O Stern(e) – drei Bücher über Sterne

BLOG: Uhura Uraniae

Ko(s)mische Streifzüge durch Zeit und Raum
Uhura Uraniae

Sterne sind ein sehr spannendes Thema! – egal, in welcher Epoche der Astronomie. Die moderne Sternforschung in der Physik genauso wie frühere Darstellungen zu jeder Zeit. Hier drei Buchtipps – just in case.

Erstens: ganz neu am Bücherhimmel:

Elly Dekker. Illustrating the PHAENOMENA über “Celestial Cartography in Antiquity and the Middle Ages” (also Himmelskartographie in der Antike und im Mittelalter) – das neueste Buch einer Autorin, die unter Globenkundlern bekannt sein dürfte. Schon allein das Erscheinen bei Oxford University Press spricht für die hohe Güte des Werks und in der Tat ist es die modernste Zusammenfassung zum Thema. Ich konnte es zwar glücklicherweise bereits im Nov/ Dez letztes Jahr kaufen, aber offiziell “released” ist es erst dieses Jahr.

Das Buch beginnt (erst) mit den wenigen erhaltenen antiken Darstellungen (2. Kap.), als mit der Mathematik und Astronomie ab ca. Hipparch (150 v.Chr.), beschäftigt sich dann aber in aller Ausführlichkeit mit der Tradierung und Entwicklung der Himmelsdarstellungen im Mittelalter (3. Kap.), in der islamischen Tradition (4. Kap.), und im mittelalterlichen Europa (5. Kap.).

Das Buch ist reich und sehr intelligent illustriert und mithin allgemein verständlich – leider so frisch, dass es das nur auf Englisch gibt, aber mich würde nicht überraschend, wenn es zeitnah übersetzt wird, weil es so gut ist. Es ist eine wunderbare Systematik, zumal schon das Inhaltsverzeichnis auflistet: “Berliner Fragment”, “The Larissa globe”, “Kugel’s globe”, “The Mainz globe”, “Hyginus’s globe”, “The Farnese globe” … (als Beispiel für die Antike – in den anderen Kapiteln analog). Jedes Kapitel hat (mindestens) einen tabellarischen Anhang, der sich “Catalogue” der Himmelsdarstellungen der jeweiligen Epoche nennt. Im Mittelalter sind das natürlich nicht nur Globen, sondern auch Planisphären und Halbkugeln und zu jeder Zeit freilich auch flache Darstellungen in Text und Bild.

Die einführenden Texte zu jedem Thema beschreiben sehr fundiert die kunsthistorischen Zusammenhänge sowie auch die mathematischen Konzepte. – insgesamt ein wunderbares Kompendium!

Elly Dekker ist unabhängige Wissenschaftlerin mit dem Hauptforschungsinteresse in Geschichte der Astronomie und ihres Instrumentariums. Sie hatte die besondere Ehre, für ihre Arbeit die Sammlungen im britischen Greenwich nutzen zu dürfen.

DATA
Elly Dekker: Illustrating the PHAENOMENA (engl), Oxford University Press, 2013
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Zweitens: ältere dt.-sprachige Literatur zum Thema

Bereits 1898 erschien ein sehr interessantes Buch zur Erforschung von “Antiken Himmelsbilder“n von Georg Thiele. Es ist heute (wieder) als Kopie erhältlich.
Kap. I widmet sich dem Ursprung der griechischen Sternbilder bis zur EInführung des Tierkreises, geht in Kapitel II weiter zu dem Globus von Hipparch und dem Einfluss von (belegten) Globen auf die Literatur bei Manilius, Germanicus, Hyginus und Vitruv. In Kap. III wird dann die Kunstgeschichte vor allem in attischer Tradition analysiert und befasst sich dann auf hundert Seiten mit Illustrationen des Lehrgedichts von Arat. 

Das Buch gibt eine gute Übersicht zum Thema und vor allem ein sehr systematische Zusammenfassung.

DATEN
Georg Thiele: Antike Himmelsbilder, Berlin, 1898 – Kessinger Legacy Reprints
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Drittens

Ebenfalls nicht mehr ganz taufrisch, aber noch immer sehr aktuell – und deutlich lebendiger als Thiele – ist Gerd Graßhoffs “History of Ptolemy’s Catalogue“, das ebenfalls Sternbeschreibungen in der Antike analysiert. Im Almagest befindet sich bekanntlich eine Liste von Sternen und eine ausführliche, verbale Darstellung des Verlaufs der Milchstraße. Graßhoff beschreibt sowohl die Rezeption Ptolemäus’ im Mittelalter und in der Neuzeit als uach seine Wurzeln bei Hipparch, also in hellenistischer Zeit.

Graßhoffs Buch ist ebenfalls reich bebildert, enthält auf den 347 Seiten viele Sternkarten und Diagramme. Der Autor vergleicht hier den Bestand von Sternen und Sternbildern in verschiedenen antiken Darstellungen und ihrer Rezeption mit modernen (naturwissenschaftlichen) Methoden. Das ist eine gängige Methode, um herauszufinden, wer von wem abgeschrieben hat: Man konstatiert Abweichungen des Verzeichneten von der Realität oder vom Verzeichneten bei anderen (antiken) Autoren.

Teilweise liest sich das Buch also zugegeben wie ein Sammlung von mathematischen Formeln, mit denen man bestimmte, antik beschriebene Ereignisse, mathematisch exakt beschreiben kann (z.B. ist Kap. 5.7.2, über “Simultaneous Rising and Setting” ganze drei Zeilen lang: zwei Zeilen Text und eine Formel). Es ist also wie eine Übersetzung von Text und den dahinter stehenden Konzepten in die (moderne) Sprache der Mathematik. Manchmal braucht man das … zumindest manchen Philosophen täte es mitunter gut, damit sie nicht “mit dem komponieren anfangen müssen” (wie Nelson Goodman in Languages of Art (S. 194 in der dt. Ausgabe von Suhrkamp) schreibt), um sich präzise auszudrücken.

Selbstverständlich gibt es aber neben Formeln und Diagrammen auch viel Text, auch viele Übersetzungen und Interpretationen von originalen griechischen Quellen. (Griechisch war die Wissenschaftssprache in der gesamten Antike, also auch zu römischer Zeit.) Insofern dürfte hier der geneigte Sternkartenforscher (m/w) auf der Suche nach Erkenntnissen ebenso fündig werden wie in den beiden oben genannten Werken.

Laut Inhaltsverzeichnis problematisiert der Autor zuerst und schafft so die Basis für seine folgenden Analysen mit neuzeitlichen Autoren (Brahe, Laplace u.a.), analysiert dann den Sternkatalog des Almagest (Kap. 4), vergleicht dann Hipparchs Katalog und dessen Basis strukturell und versucht die Sternörter zu rekonstruieren. Eine sehr interessante Methode! Anschließend vergleicht er die Theorie sogar mit Beobachtungen und betrachtet folglich sogar Unsicherheiten der Daten – ein Detail, das vielen anderen wissenschaftshistorischen Arbeiten (leider) fehlt, aber diese umso höherwertig macht.

DATEN

Gerd Grasshoff: The History of Ptolemy’s Star Catalogue (engl), Springer Verlag, New York, HD, Berlin 1990
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BTW: nur wenn Sie _wirklich_ im Gebiet der Erforschung antiker Astronomie involviert sind, verstehen Sie die Widmung “to the Elephant” … wenn nicht, machen Sie sich keine Gedanken darüber: andere Dinge sind wichtiger zu verstehen. 😉


Oster-Gimmick

draußen sieht es hier im Nordosten noch eher nach Winter aus,
also trösten wir uns mit einem Wintersternbild als Ostergruß:


credits

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"physics was my first love and it will be my last physics of the future and physics of the past" Dr. Dr. Susanne M Hoffmann ist seit 1998 als Astronomin tätig (Universitäten, Planetarien, öffentliche Sternwarten, u.a.). Ihr fachlicher Hintergrund besteht in Physik und Wissenschaftsgeschichte (zwei Diplome), Informatik und Fachdidaktik (neue Medien/ Medienwissenschaft) als Weiterqualifikationen. Sie ist aufgewachsen im wiedervereinigten Berlin, zuhause auf dem Planeten Erde. Jobbedingt hat sie 2001-2006 in Potsdam gelebt, 2005-2008 saisonal in Mauretanien (winters) und Portugal (sommers), 2008-2009 und 2013-'15 in Berlin, 2010 in Hamburg, 2010-2012 in Hildesheim, 2015/6 in Wald/Österreich, 2017 in Semarang (Indonesien), seit 2017 in Jena, mit Gastaufenthalten im Rahmen von Forschungskollaborationen in Kairo+Luxor (Ägypten), Jerusalem+Tel Aviv (Israel), Hefei (China)... . Ihr fachliches Spezialgebiet sind Himmelskarten und Himmelsgloben; konkret deren Mathematik, Kartographie, Messverfahren = Astrometrie, ihre historische Entwicklung, Sternbilder als Kulturkalender und Koordinatensystem, Anomalien der Sternkarte - also fehlende und zusätzliche Sterne, Sternnamen... und die Schaustellung von alle dem in Projektionsplanetarien. Sie versteht dieses Blog als "Kommentar an die Welt", als Kolumne, als Informationsdienst, da sie der Gesellschaft, die ihr das viele studieren und forschen ermöglichte, etwas zurückgeben möchte (in der Hoffnung, dass ihr die Gesellschaft auch weiterhin die Forschung finanziert).

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