das eigentlich mit Schmelzwasser (oder Regenwasser), was in die Eisschilde einsickert?
    Gefrierendes Wasser innerhalb des Eises hat ein unglaubliches Vermögen Energie in die Tiefe des Eisschildes hineinzutragen. Auf diese Art und Weise könnte ein Eisschild eien grosse Energiemenge vorerst abpuffern, um später um so schneller zu schmelzen.
    Klärung könnte eine Temperaturprofil in die Tiefe des Eisschildes geben, am besten noch in einer zeitlichen Entwicklung über 10 oder mehr Jahre.
    Wäre es so, dass sich der Eisschild durch wiedergefrierendes Schmelzwasser in der Tiefe erwärmt. müssen wir in Zukunft eher mit noch deutlich stärker (logarithmisch) beschleunigtem Schmelzen rechnen.
    Kann mir irgend jemand ein paar gute Arbeiten zu dieser Frage nennen, falls da überhaupt schon etwas gemacht ist?

    Beste Grüsse
    Folke kelm

  4. Gletscher sind träge

    wir wir wissen sind so von 1960 bis 1980 einige Alpenglätscher gewachsen, um 1980 hatten sogar an die 80% davon positive Massenbilanzen bzw. Vorstöße (ZAMG, Alpenverein etc.).
    Die großen Gletscher, wie der Aletsch od. die Pasterze hat das veränderte Klima in diesen Dekaden gar nicht gestört, sie schmolzen ganz normal weiter, wie eben seit ca. 1850 anhaltend.

    Wie reagieren nun noch viel größere Gletscher über Grönland auf “kurze” T Veriationen über Dekaden? Sind diese nicht viel zu träge und zeigen uns heute vielleicht eine Reaktion auf eine Erwärmung, die vor etlichen Dekaden stattfand? Vielleicht um 1940?

    Übrigens war der Meerespiegelanstieg zwischen 1930-1960 mindestens genau so stark wie heute, eher noch stärker, wenn man so kurze Intervalle nimmt, wie Herr Rahmstorf (bewusst 1993 gewählt und nicht 1990 nehme ich an…)

    Siehe auch:
    http://www.zamg.ac.at/…dth=999&imgHeight=372

    [Antwort: 1993 ist der Beginn der Satellitenmessungen des globalen Meeresspiegels. Davor gibt es nur Zusammenstellungen von Küstenpegeln, die wegen ihrer geringen Zahl und ungleichmäßigen Verteilung nur eine wesentlich ungenauere Abschätzung des globalen Meeresspiegels erlauben. Kurzzeittrends in diesen Küstenpegeln (z.B. die über 10 Jahre) sind völlig von diesem “sampling noise” dominiert und damit nicht aussagekräftig. Dieses Problem haben die Satellitentrends nicht. Stefan Rahmstorf]

  5. Eisschwundzunahme

    Wie man anhand der Unsicherheitsaussagen des “gemessenen” Eisschwundes von 475 ± 158 km3 auf eine jährliche Eisschwundzunahme von 36,3 ± 2 km3 kommen kann, will sich mir nicht so recht erschließen.
    Wenn man die relevanten Komponenten für den Meeresspiegelanstieg mit den im Text angegebenen Unsicherheiten addiert, kommt man auf einen Gesamtmeeresspiegelanstieg von 32 ± 9 cm und nicht auf 32 ± 5 cm bis 2050.
    Es sei denn, man gibt die Aussagewahrscheinlichkeit für [32 ± 5 cm bis 2050 ] an; aber das muß man dann auch dazuschreiben.

    [Antwort: Haben Sie Unsicherheiten denn quadratisch addiert, wie man es bei statistisch unabhängigen Fehlern machen muss? Stefan Rahmstorf]

  6. Stimmt, Sie haben Recht !

    .. sind statistisch voneinander unabhängige Fehler; daher in Summe ein Fehlerbalken von +/- 5,4cm.
    Gibt es dazu eine Aussagewahrscheinlichkeit für diesen ermittelten Meeresspiegelanstieg bis 2050 ?
    Danke !