Plaudereien zum Manifest der Hirnforschung mit Steve Ayan von Gehirn und Geist

Tagebücher der Wissenschaft

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Martin Huhn: Hallo Steve, wie lange bist Du schon bei „Gehirn und Geist“ (GuG)?
Steve Ayan: Am 1. Februar waren es 10 Jahre – meine Güte!
Huhn: Also noch länger als „Das Manifest“ alt ist, um das es hier geht. Bevor wir zum Thema kommen, noch etwas mehr zu Dir. Was hast Du für eine Ausbildung, wie kamst Du zu GuG und was waren Deine bisherigen Aufgaben?

Steve Ayan
GuG-Redakteur und Textchef Steve Ayan

Ayan: Ich habe Psychologie und Literaturübersetzung studiert und anfangs als freier Übersetzer in Berlin gearbeitet. Doch schon bald war ich des einsamen Übersetzerdaseins überdrüssig und machte flugs noch ein Aufbaustudium „Wissenschaftsjournalismus“ an der dortigen Freien Universität. Danach kam ich dann als Praktikant zu GuG, wurde anschließend Redakteur mit Jahresvertrag, dann fest angestellter, dann zudem Textchef, dann zuzudem (sic!) noch Redaktionsleiter, inzwischen bin ich wieder Redakteur und Textchef. Und das ist auch gut so.
Huhn: Was gefällt Dir an GuG und was sind für Dich die spannendsten Themen?
Ayan: Am meisten mag ich das junge, engagierte und lustige Team. Ich kann mich für viele Themen begeistern, auch neurophilosophische, die manchen meiner Kollegen allzu abstrakt erscheinen.
Huhn: Empfindest Du es als Vorrecht für GuG zu arbeiten, wenn Du Themen bearbeitest, die Dich interessieren?
Ayan: Joa, ist schon schön, gestalten und Themen setzen zu können. Nur Jobs abzuarbeiten, die einem übertragen werden, ist ja auf Dauer nicht so prickelnd. Wobei natürlich jeder auch Dinge tut, die einfach erledigt werden müssen. Das Leben ist kein Wunschkonzert – nicht mal bei GuG.
Huhn: Das Interview zu „zehn Jahre Manifest“ (€ 1,49) mit Gerhard Roth und Katrin Amunts hast Du gemeinsam mit Carsten Könneker geführt. Wie war Dein Eindruck?
Ayan: Gut, wieso fragst Du …?
Huhn: Naja, bei mir blieb ein zwiespältiger Eindruck zurück. Zum einen ehrlich und sachlich, aber zum anderen polterte Gerhard Roth stellenweise wieder einmal. Und die Aussagen waren bisweilen uneinheitlich.
Ayan: Ach so, das kann sein, war ja auch ein Doppelinterview. Zunächst mal finde ich es nicht leicht, so ganz im Allgemeinen über eine Wissenschaft zu reden. DIE Hirnforschung gibt es ja eigentlich gar nicht, sondern viele verschiedenen Leute, die mit ganz unterschiedlichen Methoden etwa über das Gehirn und seine Beziehung zur Psyche und zur Welt herausfinden wollen. So weit man das überhaupt kann, haben Roth und Amunts den aktuellen Stand der Neurowissenschaften aber ganz gut umrissen, denke ich. Wobei man vor allem bei Herrn Roth durchaus auch eine Lust spürt, mit steilen Thesen zu provozieren. Die Vorstellung, dass Geistiges allein auf neurobiologischen Prozessen beruht, der so genannte Naturalismus also, stößt bei manchen Menschen auf Widerwillen. Das ficht Herrn Roth aber nicht an.
Huhn: Ich gehöre zu den Menschen, bei denen seine provozierenden Thesen auf Widerstand stoßen. Ich hätte dazu auch ein Beispiel.
Ayan: Schieß los!
Huhn: Eine Frau fährt mit ihrem Auto und stellt sich einen Radiosender ein. Als sie sich wieder auf den Verkehr konzentriert, ist es schon zu spät: Sie überfährt ein Kind. Das Kind stirbt. Vor Gericht wird sie mit Hilfe eines guten Anwalts freigesprochen. Falls diese Frau nicht schon innerlich tot ist, wird sie für den Rest ihres Lebens eine große Schuld auf sich geladen haben. Wie soll sie damit umgehen? Schuld ist in der Theologie ein großes Thema. Der einzige Weg sie loszubekommen, ist die Vergebung durch Jesus Christus. Was hat die Hirnforschung mit der Untersuchung neurobiologischer Prozesse dazu beizutragen?
Ayan: Für einen Hirnforscher, der streng deterministisch denkt und folglich meint, wir würden aus Notwendigkeit immer so handeln, wie es uns unsere Hirnprozesse eingeben, hätte die Frau womöglich keine Schuld. Es wäre eine Folge von unweigerlichen Zuständen, die einander bedingen und zum nächsten Zustand führen, der nicht zu beeinflussen ist. Womit ich nicht behaupten will, dass Hirnforscher das standardmäßig so sehen – nur ein paar wenige haben dieses Gedankenspiel in den Raum geworfen.
Huhn: Keine schöne Vorstellung und mit meiner Anschauung von Leben und Menschsein nicht zu vereinbaren.
Ayan: Das geht mir ähnlich. So eine Theorie ist ganz und gar unerquicklich, weil wir dann jede Möglichkeit, über alternative Handlungsweisen nachzudenken, beerdigen müssten. Wir wären bloß passive Teilnehmer an einem Weltenlauf, den wir nicht beeinflussen könnten. Wir würden ja nur erleben, was unweigerlich geschehen muss, wären quasi Zeugen des Unvermeidlichen. Wie Steine am Wegesrand. Ich glaube, wer das ernst nimmt, verliert jeden Sinn des Lebens.
Huhn: Wovon ist Dein Menschenbild geprägt?
Ayan: Von Mama und Papa – gute, atheistische Berliner Schule – und von meiner Persönlichkeit, schätze ich. Und die lässt mich meist mit Vorsicht auf die Theorien blicken, die wir um DAS Menschsein an und für sich spinnen. Wir scheinen ein Faible dafür zu haben, uns über unsere eigenen Chimären den Kopf zu zerbrechen, etwa wenn es darum geht, Gott, das Schicksal oder unser »wahres« Ich zu ergründen. Mich beschleicht dann oft der Verdacht, diese Dinge sind zuallererst einmal Produkte unserer eignen blühenden Fantasie. Das mag man ernüchternd finden, ich finde es faszinierend.
Huhn: Bei diesem Thema sind wir schnell ins Plaudern gekommen.
Ayan: Ja, und das geht nicht nur uns so. Beim Streit um das »Manifest der Hirnforschung« spielen oft Dinge mit, die das Manifest gar nicht behandelt hat. Wahrscheinlich fühlen sich die Vertreter anderer Wissenschaftsdisziplinen wie Psychologen oder Philosophen durch so ein kollektives Statement herausgefordert, den Wert der eigenen Disziplin herauszustellen. Aber das ist ja auch interessant und lehrreich. Die Vielfalt der Standpunkte, auch wenn ich die nicht alle teile, macht die Sache erst so richtig interessant.

Huhn: Wie ist Deine Meinung zur Kritik von Stephan Schleim in GuG 04/2014 (€ 1,49)?
Ayan: Die bringt einige klassische Argumente der Neuroskeptiker schön auf dem Punkt: Das Gehirn allein produziert noch keinen Geist, der eben angesprochene Naturalismus ist nur eine Prämisse, kein Ergebnis der Forschung, und viele Versprechen der Hirnforscher aus den letzten Jahren sind unerfüllt geblieben. Nur bei der oft beschworenen interdisziplinären Zusammenarbeit frage ich mich immer: Wenn Philosophen und Neurobiologen nicht einmal die gleiche Sprache sprechen, wie sollen sie im Ernst sinnvoll zusammen forschen? Es ist schon viel gewonnen, wenn sie sich gegenseitig auf die Finger schauen. Im nächsten GuG, das ist Heft 5/2014, haben wir einen Beitrag über die philosophische Sprachkritik an der Hirnforschung im Programm. Auch so ein spannendes Thema, wie man sie fast nur bei uns findet. (lacht)

Wer Steve Ayan live erleben möchte, hat dazu am 10.04.2014 in Heidelberg die Gelegenheit. Das Deutsch-Amerikanische Institut Heidelberg führt in Kooperation mit dem Carl-Auer Verlag eine Podiumsdiskussion zum Buch von Matthias Eckoldt: „Kann das Gehirn das Gehirn verstehen?“ durch. Neben Steve Ayan ist unter anderem Prof. Dr. Christoph von der Malsburg mit dabei. Einer der Mitautoren des Manifestes.
Auch gut zum Thema passend ist ein Streitgespräch zwischen dem Theologen Ulrich Eibach und dem, leider im Februar 2005 verstorbenem, Neurophysiologen Detlef Linke aus Gehirn & Geist 02/2002: „Die Kopflastigkeit der Religion“.

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Martin Huhn hat Verfahrenstechnik studiert und arbeitet seit dem Jahre 2000 bei Spektrum der Wissenschaft. Dort ist er im Bereich Webentwicklung tätig. Sein Geschäft ist so ziemlich alles, was mit dem Webauftritt des Spektrum Verlages zu tun hat.

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