Jetzt bremsen beim Klimaschutz?

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In der EU ist gerade wieder eine Debatte entbrannt, ob man den Ausstoß von Treibhausgasen bis 2020 um 20% oder um 30% vermindern sollte (bezogen auf das Niveau von 1990 – aktuell liegen wir schon rund 15% darunter). Die EU-Politik sieht bislang so aus, dass mindestens eine Verminderung um 20% angepeilt werden soll. Die soll aber auf 30% gesteigert werden, wenn andere Staaten sich zu vergleichbaren Anstrengungen verpflichten. Das war die Verhandlungsstrategie der EU für den Klimagipfel in Kopenhagen (die ja bekanntlich gescheitert ist).

Anstoß der aktuellen Debatte war, dass nach Berechnungen der EU-Kommission die Emissionsminderung inzwischen viel billiger kommt als ursprünglich angenommen. Salopp gesagt kann man jetzt fast 30% Minderung für den Preis von 20% bekommen. Das ist eine Folge der Wirtschaftskrise, die die Emissionen schon unabhängig von irgendwelchen Klimaschutzmaßnahmen sinken ließ.

Darüber wird nun in Politik und Wirtschaft munter gestritten. Als Forscher und Anhänger einer wissensbasierten Politik halte ich es immer für sinnvoll, solche Debatten mit Blick auf die Daten zu führen – daher zeigen wir hier den vergangenen Emissionsverlauf und die beiden diskutierten Varianten für die Zukunft, mit 20% bzw. 30% Minderung im Jahr 2020. Bis 2050 steuert die Grafik 80% Minderung an, denn das ist das offizielle Langfristziel der EU.


Verlauf der Treibhausgasemissionen (angegeben in CO2-Äquivalenten) in der EU-27 seit 1990, mit zwei Szenarien für den Wert im Jahr 2020. Quelle: Malte Meinshausen, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung.

Die Daten zeigen einen weiteren Grund, auf jeden Fall 30% Minderung anzusteuern, der in der öffentlichen Diskussion bislang kaum genannt wird: wir weichen ansonsten stark vom geraden Pfad auf das EU-Langfristziel ab. Wenn wir nur -20% ansteuern, verlangsamen wir die Klimaschutzfortschritte sogar im Vergleich zu den abgelaufenen beiden Jahrzehnten. Und wir müssen später dafür bezahlen, indem wir nach 2020 wesentlich rascher reduzieren müssen.

Ganz abgesehen davon würde es die Investitionen gerade in die Schlüsseltechnologien und -branchen des 21. Jahrhunderts schwächen, wenn Europa jetzt beim Klimaschutz auf die Bremse tritt.

Stefan Rahmstorf ist Klimatologe und Abteilungsleiter am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und Professor für Physik der Ozeane an der Universität Potsdam. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf Klimaänderungen in der Erdgeschichte und der Rolle der Ozeane im Klimageschehen.

15 Kommentare

  1. importiertes CO2

    Hallo
    Sind bei den Emissionsberechnungen eigentlich die “Außenhandelsemissionen” eingerechnet? Andernfalls wären die -15% vermutlich schon allein deshalb erreicht worden, weil viele früher heimisch produzierte Güter durch Chinaimporte ersetzt wurden.
    Wenn ich mich recht erinnere, ist China nur ein Drittel so “CO2-Effizienz” wie Deutschland.
    Wenn wir also unsere Emissionen mit den Importen um 15% reduzieren konnten, wird dafür in China das Dreifache der Ersparnisse ausgestoßen.

  2. 30% Reduktion anspruchsvoll

    Einverstanden mit der Emissionsreduktion um 30% bis 2020.

    Doch dies als geradlinigen Emissionsreduktionspfad darzustellen verfehlt wohl die Realität. Der CO2-Ausstoss ging 2009 wegen der Wirtschaftskrise zurück und liegt nur deshalb 15% unter dem Wert von 1990. Mit jetzt wieder anziehender Konjunktur steigen automatisch die CO2-Emissionen wieder an. Im Zeitraum 2010-2020 die gleiche Reduktion zu erreichen wie vorher zwischen 1990 und 2010 wäre für sich genommen schon anspruchsvoll. Rechnet man die Scheinreduktion durch die Wirtschaftskrise heraus, so müssen wohl in den nächsten 10 Jahren eher 17-20% reduziert werden. Machbar, aber bereits schwierig.
    (siehe http://www.tagesschau.de/…ergieverbrauch104.html)

    Generell gilt, je näher am Ziel desto schwieriger die weitere Reduktion, denn Optimierungen genügen nicht mehr, es braucht Technologiewechsel um eine 80%-Reduktion bis 2050 zu erreichen.

  3. Laienfrage

    Bild, Wind-Turbine:

    http://de.wikipedia.org/…imestamp=20090716102343

    Laienfrage:

    Was würde passieren, wenn man noch drei Flügel an diese Wind-Turbine montieren würde, so dass diese dann sechs Flügel hätte?

    Natürlich müsste dann die Nabe, das Lager, der Generator, und die Stützsäule auch doppelt so stark sein.

    Könnte man dann nicht bei praktisch gleichem Platzbedarf doppelt so viel Wind-Energie gewinnen?

    Und wenn nicht, warum nicht?

  4. Jetzt bremsen beim Klimaschutz

    An mehr Klimaschutz ist noch keine Volkswirtschaft zugrunde gegangen, im Gegenteil: Es gibt Innovationen, Einsparungen und neue Jobs, Jobs, Jobs. In der EU wird das nicht anders sein. So könnte die EU wieder verlorengegangenes Terrain zurückgewinnen, wie hieß das Zaudern der EU einmal auf einer früheren Klimakonferenz: European Bubble (persönliche Mitteilung Prof. Graßl).
    Wie hat es Nicholas Stern sinngemäß ausgedrückt:
    Lieber jetzt 1-2 % des BSPes opfern, um nicht später 20 % des BSPes ganz zu verlieren.

  5. Windkraft, Zahl der Flügel

    @Karl Bednarik

    “Was würde passieren, wenn man noch drei Flügel an diese Wind-Turbine montieren würde, so dass diese dann sechs Flügel hätte?”

    Kurzantwort:

    http://www.igtfy.com/…der+anzahl+der+Fl%C3%BCgel

    (sorry, konnte ich mir nicht verkneifen.)

    Die längere Antowort ist, dass eine gerade Anzahl von Flügeln zu einer sehr ungleichmäßigen Lastverteilung führt, da in der unteren Flügelposition die Last am geringsten ist (Luftstau vor dem Mast) und in der oberen Flügelposition am größten. In Frage kommen also nur 5, 7 oder mehr Flügel. Und da ist wohl der Mehraufwand durch Herstellung und Montage nicht durch den Mehrertrag an Windenergie gerechtfertigt.

    Gruß
    Oliver

  6. Wirtschaftlichkeit

    Um zu verstehen, daß die Ökonomie nicht gegen Windkraft usw. spricht, sollte man statt der Finanzwirtschaft die Realwirtschaft betrachten. Die Politik muß “nur” die Realwirtschaft in die richtigen (!!) Finanzbeziehungen umsetzen – aber da scheitert sie meistens.

    Schon jetzt ist es so, daß bei der jetzigen Arbeitszeit die direkt in der Konsumgüterindustrie beschäftigten bequem mehr produzieren könnten als die ganze Bevölkerung verbraucht. Aber die in der Konsumgüterindustrie beschäftigten dürfen eben nicht alles selbst kaufen (kaufen dürfen, kaufen wollen usw.). Denn wenn die in der Konsumgüterindustrie beschäftigten alles selbst kauften, bliebe ja für den Rest der Bevölkerung (Mediner, Rentner, Straßenbauer, Arbeitslose usw.) nichts mehr übrig.

    Organisiert wird das durch Abgaben (Steuern usw.) Betreffs der in der Konsumgüterindustrie beschäftigten sind diese Abgaben notwendig – in den anderen Bereichen wären diese Abgaben nicht notwendig, denn deren Abgaben gehen in den Topf, aus dem diese ihr Einkommen erhalten.

    Heute wird das BIP dadurch begrenzt, das die Einen ein so großes Einkommen haben, das sie gar nicht so viel kaufen, wie sie könnten und andere ein so geringes Einkommen haben, das sie nicht so viel kaufen können, wie sie möchten. Bestätigt hat diese BIP-Begrenzung erst kürzlich die Rating-Agentur “Fitsch”, als sie Spanien wegen der Kaufkraftsenkung herabstufte.

    Warum diese lange Vorrede? Wir haben so viele Leute mit der Arbeitszeit 0 (Arbeitslose), daß wir sogar die Arbeitszeit weiter verkürzen (müssen, können) und trotzdem noch mehr produzieren können (also mehr BIP als heute) wenn das Arbeitsvolumen erhöht und auf alle Erwebspersonen verteilt wird.

    Dabei steigt sogar der Reallohn des Einzelnen (d.h. das, was er von seinem Nettoeinkommen kaufen kann). Puristen maulen dann, daß die Abgaben steigen. Aber was ist mehr: 60% vom Einfachen oder 40% vom Doppelten? (Zur Erläuterung: 60% von 100€ sind 60€, 40% von 200€ sind 80€.) Also richtig organisiert (!!!) bedeuten steigende Abgaben steigenden Wohlstand und dazu gehört auch, das die Gesellschaft bei steigendem individuellem Wohlstand auch alternative Energien organisieren kann – die Politik muß nur die richtigen Rahmenbedingungen schaffen (und kann das prinzipiell), daß Klimaziele und steigender Wohlstand vereinbar sind.

    Vollbeschäftigung (und sogar Arbeitzeitreduzierung) mit steigendem Wohlstand und Klimaziele ist doch auf jeden Fall besser als das Einige länger arbeiten und andere die Arbeitszeit Null haben.

    MfG

  7. Zusatzfrage:

    Danke für die Antwort.
    Leider habe ich noch eine Zusatzfrage:

    Könnte man nicht mit fünf Flügeln an Stelle von drei Flügeln nicht auch fünf Drittel an Energie gewinnen, also um 67 Prozent mehr, so dass sich die zusätzlichen Flügel lohnen würden?

    Analog dazu wären es bei sieben Flügeln schon sieben Drittel, also um 133 Prozent mehr Energie.

    Welches physikalische Prinzip verhindert das?

  8. 40 Prozent in Deutschland

    Beim 20-Prozent-Ziel der EU war noch nicht berücksichtigt, dass sich Deutschland (zumindest laut Koalitionsvertrag) zu einer CO2-Reduktion um 40 Prozent verpflichtet. Allein diese Erhöhung müsste eine Erhöhung des EU-Ziels mit sich bringen, weil die anderen Staaten sonst ab jetzt nichts mehr tun müssen – Deutschland würde das EU-Ziel praktisch alleine bewirken.

  9. Politik als Kunst des Möglichen

    Politik ist die Kunst des Möglichen. Wer 30% Emissionsreduktion verspricht, muss nicht nur zeigen, dass dies von der Wissenschaft her gefordert ist, sondern auch, dass dies machbar ist.

    Machbar bedeutet, dass ein Szenario für die beteiligten Staaten ausgearbeitet wird, das die Reduktionen mit konkreten Massnahmen erreicht. Die Politik und die beteiligten Partner (Industrie, Gewerkschaften,Analysten und Think-Tanks) entscheiden dann ob die Massnahmen realistisch sind.

    Eine Emissionsziel kann mit einem Leistungsziel im Rahmen eines Sporttrainings (z.B. Marathonlauf) verglichen werden. Das Ziel muss realistisch sein, sonst kommt es zur Demotivation.

    Allerdings gibt es ja auch noch die Möglichkeit der Kompensation im Ausland – womit dann jedes Reduktionsziel erreicht werden kann.

  10. Bitte um Aufklärung

    Irgendwie komme ich hier nicht mehr mit und bitte um Aufklärung.

    Angeblich – woran ich keinen Zweifel habe – sei das Klimaproblem nicht nur erkannt, sondern anerkannt.
    Nun kommt die Politik, wohl auch als Folge der Writschaftskrise, ins Zögern und möchte sich lieber für eine 20 % Minderung bis 2020 entscheiden. Abgesehen davon, dass danach noch größere Anstrengungen notwendig sein müssen, um das angepeilte 80 % Ziel zu erreichen, liest man heute im Informationsdienst Wissenschaft, dass – ich zitiere:

    “Überschreitet der Anteil an CO2 in der Atmosphäre 490 ppm (parts per million) – dies erwarten Wissenschaftler je nach Szenario zwischen 2040 und 2050 – erreicht bereits die Hälfte des arktischen Seegebiets diesen kritischen Wert. Die Folgen sind weitreichend: Am Meeresboden und im freien Wasser der Arktis leben viele kalkbildende Organismen wie Muscheln, Schnecken, Seeigel, Kalkalgen oder kalkhaltiges Plankton. Viele dieser Arten sind existenziell für das Nahrungsnetz der Arktis.”

    Dies ist nachlesbar unter: http://idw-online.de/pages/de/news372521

    Ich dachte, es geht global darum das “2-Grad-Ziel” zu erreichen.

    Wie aber soll das klappen, wenn spätestens bis 2050 von 490 ppm ausgegangen wird – von den bis dann vermutlich schon in Gang gekommenen Kipp-Punkten des Systems ganz zu schweigen?

    [Antwort: Lieber Herr Rech, die Annahme von 490 ppm zwischen 2040 und 2050 beruht offenbar auf Szenarien mit weiterem starke Wachstum der CO2-Emissionen, womit wir dann tatsächlich auch nicht unter 2 ºC Erwärmung bleiben würden. Die hier angesprochene Versauerung der Ozeane ist – neben dem Klimawandel – ein weiterer guter Grund, die CO2-Emissionen rasch zu reduzieren und nicht weiter wachsen zu lassen. Stefan Rahmstorf]

  11. Windkraft 2

    @ Karl Bednarik

    “Analog dazu wären es bei sieben Flügeln schon sieben Drittel, also um 133 Prozent mehr Energie.”

    … und bei einer geschlossen Scheibe, hätte man unendlich viel Energie. Da kann also etwas nicht stimmen.

    Die erzeugte mechanische Leistung am Windrad ist P = 2*pi*M*f, wobei M das anliegende Drehmoment und f die Drehfrequenz ist.

    Erhöht man nun die Zahl der Blätter, steigt zwar das anliegende Drehmoment, allerdings nehmen auch die Luftverwirbelungen zu. Der Wind kann daher nicht mehr optimal auf die Blätter einwirken und die Drehzahl sinkt. Umgekehrt ist bei zwei oder einem Blatt zwar die Drehzahl größer, dafür ist nun das Drehmoment zu klein. Es gibt also sowas wie eine optimale Flügelzahl und diese ist – wenn man auch noch Stabilität und Materialkosten miteinbezieht – eben bei drei Flügeln.

    Gruß
    Oliver

  12. Windkraft 3

    Fast geschlossene Scheibe, Bild:

    http://de.wikipedia.org/…imestamp=20090504234436

    Fast geschlossene Scheibe, reine Theorie:

    Wir denken uns ein Rohr in Form eines Zylindermantels, das parallel zur Windrichtung aufgestellt ist.

    Ein Kolben in Form einer kreisförmigen Scheibe wird vom Wind hindurch geschoben.

    Wenn die Scheibe genau die Windgeschwindigkeit hat, dann ist die Kraft null.

    Wenn die Scheibe festgehalten wird, dann ist ihr Weg null.

    Vielleicht ist die halbe Windgeschwindigkeit für die Scheibe optimal.

    Irgendwann muss ja das Produkt von Kraft und Weg am höchsten sein.

    Ein Problem ist allerdings, wie man diese Scheibe wieder an den Anfang des Rohres zurück bringt.

  13. Windkraft 4

    Bevor es nun endgültig off-topc wird: auf dieser Seite werden wohl alle deine Fragen umfassen beantwortet:

    http://www.wind-energie.de/…ungsbeiwert/?type=97

    Schau dir insbesondere mal das Diagramm neben dem Abschnitt “Die Schnelllaufzahl” an. Da wird die erzielte Windenergieausbeute (der sog. Leistungsbeiwert) für verschiedenen Bauformen miteinander verglichen. Der 3-Blatt-Rotor ist mit ca. 48% am effektivsten. Dicht gefolgt vom 2-Blatt-Rotor (der allerdings instabiler läuft). Windräder mit 4 oder mehr Rotoren dümpeln irgendwo bei 30% rum.

  14. Was sagen Sie dazu Herr Rahmstorf?

    Heute ist unter http://blogs.wir-klimaretter.de/…-yvo-recht-hat/ zu lesen:

    Er bekam stehende Ovationen. Yvo de Boer der Leiter der UN Klimaverhandlungen tritt ab. Klimadiplomaten, Umweltorganisationen und Journalisten haben ihn gemocht für seine klare Sprache und seinen enormen Einsatz. Dass es auch 18 Jahre nach dem Erdgipfel von Rio de Janeiro immer noch kein effektives Weltklimaabkommen gibt, ist nicht seine Schuld. Aber auch hinsichtlich der Aussichten gibt sich de Boer pessimistisch: “Ich glaube nicht, dass der Verhandlungsprozess in den nächsten zehn Jahren adäquate Ziele für die Reduktion von Treibhausgasen liefern wird.”

    Doch was heisst das? Zum einen spielt de Boer damit auf die Lebenslüge der Klimaverhandlungen an: Die Verhandlungen beruhen auf dem vierten IPCC Bericht aus dem Jahr 2007. Darin steht, dass die Klimaerwärmung auf zwei Grad begrenzt werden kann, wenn die CO2 Konzentration in der Athmosphäre 450 CO2 Moleküle pro eine Million “Luft”teilchen nicht übersteigt. Neuere wissenschaftliche Erkenntnisse deuten aber daraufhin, dass diese CO2 Konzentration einer Erwärmung von vier Grad entspricht. Um das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen, müssen die Emissionen also deutlich stärker gesenkt werden, als bislang in den Verhandlungen vorgesehen.

    [Antwort: Ich bin nicht sicher, wo die 4 Grad bei 450 ppm herkommen – daher kann ich das auch nicht kommentieren. Stefan Rahmstorf]