• Von Anders Levermann
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In die Antarktis (Teil 2) – Eindrücke von unserer Fahrt mit der Polarstern

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Maria Martin und Ricarda Winkelmann waren vom 28. November 2010 bis zum 5. Februar 2011 an Bord der FS Polarstern. Im zweiten Teil dieses Erlebnisberichtes geht es um den Aufenthalt in der Atka-Bucht, die Fahrt durch das Weddell-Meer, und die Eindrücke westlich der Antarktischen Halbinsel.

Die Bucht bei der britischen Station Rothera.

Die Atka-Bucht

Einer der Höhepunkte unserer Fahrt mit der FS Polarstern war der Aufenthalt an der Schelfeiskante in der Atka-Bucht, von wo aus wir die Station Neumayer III mit Treibstoff und anderen Gütern versorgt haben. Wir erreichten sie in den Morgenstunden des 21. Dezembers. Der Blick aus den Kammern an der Steuerbordseite war überwältigend: Direkt auf das Eisschelf und die Spalten darin gerichtet, war das obere Ende der Schelfkante gar nicht mehr zu sehen. Als wir eine nicht ganz so hohe Stelle gefunden hatten, an der das Eis nur etwa 20 Meter aus dem Wasser ragte, und mit der Polarstern nach vielfachem Manövrieren angelegt hatten, wurden wir schon von den Überwinterern der Neumayer-Station und ein paar Adelie-Pinguinen begrüßt.

 

Mit dem Mammychair wurden wir nach und nach auf das Schelfeis übergesetzt – zum ersten Mal nach einem Monat an Bord konnten wir uns wieder frei bewegen und genossen dies in vollen Zügen. Die Mannschaft leistete eine Menge während der drei Tage in der Bucht: Für die Neumayer-Station wurden Container Stück für Stück die Kante hinaufbefördert und Laster um Laster mit Diesel und Kerosin betankt. Dazu übernahm jeder von uns eine Tankwache und durfte dabei vom Tanklaster die Aussicht auf die Bucht genießen. Die war wirklich besonders schön, und mehrfach wurden wir von Besuchern überrascht – meist waren einige neugierige Pinguine in der Nähe, ein paar Robben dösten auf der nächsten großen Scholle, und auch ein Wal tauchte direkt neben Polarstern auf.

Um uns herum herrschte viel Verkehr: Der vordere Kran der Polarstern entlud nach und nach die Container für die Neumayerstation, Pistenbullis fuhren die Tanklaster vor, die dann von Deck aus befüllt wurden, die beiden Helikopter übernahmen einen Shuttletransport zur Neumayer-Station, zwischen deren Starts und Landungen wurden mit dem Mammychair Wissenschaftler und Besatzung zwischen Schiff und Schelfeis hin- und hertransportiert, die Schiffsskier wurden ausgepackt, ein Wissenschaftler hatte sogar ein Fahrrad dabei um zu testen, ob man damit auch auf antarktischem Eis fahren kann, und zwischen all dem düsten Skidoos herum, die von der nahegelegenen Palaoa-Station kamen. Dort wird mithilfe von Hydrophonen unter dem Schelfeis den Vokalisationen von Meeressäugern gelauscht. Diese kann man übrigens auf der AWI-webseite  live verfolgen! Eine Karte der Atka-Bucht findet man dort auch.

Nur ein winziges Stück vom vielen Verkehr entfernt: Weiße Weite und absolute Stille. Manchmal schimmerte es blau unter dem Schnee, und wenn man sich auf den Boden legte, konnte man es im Eis klingeln und tropfen hören. Es kam uns vor, als würde dieses Jahrtausende alte Eis leben. Ab und zu hörten wir auch den Flügelschlag eines Sturmvogels oder das Krächzen eines Pinguins. Bei strahlendem Sonnenschein konnten wir im Eis die schönsten Strukturen sehen. Das Ausmaß des Eispanzers konnten wir uns kaum vorstellen, es war nur ein winziger Einblick in die Weite dieser Gegend – und die Tücken.  Unter ganz anderen Bedingungen haben sich Shackleton und Co durch diese karge Landschaft gekämpft.

Ausblick von einer Eisscholle

 

Am zweiten Tag in der Atka-Bucht wurden wir nach und nach zur Neumayer III – Station geflogen – die Station, ein kolossaler moderner Bau auf Stelzen, wirkte fast surreal im ewigen Weiß . Die Überwinterer, die bis zu 14 Monate dort bleiben, um die Messinstrumente zu bedienen und neue Forschungsprojekte durchzuführen, freuten sich sehr über unseren Besuch und führten uns durch die Station – wir waren mehr als beeindruckt von der wissenschaftlichen Arbeit und dem Bauwerk selbst. Zum Abschied gab es am dritten Tag eine kleine Feier auf dem Schelfeis.

Wir hatten nicht damit gerechnet, dass dies auch eine andere Art von Abschied bedeuten würde: Einen Monat später erreichte uns die Nachricht, dass der gesamte Bereich des Schelfes, auf dem wir uns aufgehalten hatten, abgebrochen und weggeschwommen war – in einem spontanen Kalbungsereignis, wie es in der Regel einmal im Jahr dort auftritt. Wir waren wohl die letzten Menschen, die diesen scheinbar festen Boden jemals betreten haben.

 

Eselpinguine in Port Lockroy

Im Weddell-Meer

Nach den Weihnachtsfeierlichkeiten an Bord ging für uns am Morgen des 26. Dezember gleich unser erster Wunsch in Erfüllung: Wir konnten noch einmal Eiskerne auf einer der Schollen in der Nähe des Schiffes ziehen. Das Wetter war in den Wochen zuvor von Wolken und Nebel dominiert gewesen, aber gerade an diesem Tag hatten wir Glück und konnten im Sonnenschein arbeiten, neben einem wunderschönen Eisberg mit Sichtfenster, durch das wir vom Helikopter aus die Polarstern sehen konnten.

An Sylvester fand an Bord die Polartaufe statt – eine alte Seefahrtstradition, die aus verschiedenen Prüfungen besteht, nach deren Bestehen wir nun Besitzer ordentlicher Taufurkunden sind, vom Kapitän und Neptun persönlich unterschrieben. Mit ihnen haben wir fortan das Recht, die schönen Antarktischen Gewässer zu befahren.                                                                  
Nach der anschließenden Sylvesterfeier begann für uns das neue Jahr – bei taghellem Himmel etwas anders als gewohnt.

Ein Farben- und Formenspiel aus Eis.

Am 2. Januar flogen wir für eine weitere Eiskernbohrung der Polarstern etwa 18 Seemeilen voraus und überquerten auf dem Weg ein weites Eisfeld mit fast einhundertprozentiger Eisbedeckung – ein ungewöhnlicher Anblick, besonders im Sommer, wenn sich das Meereis schon weit zurückgezogen hat.

Die nächsten Tage verbrachten wir damit, unsere Eisproben zu analysieren. Dazu zersägten wir sie in der -20°C-Kammer an Bord zunächst in Scheiben und untersuchten die Lufteinschlüsse mit verschiedenen Methoden: Zum Einen verpackten wir das Eis in spezielle Plastikbeutel, evakuierten diese und konnten, nachdem das Eis geschmolzen war, mit Spritzen die Luft herausziehen und ihr Volumen messen. Zum Anderen fingen wir in einem Wasserbad die beim Schmelzen freiwerdende Luft aus den Kernen in einem Messzylinder auf, um das Luftvolumen und die Salinität und das Volumen des Schmelzwassers anschließend zu messen.

Die Eckström-Schelfeiskante im Abendlicht (von Frank Rödel)

Jenseits der Halbinsel

Am achten Januar begann der letzte Abschnitt unserer Expedition: Wir hatten eine wunderbare Fahrt durch den Antarktischen Sund auf die westliche Seite der Antarktischen Halbinsel in Richtung Pazifik. Just an diesem Tag riss der Nebel auf – nach vielen Wochen das erste Mal Land zu sehen, war ein ganz besonderes Erlebnis. Zwergwale direkt vor dem Bug, zahlreiche Eisberge in vielfältigen Formen, Pinguine, die man sogar unter der spiegelglatten Wasseroberfläche dahinflitzen sehen konnte, und vor allem, nach dem wochenlangen Blau, Grau, Grün des Ozeans und dem Weißblau des Eises diese ganz tollen neuen Farben: Braun, rötlich und schwarz waren die Felsen, und wir alle waren wie gebannt davon.

Westlich der Antarktischen Halbinsel angekommen, hielt ein neuer Arbeitsalltag Einzug auf dem Schiff. Entlang mehrerer Schnitte wurden in regelmäßigen Abständen verschiedene Lebewesen wie beispielsweise Krill mit einem Netz aus etwa 200 Metern Tiefe geholt. Mit dem sogenannten Epibenthos-Schlitten wurden außerdem Kleinstlebewesen vom Meeresgrund aufgesammelt. Die Biologen hatten alle Hände voll zu tun, sie zu zählen, katalogisieren, zerteilen und konservieren, um sie dann später im Labor zu untersuchen. Die wohl ausgefallenste Art waren die Salpen, die sich vielfach klonen und deren Kopien dann zunächst als Weibchen, später als Männchen leben, um Nachkommen zu zeugen, die wiederum Klone produzieren.
Nach einigen Tagen verschlechterte sich das Wetter so, dass die Netze der Biologen in Gefahr waren und der Fang beim Hieven auf Deck von den Wellen zerstört worden wäre. Deshalb machten wir einen unangekündigten Ausflug in die Gerlache-Straße, wo wir vor dem Wetter geschützt waren. Dort hatten wir einen herrlichen Tag in grünem Wasser in der Gesellschaft von Killerwalen, Pinguinen und unzähligen Buckelwalen, die vor den schneebedeckten Bergen aus dem Wasser sprangen.

Nach einer weiteren Woche auf See kamen wir an der britischen Station Rothera an, die als Knotenpunkt für den Antarktischen Luftverkehr dient: Hier landen (auch deutsche) Maschinen aus Südamerika, die weitere Stationen bis hin zum Südpol versorgen. Die Polarstern belieferte Rothera mit Kerosin – für die Betankung der Station musste sie mit der Nase voraus auf den Kai zusteuern und in einem gewissen Abstand liegen bleiben, weil sie als Eisbrecher einen zu großen Tiefgang hat um anzulegen. An Land kamen wir in einem Zodiac – und waren beeindruckt, wie riesig Polarstern neben solch einem Schlauchboot wirkt!

Dann war es soweit: Zum ersten Mal auf unserer Reise betraten wir antarktisches Festland. Steine, Felsen, Sand und Modder – all das schien besonders nach acht Wochen auf See. Hinter der Landebahn für die Propellorflugzeuge des BAS (British Antarctic Survey) begann ein Eisfeld, das man über eine Rampe aus Schnee und Eis erreichen konnte, das zu den anderen Seiten aber steil zum Wasser abfällt. Dort oben hatten wir eine wunderbare Aussicht auf die Station und die Bucht, die Eisberge und die hohen Berge der Antarktischen Halbinsel dahinter. Direkt hinter den höchsten Gipfeln am Horizont wussten wir das Larsen-Eisschelf im Weddell-Meer.

Die Polarstern am Nordanleger in der Atka-Bucht (von Frank Rödel)

Auf einer kleinen Wanderung über die Felsen von Rothera Point entdeckten wir, wie viel Leben sich in dieser kargen und kalten Welt aus Eis uns Stein verbirgt: Winzige Pflanzen schaffen es selbst unter diesen Bedingungen die nötigen Nährstoffe zu finden. Robben, Pinguine und Skuas hatten keine Scheu und ließen uns auf wenige Meter herankommen. Vor den Skuas hatten wir großen Respekt, denn zum Landen suchen sie sich immer den höchsten Punkt der Umgebung aus, und das kann auch schon einmal der Kopf eines Wanderers sein.

Bei einem Besuch des Bonner-Labors konnten wir auch einen Blick in das Forschungsaquarium werfen. Dort werden beispielsweise Seesterne und Muscheln auf ihre Anpassungsfähigkeit an veränderte Umweltbedingungen untersucht.

Für die Forscher auf der Rothera-Station war der Besuch der Polarstern auch ein besonderes Ereignis – neben Treibstoff versorgten wir sie auch mit Nachrichten aus der Heimat, und zum Abschied bereiteten wir ihnen ein Geschenk, das absolute Begeisterung hervorrief: eine Kiste Eier.
Nach dem Abschied von dieser wunderschönen Szenerie verbrachten wir die darauffolgende Zeit wieder auf offener See. Zwischendurch mussten wir einen Tag Pause einlegen, weil die Wellen so hoch waren, dass Forschungsarbeiten an Deck nicht möglich waren. Unser Kurs führte uns noch einmal in die Gerlache-Straße, wo wir in der historischen britischen Station Port Lockroy (fast) mit Pinguinen auf Tuchfühlung gehen konnten. Die restliche Zeit verbrachten wir mit der Auswertung der gesammelten Daten, dem Verfassen eines Fahrtberichtes und dem Ausfüllen der Frachtlisten für die Heimfahrt.  

 

Die letzten Tage an Bord genossen wir mit einem lachenden und einem weinenden Auge, Abschied und Vorfreude aufs Nachhausekommen mischten sich. Nach der Durchquerung der überraschend ruhigen Drakepassage legten wir am Morgen des 5. Februar in Punta Arenas an – und blicken auf 10 ereignisreiche Wochen an Bord der Polarstern zurück.

 

Links:

 Teil 1 dieses Reiseberichts findet sich hier.

 

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Anders Levermann ist Professor für Dynamik des Klimasystems im physikalischen Institut der Universität Potsdam. Er leitet den Forschungsbereich Globale Anpassungsstrategien am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Er ist unter anderem einer der leitenden Autoren im Meeresspiegelkapitel des letzten IPCC-Klimareports und beschäftigt sich mit den Wechselwirkungen zwischen Ozean und Cryosphäre in Vergangenheit und Zukunft.