Neues vom Meeresspiegel

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In den letzten Monaten hat es einige interessante Neuigkeiten zum Meeresspiegelanstieg gegeben. Eine davon war Anfang Mai der neue Bericht des Arctic Monitoring and Assessment Program (AMAP), der weltweit für Schlagzeilen sorgte. Denn der Bericht erwartet einen Anstieg des globalen Meeresspiegels um 0,90 bis 1,60 Meter bis zum Jahr 2100 – rund dreimal soviel wie noch der IPCC-Bericht aus dem Jahr 2007.

Wer die wissenschaftlichen Ergebnisse der letzten Jahre verfolgt hat, wurde von dieser neuen Einschätzung allerdings nicht überrascht. Das südliche Pendant des AMAP-Berichts, der Antarktisbericht des Scientific Committee on Antarctic Research, sprach vorletztes Jahr von einem Anstieg bis 1,40 Meter. Und diese Berichte beruhen natürlich selbst auf Studien in der Fachliteratur, die in den letzten Jahren durchweg zu ähnlich hohen Zahlen gekommen sind – siehe meinen Übersichtsartikel dazu. Auch die Medien haben immer wieder von den neuen Ergebnissen berichtet – ein prominentes Beispiel ist diese Titelgeschichte der New York Times.

Hinter dem wachsenden Pessimismus der Experten steckt einerseits, dass der Meeresspiegel in den letzten Jahrzehnten deutlich rascher ansteigt, als es von den älteren Modellen vorhergesagt wurde. In einem von uns entwickelten neuen Ansatz wird der Zusammenhang von globaler Temperatur und Meeresspiegel mit den Messdaten der Vergangenheit kalibriert, und damit ergeben sich auch höhere Erwartungen für den künftigen Anstieg.

Ein weiterer Grund ist, dass die beiden großen Eisschilde in Grönland und der Antarktis immer schneller abschmelzen, deutlich rascher als bislang erwartet. Die neuen Daten der NASA dazu haben wir kürzlich hier diskutiert. Der IPCC-Bericht war noch davon ausgegangen, dass der Beitrag der Eisschilde zum Meeresspiegelanstieg bis 2100 praktisch gleich null sein werde, da die Antarktis durch vermehrten Schneefall an Masse zulegen und damit den Eisverlust in Grönland ausgleichen sollte. Diese Auffassung gilt inzwischen als nicht mehr haltbar.

Die Deutsche Bucht mit den Pegelstationen

Ein weiteres interessantes Forschungsergebnis ist die Auswertung der Küstenpegeldaten der Deutschen Bucht, die kürzlich von Thomas Wahl und Kollegen in Ocean Dynamics veröffentlicht wurde. Die Grafik unten zeigt links die Meeresspiegelkurven und rechts die Anstiegsrate des Meeresspiegels. Die Autoren belegen eine deutliche Beschleunigung des Meeresspiegelanstiegs über die letzten hundert und mehr Jahre, wie man sie ähnlich auch für den global gemittelten Meeresspiegel findet. Seit 1901 ist der Meeresspiegel in der Deutschen Bucht im Mittel um 1,7 mm/Jahr gestiegen. Der Trend seit 1971 beträgt 3,6 mm/Jahr (siehe Tabelle 1 des Papers). Diese Zahlen beziehen sich auf den Anstieg relativ zur Küste – korrigiert man noch die Landabsenkung heraus, die einen Teil dieses Anstiegs ausmacht, reduzieren sich die Zahlen um 0,5 bis 0,9 mm/Jahr.

Auch an sämtlichen Einzelstationen sind die höchsten Anstiegsraten in den jüngsten Jahrzehnten zu beobachten. Die längste Datenreihe ist die aus Cuxhaven ab dem Jahr 1843. Nie zuvor stieg der Meeresspiegel dort so rasch wie in den letzten zwanzig Jahren.

Grundsätzlich ist eine Beschleunigung des Meeresspiegelanstiegs durch die globale Erwärmung natürlich zu erwarten – je wärmer es wird, desto rascher schmilzt das Landeis. Dennoch ist es keineswegs selbstverständlich, dass eine solche Beschleunigung auch regional – wie hier für die deutsche Bucht – beobachtet wird. Denn sowohl Satellitendaten als auch Modellrechnungen zeigen, dass der regionale Meeresspiegel auch auf Zeitskalen von Jahrzehnten noch deutlich schwanken und vom globalen Mittelwert abweichen kann, z.B. durch Wasserbewegungen. Salopp gesagt: das Wasser kann im Weltmeer herumschwappen, was mit dem globalen Anstieg nichts zu tun hat sondern sich ihm überlagert. Daher zeigen die seit 1993 verfügbaren Satellitendaten auch Ozeanregionen, in denen der Meeresspiegel gefallen ist – trotz des globalen Anstiegs um 3,2 mm/Jahr.

Im Detail unterscheiden sich die Daten aus der Deutschen Bucht denn auch deutlich vom globalen Verlauf des Meeresspiegels – ein Punkt, auf den die Autoren besonders hinweisen. Je kürzer der betrachtete Zeitraum, desto mehr kann die lokale Anstiegsrate von der globalen abweichen, und desto weniger robust sind die Ergebnisse. In die regionalen, dekadischen Schwankungen der Anstiegsrate sollte man daher nicht zu viel hineinlesen – die Anstiegsrate kann in den nächsten zehn oder zwanzig Jahren auch wieder zurückgehen. Das würde ich sogar vermuten, da sie in den letzten zwanzig Jahren weit über der globalen Anstiegsrate liegt. Die langfristige Beschleunigung über die letzten hundert und mehr Jahre dürfte aber nicht nur global sondern auch in der Deutschen Bucht eine Folge der globalen Erwärmung sein.

Stefan Rahmstorf ist Klimatologe und Abteilungsleiter am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und Professor für Physik der Ozeane an der Universität Potsdam. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf Klimaänderungen in der Erdgeschichte und der Rolle der Ozeane im Klimageschehen.

13 Kommentare

  1. Der Meeresspiegel: Ein neues Mass

    Der Meerespiegel als global mittelnder Thermometer oder als Ablesegerät für den Wärmeinhalt des Ozeans – fast zu schön um wahr zu sein und trotzdem spricht schon die Intution dafür, dass das mindestens eine Annhäherung sein könnte.
    Nimmt man einmal an, dass Meeresspiegelveränderungen ein guter Sensor für die Veränderung der globalen Erwärmung sind, bleibt nur noch die zuverlässige weltweite Bestimmung der Meeresspiegelveränderungen – und das liefert ja heute die Satellitenaltimetrie. Atmosphärische CO2-Konzentration und global gemittelte Meeresspiegelveränderungen wären dann Hauptindikatoren für das, was uns erwartet und was schon im Erdystem an Erwärmung realisiert ist. Sollte sich in der Wissenschaft und auch in der Öffentlichkeit die Meeresspiegelhöhe als Mass für die globale Erwärmung etablieren, hätte man die globale Erwärmung in eine Zahl gepresst, die wohl besser bestimmt werden kann als die globale Durchschnittstemperatur und die zudem eine Gefährdung der Küsten fast überall anzeigen würde – während die Auwirkungen des Temperaturanstiegs sehr ungleich ausfallen.

    Nach wie vor ist die globale Erwärmung für viele Menschen entweder nur eine Hypothese, nicht relevant oder einfach ein fernes Schreckgespenst am Horizont ohne konkreten Auswirkungen hier und heute.
    Das ändert sich wohl erst, wenn die Zeichen kaum noch eine andere Interpretation zulassen und/oder die zukünftig zu erwartenden Veränderungen so klar vor Augen stehen wie bei einem Film, den man schon einmal gesehen hat.

  2. Fakten zum Meeresspiegelanstieg

    Der Trend der Meeresspiegel-Erhöhung liegt (seit 1993 bis Heute) zwischen 2,9 mm und 3,25 mm (2,9 | 3,1 | 3,2 | 3,25) pro Jahr je nach Quelle

    Quellen:
    http://sealevel.colorado.edu/
    http://ibis.grdl.noaa.gov/…timeseries_global.php
    http://www.cmar.csiro.au/…l/sl_hist_last_15.html
    http://www.aviso.oceanobs.com/…s/mean-sea-level/
    __________________________________________________________________

    Die (realen) gemessenen Satelliten Rohdaten (von Colorado Center for Astrodynamics Research at the University of Colorado at Boulder siehe http://sealevel.colorado.edu/…l_ib_ns_global.txt )
    liegen bei:

    2000.0180 8.209
    2011.0673 30.809

    Differenz 22.600 : 11 Jahre = 2.054 mm pro Jahr (sind in Hundert Jahren voraussichtlich 20,54 cm)

    Der reale Anstieg in den ersten 11 Jahren dieses Jahrunderts beträgt (nur!) 2,26 cm

    [Antwort: Wieso meinen Sie, gerade die besonders herausgepickten letzten 11 Jahre für ein Jahrhundert extrapolieren zu können? Würden Sie das für seriös halten, wenn wir Klimatologen so arbeiten würden? Wieso sollte sich der Anstieg nicht weiter beschleunigen, wenn es wärmer wird? Wie im Artikel oben gesagt: Klimatologen erwarten, dass Eis bei höheren Temperaturen rascher schmilzt und sich daher auch der Anstieg des Meeresspiegels beschleunigt, und genau das zeigen auch die Daten der letzten 130 Jahre (und darüber hinaus). Stefan Rahmstorf]

  3. Transgression …

    Das sind in der Tat düstere Aussichten.
    Ein Meeresspiegelanstieg von über 1m bis 2100 ist Wahnsinn, zumal die Weltbevölkerung bis dahin auf über 10 Millarden angestiegen sein wird, mit überproportionaler Zunahme an den Küstengebieten.
    Vor einigen Monaten war in einer sehr interessanten Veröffentlichung zu lesen, wonach der Meerespiegel selbst ab sofortigem CO2-Emissionsstopp aufgrund der Trägheit des Klimasystems bis zum Jahr 3000 um 4 Meter ansteigt.
    Das wären dann schon fast Eem-Warmzeit-Verhältnisse.

  4. “Klimatologen erwarten, dass Eis bei höheren Temperaturen rascher schmilzt und sich daher auch der Anstieg des Meeresspiegels beschleunigt, und genau das zeigen auch die Daten der letzten 130 Jahre (und darüber hinaus).”

    Extrapolationen von Klimadaten in die Zukunft wie CO2-Gehalt oder Meeresspiegel sind m.M. nach völlig wertlos. Der Hauptgrund dafür liegt in der Tatsache, dass niemand die Preisentwicklung der fossilen Energieträger für Jahrzehnte im voraus prognostizieren kann.

    Wenn sich nämlich diese Preise dauerhaft verdoppeln, werden Großkonzerne und Banken massenhaft in EE investieren, weil das dann profitabler ist. Dann könnte es passieren dass plötzlich riesige Brachflächen und Steppen bewässert und aufgeforstet werden, um Biomasse zu produzieren.

    Dadurch entsteht ein Dreifacheffekt: Der Verbrauch fossiler Energien sinkt dramatisch (= weniger CO2-Emissionen) und es werden gigantische zusätzliche CO2-Speicher geschaffen, u.a. die neuen Agrarböden und zusätzlichen Pflanzen. Gleichzeitig steigt in vielen Entwicklungsländern die Massenkaufkraft massiv an, was wiederum einen deutlichen Rückgang der Bevölkerungszahlen zur Folge haben wird. Es wird dann zwar insgesamt mehr Energie und Nahrung verbraucht, das ist aber wegen der zusätzlichen landwirtschaftlichen Flächen (sowie optimalere Bewirtschaftung der bereits bestehenden Felder) und anderer EE kein wirkliches Problem.

    Ein weiterer entscheidender Schwachpunkt der Klimaprognosen ist die Unvorhersehbarkeit neuer technischer Entwicklungen sowie Veränderungen der politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.

    [Antwort: Lieber Herr Becker, als Klimaforscher können und wollen wir künftige Emissionen nicht vorhersagen. Deshalb machen wir (z.B. im IPCC-Bericht) Projektionen (keine Prognosen!), die nach dem “wenn…dann” Prinzip funktionieren. Wenn die Emissionen X betragen, dann wird die globale Erwärmung im Bereich Y+/-Z ausfallen. Das machen wir für viele Emissionsszenarien, sodass die Gesellschaft eine Entscheidungsgrundlage hat, welches Szenario sie verfolgen möchte. Oder sich z.B. ein Limit setzen kann, das sie nicht überschreiten möchte, wie die international anerkannte 2-Grad-Grenze. Wir zeigen also einfach nur die Folgen auf, die sich aus unterschiedlichen Emissionen ergeben würden, und auf dieser Grundlage können im üblichen gesellschaftlichen Diskurs dann die Konsequenzen erörtert werden – z.B. ob der Staat gestaltend eingreift, um durch geeignete Rahmenbedingungen (z.B. Einspeisevergütung) die Transformation hin zu den Erneuerbaren zu beschleunigen. Stefan Rahmstorf]

  5. @Rudolf Schiller: Cherry-Picking 1/2

    Klimaleugner-Taktiken

    Heute: Taktik #05 – Das Cherry-Picking 1/2

    Man wähle sich in der natürlichen Schwankung der Klimadaten den Ausgangs- und Endpunkt der Betrachtung so, damit möglichst das gewünschte Ergebnis herauskommt. Kommt über lange Zeiträume nicht das gewünschte heraus, dann verkürze man einfach den Zeitraum so stark, bis die natürlichen Schwankungen den langfristigen Trend überwiegen. Auch hilft es, z.B. einen kurzzeitig außergewöhnlich hohen oder niedrigen Wert zu nehmen, der sich deutlich von seiner Umgebung absetzt. Auf keinen Fall darf man lange Zeiträume und Durchschnittswerte benutzen, denn das würden den wirklichen Trend zu stark zeigen. Und das will ja hoffentlich keiner!

    Diese einfache Taktik liefert dem Klimaleugner von heute daher ein wunderbares Werkzeug, um die nötigen Zweifel an der Klimawissenschaft in der naiven Bevölkerung zu säen, um die drohende “Ökodiktatur” zu verhindern und es unseren wohlwollenden und fürsorgenden Energiebringern wie BP, Exxon oder RWE weiterhin zu ermöglichen, fossile Rohstoffe gewinnbringend (und zu unser aller Wohl) und nachhaltig zu verbrennen.

    Beispiel:
    Man gehe wie Rudolf Schiller in seinem Beispiel oben von einer zunächst wahren Behauptung aus. Das ist eine gute Taktik, da wir so gleich von Beginn mit einer hohen Glaubwürdigkeit starten.

    > Der Trend der Meeresspiegel-Erhöhung
    > liegt (seit 1993 bis Heute) zwischen
    > 2,9 mm und 3,25 mm (2,9 | 3,1 | 3,2 |
    > 3,25) pro Jahr je nach Quelle

    Dann wähle man sich einen möglichst hohen Spike als Anfang, z.B. den Wert vom 06.01.2000, und einen möglichst niedrigen Ausschlag am Ende, z.B. den Wert vom 24.01.2011. Die beiden Werte verbinden wir jetzt einfach und nennen dies “Trend”. Das ist zwar keiner, aber so genau hinterfragt dies das gemeine Volk ohnehin nicht.

    > 2000.0180 8.209
    > 2011.0673 30.809

    Macht einen Anstieg von 2,05mm pro Jahr. Da der Trend der letzten 17 Jahre bei etwa 3,1mm pro Jahr lag, haben wir damit nun “bewiesen”, dass sich der Meeresspiegelanstieg seit dem Jahr 2000 deutlich abgeschwächt hat (Rückgang des Anstiegs um rund 35%). Was will man als Klimaleugner noch mehr, als dass wir damit für immer und einmal gezeigt haben, dass dieses ganze AGW-Zeugs nur Panikmache ist !!!111!!1

    Gleich gehts weiter. Im zweiten Teil erfahren Sie, wieso das alles absoluter Unsinn ist und die Klimaleugner einfach nur mit Dreck herumwerfen, gemäß dem Motto “ein bisschen bleibt immer hängen”…

  6. @Rudolf Schiller: Cherry-Picking 2/2

    Das tolle am Cherry-Picking ist nun, dass wir damit auch genau das Gegenteil zeigen können.
    Wir wählen jetzt einfach als Anfang einen möglichst niedrigen Ausschlag und als Endpunkt einen hohen Spike:

    2000.0994 -0.436
    2010.9587 38.030

    Macht jetzt einen Anstieg von 3,54mm. Da der Trend der letzten 17 Jahre bei etwa 3,1mm pro Jahr lag, haben wir damit nun “bewiesen”, dass sich der Meeresspiegelanstieg seit dem Jahr 2000 deutlich beschleunigt hat (Zunahme des Anstiegs um rund 15%). Huiuiuiui!!11!!!

    Was haben wir jetzt also gelernt?
    Wir haben gesehen, dass sich mittels Cherry-Picking zeigen lässt, dass sich der Meerespiegelanstieg seit 2000 einmal verlangsamt und einmal beschleunigt hat.

    Offensichtlich ist dies widersprüchlich und die von Rudolf Schiller oben angewendete “Methode” völlig unsinnig. Wie unsinnig sie ist, sieht man leicht, wenn man sich die Daten und diese “Trends” einfach mal visualisiert:

    http://img29.imageshack.us/…1/cherrypicking1.png

    Die blaue Linie zeigt den realen Trend seit 1993. Durch Cherry-Picking und durch Rudolf Schillers “Trend”-Definition können wir es nun so hindrehen, dass wir seit 2000 einmal einen höheren Trend (pinke Linie) und einmal einen niedrigeren Trend (grüne Linie) bekommen.

    Wie man in der Grafik sieht, basiert dies einfach daran, sich möglichst hohe/niedrige Ausschläge in der Kurve zu suchen. Dass dabei natürlich nur Quatsch herauskommt, stört die Klimaleugner nicht.

    Bei noch kürzeren Zeiträumen lassen sich dann noch “tollere” Dinge zeigen, z.B. dass der Meeresspiegel seit 2007 einerseits noch schneller gestiegen ist und andererseits sogar gefallen ist:

    http://img196.imageshack.us/…/cherrypicking2.png

    Toll, oder?
    Fazit: Vertrauen sie lieber richtigen Klimaforschern wie Stefan Rahmstorf, die verstehen ihr Handwerk im Gegensatz zu dahergelaufenen Klimaleugnern in Blogs wenigstens.

  7. “als Klimaforscher können und wollen wir künftige Emissionen nicht vorhersagen. Deshalb machen wir (z.B. im IPCC-Bericht) Projektionen (keine Prognosen!), die nach dem “wenn…dann” Prinzip funktionieren. “
    Lieber Herr Rahmstorff, ich glaube Ihnen ja gerne dass die Klimaforscher das so sehen. Entscheidend ist jedoch, dass in den Medien ein ganz anderer Eindruck rübergebracht wird. Dort liest man nichts über Projektionen, sondern von offenbar unumstößlichen, weil wissenschaftlich belegten Tatsachen. Weiterhin wird suggeriert, das Problem könne nur durch eine Kombination von Konsumverzicht, EE-Subventionen und Zertifikatehandel gelöst werden.

    Die andere Seite der Medaille, also die Punkte die ich im Vorposting beschrieben habe, werden entweder ganz oder zum größten Teil dem Publikum vorenthalten. Schuld daran sind sowohl die Journalisten wegen ungenügender Recherche als auch viele Klimaforscher, weil sie diese Aspekte nicht oder nicht deutlich genug darstellen.

    Statt objektiver Darstellung der Gesamtlage wird eine öffentliche Debatte darüber geführt, ob die gemessenen Änderungen der Klimadaten wie Temperatur, CO2-Gehalt, Meeresspiegel usw. menschengemacht sind oder natürliche Ursachen haben.

    Das ist m.M. nach eine gezielte Vernebelung der Sachlage: Entweder sind die Veränderungen natürlich, dann bleibt der Menschheit nur der Weg mit den Folgen zu leben und die möglichen Schäden zu minimieren. Ist der Klimawandel aber anthropogen, dann kann der Mensch das Problem durch technische Maßnahmen wie z.B. die massive Ausweitung der CO2-Senken lösen.

    Der wirklich springende Punkt ist: Was ist billiger, leichter politisch und technisch umzusetzen, Emissionsreduzierung oder Ausweitung der Senken?

    Ich denke diese Frage könnte eine gute Anregung für einen Ihrer nächsten Artikel sein.

    [Antwort: Dass die globale Erwärmung der letzten Jahrzehnte anthropogen ist, ist unter Klimaforschern nicht mehr umstritten. Eine Senke, die von der Menge her ausreichen würde, um unsere fossilen Emissionen auszugleichen, ist mir nicht bekannt. Selbst wenn Sie den ganzen Wald wieder aufforsten könnten, den die Menschheit in den letzten Jahrhunderten abgeholzt hat, würde das nur einen Bruchteil des Nötigen bringen. Und die Versuche, die Ozeansenke zu verstärken, haben sich als “Schlag ins Wasser” erwiesen. Es führt also kein Weg daran vorbei, die Ursache anzupacken: unsere CO2-Emissionen und die der anderen anthropogenen Treibhausgase. Dennoch ist es natürlich zusätzlich sehr sinnvoll, bei der Landbewirtschaftung die Senkenfunktion soweit wie möglich zu stärken – nur reichen wird das alleine nicht. Stefan Rahmstorf]

  8. “Selbst wenn Sie den ganzen Wald wieder aufforsten könnten, den die Menschheit in den letzten Jahrhunderten abgeholzt hat, würde das nur einen Bruchteil des Nötigen bringen.”

    Das sehen viele Experten allerdings nicht so. Wie gesagt, ich empfehle Ihnen sich einmal etwas näher mit der Materie zu beschäftigen. Ganz wichtig dabei ist, alle gleichzeitig eintretende Effekte zu berücksichtigen. Wenn z.B. eine Steppe mit Nutzbäumen (Palmen, Obst, Brennholz usw.) aufgeforstet wird, entsteht alleine durch die neue Humusschicht und der neuen Biomasse eine CO2-Senke von mindestens 500 t/ha auf einige Jahrzehnte gerechnet. Hinzu kommt die Nutzung von Bruchholz usw. als Ersatz für fossile Kohle sowie die zusätzliche Nahrungsmittelproduktion. Auch dürften das zusätzlich gespeicherte Wasser im Bereich von einigen hundert t/ha liegen und den Meeresspiegel meßbar senken.

    Ich müsste die Quelle mal raussuchen, aber es gibt Berechnungen wonach eine derartige Aufforstung von der Hälfte Australiens ausreichen würde um den CO2-Gehalt weltweit auf vorindustrielles Niveau zu senken und einen Großteil des heutigen Kohleverbrauchs zu ersetzen.

    Es gibt übrigens fertige Pläne für Wasserpipelines vom regenreichen australischen Nordosten in das Outback, das wird nur aus Geldmangel noch nicht realisiert. In der Sahel-Zone gibt es m.W. ebenfalls enorme Potenziale wenn das Niger-Wasser optimal genutzt würde. Das ist technisch und ökologisch machbar, scheitert aber auch bislang an der Finanzierung.

    Auf jeden Fall wäre das wesentlich wirksamer und vor allem billiger als hunderte Milliarden im Jahr zu verpulvern um große CO2-Emmitenten wie Kohlekraftwerke, Zement- und Aluminiumfabriken etc. von einem Kontinent auf den anderen zu verlagern ohne dabei eine einzige Tonne CO2 netto einzusparen.

    [Antwort: Lieber Herr Becker, das Paper zur Aufforstung der Wüste Australiens kenne ich – halten unsere Landnutzungsexperten allerdings für utopisch. Können Sie sonst noch auf begutachtete Fachliteratur mit konkreten Abschätzungen verweisen, wie viel weltweit insgesamt (nicht lokal pro Hektar) durch Senken herausgeholt werden könnte? Das ist ja die entscheidende Frage. Stefan Rahmstorf]

  9. Um den CO2 Gehalt zu stabilisieren müssten pro Jahr ca. 5 Mrd. Tonnen Kohlenstoff zusätzlich gespeichert werden. Das würde mit einer intelligenten Aufforstungsstrategie ca. 10 Mrd. € im Jahr kosten, also weniger als 10% von den derzeitigen Kosten des Emissionshandels.

    http://www.prima-klima-weltweit.de/…fbindung.php

    In dieser Berechnung ist das im zusätzlichen Humus gespeicherte C (und Wasser) noch nicht enthalten.

    Wenn ein KM2 im Schnitt 20 Tonnen C im Jahr speichert würden ca. 2,5 Mio. KM2 benötigt, also etwa 1/4 der Fläche Australiens.

    Das verteilt sich natürlich über alle Kontinente. Die potentiell geeigneten Flächen sind mehr als ausreichend dafür vorhanden:

    1. Wenn es gelingt, in den Entwicklungsländern die Hektarerträge der regulären Landwirtschaft zu verdoppeln wird die Hälfte der dort vorhandenen Agrarflächen für Aufforstungen etc. frei.

    2. Ähnlich ist es bei durch Bürgerkriege oder Mismanagement verwaisten Flächen, oftmals beste Böden, z.B. Sudan oder Simbabwe.

    3. Durch die Einführung längst überfälliger Handelbeschränkungen u.a. für Tropenholz und Gen-Soja würde der Abholzungsdruck auf die bestehenden Urwälder entscheidend gesenkt und es würden riesige Flächen frei. Die entsprechenden Futtermittel (Soja-Ersatz) können auch in den meisten Industrieländern durch eine 2. Ernte produziert werden, allerdings wird dann der Liter Milch ca. 0,5 Cent teurer.

    4. Das großflächige Aufforstungen in regenarmen Gebieten möglich sind kann man seit Jahrzehnten u.a. in Israel, Ägypten und Algerien sehen.

    Tatsache ist, dass jeder Landwirt, ob Kleinbauer oder Agrarkonzern, immer genau das pflanzt was ihm kurzfristig den höchsten Profit verspricht. Ähnlich ist es bei den sog. Eliten, wenn die merken dass man mit Aufforstung usw. viel Geld verdienen kann dann machen die das auch im großem Stil. Genau hier liegt der Ansatzpunkt für entsprechende politische Entscheidungen.

    Wie gesagt, man muß den Gesamtzusammenhang sehen. Da die Förderung fossiler Energien immer teurer wird, ist mit rückläufigen Verbrauch zu rechnen. Das wird durch größere Energieeffiziens und den vermehrten Einsatz alternativer Energien geschehen. Das bedeutet sinkende Emissionen bei größer werdenden Senken.

    Deshalb halte ich es für utopisch, mit dem derzeitigen Zertifikatehandel, CO2-Verpressunmg und womöglich Ausbau der Kernenergie das Problem lösen zu wollen.

    [Antwort: Sie nennen keine begutachtete Fachliteratur sondern eine Werbewebseite – und selbst dort heißt es ja:
    “Die erste Anforderung an wirksames Klimaschutzhandeln lautet, den Energieverbrauch zu reduzieren, das genutzte Energiepotential effizienter einzusetzen und den Anteil der erneuerbaren Energieträger zu vergrößern. Darüber hinaus ist die Möglichkeit, der Luft durch zusätzliche Bäume CO2 zu entziehen und Kohlenstoff in Wäldern und Holz zu speichern, angesichts der riesigen Herausforderung durch die Treibhausgasproblematik eine unverzichtbare Handlungsoption.” Genau so sehe ich das auch. Kohlenstoffspeicherung durch verbesserte Landnutzung ist eine ganz wichtige Option, der bislang noch zuwenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Aber ich sehe nicht, dass man alleine damit das Problem lösen kann und dabei trotzdem weiter kräftig Kohle verbrennen. Wir müssen das Problem auch an der Hauptursache – unseren fossilen Emissionen – anpacken. Stefan Rahmstorf]

  10. Aufforstung

    Lieber Herr Rahmstorf,
    da gerade das Thema Aufforstung angesprochen wurde.
    Erstaunt nahm ich kürzlich die Internet-Meldung auf, dass Franz Josef Radermacher für Aufforstung und Kompensationen statt Gebäudesanierung zur CO2-Einsparung plädierte, da dies weit kostengünstiger und damit sozialverträglicher zu realisieren sei. Könnten Sie bitte dazu Ihre Einschätzung geben.
    Vielen Dank.

    [Antwort: Am kostengünstigsten wäre es, erstmal die weitere Abholzung zu stoppen. Aber nur die “low hanging fruit” zu ernten (also die derzeit günstigsten Maßnahmen zu ergreifen) wird nicht ausreichen. Auf Dauer müssen wir auf Nullemissionen, und über diesen Strukturwandel kann man nicht erst dann nachdenken, wenn die “low hanging fruit” einmal abgeerntet sind. Denn er dauert Jahrzehnte, daher muss er jetzt beginnen. Stefan Rahmstorf]

  11. “Aber ich sehe nicht, dass man alleine damit das Problem lösen kann und dabei trotzdem weiter kräftig Kohle verbrennen.”

    Das hat ja so auch niemand behauptet. Ich habe auf die Mehrfach-Effekte hingewiesen. Z.B. das eine veränderte Landnutzung nicht nur CO2 speichert sondern gleichzeitig fossile Emissionen verringert, z.B. durch Feuerholz, Holzkohle, Pflanzenöl oder Biosprit.

    Darüberhinaus dürften in absehbarer Zukunft weitere Alternativen marktreif sein, z.B. Algen- und Bakterienkulturen, chemische oder biologische Stromspeicher usw.

    Das größte Problem bei allen Zukunftsprognosen liegt darin, dass die technische Entwicklung völlig unvorhersehbar ist. Da die Entscheidungen aber hier und heute gefällt werden müssen ist man auf den aktuellen Stand der Technik angewiesen. Deshalb sind die von mir vorgeschlagenen Strategien erfolgversprechender als zig Milliarden für Technologien mit völlig ungewissem Ausgang wie CO2-Verpressung oder Kernfusion zu binden.

    Auf jeden Fall führt die alleige Focussierung auf Emmissionsreduzierung in eine Sackgasse, das belegen die unzähligen gescheiterten Klimakonferenzen ganz eindrucksvoll. Viele Wege führen nach Rom und nichts (außer den Profitinteressen mancher Konzerne, Zertifikatespekulanten und Banken) spricht dagegen, ein derart komplexes Problem mehrgleisig anzugehen.

  12. Ansichten eines interessierten Laien …

    Ein großes Abschmelzen der Eismassen mit damit verbundenem enormen Meeresspiegelanstieg fand unter anderem zwischen 9000 BC und 6000 BC statt.
    Der Meeresspiegel stieg in diesem Zeitraum von -60m auf -15m.
    Um 9000 BC bis 6000 BC durchlief die Erde den sonnennahen Bereich der Erdbahn im Nordsommer.
    Die Einstrahlungsintensität der Sonne im Nordsommer war deutlich stärker als heute, zumal auch die Neigung der Erdachse wie auch die Exzentrität der Erdbahn etwas größer war.
    Zur Zeit durchläuft die Erde den sonnenfernsten Punkt (Aphel) im Nordsommer und die Eismassen schwinden bzw. der Meeresspiegel steigt trotzdem !
    Ich denke daher, daß der Einfluß der Treibhausgase auf das Klima aufgrund der aktuellen Erdbahnparametersituation mit abgeschwächter Temperaturerhöhung zur Geltung kommt und daß das Problem der globalen Erwärmung über mehrere Jahrtausende in die Zukunft gesehen viel schlimmer ist, als sich die Situation gegenwärtig darstellt.
    Bei konstant gebliebenem vorindustriellem CO2-Niveau hätte eher eine Abkühlung einsetzen müssen.
    In 9000 Jahren ist die Nordsommer-Sonnenwende wieder im sonnennächsten Punkt der Erdbahn und somit steigt die Einstrahlungsintensität der Sonne in den nächsten 9000 Jahren in den Nord-Sommern wieder an.
    Falls sich also nach den kommenden paar Tausend Jahren immer noch über 400 ppm CO2 in der Luft befinden, woran ich nicht zweifle, wird sich der Erderwärmungsprozeß mit damit verbundenem Meeresspiegelanstieg weiter fortsetzen.
    Die Erde ist auf dem Weg in ein Klima, wie es vor 5 Millionen Jahren herrschte.

    [Antwort: Richtig. In der ersten Hälfte des Holozän war die Sommersonne im Norden aufgrund der Erdbahnzyklen besonders stark – daher das Abschmelzen der großen eiszeitlichen Eismassen und der damit verbundene Meeresspiegelanstieg. Seither – also in den letzten Jahrtausenden – nimmt die Sonneneinstrahlung im Sommer im Norden ab – daher z.B die jahrtausende lange langsame Abkühlung der Arktis (die Sedimentdaten zeigen), die erst mit der anthropogenen Erwärmung ein jähes Ende fand. Daher auch das Anwachsen der Gletscher, die Ötzi unter sich begruben – bis er mit der anthropogenen Erwärmung jetzt wieder zum Vorschein kam. Stefan Rahmstorf]

  13. nun ja ….

    Hier wird wieder einmal von cm oder gar mm geschrieben. Auch ein Anstieg von 60 METERN (!) wäre durchaus verkraftbar. Gut, Länder wie die Niederlande würde es schwer treffen. Dänemark wäre ganz verschunden. Aber auch solch ein Anstiegt würde die Menschheit nicht ausrotten. Sogar ein Anstieg auf +500m würde noch genügend Lebensraum bieten. Das der Meeresspiegel in der Vergangenheit viel viel höher als heute war ist auch bekannt. Ob nun vom Menschen herbei geführt oder zumindest beschleunigt spielt keine Rolle es gab immer “Hoch und Tiefwasser Zeiten) man wirds überleben.
    Allerdings bedeutet mehr Wasser und Globale Erwärmung, dass es auch mehr warmes Wasser geben wird – diesbezüglich auch mehr Stürme und Unwetter. Warmes wasser ist der Nährboden eines jeden Wirbelsturms. Es Verdunstet auch mehr Wasser, feuchte warme und labil Luft sorgt wiederum für Gewitter und Stürme. Aber: Sind die Meere dann größer und vor allem wärmer und es verdunstet sehr viel mehr Wasser als heute hätte dies auch eine viel größere Wolkenbildung und somit auch eine größere “Abschattung” der Erde zur Folge, also auch eine nicht stärkere Erwärmung durch Sonnenbestrahlung ? Fällt nicht auch mehr Niederschlag in Bereichen wo es heute gar nicht oder kaum Niederschläge gibt ? Fällt nicht auch mehr Niederschlag an den Polen, die durch die Abschattung als Schnee fallen und letztendlich wieder zu Eis werden ? Ist die Globale Erwärmung, das Aufheizen der Meere und deren Anstieg und die damit verbundene Wolkenbildung nicht am Ende der Auslöser einer Abkühlung ???