Mein WIMP, dein WIMP, kein WIMP?

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Die Dunkle Materie bleibt ein Phantom: Auch das empfindlichste Experiment ist bislang leer ausgegangen – Mitte April verkündete die Xenon100-Kollaboration ein klares Negativresultat nach 100 Tagen Messdauer. Doch das DAMA-Experiment, im italienischen Gran Sasso-Untergrundlabor einen Stollen neben Xenon beheimatet, bleibt bei seiner gegenteiligen  Aussage: Seit über 10 Jahren will man sogar die Bewegung der Erde durch die Dunkle-Materie-Wolken messen. Nun scheint DAMA Rückendeckung aus den USA zu bekommen, während andere Experimente die Xenon-Resultate stützen. Was ist da los?

Die Analyse der Xenon-Kollaboration hat länger gedauert als erwartet. Nachdem es 2010 gehörigen Krach zwischen DAMA und Xenon um ein vorab veröffentlichtes Zwischenergebnis gab, wollte man dieses Mal wohl besonders sorgfältig vorgehen. Nun aber habe man die "weltweit stärksten Grenzen für die Eigenschaften der Dunkle-Materie-Teilchen" aufstellen können, wie Manfred Lindner vom Max-Plank-Institut für Kernphysik das Ergebnis im Interview mit Spektrum der Wissenschaft kommentiert. Was aber heißt das genau?

Zwei Parameter, viele Möglichkeiten

Dazu muss man sich klar machen, was mit diesen "Grenzen" gemeint ist. Die Eigenschaften, von denen hier die Rede ist, sind die Masse der WIMPs (Weakly Interacting Massive Particle – wenn man so will "Teilchen X") und ihr so genannter Streu- oder Wirkungsquerschnitt. Auch wenn so ziemlich alles an Details über die Natur dieser Teilchen im Dunklen liegt, kann man festhalten, dass wenn es ein WIMP gibt, es irgendeine Masse haben muss. Diese dürfte dann im Bereich der schweren Atomkerne liegen, wie schwer es genau ist, weiß man natürlich (noch) nicht.

Der Streu- oder Wirkungsquerschnitt gibt an, wie wahrscheinlich es ist, dass ein solches WIMP – wenn es existiert – mit den Atomkernen des Detektormaterials zusammenstößt. Das ist ein ganz wichtiges Detail: Die WIMPs sollten zumindest mit Atomkernen wechselwirken können und sich dabei verraten. So funktioniert auch die Nachweistechnik aller hier genannten Experimente (mehr dazu im Interview bzw. hier in einem älteren Artikel zu CDMS). Diese Wechselwirkung fände über die sogenannte Schwache Kernkraft statt. WIMP (engl. Weakly Interacting Massive Particle) bedeutet eben, dass das hypothetische Teilchen "schwach" wechselwirkt – "Schwach" im Sinne von "über die Schwache Kernkraft". "Dunkel" heißt, dass das Teilchen nicht über die Elektromagnetische Kraft wechselwirkt – also keine Photonen, d. h. Lichtteilchen, austauscht. 

Jede Kombination aus Masse und Wirkungsquerschnitt stellt nun ein mögliches WIMP dar – es könnte schwer sein oder leicht, relativ oft an Atomkernen streuen oder selten. Um das Ganze etwas anschaulicher darzustellen, kann man die mögliche Masse eines hypothetischen WIMPs gegen den möglichen Wirkungsquerschnitt in einem Diagramm gegeneinander auftragen. Dadurch erhält man einen zweidimensionalen Parameterraum, in dem jeder Punkt einem möglichen Wertepaar der Parameter "Masse" und "Wirkungsquerschnitt" entspricht. Das ist in der Abbildung gezeigt, die der Originalarbeit der Xenon100-Kollaboration entnommen ist.

Darstellung der WIMP-Masse vs. dem Wirkungsquerschnitt für Streuereignisse. Erklärung im Text. Aus Aprile et al. 2011.

Nehmen wir also an, es gäbe ein WIMP (und nur eins), dann liegt es mit seiner Masse und seinem Wirkungsquerschnitt auf irgendeinem Punkt in diesem Parameterraum. Aber auf welchem? Das ist die Frage, die sich alle Dunkle-Materie-Jäger zur Zeit stellen.

Wo ist das WIMP?

Einerseits zerbrechen sich die Theoretiker die Köpfe darüber, welche Kombinationen physikalisch überhaupt Sinn machen. Denn die meisten der Wertepaare sind schon aus theoretischen Gründen unwahrscheinlich, und so lässt sich der mögliche Parameterraum unter Annahme der derzeit gängigsten Modelle kräftig eingrenzen. Übrig bleibt dann beispielsweise der grau hinterlegte, unförmige Bereich am rechten unteren Rand des Diagramms, dort sollte den Theoretikern zufolge das WIMP zu finden sein. Es wäre also recht massereich, und ziemlich schwierig nachweisbar, da sein Wirkungsquerschnitt sehr klein ist. Dass es bislang noch nicht entdeckt wurde, ist aus theoretischer Sicht also keine Überraschung.

Doch alle Theorie ist Schall und Rauch, wenn Mutter Natur es sich anders ausgedacht hat. Man muss den gesamten Parameterbereich auch wirklich absuchen – das ist die Aufgabe der Experimentalphysiker. Über deren vielfältige Methoden will ich mich hier nicht auslassen. Wichtig ist vielmehr zu wissen, dass auch ein einzelnes Experiment nie den gesamten Parameterbereich abdeckt.

Das hat schlicht (mess)technische Gründe.  Vor allem hängt der zugängliche Bereich des Wirkungsquerschnitts (die vertikale Richtung im Diagramm) von der Empfindlichkeit des Detektors ab. Denn je kleiner der Wirkungsquerschnitt, desto seltener treten die WIMPs in Erscheinung. Für Experimentalphysiker besteht dabei die Hauptaufgabe darin, den so genannten "Untergrund" des verwendeten Detektors zu verstehen. Das sind alle Arten von Ereignissen, die durch andere Teilchen als den gesuchten hervorgerufen werden. Im Falle von Xenon100 sind das insbesondere radioaktive Zerfälle von Krypton-85. Das Gas kommt in Spuren selbst in dem hochreinen Xenongas vor. Ein solcher Zerfall kann eine WIMP-Kollision vortäuschen.

Nichts als Untergrund?

Die Xenon-Kollaboration hat ihren Untergrund offenbar ziemlich gut im Griff, rechnen die Forscher doch nur mit zwei Untergrundereignissen in 100 Tagen. Gemessen wurden nun insgesamt drei Ereignisse – und damit ist zu vermuten, dass es sich bei allen dreien um Untergrundereignisse, aber nicht um WIMP-Stöße handelte. Hätte man fünf oder besser mehr Ereignisse gefunden, sähe die Sache anders aus.

Doch übertragen in die Grafik des Parameterraums ist auch dieses Ergebnis äußerst hilfreich. Denn alle Kombinationen aus Masse und Wirkungsquerschnitt, die sich oberhalb der blauen Linie (der blau schattierte Bereich gibt dabei einen Unsicherheitsbereich an) befinden, sind nun auszuschließen. Hätte das WIMP einen größeren Wirkungsquerschnitt, als durch die Grenzlinie angegeben, dann hätte Xenon100 es "sehen" müssen. Dass die Grenzlinie nicht horizontal verläuft, liegt daran, dass der Wirkungsquerschnitt selbst von der Masse des Teilchens abhängt.

"WIMP-Wars" – Krieg der Forscher

Auffällig ist nun, dass die blaue Linie unterhalb aller anderen liegt – frühere Experimente waren deutlich weniger empfindlich. Xenon100 liefert damit also tatsächlich die "weltweit stärksten Grenzen" für die WIMP-Eigenschaften, wie es Manfred Lindner im Interview betont.

Zweitens berührt nun erstmals ein Experiment den Bereich des Parameterraums, der von der Theorie favorisiert wird. Dass vorherige Experimente "nichts" gesehen haben, ist in diesem Licht betrachtet kaum verwunderlich. Dass auch Xenon100 in diesem ersten Lauf kein positives Signal gesehen hat, wird einige Forscher insgeheim doch ein bisschen enttäuscht haben. Noch ist ein wichtiger Teil des Parameterraums unerforscht, doch die Luft wird dünn für das WIMP.

Alles klar soweit? Leider nein!

Dummerweise widersprechen nun aber zwei andere Experimente diesem Befund hartnäckig: DAMA und CoGeNT.  Diese wollen nämlich sehr wohl Signale gesehen haben – in Bereichen des Parameterraums, die von den anderen ausgeschlossen werden. So behauptet das italienische Experiment DAMA sogar, eine jahreszeitliche Schwankung der Streuereignisse zu beobachten. Dies könne man, so die Interpretation, der Bewegung der Erde um die Sonne (und damit durch die WIMP-Wolken der Sonnenumgebung) zuschreiben.

Diese Behauptung macht die DAMA-Kollaboration immerhin schon seit Ende der 1990er Jahre. Inzwischen gestützt durch genügend Meßdaten, so dass ein statistischer Effekt auszuschließen ist. Wenn es also keine WIMPs sind, dann muss es etwas anderes sein, aber was? Rückendeckung scheint DAMA von CoGeNT zu bekommen, einem ähnlichen Experiment in den USA. Auch bei diesem Experiment scheint sich seit neuestem eine jahreszeitliche Schwankung anzudeuten. Diese sei stastistisch noch nicht signifikant für eine klare Aussage, weswegen sich die CoGeNT-Kollaboration im Forscherstreit "DAMA gegen den Rest" "neutral" verhalte, und vorläufig nicht behaupte, WIMPs zu sehen…

Während der DAMA-Kollaboration seit Jahren vorgeworfen wird, dass ihre Rohdaten anderen Wissenschaftlern nicht zugänglich mache und damit eine kritische Überprüfung ihres Resultats verhindere, kritisierten die Italiener regelmäßig die Analysen ihrer Kollegen (und Konkurrenten) von Xenon – deren Experiment sei für die leichten WIMPS, die DAMA sehen will, nicht sensitiv genug. 

Die Lage ist unübersichtlich. Doch letzlich scheinen drei Möglichkeiten wahrscheinlich: Es könnte überhaupt keine Dunkle-Materie-WIMPs geben, und die DAMA-Daten beruhen auf irgendeinem kuriosen Messeffekt. Oder es gibt doch eines, DAMA läge immer noch falsch und Xenon ist noch nicht sensitiv genug. Oder aber es gibt sogar mehrere Dunkle Teilchen – warum eigentlich nicht? Dann könnten sogar beide Experimente "recht haben".

Positiv bleibt festzuhalten: Man redet immerhin über Messdaten – und nicht über irgendwelche Theoriegebilde. Und die Experimente werden immer besser und empfindlicher. Der Sieger des inzwischen schon als "WIMP-Wars" bezeichneten Forscherkriegs wird hoffentlich bald feststehen…

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Mit dem Astronomievirus infiziert wurde ich Mitte der achtziger Jahre, als ich als 8-Jähriger die Illustrationen der Planeten auf den ersten Seiten eines Weltatlas stundenlang betrachtete. Spätestens 1986, als ich den Kometen Halley im Teleskop der Sternwarte Aachen sah (nicht mehr als ein diffuses Fleckchen, aber immerhin) war es um mich geschehen. Es folgte der klassische Weg eines Amateurastronomen: immer größere Teleskope, Experimente in der Astrofotografie (zuerst analog, dann digital) und später Reisen in alle Welt zu Sonnenfinsternissen, Meteorschauern oder Kometen. Visuelle Beobachtung, Fotografie, Videoastronomie oder Teleskopselbstbau – das sind Themen die mich beschäftigten und weiter beschäftigen. Aber auch die Vermittlung von astronomischen Inhalten macht mir großen Spaß. Nach meinem Abitur nahm ich ein Physikstudium auf, das ich mit einer Diplomarbeit über ein Weltraumexperiment zur Messung der kosmischen Strahlung abschloss. Trotz aller Theorie und Technik ist es nach wie vor das Erlebnis einer perfekten Nacht unter dem Sternenhimmel, das für mich die Faszination an der Astronomie ausmacht. Die Abgeschiedenheit in der Natur, die Geräusche und Gerüche, die Kälte, die durch Nichts vergleichbare Schönheit des Kosmos, dessen Teil wir sind – eigentlich braucht man für das alles kein Teleskop und keine Kamera. Eines meiner ersten Bücher war „Die Sterne“ von Heinz Haber. Das erste Kapitel hieß „Lichter am Himmel“ – daher angelehnt ist der Name meines Blogs. Hier möchte ich erzählen, was mich astronomisch umtreibt, eigene Projekte und Reisen vorstellen, über Themen schreiben, die ich wichtig finde. Die „Himmelslichter“ sind aber nicht immer extraterrestrischen Ursprungs, auch in unserer Erdatmosphäre entstehen interessante Phänomene. Mein Blog beschäftigt sich auch mit ihnen – eben mit „allem, was am Himmel passiert“. jan [punkt] hattenbach [ät] gmx [Punkt] de Alle eigenen Texte und Bilder, die in diesem Blog veröffentlicht werden, unterliegen der CreativeCommons-Lizenz CC BY-NC-SA 4.0.

3 Kommentare

  1. AMS02

    Hallo Jan,

    wenn denn endlich mal AMS02 bei der ISS angekommen ist und auch nach Dunkler Materie sucht, in welchem Bereich des oben dargestellten Parameterraums wird der Detektor dann Daten liefern?

    Viele Grüße

    Kai

  2. AMS und WIMP-Masse

    Hallo Kai,

    Zunächst mal ist AMS ein völlig anderer Typ von Experiment: Es misst keine WIMP-Rückstöße sondern mögliche WIMP-AntiWIMP-Zerstrahlungsprodukte, die als Teil der kosmischen Strahlung zu uns kommen. AMS gehört damit zu den indirekten Nachweisexperimenten, die im Artikel genannten sind Experimente zum “direkten” Nachweis.

    Je schwerer das WIMP, desto energiereicher sind diese Zerstrahlungsprodukte.

    Der Satellit Pamela hat 2008 einen Überschuss in den kosmischen Positronen bis zu einer Energie von etwa 100 GeV gemessen. Entscheidend ist nun die Frage, wo dieser Überschuss endet, d.h. bei welchen Energien. So will man unterscheiden, ob es sich dabei um WIMP-Zerstrahlung oder um “normale” Quellen wie Pulsare handelt.

    AMS soll m.W. bis etwa 1 TeV (1000 GeV) vernünftige Positronspektroskopie betreiben können. D.h. ist das WIMP nicht deutlich schwerer als im Diagramm angedeutet, sollte AMS seine Zerstrahlungsprodukte im Positronspektrum sehen können, und von Pulsaren unterscheiden können, sage ich jetzt mal optimistisch…

    Aber erst mal muss die Kiste nach oben 🙂

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