Erdähnlicher Exoplanet 7 Monate zu früh entdeckt?

BLOG: Go for Launch

Raumfahrt aus der Froschperspektive
Go for Launch

Gestern wurde die Entdeckung des bisher erdähnlichsten Exoplaneten publik. Die Mindestmasse von Gliese 581 g soll nur das 3.1-fache der Erdmasse betragen. Wichtiger noch: Wahrscheinlich läuft er in der “habitablen Zone” um sein Zentralgestirn: in einem Abstand, wo die Sonneneinstrahlung gerade so sein könnte, dass es für flüssiges Wasser auf seiner Oberfläche reicht.

Der Stern, um den dieser Planet umläuft, heißt Gliese 581 und ist nur gut 20 Lichtjahre von uns entfernt – also fast schon ein direkter Nachbar. Es handelt sich um einen veränderlichen Stern, der viel kleiner und kühler ist als unsere Sonne. Gerade weil dieser Stern so klein und kühl ist (dass er zudem so nahe am Sonnensystem ist, ist Glück für die Astronomen), konnte man seine zahlreichen Planeten nachweisen. Und wegen dieser Eigenschaften des Sterns befindet sich der neu entdeckte Planet Gliese 581g auch trotz nur ca. 0.15 AE Bahnradius (rund 22 Millionen km, d.h., 15% der Entfernung zwischen Sonne und Erde) und seiner Umlaufperiode von nur 37 Tagen bereits in der theoretischen habitablen Zone.

Für diese hat jemand mit einem Talent für einprägsame Formulierungen den Begriff “Goldilocks zone” erfunden. Goldilocks (“Goldlöckchen”) ist eine Figur aus einem Kinderbuch. Sie verläuft sich im Wald und kommt zum Haus der Bärenfamilie. Die sind gerade nicht da, aber ihre Teller mit Porridge stehen auf dem Tisch. (Warum? He, das ist ein Märchen, OK?). Das Porridge von Vater Bär ist (na, merken Sie was?) zu heiß, das von Mama Bär zu kalt, aber das von Baby Bär ist … genau richtig temperiert.

Gliese 581g hat 5 Geschwisterplaneten, die denselben Stern umkreisen. Gliese 581e war bei seiner Entdeckung der kleinste bekannte Exoplanet, allerdings läuft er auf einer so engen Bahn, dass er nur 3 Tage für einen Umlauf braucht. Auf Gliese 581e dürfte es sehr heiß sein. Der ebenfalls neu entdeckte Gliese 581f ist mindestens 7 Mal so groß wie die Erde und läuft sehr viel weiter draußen um. Er wird deswegen extrem kalt sein.

Für Gliese 581g wurde dagegen eine Gleichgewichtstemperatur von etwa 228 K (-45 Grad Celsius) errechnet. Dies ist schon recht dicht an der Gleichgewichtstemperatur der Erde von 255 K (-18 Grad Celsius). Die Gleichgewichtstemperatur ist aber nur ein theoretischer Wert, der sich aus dem Gleichgewicht zwischen Einstrahlung und Abstrahlung berechnet. Die wirkliche irdische Durchschnittstemperatur ist dank der Atmosphäre und ihrem Treibhauseffekt mehr als 30 Grad höher als ihre Gleichgewichtstemperatur, nämlich +15 Grad C. Gliese 581g hat mehr als drei Mal so viel Masse wie die Erde, könnte also eine  dichtere Atmosphäre beherbergen. Die tatsächliche Oberflächentemperatur könnte dann im Mittel bis zu -12 Grad C betragen. Das wäre auch nicht kälter als ein strenger Winter in Deutschland.

Und was heißt hier “zu früh”?

Mitte September erschien eine wissenschaftliche Veröffentlichung, in der aus der Statistik der bis jetzt entdeckten Exoplaneten, ihrer Größe und ihrer Habitabilität daraus geschlossen wird, wann der erste wirklich erdähnliche Planet gefunden wird: Mai 2011. Die zuerst entdeckten Exoplaneten waren alle vom Typ “heißer Jupiter”: große Gasplaneten sehr dicht an ihrem Zentralgestirn. Dies lag einfach an den verwendeten Messverfahren – solche Objekte bemerkt man leicht sich aufgrund ihres Schwerkrafteinflusses auf die Position des Sterns, dem sie angehören. Mit zunehmender Messgenauigkeit und anderen Verfahren fand man immer kleinere und auf höheren Bahnen umlaufende Exoplaneten. Irgendwann stößt man zu den erdähnlichen vor.

Nun gut, entweder sind die Entdecker von Gliese 581g wirklich ein paar Monate zu früh dran, oder Gliese 581g ist doch weniger habitabel, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Nicht nur ist der Stern Gliese 581 variabel, wenn auch anscheinend mit einer geringen Amplitude von maximal 0.006 Magnituden. Wenn die Strahlung des Sterns nicht konstant ist, wirkt sich das stark auf seine Planeten aus, und das verheißt meist nichts Gutes für die lebensfreundlichen Bedingungen. 

Dann könnte der Planet Gliese 581g eine gebundene Rotation haben. Genau weiß das noch niemand. Alles, was man zu diesem Planeten je gemessen hat, ist eine kleine periodische Dopplerverschiebung in der Frequenz des vom Zentralgestirn ausgesandten Lichts. Daraus kann man ersehen, dass der Planet existiert, wie groß seine Umlaufperiode ist, und wie schwer er mindestens sein muss – selbst da wird es schon ungenau. Alles Weitere ist erst einmal nur reine Spekulation, so auch die in einigen Medien auftauchenden Computergrafiken oder Aussagen darüber, ob auf Gliese 581g vielleicht sogar Leben entstanden sein könnte. Falls Gliese 581g wirklich eine gebundene Rotation hat – nicht unwahrscheinlich angesichts seines geringen Bahnradius – wendet er seiner Sonne immer dieselbe Seite zu, was zu starken Temperaturvariationen als Funktion des Winkels zur Sonnenrichtung führen würde. Dies allein muss allerdings noch nicht die Habitabilität ausschließen.

Es bleibt somit spannend. Aber nehmen Sie alles, was Sie zu diesem Thema in den kommenden Wochen hören und lesen werden, mit einem Körnchen Salz. Besser ist das. 

Weitere Information

S. Vogt, R. Butler, E. Rivera, N. Haghighipour, G. Henry, M. Williamson: The Lick-Carnegie Exoplanet Survey: A 3.1 M-Earth Planet in the Habitable Zone of Nearby M3V Star Gliese 581

S. Arbesman, G. Laughlin: A Scientometric Prediction of the Discovery of the first Potentially Habitable Planet with a Mass Similar to Earth, arXiv 1009.2212v1, 12. September 2010

Daten zu Gliese 581 und seinem Sonnensystem auf exoplanet.eu

 

Avatar-Foto

Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

15 Kommentare

  1. Habitabel?

    Die Frage ist doch: Habitabel für wen? Für Mikroben sicher ok, aber -12°C wär mir zu kalt.

    So wie es aussieht, werden wir uns in den kommenden Monaten und Jahren dran gewöhnen müssen, dass alle paar Tage ein neuer “erdähnlicher” Planet entdeckt werden wird. Wobei der Begriff arg strapazierbar ist…

  2. @Jan

    Die Frage ist doch: Habitabel für wen? Für Mikroben sicher ok, […]

    Ich finde, die Tatsache, dass erstmalig ein einigermaßen erdähnlicher Exoplanet gefunden werden konnte, stellt allein schon einen Durchbruch dar.

    Wenn sich natürlich diese Behauptung halten lässt. Bis jetzt ist die Datenlage ja nicht gar so üppig. Was hat man denn in der Hand? Einen Streifen messdaten von der periodischen Dopplervariation der Frequenz eines Sterns. Deswegen ist es für mich auch unverständlich, wieso mancherorts gleich wieder über Leben spekuliert wird. Dazu müsste man schon noch Einges mehr wissen.

    Aber selbst, wenn Gliese 581g nicht erdähnlich ist, dann ist zu erwarten, dass eine solche Entdeckung in naher Zukunft zu erwarten ist. Vielleicht am Ende ja doch Anfang Mai 2011.

  3. -12°C im Durchschnitt,irgendwo als 20°C

    @Jan Hattenbach: Bei gebundener Rotation sollte es auf Gliese 581g eine Zone geben, die immer – tagein, tagaus, jahr für jahr – etwa 20°C warm ist.
    Es gibt also habitable Zonen auf Gliese 581g, genau wie es auch nicht habitable Zonen auf der Erde gibt.

  4. @Martin Holzherr

    Es gibt also habitable Zonen auf Gliese 581g, genau wie es auch nicht habitable Zonen auf der Erde gibt.

    Falls er eine Atmosphäre hat, und falls die so dicht ist, wie vermutet, und falls …

  5. Begrifflichkeiten

    Erdähnlich ungleich habitabel

    Was ich eigentlich meinte (und da mag ich mich missverständlich ausgedrückt haben) ist die mangelnde Trennung der Begrifflichkeiten “erdähnlich” und “habitabel”. Habitabel bezieht sich meines Wissens nur auf die Möglichkeit dauerhaften, flüssigen Wassers auf der Oberfläche. Ein solcher Planet hätte zumindest theoretisch die Möglichkeit, einfaches Leben zu beherbergen.

    Aber was heißt erdähnlich? Bewohnbar? Das ist Gliese 581g sicher nicht – *gerade* wegen seiner gebundenen Rotation. Damit auf einem Planeten höhere Wesen herumspazieren können, muss noch viel mehr dazu kommen: eine geeignete Atmosphäre, ein geeigneter Stern, eine geeignete Rotationsperiode, etc.

    Zwischen der Entdeckung eines habitablen Planeten und eines erdähnlichen (2. Erde) liegt noch ein großer Unterschied.

  6. @Jan: Habitabel vs. Erdähnlich

    Du hast Recht damit, auf die Semantik der Begriffe einzugehen. Aber die Tatsache, dass ein Exoplanet wirklich dauerhaft Druck- und Temperaturbedingungen aufweist, die flüssiges Wasser zulassen, macht ihn schon einigermaßen erdähnlich. Diese Forderung erlegt nämlich nicht nur dem Planeten und seiner Atmosphäre ziemlich enge Randbedingungen auf, sondern auch seiner Bahn und seinem Zentralgestirn.

    Daher auch die Anmerkung in Bezug auf den Grad der Variabilität von Gliese 581.

    Mars und Venus wären nach diesen Kriterien nicht erdähnlich und auch nicht habitabel. Mars: zu kalt, zu dünne Atmosphäre, Venus: zu heiß. Das engt das Feld stark ein – deswegen ist das Kriterium “Habitabilität” durchaus aussagekräftig und führt auch zu Bedingungen, die denen auf der Erde nicht unähnlich sind.

    Ich finde, man sollte sich fragen, ob das Kriterium “Erdähnlichkeit” nicht zu eng gefasst ist. Weder Mars noch der Jupitermond Europa wären nach den Kriterien von Exoplanetensuchern habitabel (abgesehen davon, dass sie so kleine Koerper noch gar nicht entdecken koennen). Aber dennoch sind es gerade diese zwei, die im Sonnensystem heiße Kandidaten für die Suche nach Leben sind.

  7. “erdähnlich” hin, “erdähnlich” her…

    … Durch die gebundene Rotation von Gliese 581 g – und die daraus resultierenden Temperaturunterschiede zwischen Tag- und Nachtseite – dürfte es, falls eine Atmosphäre vorhanden sein sollte, doch recht stürmisch und damit ungemütlich zugehen.

    Vielleicht leben auf diesem “erdähnlichen” Planeten deshalb nur ganz flache, windschnittige Wesen.

    In einem anderen Punkt dürfte es den Bewohnern von Gliese 581 g schlechter noch ergehen als den Erdbewohnern: Vorausgesetzt, sie müssen wie wir jedes Jahr Weihnachten feiern (Geschenke kaufen, wochenlangen Dezember-Stress ertragen, fette Mahlzeiten essen etc.), so sind sie ja ziemlich gefoppt: Denn ein Jahr dauert auf Gliese 581 g lediglich 36,6 Erdentage, womit dort Weihnachten quasi im Monatstakt vor der Türe steht! Was für ein schlimmes Leben auf Gliese 581 g!

  8. @Stefan

    Du machst einige interessante Anmerkungen.

    Das mit Weihnachten und anderen lästigen Pflichten ist natürlich richtig. Das ist auf Exoplaneten ein echtes Problem, habe ich mir sagen lassen.

    Zur gebundenen Rotation: Grundsätzlich frage ich mal, ob man die wirklich voraussetzen kann? Für Gliese 581g weiß man es auf keinen Fall, auch wenn es quasi überall als gegeben angenommen wird.

    Angenommen, man hat eine gebundene Rotation mit Sonneneinstrahlung immer über derselben Lokation und vernachlässigbaren Rotationseffekten wie Corioliskráften. Da wäre es wirklich interessant, zu überlegen, wozu das führt.

    Wir haben ja so eine Situation auf keinem Koerper im Sonnensystem. Auf Titan und Venus ist die Rotation zwar langsam, aber immer noch da – der Subsolarpunkt wandert über alle Meridiane.

    Bei gebundener planetarer Rotation koennte, eine einheitliche Wasseroberfläche vorausgesetzt und nicht beispielsweise ein Ozean und Landmassen, eine konstante, starke Luftstroemung auftreten. Das ist aber etwas anderes als Stürme und steht auch aquatischen Lebensformen aller Art nicht entgegen.

    Vielleicht nicht auf Gliese 581g, aber dann halt auf einem ähnlichen Exoplaneten anderswo.

  9. Übrigens …

    Vielleicht nicht auf Gliese 581g, aber dann halt auf einem ähnlichen Exoplaneten anderswo.

    … ihr kennt doch das beliebte Astronerd-Partyspiel? Einer nennt ein Thema – irgendeins – und man muss die dazu passende Geschichte von Arthur C Clarke nennen.

    Ich gewinne diesmal:

    http://en.wikipedia.org/…_Songs_of_Distant_Earth

  10. Das ist alles Spekulation

    So spannend und unterhaltsam das auch ist, wir sollten doch lieber hinfliegen und selber nachschauen. Das sind schon sechs Planeten plus ein Stern, den es im Gliese-581-System zu erforschen gibt! Da lohnt sich doch der Flug!

  11. @Lichtecho: Na, denn man los!

    So spannend und unterhaltsam das auch ist, wir sollten doch lieber hinfliegen und selber nachschauen.

    He, ich warte nur auf die nächste Revolution in der Physik. Technische Nutzbarkeit der Nullpunktsenergie und so.

    Aber jenseits der Spekulation können wir uns mal überlegen, was uns denn das Sonnensystem 581 jetzt schon sagt. Ist es wirklich ungewöhnlich? Oder ist es nicht eher so, dass es einfach nur für uns gut zu beobachten ist, da es relativ nahe und der Stern relativ leuchtschwach ist und dass wir deswegen die vielen kleinen Planeten entdeckt haben, die es anderswo auch gibt – wir können sie anderswo nur noch nicht nachweisen?

Schreibe einen Kommentar