Melancholia

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Astronomie mit eigenen Augen
Clear Skies

Fein inszenierte Weltuntergänge locken stets Menschenmassen vor die Kinoleinwände, manchmal auch mich. "Melancholia", der jüngste Streich des dänischen Regisseurs Lars von Trier, ist nur einer von vielen ähnlichen Filmen der letzen Jahre, die es mal so richtig krachen lassen. Die arme Erde! Da zerschellt sie an einem viel größeren Planeten und zerspringt in 1000 Stücke. Ich mag einige Filme dieses Regisseurs (abgesehen vom "Antichrist"), zumal sie einen Tiefgang haben, der im Mainstream bewegter Bilder Seltenheitswert hat. Wie realistisch aber sollte ein Film bleiben? Inwieweit sind Kunstgriffe zugunsten der Handlung und der Dramatik, aber zuungunsten wissenschaftlicher Gegebenheiten akzeptabel?

Der Film "Melancholia" spielt mit astronomischen Fakten, daher muss er sich überall dort Kritik gefallen lassen, wo selbst der astronomische Laie Widersprüche oder gar blanken Unfug entdecken muss. Gehen wir mal einige Punkte durch:

Das Sternbild Skorpion am Nordsternhimmel

Lars von Trier ist Däne und sein Film Melancholia spielt offenkundig in Skandinavien. Da wundert sich der Amateurastronom schon nach wenigen Minuten, wenn das Sternbild Skorpion hier ganz hoch am Firmament steht und seine Hauptdarsteller ihre Köpfe arg nach oben verdrehen müssen, um es zu sehen. Dass Antares, der hellste Stern des Sternbilds Skorpion, rot erscheint (und ähnlich hell ist wie der Planet Mars), ist korrekt. Daher sein Name "Antares", der aus dem Griechischen stammt und soviel wie "Gegenmars" bedeutet.


"Melancholia" kommt aus dem Nichts

Haarsträubend wird es nun aber im weiteren Verlauf des Films. Ich zitiere aus der Handlungs-Beschreibung Wikipedias:

"… John, begeisterter Amateurastronom, stellt fest, dass Antares nicht mehr zu sehen ist, weil er durch den interstellaren Planeten Melancholia verdeckt wurde. Er ist hinter der Sonne aufgetaucht und an Antares vorbei gezogen. Nach seinen Berechnungen wird Melancholia die Erde in unmittelbarer Nähe passieren. …"

In dieser kurzen Beschreibung steckt viel Unfug. Woher nun der Planet "Melancholia" so plötzlich kommt, ist mir auch beim Anschauen des Films nicht ganz klar geworden. Im Jahre 2011 nähert sich ein Objekt der Größe "Melancholias" nicht unbemerkt dem Sonnensystem. Dieses Wikipedia-Zitat kann man – ebenso wie den Film selbst – auf zweifache Wese verstehen. Zum einen als Bedeckung eines weiter entfernten Sterns durch ein näheres Himmelsobjekt – allein schon äußerst unwahrscheinlich. Die Wahrscheinlichkeit aber, dass die Bahn eines näheren Himmelsobjekts über einen längeren Zeitabschnitt exakt so verläuft, dass ein dahinter liegender Stern – in diesem Fall der 600 Lichtjahre entfernte Antares – verdeckt ist, ist gleich Null. Die Bahn des bedeckenden Himmelsobjekts müsste kerzengerade verlaufen – äußerst unwahrscheinlich. Und sie müsste in diesem Fall exakt vom Antares verlaufen – ebenfalls äußerst unwahrscheinlich.

Versteht man Zitat und Film anders und nimmt dieses "an Antares vorbei gezogen" wörtlich, so wird es nicht plausibler: Erde und Sonne sind rund achteinhalb Lichtminuten voneinander entfernt; das Sonnensystem und den Roten Überriesen Antares sowie seinen blauweißen Begleiter trennen rund 600 Lichtjahre. Selbst wenn ein solches Objekt wie "Melancholia" mit Lichtgeschwindigkeit durch unsere Heimatgalaxis Milchstraße "unterwegs" wäre, so würde er nach Adam Riese dann auch erst nach 600 Jahren das Sonnensystem erreichen und natürlich lange vor seiner Ankunft im Sonnensystem entdeckt sein. Das schnellste derzeit bekannte einzelne Himmelsobjekt innerhalb unserer Galaxis übrigens ist – soweit ich weiß, ich lasse mich gerne korrigieren… – ein Pulsar im Sternbild Schwan, der sich mit beachtlichen 1100 Kilometern pro Sekunde anschickt, die Milchstraße zu verlassen. Und selbst das ist nur ein winziger Bruchteil jener rund 300.000 Kilometer pro Sekunde Lichtgeschwindigkeit.

In jedem Fall aber ist dieses "hinter der Sonne" albern. Von "hinter der Sonne" kann nur derjenige sprechen, der noch nicht mitbekommen hat, dass die Erdbahn um die Sonne verläuft. Und was man da im Laufe eines Jahres allein von der Erde aus so alles mitbekommt… 🙂

Die Phasen des Planeten "Melancholia"

Ganz abstrus sind die Phasen des sich der Erde nähernden Planeten "Melancholia". In einer Einstellung stehen Erdmond und "Melancholia" nebeneinander – und zufälligerweise gleich groß – und zeigen dieselbe zunehmende Phase. Da sich der Planet "Melancholia" der Erde vom inneren Sonnensystem aus nähert, ist es korrekt, ihn mit Phasen zu zeigen. Wer die Venus mit dem Teleskop beobachtet hat, kennt das aus eigener Anschauung: Nur die inneren Planeten Merkur und Venus zeigen uns Phasen wie der Mond. Weshalb sich dann aber "Melancholia" ab Filmmitte – und auch noch am Taghimmel – stets in voller Pracht zeigt, quasi als "Voll-Melancholia", bleibt ein weiteres Rätsel dieses Streifens. Da verzeiht es der generöse Zuschauer auch gerne, wenn der böse Planet aus der Sicht der Hauptakteure dann irgendwann am Nacht- und am Taghimmel sichtbar ist.

Der "Tanz" von Erde und "Melancholia"

Der Planet "Melancholia", der sich da – von wo auch immer aus dem Nichts auftauchend – auf die Erde zu bewegt, von ihr entfernt, um dann noch schneller wieder auf sie zuzukommen, ist erheblich größer als die Erde. In der mit knackiger Wagner-Musik (aus "Tristan und Isolde") unterlegten, minutenlangen Eingangssequenz, werden Erde und der Planet "Melancholia" gezeigt, wie sie sich aufeinander zu bewegen, letztlich miteinander in einem gewaltigen Crash verschmelzen. Der Film-Planet "Melancholia" ist geschätzt halb so groß wie Jupiter, also ein Vielfaches größer als der Planet Erde. "Melancholia" – im übrigen ein ebenfalls blauer Planet mit einer Atmosphäre! – ist entsprechend massereicher als die Erde. Die Bahn, die "Melancholia" nun um die Erde zieht, ist daher Unfug. Erst schrammt der Riesenplanet sehr nah an der Erde vorbei, ohne dabei die Erdbahn zu beeinflussen. Dann scheint die Gravitation der Erde groß genug, den Riesenplaneten "Melancholia" schwuppdiwupp einzufangen, um ihn direkt eine 180-Grad-Kehrtwende vollziehen zu lassen – zurück in Richtung Erde.

Spätestens an dieser Drehbuchstelle hätte der kleine Amateurastronom dem großen Regisseur Lars von Trier den Tipp gegeben, zugunsten der Glaubwürdigkeit ein wenig Dramatik zurück zu schrauben. Klar, für die Handlung ist dieser kleine Hoffnungsschimmer, dass der bedrohliche und gleichsam "schöne" Planet sich zunächst wieder von der Erde entfernt, nicht unwesentlich, aber dem halbwegs klar denkenden Zuschauer bereitet ein solch alberner Kunstgriff körperliche Schmerzen. Bei den unterschiedlichen Massen beider Planeten Erde und "Melancholia" würde die Erde schon bei der ersten knappen Begegnung aus ihrer Bahn geworfen, und fertig.

Was bleibt

Eigentlich ist es schade, denn der Meister hätte nur wenige Stellschrauben an seinem Drehbuch drehen und einfach mal mit einem Astronomen sprechen müssen, um seinen sehenswerten Film noch besser hinzubekommen.

Der Film "Melancholia" gefällt mir trotz inhaltlicher Unzulänglichkeiten, von denen ich hier nur ein paar genannt habe. Abgesehen von der unnötig nervigen Kameraführung (Handkamera in Dogma-Manier) beeindrucken die Bildsprache und die schauspielerischen Leistungen insbesondere der Hauptdarstellerin Kirsten Dunst ("Justine") und ihrer von Charlotte Gainsbourg gespielten Schwester "Claire". Die auf das Beziehungsgeflecht einiger weniger Akteure reduzierte Sicht, die eine höhere Ebene widerspiegelt, gelingt grandios. Mir kam gestern im Kino die Aristoteles-Weisheit in den Sinn "Allgemeines beweist sich erst durch die Konkretisierung im Einzelfall". Meisterhaft spiegelt sich im Film Großes im Kleinen, vice versa. Das ist wahre Filmkunst, die heute selten ist.

Clear Skies, Stefan Oldenburg

MELANCHOLIA – Regie, Buch: Lars von Trier. Kamera: Manuel Alberto Claro. Schnitt: Molly Stensgaard. Mit: Kirsten Dunst, Charlotte Gainsbourg, Kiefer Sutherland, Charlotte Rampling, John Hurt, Udo Kier. Concorde. 130 Min.

Links:

Wikipedia "Melancholia (Film)"

Eine schnörkellose Filmkritik aus der SZ

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Astronomische Themen begeistern mich seit meiner Kindheit und ich freue mich, Zeuge des goldenen Zeitalters der Astronomie zu sein. Spannende Entdeckungen gibt es im Staccatotakt, aber erst im Erkunden unserer kosmischen Nachbarschaft mit den eigenen Augen liegt für mich die wirkliche Faszination dieser Wissenschaft. "Clear Skies" lautet der Gruß unter Amateurastronomen, verbunden mit dem Wunsch nach guten Beobachtungsbedingungen. Deshalb heißt dieser seit November 2007 bestehende Blog "Clear Skies".

5 Kommentare

  1. Kleinlichkeiten

    Sehr auffällig die Erdähnlichkeit des neuen Himmelskörpers. Ich stelle mir die Frage, ob ein vagabundierender Planet in der Größe und mit hoher Geschwindigkeit in unser System eindringend nicht eher als Eisklumpen daher hätte kommen müssen. Aus den eisigen Weiten des Weltalls kommend, so schnell durch zu tauen, ich weiß nicht. Zumindest eins kann man von diesem Film doch lernen. Dummheit hat Hollywood nicht gepachtet.

  2. Der blaue Planet No. 2

    … Ich stelle mir die Frage, ob ein vagabundierender Planet in der Größe und mit hoher Geschwindigkeit in unser System eindringend nicht eher als Eisklumpen daher hätte kommen müssen. …

    In der Tat, es ist.

  3. Ein Einwand zuviel

    “Aus den eisigen Weiten des Weltalls kommend, so schnell durch zu tauen, ich weiß nicht.” Einmal blitzt kurz eine Computergrafik auf, in der man sieht, dass Melancholia auf einer Hyperbelbahn sehr nahe an der Sonne vorbei geflogen ist, und im Dialog wird erwähnt, dass sie danach Merkur und Venus passierte – zum Erzeugen der transienten Atmosphäre einer Supererde dürfte das reichen. Die drei dänischen Astronomen, die im Abspann genannt werden, haben vielleicht doch was Nützliches beigetragen …

  4. Noch ne andere Erde

    Seien Sie bedankt für die behutsame Beckmesserei. Es gibt ja noch einen weiteren, höchst empfehlenswerten Film über einen Planeten, der plötzlich nah unserer Erde auftaucht, nämlich “Another Earth” (http://sfsff.blogspot.com/…/doppelt-geerdet.html). Die Vorstellung einer zweiten, baugleichen Erde gemahnt an “Per Anhalter durch die Galaxis” und ist astronomisch gesehen natürlich Unsinn, aber dennoch in diesem Film dramaturgisch genial eingesetzt. Auch hier würde ich dem von Ihnen zitierten Harry S. Toteles beipflichten. Von der ersten Erde grüßt Ihr Edgar Lösel

  5. Hallo,

    im FIlm gibt es in etwa bei Minute 50 verschiedene Bilder aus dem All zu sehen, die ich nicht zuordnen kann. Wisst ihr, was es damit auf sich hat? Was ist auf diesen 4 Bildern zu sehen?

    Dankeschön und einen lieben Gruß!

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